OGH 9Ob99/22g

OGH9Ob99/22g24.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Dax Wutzlhofer & Partner Rechtsanwälte GmbH in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch Mag. Alain Danner, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A* GmbH, *, vertreten durch DLA Piper Weiss‑Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 10.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 6.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juli 2022, GZ 2 R 20/22h‑66, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 1. Dezember 2021, GZ 65 Cg 17/20i‑57, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00099.22G.1124.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin jeweils die mit 1.175,22 EUR (darin 195,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte betreibt eine Sektkellerei und bietet ua das Produkt „K*“ an. Die dafür benötigten Flaschen werden von verschiedenen Produzenten zugekauft. Die konkret zerborstene Flasche wurde von der Nebenintervenientin hergestellt und der Beklagten geliefert. Die Befüllung und Etikettierung der Flasche erfolgte im Betrieb der Beklagten.

[2] Am Etikett auf der Rückseite der Sektflasche findet sich der Warnhinweis: „Glasflasche steht unter Druck – kann bei Gewaltanwendung bersten (Splitterflug), nicht stoßen!“.

[3] Der Kläger erwarb eine solche Sektflasche und lagerte diese in seiner Garage. Bei der Umlagerung stieß er mit der Flasche heftig gegen den Garagenboden oder einen anderen Gegenstand, wobei nicht festgestellt werden kann, wie es dazu kam und wogegen der Kläger stieß. Durch diesen Stoß (Impact) der Flasche gegen einen harten Gegenstand mit einer Härte von 60 bis 70 ips (inch per second) kam es zu einem Schanierbruch. Der Impact erfolgte zeitlich unmittelbar vor dem Bersten der Flasche und war die Ursache für den explosionsartigen Bruch. Ein Impact von 60 bis 70 ips entspricht einer Fallhöhe von 11,8 cm (bei 60 ips) bis 16 cm (bei 70 ips). Wird eine Flasche lediglich am Boden abgestellt oder wird damit im Zuge eines normalen Abstellvorgangs an einer Tischkante angestoßen, liegt die Härte des Impacts deutlich unter den im konkreten Fall auf die Flasche einwirkenden Kräften. Die Konstruktion der Flasche entspricht in Form und Gewicht einer branchenüblichen Sektflasche. Die Flasche wies vor dem Bruch weder Vorbeschädigungen noch Fremdkörpereinschlüsse, Oberflächenfehler oder andere Spannungskonzentratoren auf. Die Glasdicken sowie das Wanddickenverhältnis liegen in der gültigen Spezifikation. Bei der Beklagten ist bekannt, dass Flaschen, die mit kohlensäurehaltigen Getränken gefüllt sind, auch explosionsartig brechen können.

[4] Durch die Explosion der Flasche wurden mehrere Splitter bzw Scherben weggeschleudert. Der Kläger zog sich dabei Schnittwunden am linken Unterschenkel sowie im Bereich des linken Unterarms zu.

[5] Mit seiner Klage begehrte der Kläger aufgrund seiner erlittenen Verletzungen einen Schmerzengeldbetrag von 10.000 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Die Beklagte hafte als Herstellerin der Flasche nach dem PHG. Dazu brachte er vor, dass die Sektflasche in seiner Hand noch vor dem Hinstellen auf den Boden explodiert sei. Er habe die Flasche weder fallengelassen, umgestoßen oder geschüttelt und auch sonst nicht auf sie eingewirkt. Die Sektflasche sei aufgrund eines Produktionsfehlers mit einem Produktmangel behaftet gewesen, der in Haar- bzw Mikrorissen bestanden habe. Hilfsweise brachte der Kläger vor, dass ein Konstruktionsfehler vorgelegen habe, der zur Explosion der Sektflasche geführt habe. Eine Fallhöhe von knapp unter 12 cm bis 16 cm stelle eine geringe Höhe dar, bei der ein Konsument nicht damit rechnen müsse, dass die Flasche explosionsartig mit Splitterflug, sondern allenfalls gewöhnlich zerbreche. Ein Fallenlassen aus dieser Höhe stelle kein sozial unübliches Verhalten dar. Da der auf der Flasche angeführte Warnhinweis nicht den Hinweis enthalte, dass beim bloßen Anstoßen der Flasche ein explosionsartiger Bruch zu erwarten sei, liege auch ein Instruktionsfehler vor.

[6] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es liege weder ein Konstruktions- noch ein Produktionsfehler vor. Die Flasche habe keinen Mangel oder Defekt aufgewiesen. Das Produkt habe den einschlägigen Vorschriften und dem Stand der Technik im Zeitpunkt des Inverkehrbringens entsprochen. Ein allfälliger Defekt der Flasche sei auf eine mechanische Beschädigung von außerhalb zurückzuführen. Es sei von einer kräftigen Fremdeinwirkung durch ein nicht sachgemäßes Handling, konkret von einem Schlag von außen auf die Flasche auszugehen. Ein Fallenlassen der Flasche habe der Kläger nicht behauptet. Eine Höhe von 11,8 bis 16 cm sei ohnedies keine geringe Fallhöhe mehr. Es sei von einem Produktbenützer auch zu erwarten, dass ihm der Umgang mit Glas bewusst sei. Eine Einwirkhärte von 60 bis 70 ips stelle eine Krafteinwirkung dar, die keineswegs sozialadäquat, sondern eine unübliche hohe Krafteinwirkung sei. Ein Instruktionsfehler liege ebenfalls nicht vor.

[7] Die Nebenintervenientin trat dem Verfahren auf Seiten der Beklagten bei und beantragte die Abweisung der Klage.

[8] Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgerichtdie Klagebegehren ab. Es liege weder ein Konstruktionsfehler noch ein Produktionsfehler oder ein Instruktionsfehler vor.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte zusammengefasst dazu aus: Die Behauptung des Klägers, die Sektflasche sei noch während des Aufhebens, ohne Einwirkung von außen, in seiner Hand explodiert, habe der Kläger nicht beweisen können. Auf den noch im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Produktionsfehler komme der Kläger in seiner Berufung nicht mehr zurück.

[10] Maßstab für die Fehlerhaftigkeit eines Produkts iSd § 5 PHG seien die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers. Die Frage, ob (wie in 6 Ob 215/11b betreffend eine kohlensäurehaltige Mineralwasserflasche) ein Verbraucher auch bei heftigem Stoßen einer Sektflasche nicht mit einer Explosion rechnen müsse, also kein unübliches Verhalten vorliege, mit dem der Hersteller nicht mehr rechnen müsse, könne hier im Hinblick auf den auf der Sektflasche angebrachten Warnhinweis letztlich dahingestellt bleiben. Durch den Warnhinweis könne der Verbraucher der Gefahr des explosionsartigen Brechens der Sektflasche mit (noch) vorsichtigerem Hantieren begegnen. Der Warnhinweis sei auch ausreichend, weise er doch den durchschnittlichen Produktbenutzer deutlich auf die Gefahr des Stoßens von unter Druck stehenden Sektflaschen hin. Da mit dem Wort „Splitterflug“ ausreichend zum Ausdruck gebracht werde, dass eine Gefahr durch herumfliegende Splitter bestehe, sei die Nichtverwendung des Wortes „Explosionsgefahr“ unschädlich. Im Ergebnis habe sich im konkreten Fall gerade eine Gefahr verwirklicht, vor der speziell gewarnt worden sei und auch gewarnt habe werden dürfen. Eine Haftung der Beklagten bestehe daher weder für einen Konstruktions- noch einen Instruktionsfehler.

[11] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil der Frage, ob die Abfüllung von kohlensäurehaltigen Getränken in Glasflaschen per se einen Konstruktionsfehler begründe, angesichts der Entscheidung 6 Ob 215/11b und der Verbreitung des hier in Rede stehenden Produkts erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

[12] Dem schloss sich der Revisionswerber zwecks Begründung der Zulässigkeit seines Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ZPO an. Die Revision sei aber auch deshalb zulässig, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Instruktion konstruktive Voraussetzungen ersetzen könne, in der Rechtsprechung bislang nicht (einheitlich) beantwortet worden sei. Demgegenüber bestritten die Revisionsgegner das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragten die Zurückweisung der Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

[14] 1. Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung zu den Haftungsvoraussetzungen nach § 5 PHG zutreffend und vollständig wiedergegeben und seiner Entscheidung auch zugrunde gelegt. Zusammengefasst ist ein Produkt nach § 5 Abs 1 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, besonders angesichts 1. der Darbietung eines Produkts, 2. des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, 3. des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist. Ausschlaggebend sind die berechtigten Sicherheitserwartungen, ein objektiver Maßstab, dessen Konkretisierung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen ist; was im Einzelfall an Produktsicherheit erwartet werden darf, ist eine Rechtsfrage (RS0107605).

[15] 2. Für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts ist nicht strikt auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch, sondern auf alle Gebrauchsmöglichkeiten abzustellen, die bei objektiver Betrachtung aus der Perspektive des Herstellers als denkmöglich in Betracht zu ziehen sind, was selbst außergewöhnliche Nutzungen, die als noch sozialüblicher Abusus anzusehen sind, einschließt. Nur für objektiv unvorhersehbare oder geradezu absurde Nutzungen hat der Hersteller nicht einzustehen (3 Ob 168/14y Pkt 1.3.; RS0107610).

[16] 3.1. Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept des Produkts begründet ist (RS0107606 [T8]), also das Produkt schon in seiner Konstruktion unter dem gebotenen Sicherheitsstandard bleibt (RS0107606 [T10]). Die normgerechte oder anderen technischen Standards entsprechende übliche Herstellungsart indiziert regelmäßig die Fehlerfreiheit eines Produkts (RS0110464). Der Standard von Wissenschaft und Technik konkretisiert die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers (RS0071536).

[17] 3.2. Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungendes Erstgerichtsentsprach die Sektflasche den geltenden Normen und technischen Sicherheitsstandards. Dies indiziert die Fehlerfreiheit des Produkts. Unter Berücksichtigung der objektivierbaren Anforderungen an die Eigenverantwortung des idealtypischen durchschnittlichen Produktbenützers erfüllt die Konstruktion der Sektflasche dessen berechtigte Sicherheitserwartungen. Diese liegen nach Ansicht des Senats (nur) darin, dass eine Sektflasche, die lediglich am Boden abgestellt wird oder mit der im Zuge eines üblichen Abstellvorgangs an einer Tischkante angestoßen wird, nicht birst und Personen durch den dadurch verursachten Splitterflug der Glasflasche nicht verletzt werden. Dies steht auch mit der Darbietung des Produkts, nämlich dem Warnhinweis, in Einklang. Nach Ansicht des Senats stellt ein – wie hier – mit unüblich hoher Krafteinwirkung (vgl 6 Ob 215/11b Pkt 3.3.3.) ausgeführter Stoß mit der Sektflasche gegen den Boden oder einen anderen harten Gegenstand, der die Sektflasche zu Bruch und zum Bersten („Explodieren“) mit Splitterflug bringt, kein sozialübliches Verhalten dar. Ein derartiges Verhalten musste für die Beklagte auch nicht vorhersehbar sein. Dass eine Sektflasche unter beachtlichem Druck steht („Korkenknallen“) und insofern mit einer kohlensäurehaltigen Mineralwasserflasche („Zischen beim Öffnen“) nicht vergleichbar ist, gesteht auch der Kläger in seiner Revision zu. Vom Benützer einer Sektflasche ist daher ein weitaus sorgfältigerer Umgang zu erwarten als von jenem einer kohlensäurehaltigen Mineralwasserflasche. Ob hier der heftige Stoß des Klägers mit der Sektflasche gegen den Garagenboden oder einen harten Gegenstand nur „versehentlich“ (so die Revision) oder doch fahrlässig mit einer unüblich hohen Krafteinwirkung erfolgte, macht daher hier letztlich keinen Unterschied. Die allgemein gehaltene Frage, ob per se ein Konstruktionsmangel vorliegt, wenn kohlensäurehaltige Getränke in Glasflaschen abgefüllt werden, die dem Innendruck nicht standhalten und bersten können, braucht daher – wie in der Entscheidung 6 Ob 215/11b Pkt 4.3. – auch hier im Hinblick auf die vom Kläger ausgeübte unüblich hohe Krafteinwirkung nicht beantwortet werden.

[18] 4.1. Aber auch die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen eine Instruktion konstruktive Voraussetzungen ersetzen kann, bedarf in dieser Allgemeinheit – ohne Bezugnahme auf den konkreten Anlassfall – keiner näheren Erörterung. Richtig ist, dass Warnhinweise klar und allgemein verständlich formuliert sein müssen. Das spezielle Risiko ist in seiner ganzen Tragweite möglichst eindrucksvoll zu schildern. Die Instruktion muss daher geeignet sein, das Risiko einer Rechtsgutverletzung zu beseitigen (RS0071554). Kann die Verwendung des Produkts mit erheblichen Gefahren für die Gesundheit von Menschen verbunden sein, so dürfen Warnhinweise nicht im sonstigen Text „versteckt“ werden. Die Hinweise müssen eine Art der drohenden Gefahr deutlich herausstellen und Funktionszusammenhänge klar machen, sodass erkennbar wird, warum das Produkt gefährlich ist (RS0111166). Warnhinweise müssen umso deutlicher ausfallen, je größer das Ausmaß der potentiellen Schadensfolgen und je versteckter die Gefährlichkeit ist (RS0071554 [T1]). Ob und welche Produktinstruktionen erforderlich sind, entscheidet sich regelmäßig nach der Kasuistik des Einzelfalls (5 Ob 152/21w Rz 4 mwN).

[19] 4.2. Von diesen Grundsätzen weichen die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht ab, wenn sie den Warnhinweis als ausreichend klar und verständlich ansehen. Dass der durchschnittliche Produktbenützer (vgl 6 Ob 7/03b) mit den Worten „Bersten“ und „Splitterflug“ genau vor dem Risiko gewarnt wird, das sich im vorliegenden Fall verwirklicht hat, und die Nichtverwendung des vom Revisionswerber geforderten Wortes „Explosionsgefahr“ daher unschädlich ist, ist nicht unvertretbar.

[20] Die Revision des Klägers ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[21] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Revisionsgegner haben auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in ihren Revisionsbeantwortungen hingewiesen (RS0035979).

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