OGH 4Ob208/22z

OGH4Ob208/22z20.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka, Dr. Annerl und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin C* GmbH, *, vertreten durch Neumayer & Walter, Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Wien, gegen die Erlagsgegner 1. F*, Deutschland, 2. M*, 3. B*, 4. M*, Deutschland, 5. M* Deutschland, 6. K*, Deutschland, 7. S*, Deutschland, 8. C*, 9. G*, Deutschland, 10. M*, 11. F*, Deutschland, 12. M*, Slowakei, 13. F*, Deutschland, 14. A*, Slowakei, 15. Br*, Schweiz, 16. P*, Tschechische Republik, 17. G*, 18. J*, Tschechische Republik, 19. J*, Tschechische Republik, 20. V*, Slowakei, 21. P*, wegen Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB, über den Revisionsrekurs der Erlegerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 31. August 2022, GZ 7 R 94/22m‑6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 18. Juli 2022, GZ 1 Nc 23/22s‑2, mit der Maßgabe bestätigt wurde, dass der Erlagsantrag abgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00208.22Z.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Erlegerin begehrte den Erlag von – näher aufgeschlüsseltem – Guthaben in verschiedenen Kryptowährungen und Euro‑Beträgen von 21 ihrer Kunden und die Bestellung eines Verwahrers für ein Depot an Kryptowährungen. Die Erlagsgegner würden über jeweils ein „Wallet“ bei der Erlegerin verfügen, die als Depotstelle fungiert habe. Aufgrund erheblicher Verluste von verschiedenen Vermögenswerten im Bereich der Kryptowährungen in jüngerer Zeit sei die Fortführung der Erlegerin ökonomisch nicht mehr sinnvoll.

[2] Die Erlegerin habe aus diesem Grund sämtliche Verträge mit ihren Kunden aufgekündigt. Die Erlagsgegner hätten sich allerdings geweigert, der Erlegerin bekanntzugeben, auf welches neue „Wallet“ diese die jeweiligen Guthaben transferieren solle. Die Erlagsgegner befänden sich daher als Gläubiger der Erlegerin in Annahmeverzug und würden dadurch die beabsichtigte Aufgabe der Geschäftstätigkeit der Erlegerin verhindern.

[3] Das Erstgericht wiesden Erlagsantrag zurück.Die Erlegerin habe kein rechtliches Band zwischen den von ihr in einem Antrag zusammengefassten Erlagsgegnern dargelegt. Die behauptete Vertragskündigung sei überdies gemäß den vorgelegten AGB nicht möglich; vielmehr seien gemäß diesen AGB nach Vertragskündigung alle unverkauften Kryptowährungen am ersten österreichischen Werktag nach dem Kündigungstermin zu den dann geltend gemachten Marktpreisen zu verkaufen und der Erlös auf das jeweils zuletzt im Zusammenhang mit dem von der Erlegerin angebotenen Service verwendeten Bankkonto des jeweiligen Vertragspartners zu überweisen. Insgesamt sei der Erlagsantrag daher unschlüssig.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass es den Erlagsantrag ab‑ statt zurückwies. Es fehle an der rechtlichen Verbindung zwischen den Erlagsgegnern. Eine gerichtliche Hinterlegung gegenüber mehreren Erlagsgegnern sei möglich, wenn diese etwa alle als Forderungsprätendenten auftreten oder verschiedene Ansprüche geltend machen würden, die einander ausschlössen. Jedenfalls müsse es der Erlegerin – im Rahmen einer zumutbaren Prüfung – unmöglich sein, festzustellen, wer der rechtmäßige Gläubiger sei. Dieser Umstand müsse für jeden einzelnen Erlagsgegner plausibel gemacht werden; Derartiges habe die Erlegerin aber gar nicht behauptet. Der Erlag berühre gar nicht das Innenverhältnis der Erlagsgegner, sondern solle offenbar nur aus Gründen auf Seiten der Erlegerin für alle Erlagsgegner gemeinsam erfolgen.

[5] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil zur Hinterlegungsmöglichkeit von Kryptowallets Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

[6] Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die Erlegerin die Abänderung des rekursgerichtlichen Beschlusses dahingehend, dass ihrem Erlagsantrag vollinhaltlich entsprochen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[8] 1. Nach § 1425 ABGB kann der Schuldner eine Sache bei Gericht hinterlegen, wenn er seine Schuld aus dem Grunde, weil der Gläubiger unbekannt, abwesend oder mit dem Angebotenen unzufrieden ist oder aus anderen wichtigen Gründen nicht erfüllen kann. Sowohl Unklarheit der Rechtslage als auch das Auftreten von mehreren Forderungsprätendenten bilden einen rechtlichen Grund zum Gerichtserlag iSd § 1425 ABGB (RS0033610).

[9] 2. Beim Auftreten mehrerer Forderungsprätendenten ist der Gerichtserlag durch den Schuldner dann berechtigt, wenn diesem objektiv nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden kann, den in Ansehung seiner Leistung Berechtigten auch bei sorgfältiger Prüfung zu erkennen (RS0033597). Auch wenn aufgrund verschiedener, auch einander ausschließender Ansprüche die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme des Schuldners durch unterschiedliche Prätendenten besteht, kann eine Hinterlegung unter Umständen gerechtfertigt sein (RS0033644 [T4]; vgl auch RS0033610 [T7]). Mehrere Prätendenten liegen dann vor, wenn diese die Forderung je für sich geltend machen und der Schuldner bei zumutbarer Prüfung nicht ohne weiteres erkennen kann, wer wirklich berechtigt ist (vgl RS0033610 [T5]). Das Hinterlegungsrecht besteht in diesem Fall nur dann, wenn die Frage, wem eine bestimmte existierende Forderung zusteht, strittig ist oder wenn mehrere Personen Rechte an ein und derselben Forderung geltend machen oder der Gläubiger aufgrund verschiedener Ansprüche mehrerer (potentieller) Gläubiger Gefahr läuft, mehrmals zahlen zu müssen (RS0033610 [T8]). Prätendent kann somit nur derjenige sein, der die „gleiche“ Forderung für sich geltend macht (RS0118340). Das Vorhandensein mehrerer Gläubiger allein bedeutet hingegen noch keinen tauglichen Erlagsgrund (RS0033597 [T5]).

[10] 3. Die Erlegerin behauptet hier gar nicht, dass mehrere Forderungsprätendenten auftreten würden, die die „gleiche“ oder konkurrierende Forderungen geltend machen (vgl RS0118340). Vielmehr hat die Klägerin 21 Vertragspartner, von denen sie jeweils ein bestimmtes Verhalten einfordert. Dass dieses Verhalten der einzelnen Erlagsgegner vom Verhalten der jeweils anderen abhängen oder auch nur mitbestimmt werden würde, legt die Erlegerin nicht dar. Die Erlegerin führt in ihrem Revisionsrekurs selbst aus, dass die jeweiligen Gelder den Erlagsgegnern (unabhängig voneinander) unstrittig zustehen. Damit sind aber die oben dargestellten Voraussetzungen für den Erlag in Einbeziehung aller Erlagsgegner nicht erfüllt. Das von der Erlegerin in ihrem Revisionsrekurs angesprochene Thema der generellen Ermöglichung einer Hinterlegung von Kryptowährungen stellt sich daher hier gar nicht.

[11] 4. Die Erlegerin argumentiert, der Erlagsgrund gegenüber allen ihren Vertragspartnern sei in der technischen Beschaffenheit der „Blockchain“ als Gesamtheit begründet. Daraus ist für die Erlegerin nichts gewonnen, weil der Gerichtserlag nach § 1425 ABGB nicht zur Umgehung technischer Probleme vorgesehen ist und im Übrigen der die Leistung verhindernde Grund nicht in der Person des Erlegers selbst gelegen sein darf (RS0112197).

[12] 5. Die Schlüssigkeit ist im Hinblick auf die Aktenlage im Zeitpunkt des Erlagsbeschlusses zu prüfen (RS0112198 [T7]). Soweit die Erlegerin im Revisionsrekurs erstmalsauf ein Miteigentum als „rechtliches Band“ zwischen den Erlagsgegnern zurückkommt, verstößt sie gegen das auch im Erlagsverfahren geltende Neuerungsverbot (vgl etwa 9 Ob 101/06b mwN).

[13] 6. Die Erlegerin möchte als weitere erhebliche Rechtsfrage geklärt wissen, ob den Erlagsgegnern im Konkurs der Erlegerin ein Aussonderungsanspruch zustünde, wobei sie nicht einmal selbst behauptet, dass ein Insolvenzverfahren behängt oder eingeleitet wird. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271 [T2]; RS0002495).

[14] 7. Der Revisionsrekurs war daher insgesamt als unzulässig zurückzuweisen.

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