OGH 4Ob166/22y

OGH4Ob166/22y20.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka und Dr. Annerl sowie die Hofrätin Mag. Fitz, als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wohnungseigentümergemeinschaft des Hauses *, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei E* GmbH, *, vertreten durch Mag. Rudolf Siegel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei D* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch die WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 178.422,79 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Partei und ihrer Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 28. April 2022, GZ 2 R 5/22b‑29, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Oktober 2021, GZ 65 Cg 32/21x‑23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00166.22Y.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei deren jeweils mit 3.583,92 EUR (darin jeweils 597,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und deren jeweils mit 11.737,38 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin jeweils 430,23 EUR USt und 9.156 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die beklagte Bank gab der klagenden Bauherrin gegenüber eine Bankgarantie ab, die an die Stelle des Haftrücklasses treten sollte, den die Klägerin vom Werklohn der Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten als Bauunternehmerin einbehalten durfte. Die Garantiesumme betrug 178.422,79 EUR.

[2] Vereinbart war, dass sich die Garantiesumme mit Ablauf des 23. 12. 2020 auf 56.721,97 EUR reduziert und die Garantie automatisch erlischt, sobald die Beklagte die Garantieurkunde zurückerhält, spätestens jedoch am 23. 12. 2022.

[3] In der Garantieerklärung heißt es:

Eine Inanspruchnahme der Garantie wird von uns nur honoriert, sofern der volle Haftrücklassbetrag auf dem bei unserem Institut geführten Konto Nr. [...] unseres Kunden [= der Bauunternehmerin] unter Anführung unserer Garantienummer eingegangen ist.

[4] Die Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin überwies als deren Hausverwalterin am 26. 3. 2018 173.070,11 EUR (Haftrücklassbetrag unter Abzug von 3 % Skonto) auf das angeführte Konto und nannte als Zahlungsgrund nur die Nummer der Schlussrechnung, nicht aber die Garantienummer. Außerdem setzte sie das Kürzel „HRL“ für Haftrücklass bei.

[5] Die Klägerin rief die Garantie am 22. 12. 2020 ab. Die Beklagte teilte der Klägerin am 23. 12. 2020 mit, sie könne der Zahlungsaufforderung nicht nachkommen, weil nicht der volle Haftrücklassbetrag in Höhe von 178.422,79 EUR unter Anführung der Garantienummer auf dem Konto des Kunden eingegangen sei.

[6] Die Hausverwalterin überwies daraufhin noch am selben Tag – und damit innerhalb der Laufzeit der Garantie in voller Höhe – die Differenz zum vollen Haftrücklassbetrag unter Angabe der Garantienummer. Der Rechtsvertreter der Klägerin übermittelte der Beklagten – ebenfalls am 23. 12. 2020 – beide Überweisungsbelege mit einem Hinweis auf die Garantienummer, wies darauf hin, dass nunmehr der gesamte Haftrücklass einbezahlt sei und forderte die Beklagte neuerlich zur Auszahlung der Garantiesumme auf.

[7] Die Beklagte zahlte die Garantie nicht aus; seit August 2020 führt die Klägerin ein Verfahren gegen die Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten wegen mangelhafter Leistungserbringung.

[8] Die Klägerin forderte die Auszahlung der Garantiesumme, in eventu Schadenersatz in dieser Höhe wegen der Verletzung von Warnpflichten der Beklagten als Garantin.

[9] Die Beklagte bestritt jede Zahlungspflicht. Die im Garantievertrag genannte Bedingung sei nicht erfüllt worden, weil eine andere Person als die Klägerin einen anderen Betrag als den Haftrücklass mit einer anderen als der vereinbarten Widmung überwiesen habe. Vor dem Abruf treffe die Beklagte keine Warnpflicht gegenüber der Begünstigten. Eine nachträgliche Umwidmung der bereits erfolgten Überweisung sei nicht möglich.

[10] Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Effektivklausel spreche weder gegen eine Zahlung in Teilbeträgen noch setze sie eine Frist dafür. Das Erfordernis, die Garantienummer anzuführen, habe keinen über die Zuordenbarkeit einer Zahlung hinausgehenden (erkennbaren) Zweck. Dieser Zweck sei spätestens mit der Übermittlung der Überweisungsbelege erfüllt worden.

[11] Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Werde die Zahlung des Garanten von in der Garantieerklärung näher bezeichneten Tatsachen abhängig gemacht, die der Begünstigte anlässlich seines Abrufs nachzuweisen habe (Effektivklausel), verhindere ein Nichteintritt dieser Tatsachen zwar nicht die Gültigkeit der Garantievereinbarung, wohl aber den Eintritt des zum Abruf berechtigenden Garantiefalls. Bei der Auslegung der Garantieerklärung komme es – mangels einer über den Wortsinn der Garantieurkunde hinausgehenden übereinstimmenden Parteiabsicht – nur auf den objektiven Erklärungswert der Urkunde an. Die vorliegende Effektivklausel diene dem Schutz der Garantiebank und solle ihr eine sofortige sichere Zuordnung der Zahlung ermöglichen. Die Beklagte dürfe daher vom Begünstigten die strikte, ja geradezu pedantische Erfüllung der Voraussetzungen fordern; diese Voraussetzungen habe die Klägerin nicht eingehalten.

[12] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob eine im Rahmen einer Garantieerklärung geforderte eindeutige Widmung einer Zahlung nachgeholt werden könne.

[13] Dagegen richten sich die Revisionen der Klägerin und der Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin, mit den (erkennbaren) Anträgen auf Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts; hilfsweise wird jeweils ein Aufhebungsantrag gestellt.

[14] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revisionen zurückzuweisen, hilfsweise, ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revisionen sind zulässig und berechtigt, weil dem Berufungsgericht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist.

[16] 1. Grundsätzlich muss der Garant zur Sicherung seiner Rückgriffsansprüche vom Begünstigten die strikte, „pedantisch genaue“ Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen verlangen (RS0016983; RS0016946; vgl auch RS0017005). Im Hinblick auf das beträchtliche Risiko, das bei einer Bankgarantie für die garantierende Bank besteht, entspricht es der Verkehrssitte, dass ihr Wortlaut genau zu beachten ist und immer besondere Gründe vorliegen müssen, von ihm abzuweichen (RS0016999). Dies gilt auch bei Effektivklauseln, die „geradezu pedantisch und wortgetreu“ dem Wortlaut der Klausel gemäß erfüllt werden müssen (RS0017013). Diese Grundsätze dienen der Vermeidung einer Überwälzung des Risikos hinsichtlich der Erbringung der Garantieleistung an den richtigen Begünstigten (RS0016999 [T6]).

[17] 2. Auch Garantieverträge sind Rechtsgeschäfte, die gemäß den §§ 914, 915 ABGB auszulegen sind. Dem steht der Grundsatz der formellen Garantiestrenge nicht entgegen, weil dieser kein Selbstzweck ist, sondern nur soweit trägt, als dies dem Willen der Vertragsparteien entspricht (RS0033002). Der Begünstigte kann aber einen Nachweis grundsätzlich auch auf andere, vom Beweiswert her gleichwertige Weise erbringen. Die Gleichwertigkeit ist objektiv aus Sicht der Garantin zu beurteilen (RS0033002 [T7]).

[18] 2.1. Richtig zeigen die Revisionen auf, dass die Effektivklausel weder Teilzahlungen noch eine Überweisung durch Dritte ausschließt. Die Klägerin hatte mit ihrer ersten Überweisung im Jahr 2018 der Auszahlungsbedingung insoweit nicht entsprochen, als sie nicht den vollen Haftrücklassbetrag erlegt und statt der Garantienummer die Schlussrechnungsnummer angegeben hatte. Sie hat aber unmittelbar nachdem sie von der Beklagten auf diese beiden Irrtümer hingewiesen wurde, die Differenz unter Angabe der korrekten Nummer erlegt und damit im Ergebnis der Auszahlungsbedingung innerhalb offener Frist zur Gänze entsprochen. Der Wortlaut der Auszahlungsbedingung stellt auf eine Auszahlung erst nach Eingang der vollen Haftrücklasssumme und Bekanntgabe der Garantienummer ab; er sagt aber nichts über den zeitlichen Ablauf der Erfüllung dieser Bedingungen.

[19] 2.2. Der Nachweis des Garantiefalls kann innerhalb der Laufzeit auch noch nach dem Garantieabruf und notfalls auf andere als die vereinbarte Weise erbracht werden, sofern damit dem Zweck der Klausel in gleicher Weise Rechnung getragen wird (8 Ob 87/14y mwN). Die Garantin legte in der Effektivklausel fest, unter welchen Voraussetzungen sie zur Auszahlung der Garantiesumme bereit sei. Das war die Zahlung im Valutaverhältnis mit einer bestimmten – eindeutig der Garantie zuordenbaren – Widmung. Dieser Zweck wurde – wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat – durch die zweite Zahlung zur Gänze erfüllt. Die Beklagte konnte zu diesem Zeitpunkt keinerlei Zweifel hegen, dass ihre Garantieleistung an den richtigen Begünstigten erfolgen werde. Ausgehend von Geschäftszweck und Interessenlage der Beteiligten (vgl RS0045922) gab es zu dem Zeitpunkt keinen Grund mehr, die Leistung zu verweigern.

[20] 3. Entgegen der Ansicht der Beklagten – an der sie im Rahmen der Revisionsbeantwortung festhält – ist der Abruf der Garantie durch die Klägerin auch nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt. Die Klägerin führt ein Gerichtsverfahren gegen die Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten, mit dem sie genau jene Ansprüche verfolgt, zu deren Absicherung der Haftrücklass dienen hätte sollen.

[21] 4. Den Revisionen war damit Folge zu geben und das klagsstattgebende Ersturteil wiederherzustellen.

[22] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Revision steht der Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin lediglich ein ERV‑Erhöhungsbeitrag von 2,10 EUR zu (RS0126594). Streitgenossenzuschlag (§ 15 RATG) steht weder der Klägerin noch der Nebenintervenientin zu. Die jeweiligen Vertreter haben nicht mehrere Personen vertreten; sie sind auch nicht mehreren Personen gegenübergestanden, weil sich die Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten an den Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt hat. Weiters war auch die jeweils verzeichnete Pauschalgebühr zu reduzieren, weil auch der Streitgenossenzuschlag nach § 19a GGG nicht zusteht (vgl Obermaier, Kostenhandbuch3 [2018] Rz 3.26).

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