Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
Nö ROG 1976 §13, §22, §30
Nö NaturschutzG 2000 §9
Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Bad Großpertholz idF der "Verordnung B" vom 18.09.2009
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
Nö ROG 1976 §13, §22, §30
Nö NaturschutzG 2000 §9
Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Bad Großpertholz idF der "Verordnung B" vom 18.09.2009
Spruch:
I. Der Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Bad Großpertholz in der Fassung der "Verordnung B" des Gemeinderates der Marktgemeinde Bad Großpertholz vom 18. Februar 2009, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 3. bis 21. September 2009, wird, soweit er für einen Teil des Grundstücks 409/2, KG Karlstift, die Widmung "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" festlegt, als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für das Land Niederösterreich verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren
Beim Verfassungsgerichtshof sind zwei zu B1692/2010 und B1693/2010 protokollierte Beschwerden anhängig, denen folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:
1. Mit Bescheid vom 23. September 1997 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde Bad Großpertholz dem "Verein zur Erhaltung von Kultur und Landschaft Stadlberg" die baubehördliche Bewilligung zum Neubau eines Lagerschuppens auf dem im Ortsteil Stadlberg gelegenen Grundstück 409/2, KGKarlstift (im Folgenden nur: Grundstück 409/2). Dieses Grundstück liegt im Natura 2000-Schutzgebiet "Europaschutzgebiet Vogelschutzgebiet Waldviertel" und war zu diesem Zeitpunkt als "Grünland" gewidmet. In der Bauverhandlungsschrift, die im Bescheid zu einem Bestandteil desselben erklärt wurde, wurde auf Basis eines agrartechnischen Gutachtens des Gebietsbauamtes Krems festgehalten, dass das Objekt ausschließlich als landwirtschaftlich genützter Geräte- und Lagerschuppen dienen werde. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Mit Schreiben vom 4. September 2003 zeigte der Verein die Fertigstellung des Geräteschuppens an.
2. Für den "Geräteschuppen" wurde im Jahr 2008 eine Betriebsstättengenehmigung nach dem NÖ Veranstaltungsgesetz für 5 bis 7 Veranstaltungen pro Jahr erteilt. Im Protokoll über die im Zuge dieses Verfahrens durchgeführte "Bauverhandlung über die Benützung des Vereinsstadels Stadlberg für Veranstaltungen nach dem NÖ Veranstaltungsgesetz" findet sich u.a. folgender Befund:
"Das besichtigte Gebäude besteht aus einem Erdgeschoß und einem voll ausgebauten Dachgeschoß. Die tragende Konstruktion wurde als Holzkonstruktion ausgeführt. Die Erschließung des Dachgeschosses vom Erdgeschoß erfolgt über [eine] 1,0 m breit[e] Holzstiege. Neben dem Veranstaltungsraum im Erdgeschoß sind die Sanitärgruppen, getrennt nach Damen und Herren, sowie ein Umkleideraum, sowie der Küchen- und Schankbereich angeordnet. Im Dachgeschoß werden rund 40 Sitzplätze vor Tischen, i[n] der daneben liegenden Bar, die über eine 1,0 [m] breite Holzschiebetür erschlossen wird, werden rund 10 Sitzplätze vor Tischen zur Verfügung gestellt."
Zum rechtlichen Charakter dieser "Bauverhandlung" führt die Marktgemeinde Bad Großpertholz auf Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes in ihrer Stellungnahme vom 31. Oktober 2012 aus:
"Dieser Lokalaugenschein (als Bauverhandlung tituliert) diente ausschließlich dafür, die Benützung des Vereinsstadels (gem. VA-Gesetz) für einzelne Veranstaltungen zu bewerten und damit Vorschrift für die Veranstaltungsgenehmigung darstellt.
Gemäß Beurteilung wurde festgehalten, dass daraus eine Dauereinrichtung, oder eine Bewilligung als Veranstaltungsbetriebsstätte, NICHT abgeleitet werden kann.
Es erfolgte daraus auch KEINE BESCHEIDMÄSSIGE ERLEDIGUNG, sondern ist diese 'Bauverhandlung' (Lokalaugenschein) – Niederschrift v. 12.6.2007 – Grundlage zur Bewilligung für einzelne Veranstaltungen gem. [§] 4 Abs1 NÖ Veranstaltungsgesetz (Bestandteil des Sicherheitstechnischen Konzeptes nach §5 Z9) –siehe Anmeldung Veranstaltung 30.6.2007."
3. Am 5. Februar 2009 beantragte der "Verein zur Erhaltung von Kultur und Landschaft Stadlberg" gemäß §14 Z1 und Z4 NÖ Bauordnung 1996 (NÖ BauO 1996) die baubehördliche Bewilligung für das "Bauvorhaben".
4. Mit der "Verordnung B" des Gemeinderates der Marktgemeinde Bad Großpertholz vom 18. Februar 2009 wurde im Rahmen der 6. Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes ein Teil des Grundstücks 409/2 von "Grünland-Land- und Forstwirtschaft" in "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" umgewidmet. Die Verordnung trat am 18. September 2009 in Kraft.
5. Am 9. Oktober 2009 führte die Baubehörde erster Instanz eine mündliche Bauverhandlung durch. Laut Projektbeschreibung der Niederschrift zur Bauverhandlung ging es dabei sowohl um die Bewilligung für einen bereits errichteten Zubau als auch um einen geplanten neuen Zubau. Die Beschwerdeführer des Anlassverfahrens hatten schon vor der Verhandlung als Nachbarn im Sinne des §6 Abs1 NÖ BauO 1996 Einwendungen gegen das Projekt erhoben.
6. Mit Bescheid vom 8. März 2010 bewilligte der Bürgermeister der Marktgemeinde Bad Großpertholz das beantragte Projekt.
7. Die dagegen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens wies der Gemeindevorstand der Marktgemeinde Bad Großpertholz als Baubehörde zweiter Instanz mit der Begründung ab, dass die Berufungswerber in ihren Einwendungen keine subjektiv-öffentlichen Rechte iSd §6 Abs2 Z2 NÖ BauO 1996 geltend gemacht hätten.
8. Die Vorstellungen gegen diese Bescheide des Gemeindevorstands wurden mit Bescheiden der Niederösterreichischen Landesregierung vom 25. Oktober 2010 abgewiesen: Allfällige Abänderungen bzw. Zubauten, die nach Fertigstellung des mit Bescheid vom 23. September 1997 genehmigten Gebäudes an diesem durchgeführt worden seien, würden das Gebäude nicht automatisch konsenslos machen, sondern es seien die Baubewilligungspflicht und die Bewilligungsfähigkeit in einem eigenen Bauverfahren zu beurteilen. Der Verwaltungsgerichtshof gehe – wie sich aus VwGH 6.7.2010, 2009/05/0016, ergebe – in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass Immissionen als Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte des Nachbarn nur dann geltend gemacht werden könnten, wenn sich auf dem Grundstück, das die Nachbareigenschaft begründe, ein bewilligtes Gebäude befände. Da dies auf dem Grundstück der Vorstellungswerber nicht der Fall sei, könnten diese eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte nicht geltend machen. Die Vorstellungen seien daher abzuweisen.
9. Gegen diese Bescheide der Niederösterreichischen Landesregierung vom 25. Oktober 2010 richten sich die zu B1692/2010 und B1693/2010 protokollierten, auf Art144 B‑VG gestützten Beschwerden, in denen die Beschwerdeführer die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, des Flächenwidmungsplans der Marktgemeinde Bad Großpertholz in der Fassung der 6. Änderung, behaupten und die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beantragen.
10. Dem im Rahmen der Beschwerdeverfahren geäußerten Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes, das zum Zeitpunkt der 6. Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes (im Jahr 2009) gültige Entwicklungskonzept vorzulegen, wurde seitens der Marktgemeinde Bad Großpertholz mit der Begründung nicht entsprochen, dass zu diesem Zeitpunkt kein Entwicklungskonzept gegolten habe.
11. Aus Anlass dieser Beschwerden beschloss der Verfassungsgerichtshof am 5. Dezember 2012 gemäß Art139 B-VG die Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplans der Marktgemeinde Bad Großpertholz in der Fassung der "Verordnung B" des Gemeinderates der Marktgemeinde Bad Großpertholz vom 18. Februar 2009, soweit er für einen Teil des Grundstücks 409/2, KG Karlstift, die Widmung "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" festlegt, von Amts wegen zu prüfen.
12. Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete eine schriftliche Äußerung, in der sie beantragt, den Flächenwidmungsplan nicht als gesetzwidrig aufzuheben. Die Marktgemeinde Bad Großpertholz äußerte sich auch schriftlich und legte das örtliche Raumordnungsprogramm 1993 inklusive der Unterlagen betreffend dessen Zustandekommen vor. Sie beantragt, das Verordnungsprüfungsverfahren einzustellen.
13. Die Beschwerdeführer in den Anlassverfahren gaben eine Stellungnahme ab, in der sie beantragen, den Flächenwidmungsplan im geprüften Umfang wegen Gesetz- bzw. Verfassungswidrigkeit aufzuheben.
II. Rechtslage
1. §§13 und 22 NÖ RaumordnungsG 1976 (NÖ ROG 1976) in der maßgeblichen Fassung LGBl 8000-23 lauten (auszugsweise):
"Örtliches Raumordnungsprogramm
§13. (1) Ausgehend von den Zielen dieses Gesetzes und den Ergebnissen aufbereiteter Entscheidungsgrundlagen hat jede Gemeinde ein örtliches Raumordnungsprogramm aufzustellen und zu verordnen. Dabei ist auf Planungen und Maßnahmen des Bundes, des Landes und benachbarter Gemeinden Bedacht zu nehmen, soweit sie für die Raumordnung relevant sind.
(2) Das örtliche Raumordnungsprogramm hat die Planungsziele der Gemeinde festzulegen und jene Maßnahmen zu bezeichnen, die zur Erreichung dieser Ziele gewählt werden. Die Verordnung des örtlichen Raumordnungsprogrammes muss jedenfalls ein Entwicklungskonzept sowie einen Flächenwidmungsplan enthalten.
(3) Im Entwicklungskonzept sind die Ziele des örtlichen Raumordnungsprogrammes – soweit dies thematisch möglich ist – als Plandarstellung räumlich zu konkretisieren, wobei die Planungsrichtlinien des §14 Abs2 sinngemäß anzuwenden sind.
(4) Die Gemeinden haben bei der Erstellung oder Abänderung eines örtlichen Raumordnungsprogrammes fachlich geeignete Personen heranzuziehen.
(5) Die Gemeinde hat als Grundlage für die Aufstellung oder Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes den Zustand des Gemeindegebietes durch Untersuchung der naturräumlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten zu erforschen und deren Veränderungen ständig zu beobachten. Die Ergebnisse sind zu dokumentieren. Das Ausmaß der als Bauland gewidmeten bebauten sowie unbebauten Flächen ist in einer Flächenbilanz zu erfassen, auf aktuellem Stand zu halten und der Landesregierung auf Anfrage bekannt zu geben. Die Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen hat alle Umstände und Analysen zu enthalten, welche die Festlegungen des örtlichen Raumordnungsprogrammes in nachvollziehbarer Weise begründen. Bei der Aufstellung ist das Ergebnis insbesondere darzustellen in:
1. Plänen mit folgendem Inhalt:
naturräumliche Gegebenheiten
Grundausstattung
Betriebsstättenplan
bauliche Bestandsaufnahme
Verkehrskonzept
Landschaftskonzept
und
2. in einem Planungsbericht mit folgendem Inhalt:
Grundlagenbericht
Erläuterungsbericht zum Entwicklungskonzept und zum Flächenwidmungsplan
Umweltbericht über die strategische Umweltprüfung.
Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes
§22. (1) Ein örtliches Raumordnungsprogramm darf nur abgeändert werden:
1. wegen eines rechtswirksamen Raumordnungsprogrammes des Landes oder anderer rechtswirksamer überörtlicher Planungen,
2. wegen wesentlicher Änderung der Grundlagen,
3. wegen Löschung des Vorbehaltes,
4. wenn sich aus Anlaß der Erlassung oder Abänderung des Bebauungsplanes eine Unschärfe des örtlichen Raumordnungsprogrammes zeigt, die klargestellt werden muß,
5. wenn dies zur Verwirklichung der Ziele des Entwicklungskonzeptes dient,
6. wenn im Einvernehmen mit dem Grundeigentümer Bauland in Grünland umgewidmet werden soll, wobei die geschlossene Siedlungsentwicklung nicht beeinträchtigt und die Ausnützung günstiger Lagevorteile nicht behindert wird.
(2)-(3) […]
(4) Für das Verfahren zur Änderung örtlicher Raumordnungsprogramme gelten die Bestimmungen des §21 sinngemäß. Hinsichtlich der strategischen Umweltprüfung gilt:
1. Wenn die Änderung
einen Rahmen für künftige Projekte gemäß den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl.Nr L 175 vom 5. Juli 1985, S 40 in der Fassung der Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl.Nr L 73 vom 14. März 1997, S 5, setzt, oder
voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf ein Europaschutzgebiet erwarten lässt,
ist jedenfalls eine strategische Umweltprüfung durchzuführen.
2. Sofern bei einer sonstigen Änderung aufgrund ihrer Geringfügigkeit nicht von vorne herein die Durchführung einer strategischen Umweltprüfung entfallen kann, hat die Gemeinde zu prüfen, ob aufgrund voraussichtlich erheblicher Umweltauswirkungen eine strategische Umweltprüfung erforderlich ist. Dabei sind die Kriterien des §4 Abs2 zu berücksichtigen.
Das Prüfungsergebnis und eine Begründung dazu sind der Umweltbehörde vorzulegen und ist diese zu ersuchen, innerhalb von sechs Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Danach sind das Ergebnis und die Begründung von der Landesregierung im Internet zu veröffentlichen.
(5) […]"
2. §30 NÖ ROG 1976 in der Fassung LGBl 8000-10 lautet (auszugsweise):
"Übergangsbestimmungen
§30. (1)-(2) […]
(3) Die nach den bisherigen Bestimmungen aufgestellten örtlichen Raumordnungsprogramme und die vereinfachten Flächenwidmungspläne gelten als örtliche Raumordnungsprogramme und vereinfachte Flächenwidmungspläne nach diesem Gesetz.
(4) Die auf Grund §5 Bauordnung für Niederösterreich, LGBl Nr 36/1883, erlassenen Regulierungspläne gelten als vereinfachte Flächenwidmungspläne weiter. Hiebei gelten Nutzungen, die nach ihrer Bezeichnung und ihrem Inhalt nicht mit den Bestimmungen dieses Gesetzes übereinstimmen, als nicht ausgewiesen. Je eine Ausfertigung dieser gemäß §5 Bauordnung für Niederösterreich, LGBl Nr 36/1883, erlassenen Regulierungspläne ist dem Amt der Landesregierung, der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde und dem zuständigen Vermessungsamt vorzulegen.
(5) […]
(6) Gemeinden, für die ein vereinfachter Flächenwidmungsplan gilt, haben innerhalb von 5 Jahren ein örtliches Raumordnungsprogramm aufzustellen. Nach Ablauf dieses Zeitraumes ist eine Änderung des vereinfachten Flächenwidmungsplanes nicht mehr zulässig.
(7)-(9) […]"
3. §30 Abs7 NÖ ROG 1976 in der Fassung LGBl 8000-23 lautet:
"(7) Für die vereinfachten Flächenwidmungspläne gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes über die örtlichen Raumordnungsprogramme sinngemäß. Die Änderung vereinfachter Flächenwidmungspläne ist nicht zulässig."
III. Widmungsgeschichte
Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Unterlagen ergibt sich folgender, den Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Bad Großpertholz betreffender Sachverhalt:
1. Für das verfahrensgegenständliche Grundstück 409/2 war vor der 6. Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes die Widmung "Grünland - Land- und Forstwirtschaft" festgelegt. Die Grundstücke in der näheren Umgebung waren ebenfalls als Grünland gewidmet, punktuell waren "erhaltenswerte Gebäude im Grünland" ausgewiesen.
2. Zur 6. Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes wurde ein Entwurf vom 19. Dezember 2008 bis 30. Jänner 2009 zur allgemeinen Einsicht aufgelegt. In diesem war für einen Teil des Grundstücks 409/2 die Umwidmung von "Grünland - Land- und Forstwirtschaft" in "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" vorgesehen. In den Erläuterungen vom 18. Dezember 2008 (Anlage Cdes Protokolls der GR-Sitzung vom 18. Februar 2009) wird dazu zunächst allgemein festgestellt:
"Natura 2000 – Schutzgebiete:
Nahezu das gesamte Gemeindegebiet von Bad Großpertholz und alle hier angeführten Änderungen liegen im Natura 2000-Schutzgebiet 'Waldviertler Teich-, Heide- und Moorlandschaft' [gemeint wohl: 'Vogelschutzgebiet Waldviertel'].
Da es sich beim Großteil der Änderungspunkte um eher geringfügige Erweiterungen bzw. um Verbesserungen des bislang gegebenen Status handelt, ist eine Beeinträchtigung der Schutzgebiete nicht zu erwarten. In einigen Fällen werden bestehende Gebäude rechtlich abgesichert. Allein durch die Ausweisung ist jedoch von keiner Verschlechterung des gegenwärtigen Umweltzustandes auszugehen."
Speziell zur Ausweisung von "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" für einen Teil des Grundstücks 409/2 ist zu lesen:
"Ebenfalls im Bereich Stadlberg befindet sich ein Bauwerk, das als Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus ausgewiesen werden soll. Es handelt sich dabei um eine ehemalige landwirtschaftliche Halle, die seit einigen Jahren als Vereinsgebäude genutzt wird. Veranstalter ist der 'Verein zur Erhaltung von Kultur und Landschaft', der seine Tätigkeit auf den Ortsbereich von Stadlberg beschränkt.
Gemäß NÖ Veranstaltungsgesetz 2006 wurde im Jahr 2008 eine Betriebstättengenehmigung für die Abhaltung von rund 5-7 Veranstaltungen pro Jahr bewilligt.
Beeinträchtigungen auf lärmsensiblen Widmungen sind auf Grund der abgeschiedenen Lage und der nur temporären Nutzung abseits von Wohngebieten nicht zu erwarten."
(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
3. Zehn Bewohner des Ortsteils Stadlberg – unter ihnen auch die Beschwerdeführer in den Anlassverfahren – wendeten sich in einer sehr umfangreichen und detaillierten Stellungnahme gegen die geplante Änderung. Speziell das verfahrensgegenständliche Grundstück betreffend brachten sie insbesondere vor, dass mit der geplanten Umwidmung eine Beeinträchtigung des Lebensraums des Rauhfußkauzes, Lärmemissionen, sanitäre Missstände und eine dauerhafte Flächenversiegelung von 200 m² für eine Nutzung von nur zwei bis drei Tagen im Jahr verbunden wären. Mit der geplanten Änderung solle nur ein unbewilligtes Gebäude, das für das Vereinsleben gar nicht notwendig sei, legalisiert werden.
4. Am 18. Februar 2009 stand die Beschlussfassung über die geplante 16 Punkte umfassende 6. Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes auf der Tagesordnung der Sitzung des Gemeinderates. Die Gemeinderäte wurden die Umwidmung des Grundstücks 409/2 (Punkt 7) betreffend informiert, dass die zuständige Umweltabteilung des Landes bestätigt habe, dass für die Umwidmung – im Gegensatz zu zwei anderen Grundstücken in unmittelbarer Nähe des Grundstücks (Punkte 6 und 8) – keine strategische Umweltprüfung erforderlich sei, dass der Amtssachverständige der Landesregierung für Naturschutz aber eine ornithologische Abklärung verlangt habe, wofür ein Angebot eines Biologen für die Erstellung einer "Naturverträglichkeitserklärung" vorliege, das die Auswirkungen der Änderung auf die Natura 2000-Schutzgebiete begutachten bzw. abschätzen werde, und dass die zuständigen Amtssachverständigen der Landesregierung für Raumordnung und Raumplanung angekündigt hätten, dass im Verfahren zur aufsichtsbehördlichen Genehmigung das Fehlen eines Änderungsanlasses für die Umwidmung des Grundstücks 409/2 (Punkt 7) im Sinne des §22 Abs1 NÖ ROG 1976 bemängelt werden würde. Aus diesem Grunde werde die Umwidmung des Grundstücks 409/2 (Punkt 7) als eigene "Verordnung B" beschlossen, um die Genehmigung der anderen Änderungspunkte 1-5, 9, 10, 11, 13-16 ("Verordnung A") nicht zu verzögern.
Weiters wurden die Gemeinderäte über die Stellungnahme der zehn Bewohner Stadlbergs informiert. Diese wurde nach einem Vermerk im Protokoll der Sitzung folgendermaßen erledigt:
"Der Gemeinderat schließt sich dieser Argumentation nicht an und sieht weiterhin den Standort für die Errichtung bzw. Nutzung eines Vereinshauses für den im Ortsteil Stadlberg ansässigen 'Verein zur Erhaltung von Kultur und Landschaft' geeignet und notwendig."
In der Folge hat der Gemeinderat die Umwidmung eines Teils des Grundstücks 409/2 von "Grünland - Land- und Forstwirtschaft" in "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" einstimmig beschlossen.
5. In der (nachträglichen) Naturverträglichkeitserklärung vom 15. April 2009 wurde festgestellt, dass die eher kleinflächige Umwidmung keine negativen Überlagerungsauswirkungen begründe, da der unmittelbare Bereich um das straßennahe Vereinshaus kaum als Lebensraum für die genannten, im Wald lebenden geschützten Tierarten dienen könne. Angesichts der seltenen Nutzung sei auch eine negative Ausstrahlungswirkung auf die verschiedenen Schutzobjekte nicht erkennbar.
6. In der (ebenfalls nachträglichen) "Ergänzung der Erläuterung vom 18.12.2008" wurde am 19. Mai 2009 auch eine Begründung für die Ausweisung des Grundstücks 409/2 als "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" gegeben:
"Der Ortsteil Stadlberg stellt eine Streusiedlung dar, die im 18. Jahrhundert als Holzhacker- und Kleinbauernsiedlung entstand. Das zu KG. Karlstift gehörende Gebiet liegt in etwa 4 km vom Ortszentrum Karlstift entfernt und ist über eine von der B38 abzweigende Gemeindestraße erreichbar.
In diesem Siedlungsgebiet gibt es – wie sonst in vielen kleineren Ortschaften im ländlichen Raum üblich – kein Gasthaus und keine Räumlichkeiten, in denen Veranstaltungen oder kleinere Treffen von Gruppen oder Vereinen abgehalten werden können. Um der Bevölkerung dieses Siedlungsbereiches die Möglichkeit zur Schaffung einer derartigen Einrichtung zu geben, soll nun eine entsprechende Baulandausweisung erfolgen. Nur so kann das soziale Leben weiterhin aufrechterhalten bzw. vertieft werden.
Am 01.07.1989 wurde der 'Verein zur Erhaltung von Kultur und Landschaft Stadlberg' gegründet. Damit wollte man auch dem Umstand Rechnung tragen, dass diese Ortschaft zum ältesten, urkundlich erwähnten Siedlungsgebiet (1564) des Waldviertels gehört. Es war den Stadlbergern ein großes Anliegen, dass ihre Landschaft und Kultur weiter gepflegt wird. Bald nach der Gründung übernahm der Verein die Pflege der Marterl des Grenzweges entlang der Staatsgrenze mit der Tschechischen Republik. Seit damals wird dieser Teilbereich des rund 140 km langen Weitwanderweges Nordwaldkammweg, der vom Dreisesselberg in Bayern bis zum Nebelstein führt, von den Vereinsmitgliedern gepflegt.
1995 wurde von den Vereinsmitgliedern die Antoniusquelle gefasst bzw. instand gesetzt. Es handelt sich dabei um eine der wenigen Rast- und Trinkstellen entlang dieses überregionalen Wanderweges.
Jährlich finden im Stadlberg im Juni das Petersfeuer, im August das Dorffest und im September das Treffen der aus Buchers vertriebenen Sudetendeutschen statt. Der Verein hat heute rund 200 Mitglieder. Viele ehemalige Stadlberger gehören dazu.
Der Verein und seine Tätigkeiten haben somit einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ortsteil Stadlberg. Daher soll in unmittelbarer Nähe zum erwähnten Antoniusbrunnen bzw. zum vom Verein betreuten Grenzweg ein Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus gewidmet werden.
[…]
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Änderung das Natura 2000-Schutzgebiet 'Waldviertel' mit den Schutzobjekten Raufußkauz und Schwarzspecht (beurteilungsrelevant, aber nicht ausgewiesen) berührt. Gemäß Untersuchungen der Naturverträglichkeit durch das Büro […] begründet die kleinflächige Umwidmung allerdings keine negative Überlagerungswirkung, da der unmittelbare Bereich um das straßennahe Gelände kaum als Lebensraum für die genannten Waldarten dienen kann. In Anbetracht der seltenen Nutzung ist auch eine negative Ausstrahlungswirkung auf die verschiedenen Schutzobjekte (etwa auch auf den in einiger Entfernung ausgewiesenen Schwarzstorch) nicht erkennbar.
Die mit einem (im Jahre 1997 baurechtlich bewilligten) Schuppen bebaute Fläche grenzt im Nordosten, Osten und im Nordwesten an Waldgebiete. Der Waldentwicklungsplan sieht in beiden Fällen eine Nutzungsfunktion dieser Waldgebiete vor. Diese Waldflächen im Nahbereich des geplanten Standortes stellen auch einen Wind- und Sichtschutz dar und sollen erhalten bleiben.
[…]
Zur Unterstützung des sozialen Lebens in Stadlberg (sowohl der Einwohner mit Hauptwohnsitz als auch jener mit Nebenwohnsitz) soll daher die Schaffung eines Vereinshauses durch die Ausweisung von Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus unterstützt werden."
7. Am 27. August 2009 hat die Niederösterreichische Landesregierung auf Grundlage positiver Stellungnahmen der Amtssachverständigen für Naturschutz sowie Raumplanung und Raumordnung die "Verordnung B" betreffend die Umwidmung des Grundstücks 409/2 gemäß §21 Abs11 und 14 sowie §22 Abs4 NÖ ROG 1976 aufsichtsbehördlich genehmigt.
8. Nach ordnungsgemäßer Kundmachung trat die Verordnung am 18. September 2009 in Kraft.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
Im Einleitungsbeschluss ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die zu B1692/2010 und B1693/2010 protokollierten Beschwerden zulässig sind und die belangte Behörde den im Spruch genannten Flächenwidmungsplan bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendet hat, und dass auch er den genannten Flächenwidmungsplan hinsichtlich des Grundstücks 409/2 zur Beurteilung der Beschwerdefälle anzuwenden hätte. Es sei dabei für die Frage der Präjudizialität der Norm gleichgültig, ob deren Rechtswidrigkeit im Anlassverfahren zum Tragen kommt (s. VfSlg 9755/1983). Bei der Beurteilung der Präjudizialität von Widmungen komme es dann, wenn es um die Frage der Bebaubarkeit als solche geht, auf den konkreten Inhalt der im zugrunde liegenden Bauverfahren erhobenen Einwendungen nicht an (zur subjektiven Rechtssphäre bei der Beurteilung von Widmungen vgl. VfSlg 10.703/1985).
Die teilweise Umwidmung des Grundstücks 409/2 von "Grünland" in "Bauland" war die Grundlage des Bauverfahrens im Anlassfall, sodass der zugrundeliegende Flächenwidmungsplan präjudiziell ist. Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seinen vorläufigen Annahmen über die Zulässigkeit des Verfahrens, denen weder die Niederösterreichische Landesregierung noch die Marktgemeinde Bad Großpertholz entgegengetreten sind.
2. In der Sache
2.1. Zunächst hegte der Verfassungsgerichtshof folgendes formale Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der genannten Verordnung:
"In der (im Jahr 2006 außer Kraft getretenen) Übergangsbestimmung des §30 Abs6 NÖ Raumordnungsnovelle 1995, LGBl 8000-10, hatte der Gesetzgeber Gemeinden, für die ein vereinfachter Flächenwidmungsplan gegolten hatte, aufgetragen, innerhalb einer Frist von 5 Jahren ein örtliches Raumordnungsprogramm aufzustellen. Seit 17. September 1999 muss gemäß §13 Abs2 NÖ Raumordnungsgesetz 1976 idF LGBl 8000-13 ein örtliches Raumordnungsprogramm neben dem Flächenwidmungsplan jedenfalls auch ein Entwicklungskonzept enthalten. Im Vorverfahren stellte sich heraus, dass die Marktgemeinde Bad Großpertholz noch im Jahr 2009 über kein Entwicklungskonzept verfügte. Vor diesem Hintergrund ist es zunächst nicht auszuschließen, dass es sich bei dem im Jahr 2009 geänderten Flächenwidmungsplan noch um einen vereinfachten Flächenwidmungsplan gehandelt hat, der gemäß §30 Abs6 NÖ ROG idF LGBl 8000-10 bis zum 1. Jänner 2001 durch ein örtliches Raumordnungsprogramm ersetzt hätte werden müssen und dessen Änderung seit 1. Jänner 2001 gemäß §30 Abs6 NÖ ROG idF LGBl 8000-10 bzw. §30 Abs7 NÖ ROG idgF nicht mehr zulässig gewesen wäre, sodass er schon aus diesem Grund gesetzwidrig zu sein scheint."
Die Niederösterreichische Landesregierung führt in ihrer Äußerung dazu aus:
"Diesem Bedenken ist jedoch zu entgegen, dass §30 Abs1 bis 4 NÖ ROG 1976 seit der Stammfassung LGBl 8000-0 unverändert bestehen. Das heißt, dass als vereinfachte Flächenwidmungspläne jene weiter gelten sollten, die nach den 'bisherigen Bestimmungen', somit nach den Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes 1968 bzw. des NÖ Raumordnungsgesetzes 1974, aufgestellt worden waren. Gleiches gilt auch für aufgrund §5 der Bauordnung für Niederösterreich, LGBl Nr 66/1883, erlassene Regulierungspläne."
Der Verfassungsgerichtshof hält das diesbezügliche Bedenken nicht weiter aufrecht. Die Vermutung, dass mit der 6. Änderung des Flächenwidmungsplans der Marktgemeinde Bad Großpertholz ein Plan geändert worden sein könnte, der noch nach den Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes 1968 oder des NÖ Raumordnungsgesetzes 1974 oder der NÖ Bauordnung 1883 erstellt worden wäre, hat die Marktgemeinde Bad Großpertholz dadurch widerlegt, dass sie ihr Raumordnungskonzept 1993 vorgelegt hat, das einen Flächenwidmungsplan enthält, der bereits auf der Grundlage des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 erlassen wurde.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte im Prüfungsbeschluss das weitere Bedenken, dass der 6. Änderung des Raumordnungsprogrammes keine ausreichende Grundlagenforschung vorausgegangen sein dürfte und stellte den konkreten Bedenken zunächst folgende allgemeine Bemerkungen voran:
"Im Erkenntnis VfSlg 15.011/1997 sprach der Verfassungsgerichtshof zur Frage der Grundlagenforschung (im Hinblick auf das Vorarlberger Raumplanungsgesetz) aus:
'Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Raumplanungsrecht (vgl. VfSlg 8280/1978, 10.711/1985, 12.926/1991 mwH) kommt wohl den Vorschriften des Raumplanungsrechtes über die Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen für rechtsverbindliche Planungen besondere Bedeutung zu. Der Verfassungsgerichtshof hat in solchen Fällen im Verordnungsprüfungsverfahren nach Art139 B‑VG zu prüfen, ob der Verordnungsgeber die im Gesetz zur Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage vorgesehene Vorgangsweise eingehalten hat. Insbesondere zur Durchsetzung der im §2 RPG angeführten Raumplanungsziele ist die Durchführung einer Grundlagenforschung – unabhängig ob vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen oder nicht – unabdingbar.'
Wie der Verfassungsgerichtshof allgemein zur Frage der Erlassung von Planungsnormen im Raumplanungsrecht in ständiger Judikatur ausgesprochen hat (vgl. zB auch VfSlg 10.711/1985 mwN), kommt den Vorschriften des Gesetzes über die Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen dann besondere Bedeutung zu, wenn das Gesetz die vom Verordnungsgeber zu erlassenden Planungsnormen nur final, d.h. im Hinblick auf bestimmte zu erreichende Planungsziele determiniert. Dementsprechend sind nach der mit dem Erkenntnis VfSlg 8280/1978 begonnenen ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die auf der Grundlage solcher – iSd Art18 Abs2 B‑VG ausreichender – gesetzlicher Ermächtigungen erlassenen Planungsmaßnahmen im Einzelnen daraufhin zu prüfen, ob die Entscheidungsgrundlagen des Verordnungsgebers in ausreichendem Maße erkennbar sind.
Da es sich bei dem betroffenen Gebiet um ein Natura 2000-Schutzgebiet handelt, ist im Rahmen der Grundlagenforschung auch die Vereinbarkeit der einzelnen Widmungen mit den Schutzzielen eines solchen Gebiets zu prüfen."
2.2.1. Daran anschließend warf der Verfassungsgerichtshof folgendes Bedenken auf:
"Zunächst scheint, dass der fehlende Rahmen eines Entwicklungskonzeptes, welches insbesondere wegen seiner Bedeutung für die gesamthafte Planung ausdrücklich gesetzlich gefordert wird (§13 Abs2 NÖ ROG 1976), durch eine am Einzelfall orientierte Grundlagenforschung gar nicht hinreichend kompensiert werden kann, was für sich allein schon die Gesetzwidrigkeit von Änderungen von Flächenwidmungsplänen im Allgemeinen zur Folge hätte."
Die Niederösterreichische Landesregierung begegnet diesen Bedenken mit folgendem Argument:
"Zu diesem Bedenken ist auszuführen, dass §22 Abs1 NÖ ROG 1976 mehrere Tatbestände anführt, nach denen eine Änderung eines örtlichen Raumordnungsprogrammes zulässig ist.
Gemäß §22 Abs1 Z2 NÖ ROG 1976 ist eine Änderung wegen wesentlicher Änderung der Grundlagen zulässig und gemäß §22 Abs1 Z5 NÖ ROG 1976 ist eine Änderung zulässig, wenn dies zur Verwirklichung der Ziele des Entwicklungskonzeptes dient.
Es ist zu beachten, dass §22 Abs1 Z5 NÖ ROG 1976 ebenfalls durch die 8. Novelle, LGBl 8000-13, eingeführt wurde und dass jedoch gleichzeitig die schon bis dahin geltende Bestimmung des §22 Abs1 Z2 NÖ ROG 1976 nicht geändert wurde. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass Änderungen des örtlichen Raumordnungsprogrammes nur mehr bei Bestehen eines Entwicklungskonzeptes möglich wären, hätte die Bestimmung des §22 Abs1 Z2 NÖ ROG 1976 entfallen müssen. Da dies jedoch nicht geschehen ist, besteht weiterhin die Möglichkeit, auch grundsätzlich ohne Vorliegen eines Entwicklungskonzeptes eine Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes vorzunehmen."
Dieses Argument der Niederösterreichischen Landesregierung ist im Lichte folgender Ausführungen im Motivenbericht zur 8. Novelle des NÖ ROG 1976 zu sehen:
"Das Entwicklungskonzept – bisher Teil der Grundlagenforschung – soll zum verbindlichen Bestandteil des örtlichen Raumordnungsprogrammes werden, weil dadurch eine flexiblere Handhabung des Änderungsanlasses aufgebaut werden kann. Durch die Neufassung des bisherigen Abs2 (Abs3 neu) soll zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich bei den Festlegungen im Entwicklungskonzept um die langfristige Grundsatzplanung einer Gemeinde handelt."
Die Marktgemeinde Bad Großpertholz hat im Jahr 1993 das örtliche Raumordnungsprogramm entsprechend der damaligen Rechtslage ohne – eigenständiges – Entwicklungskonzept erlassen. Seither haben sich die Gegebenheiten speziell in Bad Großpertholz wesentlich geändert. Zum einen wurde im August 1996 der Großteil des Gemeindegebiets als besonderes Schutzgebiet nach der Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG) ausgewiesen. Das verfahrensgegenständliche Grundstück 409/2 liegt in diesem Schutzgebiet. Dieses wurde mit der 3. Novelle der Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung über die Europaschutzgebiete, LGBl 5500/6‑3, ausgegeben am 29. Juli 2009 (also vor Kundmachung der 6. Änderung des örtlichen Raumordnungsprogramms), auch innerstaatlich zum "Europaschutzgebiet Vogelschutzgebiet Waldviertel" iSd §9 NÖ Naturschutzgesetz 2000 erklärt. Zum anderen ist die besondere ökologische Bedeutung der Gebiete entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs ("Grünes Band Europa") erst nach der Erlassung des örtlichen Raumordnungsprogramms nach und nach in das Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten. Das verfahrensgegenständliche Grundstück liegt unmittelbar an der Staatsgrenze zur Tschechischen Republik.
Daher kann der Niederösterreichischen Landesregierung zwar zugestimmt werden, wenn sie meint, dass auch grundsätzlich ohne Vorliegen eines [eigenständigen] Entwicklungskonzeptes eine Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes möglich sei. Im konkreten Fall wäre aber, weil sich die Rahmenbedingungen grundlegend geändert haben, wenn schon die Notwendigkeit eines eigenständigen Entwicklungskonzeptes nicht gesehen wird, so doch zumindest die Grundlagenforschung (iSd ROG 1976 vor der 8. Novelle) aus dem Jahr 1993 um eine den neuen Gegebenheiten Rechnung tragende langfristige Grundsatzplanung zu ergänzen gewesen. Die 6. Änderung des örtlichen Raumordnungsprogramms stützt sich auf keine derartige Planung als Grundlage.
2.2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat im Prüfungsbeschluss hinsichtlich der Grundlagenforschung noch folgendes Bedenken geäußert:
"Des Weiteren hat der Gemeinderat die Umwidmung des Grundstücks 409/2 am 18. Februar 2009 auf Basis bloß rudimentärer Grundlagen beschlossen. Erst Wochen nach der Beschlussfassung im Gemeinderat wurden wesentliche Entscheidungsgrundlagen fertiggestellt (Naturverträglichkeitserklärung am 15. April 2009, Ergänzung der Erläuterungen am 19. Mai 2009). Es scheint dem Gemeinderat durch die Bereitstellung dieser Unterlagen zwar gelungen zu sein, die aufsichtsbehördliche Genehmigung der Umwidmung durch die Landesregierung gemäß §21 Abs11 und 14 sowie §22 Abs4 NÖ ROG 1976 zu erwirken. §13 Abs1 NÖ ROG 1976 sieht aber vor, dass jede Gemeinde ausgehend von den Zielen dieses Gesetzes und den Ergebnissen aufbereiteter Entscheidungsgrundlagen ein örtliches Raumordnungsprogramm aufzustellen und zu verordnen hat. Die nach der Beschlussfassung im Gemeinderat erstellten Dokumente können nichts daran ändern, dass der Gemeinderat bei seiner Beschlussfassung nur von den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Entscheidungsgrundlagen ausging. Und diese reduzierten sich auf den einfachen Hinweis, dass 'Beeinträchtigungen auf lärmsensible Widmungen […] auf Grund der abgeschiedenen Lage und der nur temporären Nutzung abseits von Wohngebieten nicht zu erwarten [sind]'. Es scheint, dass diese dürftigen Entscheidungsgrundlagen dem Gebot einer ausreichenden Grundlagenforschung im vorliegenden Fall nicht entsprechen."
Die Niederösterreichische Landesregierung verweist zunächst auf das örtliche Raumordnungsprogramm 1993 und führt dann aus:
"Die Festlegungen in der Verordnung wurden, aufbauend auf den Ergebnissen der Grundlagenforschung, als schlüssig begründet angesehen. Auch wenn die Gemeinde aufgrund der damaligen Gesetzeslage noch nicht dazu verpflichtet war, im Rahmen des Örtlichen Raumordnungsprogrammes eine planliche Darstellung der Entwicklungsziele und -maßnahmen zu verordnen, so wurde dennoch die Entwicklungsstrategie für die Gemeinde in dieser Verordnung festgelegt. Eine räumliche Zuordnung einzelner Ziele und Maßnahmen erfolgt verbal. Damit stellt das im Jahr 1993 verordnete Örtliche Raumordnungsprogramm mit den darin festgelegten Zielen und Maßnahmen sehr wohl eine geeignete, fundierte Basis für die geordnete Entwicklung in der Gemeinde und damit für das Ordnungsinstrument Flächenwidmungsplan dar.
ln der Verordnung werden in §2 4.4. (Ziele zum Themenbereich 'Wirtschaft') die Überlegungen der Gemeinde zum Bereich 'Fremdenverkehr' dargelegt. Darin ist festgelegt: 'Der Fremdenverkehr soll durch die Verbesserung des Angebotes entsprechend der im Fremdenverkehrsraumordnungsprogramm ausgewiesenen Funktion als Allgemeiner-, Eignungs- und Ausbaustandort ausgebaut und vorrangig auf den Ruhe-, Kur- und Erholungs-Fremdenverkehr sowie den kinderfreundlichen Familienurlaub ausgerichtet werden.
Außerdem soll das Wegenetz weiter ausgebaut und nach Maßgabe der finanziellen Mittel, das Angebot an Freizeiteinrichtungen weiter verbessert werden.'
ln §5 7.1.d) wird die Förderung von Maßnahmen zur 'Verbesserung der Qualität der Fremdenverkehrseinrichtungen' angeführt.
Die nun in Prüfung stehende Festlegung der Widmung Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus im grenznahen Bereich bzw. im Nahbereich des Wanderwegenetzes findet in diesen genannten Abschnitten der Verordnung zum Örtlichen Raumordnungsprogramm ihre Deckung.
Die Widmungsänderung auf Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus dient der Erfüllung des Entwicklungszieles, den 'Fremdenverkehr durch die Verbesserung des Angebotes' auszubauen. Da die Gemeinde Bad Großpertholz im NÖ Fremdenverkehrs-Raumordnungsprogramm, LGBl 8000/27-0, in der höchsten Kategorie als 'Ausbaustandort' eingestuft ist, entsprechen die Maßnahmen zur Verbesserung von Einrichtungen des Fremdenverkehrs auch den überörtlichen Planungen.
Aus raumordnungsfachlicher Sicht stellt die Nachnutzung landwirtschaftlicher Gebäude eine Schonung der Ressource Grund und Boden dar. Die Inanspruchnahme des Bodens für bauliche Nutzungen aller Art ist auf das unbedingt erforderliche Ausmaß zu begrenzen. Der Weiterverwendung von Bauten war daher sachlich der Vorzug, vor der Widmung eines neuen Sondergebietes an anderer Stelle, einzuräumen. Die Gemeinde hatte ja in ihrer Verordnung Ziele für die Verbesserung des Angebotes festgelegt, sodass der Änderungsanlass auch in dessen Umsetzung gesehen werden muss.
Durch die vielseitig festgelegten Vorgaben, Ziele, Maßnahmen, dokumentierten Grundlagen des örtlichen Raumordnungsprogrammes 1993 sowie der Einstufung nach dem NÖ Fremdenverkehrs-Raumordnungsprogramm ist der Änderungsanlass, obwohl dies nicht neuerlich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im Februar 2009 explizit dargelegt wurde, fachlich begründet."
Die Marktgemeinde Bad Großpertholz versucht insbesondere das Bedenken auszuräumen, dass erst Wochen nach der Beschlussfassung im Gemeinderat die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen fertig gestellt wurden:
"Es ist wohl richtig, dass dem Gemeinderat die beiden zitierten Unterlagen nicht vorlagen. Andererseits erschöpft sich die nachträgliche Naturverträglichkeitsprüfung vom 15. 4. 2009 inhaltlich darin, dass die kleinflächige Umwidmung keine negativen Überlagerungsauswirkungen begründe, da der unmittelbare Bereich um das straßennahe Gelände kaum als Lebensraum für die genannten im Wald lebenden und zu schützenden Tierarten dienen könne. Überdies wird ausgeführt, dass angesichts der seltenen Nutzung auch eine negative Ausstrahlungswirkung auf die verschiedenen Schutzobjekte nicht erkennbar ist.
In der Ergänzung der Erläuterung vom 19. 5. 2009 handelt es sich um Fakten, die den Mitgliedern des Gemeinderates bekannt waren. Es ist im Wesentlichen die 'historische Entwicklung' des Vereinshauses einerseits und die Tätigkeit des 'Vereines zur Erhaltung von Kultur und Landschaft Stadlberg' im Zusammenhang mit dem Vereinshaus andererseits dargestellt. Es sind alles Fakten, die den Mitgliedern des Gemeinderates bekannt waren.
Dem Verfassungsgerichtshof ist jedoch insofern zu folgen, als formell diese Darstellungen, also sowohl die ergänzenden Erläuterungen vom 19. 5. 2009 als auch die Naturverträglichkeitserklärung vom 15. 4. 2009 zum Zeitpunkt der Beschlussfassung formell nicht vorlagen.
Es ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Vorliegen sowohl der genannten Erläuterungen vom 19. 5. 2009 als auch der Naturverträglichkeitserklärung vom 15. 4. 2009 an der Beschlussfassung des Gemeinderates nichts geändert hätte, da inhaltlich einerseits ja nichts Neues vorgebracht bzw. dargestellt wurde bzw. keine Gründe hervorgekommen sind, die gegen die Beschlussfassung der genannten Verordnung gesprochen hätten."
Das örtliche Raumordnungsprogramm aus dem Jahr 1993 konnte schon allein wegen der maßgeblich geänderten raumplanerischen Sachlage keine "geeignete, fundierte Basis" für die 6. Änderung des Programms im Jahr 2009 darstellen. Die Argumentation der Niederösterreichischen Landesregierung, die Widmungsänderung auf "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" diene der Erfüllung des Zieles, den "Fremdenverkehr durch die Verbesserung des Angebotes" auszubauen, überzeugt den Verfassungsgerichtshof nicht: Zwar wurden nach dem NÖ Veranstaltungsgesetz für das Vereinshaus fünf bis sieben Veranstaltungen pro Jahr bewilligt, das Vereinshaus ist jedoch weder ein Beherbergungs- noch ein Restaurantbetrieb für Touristen, und für das dem Fremdenverkehr dienliche Angebot an Wanderwegen und deren Pflege wäre auch eine Nutzung des Gebäudes ausschließlich als Geräteschuppen ausreichend und adäquat. Letztlich geht auch die Argumentation der Marktgemeinde Bad Großpertholz ins Leere, dass der Gemeinderat bei rechtzeitiger Bereitstellung aller Unterlagen der Grundlagenforschung nicht anders entschieden hätte: Abgesehen davon, dass diese Behauptung bloß spekulativen Charakter hat, kann dadurch das Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Verfahrens der Verordnungserlassung, die Entscheidungsgrundlagen des Verordnungsgebers seien nicht im ausreichendem Maße erkennbar, nicht entkräftet werden. Nur solche Informationen, die nach der Aktenlage schon zum Zeitpunkt einer Beschlussfassung vorliegen, können eine Entscheidungsgrundlage für diese darstellen. Diese Informationen können auch nicht durch Amtswissen ersetzt werden.
Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seiner Annahme, dass der 6. Änderung des Raumordnungsprogrammes keine ausreichende Grundlagenforschung vorausgegangen ist.
2.3. In seinem Prüfungbeschluss hat der Verfassungsgerichtshof auch Bedenken im Hinblick auf das Vorliegen eines Änderungsanlasses gemäß §22 NÖ ROG 1976 gehegt:
Er hat dazu ausgeführt:
"Nach §22 Abs1 NÖ ROG 1976 darf ein örtliches Raumordnungsprogramm nur aus den in Abs1 leg.cit. taxativ aufgezählten Gründen geändert werden. Es ist offenkundig, dass von diesen Gründen nur der in §22 Abs1 Z2 NÖ ROG 1976 normierte Tatbestand einer wesentlichen Änderung der Grundlagen in Frage kommt.
Das Gesetz verleiht dem Flächenwidmungsplan, indem es seine Änderung nur unter bestimmt umschriebenen Voraussetzungen gestattet (und dadurch dem pflichtgemäßen Ermessen des Verordnungsgebers überlässt), im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich erhöhte Bestandskraft (vgl. etwa VfSlg 11.990/1989). Von einer – die Änderung des Flächenwidmungsplanes rechtfertigenden – 'wesentlichen Änderung der Grundlagen' kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht schon dann gesprochen werden, wenn neue Tatsachen bloß punktuell neue Zielsetzungen rechtfertigen, sondern erst dann, wenn sie erlauben, neue Ziele allgemeiner Art anzustreben (vgl. die zum niederösterreichischen Raumplanungsrecht ergangenen Erkenntnisse VfSlg 13.282/1992 und 13.835/1994; weiters auch VfSlg 9361/1982 und VfSlg 11.374/1987).
Dies scheint hier aber nicht der Fall zu sein:
Mit der zu beurteilenden Änderung des Flächenwidmungsplanes wurde eine zuvor als 'Grünland-Land- und Forstwirtschaft' gewidmete Fläche in 'Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus' umgewidmet. Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Unterlagen – einschließlich der nach der Beschlussfassung erstellten Dokumente – und den Akten geht nicht hervor, dass im gegebenen Fall eine wesentliche Änderung der Grundlagen eingetreten wäre, die diese Änderung der planerischen Absichten und letztlich die vorgenommene Umwidmung gestattet hätte. Das Bedürfnis des 'Vereins zur Erhaltung von Kultur und Landschaft' nach einem Vereinsheim für Sitzungen und festliche Veranstaltungen scheint keine so wesentliche Änderung der Planungsgrundlagen darstellen zu können. Auch wenn an sich das Bedürfnis nach bestimmten Formen sozialen Lebens in einer Gemeinde ein öffentliches Interesse darstellen kann, wird zu prüfen sein, ob ein solches öffentliches Interesse im vorliegenden Fall eine 'wesentliche Änderung der Grundlagen' im Sinne des §22 Abs1 Z2 NÖ ROG 1976 dargestellt hat."
Die Landesregierung hingegen sieht eine Änderung der Grundlagen in der geänderten Nutzung des Bauwerks:
"Wenngleich der Änderungsanlass erst nach der Beschlussfassung des Gemeinderates ausdrücklich angeführt würde, so war er implizit in der Erläuterung zu der geplanten Änderung [...] bereits enthalten, als darauf verwiesen wird, dass das Bauwerk für die Vereinszwecke benutzt werden soll. Diese implizierte schon damals die Unterbringung von Geräten, welche zur Betreuung und Erhaltung eines Abschnittes der Wegeinfrastruktur des 140 bis 160 km langen Wanderweges Nordwaldkammweg erforderlich sind. Die Änderung der Grundlagen lag also in der Veränderung von landwirtschaftlicher Nutzung hin zu einer auf die Tätigkeit des Vereines bezogenen Nutzung – es wird dabei auf die obigen Ausführungen [s. Pkt. 2.2.2.] verwiesen."
Die Niederösterreichische Landesregierung kann den Verfassungsgerichtshof mit dieser Äußerung nicht davon überzeugen, dass die Notwendigkeit der Änderung des Verwendungszwecks des Gebäudes von einer landwirtschaftlichen Nutzung als Gerätehütte hin zu einer vereinsbezogenen Nutzung als Gerätehütte eine wesentliche Änderung der Grundlagen iSd §22 Abs1 NÖ ROG 1976 darstellen könnte, sodass damit die Umwidmung und in der Konsequenz auch die tatsächlich geplante Verwendung gerechtfertigt werden könnte. Sowohl in den Erläuterungen vom 18. Dezember 2008, die dem Gemeinderat bei der Beschlussfassung vorgelegen sind, als auch in der nachträglichen Ergänzung dieser Erläuterungen vom 19. Mai 2009 steht nämlich der Vereinsschuppen als ein Mittelpunkt des sozialen Lebens und Veranstaltungsort, wo "Beeinträchtigungen auf lärmsensible Widmungen [...] auf Grund der abgeschiedenen Lage und der nur temporären Nutzung abseits von Wohngebieten nicht zu erwarten" sind, im Vordergrund. Auch die tatsächliche Ausstattung des "Vereinsschuppens" widerspricht dieser Auffassung der Landesregierung.
Wenn man aber – fiktiv – davon ausginge, dass das Ziel der Umwidmung die Nutzung des Gebäudes als Gerätehütte durch den Verein gewesen wäre, dann wäre die Grundlagenforschung nicht nur rudimentär und verspätet, sondern schlichtweg irreführend gewesen.
Es lag also keine der in §22 Abs1 NÖ ROG 1976 zwingend vorgesehenen Voraussetzungen für die Änderung des örtlichen Raumordnungsprogramms vor. Die 6. Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes widerspricht daher dieser gesetzlichen Bestimmung.
2.4. Der Verfassungsgerichtshof hat im Prüfungsbeschluss noch folgendes Bedenken geäußert:
"Der Verfassungsgerichtshof hegt das weitere Bedenken, dass der Umwidmung keine Abwägung der Interessen vorausgegangen ist. Das Interesse an der Errichtung eines Stützpunktes für den 'Verein zur Erhaltung von Kultur und Landschaft' hätte nämlich im Gemeinderat auch mit den der Umwidmung entgegenstehenden Interessen, vornehmlich denen des Naturschutzes, abgewogen werden müssen. Aus den vorgelegten Aktenteilen ergibt sich, dass der Gemeinderat bei seiner Beschlussfassung auf die gegen die Änderung des Flächenwidmungsplanes vorgebrachten Einwendungen aber bloß mit dem Bemerken reagiert hat, dass er sich der Argumentation nicht anschließe. Er hat es völlig unterlassen, die Einwendungen zu bewerten und gegenüber den für die Änderung sprechenden Interessen und den vom Gesetzgeber aufgestellten Zielsetzungen abzuwägen und diese Abwägung in einer nachvollziehbaren Weise darzustellen. Dies scheint einen Verfahrensfehler darzustellen, der die Verordnung mit Gesetzwidrigkeit zu belasten scheint."
Im Verordnungsprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was dieses Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hätte zerstreuen können.
2.5. Auch das folgende Bedenken konnte vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen nicht entkräftet werden.
"Sollte überdies – wie den Erläuterungen zur 6. Änderung des Raumordnungsprogrammes vom 18. Dezember 2008 zu entnehmen ist – der Verordnungsgeber nur in der Absicht, den Baubestand rechtlich abzusichern, das verfahrensgegenständliche Grundstück als Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus ausgewiesen haben, weil die "ehemalige landwirtschaftliche Halle" seit einigen Jahren als Vereinsgebäude genutzt worden sei, dann scheint diese Umwidmung zur Legalisierung eines Schwarzbaus eine sachlich nicht gerechtfertigte und daher unzulässige Besserstellung einer Rechtsperson, die einen Bau ohne Bewilligung errichtet hat, gegenüber Personen mit rechtskonformem Verhalten zu sein (vgl. VfSlg 16.901/2003, 17.211/2004). Es scheint auch, dass der Flächenwidmungsplan nicht geändert wurde, weil ein öffentliches Interesse an der Unterstützung des sozialen Lebens in Stadlberg durch die Schaffung eines Vereinsheimes bestand, sondern weil die tatsächliche Nutzung des Gebäudes als Vereinsheim eine widmungswidrige Nutzung darstellte (vgl. VfSlg 19.101/2010)"
2.6. Auf ein weiteres Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass bei einer mehrere Vorhaben umfassenden Änderung eines Flächenwidmungsplans nicht einzelne Vorhaben aus dem Rahmen der strategischen Umweltprüfung herausgelöst werden können und daher im konkreten Fall eine strategische Umweltprüfung hätte durchgeführt werden müssen, war im Hinblick auf die unter den Punkten IV.2.2. bis IV.2.5. festgestellten Gesetzwidrigkeiten nicht mehr einzugehen.
V. Ergebnis
1. Der Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Bad Großpertholz in der Fassung der "Verordnung B" des Gemeinderates der Marktgemeinde Bad Großpertholz vom 18. Februar 2009 ist daher, soweit er für einen Teil des Grundstücks 409/2, KG Karlstift, die Widmung "Bauland-Sondergebiet-Vereinshaus" festlegt, als gesetzwidrig aufzuheben.
2. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VfGG.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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