OGH 9Ob89/22m

OGH9Ob89/22m24.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* GmbH, *, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Dr. Ulrich Gstrein, Rechtsanwalt in Imst, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 9. Juni 2022, GZ 2 R 26/22w‑76, womit das Urteil des Bezirksgerichts Imst vom 30. November 2021, GZ 7 C 621/18f-70, in der Hauptsache bestätigt wurde den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00089.22M.1124.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 335,64 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 55,94 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte ist seit dem Jahr 2002 Mieter einer Wohnung in einem Haus der Klägerin, das in einem ehemaligen Betriebsareal liegt. Anlässlich eines Brandes kam es zu einer feuerpolizeilichen Nachschau, bei der schwerwiegende Brandschutzmängel festgestellt wurden, sodass die Behörde ein Benützungsverbot aussprach. Der Bitte der Klägerin, die Wohnung infolge dieser behördlichen Anordnung zu räumen, folgte der Beklagte nicht.

[2] Es stellte sich dann heraus, dass sich die baurechtliche Benützungsbewilligung aus dem Jahr 1998 auf die Verwendung als Betriebs‑ und Personalwohnung beschränkt. Die Wohnungen dürfen nur von Mitarbeitern genutzt werden, welche aufgrund ihrer Dienstzeiten keine Möglichkeit mehr haben, nach Hause zu fahren oder deren ständige Anwesenheit im Betrieb notwendig ist, um einen technisch fehlerfreien Ablauf des Betriebs zu gewährleisten.

[3] Die Widmung als Sonderfläche Betriebs‑ und Personalwohnungen in einem Gewerbe‑ und Industriegebiet liegt seit 1996 vor. Das örtliche Raumordnungskonzept der Gemeinde aus dem Jahr 2000 sah vor, das Areal, in dem auch die vom Beklagten gemietete Wohnung liegt, als Gewerbegebiet zu belassen. Grund dafür war vor allem, dass dort schon seit dem späten 19. Jahrhundert Betriebe angesiedelt waren und das Areal genau im Bereich zwischen zwei stark frequentierten Bundesstraßen liegt. Es ist gerade deshalb auch nicht als Wohngebiet geeignet.

[4] Der Beklagte ist aber nicht als Mitarbeiter eines in dem Areal ansässigen Betriebs beschäftigt, sondern arbeitet als Rosenverkäufer und verfügt seit 1999 über die Gewerbeberechtigung „Feilbieten von Naturblumen im Umherziehen von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus“. Er verkauft Blumen in Lokalen oder liefert sie nach telefonischer Bestellung. Er hat auch in der von ihm bewohnten Wohnung weder ein Büro, noch ist ein Hinweisschild betreffend seinen Gewerbebetrieb angebracht. Zwischen den Parteien wurde nie darüber gesprochen, dass die Anmietung der Wohnung zum Zweck eines Gewerbebetriebs erfolgte.

[5] Die Vorinstanzen haben dem Räumungsbegehren der Klägerin stattgegeben. Da eine Änderung des Flächenwidmungsplans im vorliegenden Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, liege eine rechtliche Unmöglichkeit vor, die nach § 878 ABGB zur Unwirksamkeit des Mietvertrags führe.

[6] Die Revision des Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt der Beklagte, dass das Erstgericht keinen Sachverständigen bestellt und den Ausgang eines anhängigen Verwaltungsverfahrens nicht abgewartet habe. Aktenwidrig habe das Erstgericht darüber hinaus den Inhalt der behördlichen Bewilligung Beil./J wiedergegeben. Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens und Aktenwidrigkeiten, welche in der Berufung nicht beanstandet wurden, können jedoch in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0043111; RS0074223; RS0041773).

[8] 2. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass ein Vermieter dem Mieter nicht entgegenhalten kann, dass er das Bestandobjekt zu einem widmungswidrigen Gebrauch vermietet hat, wenn er dennoch in der Lage ist, dem Mieter den bedungenen Gebrauch der Bestandssache zu sichern (RS0020955). Daraus kann sich die Verpflichtung des Vermieters ergeben, ein Ersuchen auf Änderung des Flächenwidmungsplans einzubringen (3 Ob 16/14w; 5 Ob 35/16g). Aber auch jener Vermieter, der einen solchen Antrag unterlassen hat, ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs von seiner vertraglichen Verpflichtung befreit, wenn er nachweist, dass ein solcher Antrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg gehabt hätte (RS0016405).

[9] 3. Ein Rechtsanspruch – und damit ein Antragsrecht – auf Änderung eines Flächenwidmungsplans (§ 36 TROG 2001 LGBl 2001/93) bestand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht, weil Flächenwidmungspläne Verordnungen sind und die Mitwirkung an der Rechtssetzung genereller Rechtsakte wie der Erlassung eines Flächenwidmungsplans dem österreichischen Recht fremd ist (Schwaighofer, Tiroler Raumordnungsrecht [2006] § 36 TROG Rz 16 mwH). Auch nach § 74 Abs 1 TROG 2022 (LGBl 2022/43) sind Eigentümer von Grundstücken lediglich berechtigt, der Gemeinde die Änderung des Flächenwidmungsplans hinsichtlich eines in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks vorzuschlagen. Eine Änderung des Flächenwidmungsplans war nach § 36 Abs 2 lit a TROG 2001 (LGBl 2001/93; ebenso § 36 Abs 2 lit a TROG 2022) aber unzulässig, wenn sie den Zielen der Raumordnung widerspricht. Zudem bedarf jede Änderung des Flächenwidmungsplans im Hinblick auf das aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ableitbare Willkürverbot einer sachlichen Rechtfertigung (VfGH V 74/01; V 29/12; V 462/2020). Nach der vom Berufungsgericht beachteten Rechtsprechung des VfGH ist eine Änderung des Flächenwidmungsplans, um eine widmungswidrige Nutzung einer Liegenschaft nachträglich zu sanieren, gleichheitswidrig und deshalb unzulässig (VfGH V 2/2013; V 74/2016; V 600/2020).

[10] 4. Ob eine Unmöglichkeit der Leistung vorliegt, ist nicht nur eine Tatfrage, sondern kann teilweise auch eine Wertungsfrage sein (RS0034104). Dass die Vorinstanzen angesichts der Lage der Liegenschaft in einem (historischen) Gewerbegebiet und der Rechtsprechung des VfGH zu Flächenwidmungsplanänderungen davon ausgegangen sind, dass eine Umwidmung nicht möglich war, ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Die Entscheidung der Vorinstanzen, die von der Unwirksamkeit des Mietvertrags nach § 878 ABGB ausgegangen sind, bewegt sich damit im Rahmen der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

[11] 5. § 32 MRG ist nicht anwendbar, weil das Mietverhältnis nicht aus einem der dort genannten Gründe gekündigt wurde. Ob die Beklagten den Ersatz eines allfälligen Vertrauensschadens nach § 878 dritter Satz ABGB beanspruchen können, ist im Verfahren über das Räumungsbegehren nicht entscheidungswesentlich.

[12] 6. Mit seinen Ausführungen, er habe die Wohnung als „Betriebswohnung“ zum Betreiben seines Gewerbes und daher nicht widmungswidrig benützt, entfernt sich der Revisionswerber von den den Obersten Gerichtshof bindenden Sachverhaltsfeststellungen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[13] Die Revision war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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