OGH 1Ob247/22p

OGH1Ob247/22p20.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. T* G*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 12.602,93 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. September 2022, GZ 4 R 9/22d‑20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 30. November 2021, GZ 4 Cg 38/21b‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00247.22P.1220.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 782,70 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt vom beklagten Bund aus dem Titel der Amtshaftung Schadenersatz, weil das Berufungsgericht im Anlassprozess, in dem er als Geschädigter im Zusammenhang mit einem Abgasskandal versucht habe, seine Ansprüche als Fahrzeugkäufer gegen die Verkäuferin und die Herstellerin geltend zu machen, in unvertretbarer Weise die Revision nicht zugelassen und kein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt habe.

[2] Die Vorinstanzen erachteten die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Anlassprozess als vertretbar und wiesen das Klagebegehren ab.

[3] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, „da im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden kann, dass die zu klärende Rechtsfrage, ob bereits das Vorliegen eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH für die Frage der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht von Relevanz ist, über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist“.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1. Die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und begründet regelmäßig keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0110837). Für die Zulässigkeit der Revision kommt es nicht darauf an, ob die vom Anlassgericht oder dem (nunmehrigen) Berufungsgericht als Amtshaftungsgericht vorgenommene Beurteilung richtig war, sondern nur darauf, ob die vom Berufungsgericht (als Amtshaftungsgericht) vorgenommene Beurteilung der Vertretbarkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts im Anlassverfahren nach den Maßstäben des § 502 Abs 1 ZPO korrekturbedürftig ist (1 Ob 229/21i [Rz 6] mwN; RS0110837 [T2]).

[6] 2. Das ist hier nicht der Fall.

[7] 2.1. Das Berufungsgericht des Anlassprozesses führte im Beschluss über die Zurückweisung des Antrags des Klägers nach § 508 Abs 1 ZPO samt der ordentlichen Revision aus, dass nach den in diesem Verfahren getroffenen Feststellungen beim Fahrzeug des Klägers ein Software‑Update durchgeführt worden sei. Dieses sei erfolgreich gewesen. Mit dem abgeänderten Modus durch das Software‑Update sei eine Typengenehmigung möglich gewesen. Aus dem Software‑Update ergäben sich mit Sicherheit für den Kläger keine Folgeschäden. Ein Wertverlust am Fahrzeug des Klägers sei nicht eingetreten. Seit dem Aufspielen des Software‑Updates sei sein PKW „genau in dem Zustand, wie er an sich von Beginn an sein hätte müssen“. Nicht festgestellt werden konnte im Anlassverfahren, dass der Kläger den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er bereits im Zeitpunkt des Ankaufs gewusst hätte, dass das Fahrzeug von der Herstellerin manipuliert worden sei und sofort repariert hätte werden müssen. Damit lägen „in technischer Hinsicht“ (ausreichende) Feststellungen zum Zustand des Fahrzeugs (nach Durchführung des Software-Updates) vor.

[8] 2.2. Die Beurteilung der Vorinstanzen im Amtshaftungsprozess, das Berufungsgericht im Anlassverfahren sei vertretbar davon ausgegangen, dass das Fahrzeug des Klägers nach dem Software‑Update technisch dem entsprochen habe, was vereinbart worden sei (und damit die Verbesserung erfolgreich gewesen sei), und auch „in technischer Hinsicht“ keine Folgeschäden eingetreten seien, ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände vertretbare Rechtsanwendung zwar rechtswidrig sein mag, aber kein Verschulden im Sinn des § 1 Abs 1 AHG begründet (RS0050216).

[9] 2.3. Ob noch weitere Feststellungen erforderlich gewesen wären, um beurteilen zu können, ob das Fahrzeug – so der Revisionswerber – „nach dem Update nunmehr so ist, wie es immer hätte sein sollen – nämlich gesetzeskonform“, ist eine Frage des Einzelfalls, der keine erhebliche Bedeutung zukommt. Der Kläger vermag nicht aufzuzeigen, dass das Berufungsgericht des Anlassprozesses seinen Beurteilungsspielraum bei der Interpretation der getroffenen Feststellungen überschritten hätte, wenn es diese für ausreichend erachtete und den technischen Zustand des Fahrzeugs nach dem durchgeführten Update als geklärt ansah.

[10] 2.4. Beim Vorwurf der unterbliebenen Stellung eines (im Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO angeregten) Vorabentscheidungsersuchens durch das Anlassgericht ist zu beachten, dass es auch hier nicht um die Richtigkeit dieses Vorgehens geht, sondern nur darum, ob es auf einer vertretbaren Rechtsauffassung beruhte (vgl zur unterbliebenen Vorlage an den EuGH 1 Ob 90/07b = SZ 2007/160; 1 Ob 229/21i [Rz 16] mwN).

[11] Das Berufungsgericht des Anlassprozesses erachtete – inKenntnis des kurz zuvor gefassten Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofs zu 10 Ob 44/19x – ein solches nicht für geboten, weil die von ihm zu beurteilenden Feststellungen, wonach nach dem Aufspielen des Software‑Updates das Fahrzeug des Klägers „genau in dem Zustand [sei], wie [es] an sich von Beginn an sein hätte müssen“, vom Sachverhalt des Vorlagebeschlusses abweiche und daher andere Feststellungen zu beurteilen seien. Die Einschätzung des Berufungsgerichts, diese Ansicht sei vertretbar gewesen, ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Meinung des Revisionswerbers lässt sich allein aus der Tatsache, dass ein anderes (nationales) Gericht bereits ein Vorabentscheidungsersuchen zu einer bestimmten Rechtsfrage gestellt hatte (wie hier der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x), nicht die Unvertretbarkeit der beanstandeten Entscheidung begründen (1 Ob 90/07b).

[12] 3. Zudem hat der Kläger gegen seine Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verstoßen.

[13] Der Kläger hat im Anlassprozess zwar einen – als Rechtsmittel im Sinn des § 2 Abs 2 AHG zu betrachtenden (RS0119554) – Antrag auf Abänderung des Nichtzulässigkeitsausspruchs an das Berufungsgericht (samt Ausführung der ordentlichen Revision) erhoben. Die Partei muss das Rechtsmittel aber nicht nur überhaupt erheben, sondern es darüber hinaus auch so formulieren, dass die darüber entscheidende Instanz in der Lage ist, den behaupteten Beurteilungs‑ oder Verfahrensfehler aufzugreifen oder zu korrigieren (RS0026901 [T14, T15]). Das Berufungsgericht ist nämlich bei der Prüfung der nachträglichen Zulassung der ordentlichen Revision auf die im Abänderungsantrag geltend gemachten Gründe beschränkt (RS0112166 [T14]). Mangelt es an derartigen Ausführungen, ist ein Amtshaftungskläger seiner Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG nicht nachgekommen (RS0119554 [T1]; 1 Ob 68/16f [Pkt 4.]; 1 Ob 81/17v [Pkt 6.]; 1 Ob 150/18t [Pkt 4.], jeweils mwN).

[14] Wenn der Kläger in der Revision bestimmte sekundäre Feststellungsmängel des Anlassprozesses im Zusammenhang mit dem Software‑Update behauptet, ist er darauf hinzuweisen, dass er diese fehlenden Feststellungen in seinem Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO samt der damit verbundenen ordentlichen Revision nicht konkret releviert und damit seine Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG nicht erfüllt hat.

[15] 4. Die Revision des Klägers ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[16] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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