OGH 10Ob45/22y

OGH10Ob45/22y18.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Dr. Andreas Öhler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH, *, vertreten durch Dr. Helmut Weinzettl, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen 11.700 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das (richtig: Teil- und) Zwischenurteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. Juli 2022, GZ 18 R 34/22m‑17, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00045.22Y.1018.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 624 EUR (darin enthalten 104 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Mitverschulden des Klägers an seinem Sturz am 1. Februar 2021 im Bereich der Einkaufswagenremise der Filiale der Beklagten, bei dem er sich verletzte und aufgrund dessen er Schadenersatz begehrt.

[2] Der Abstellplatz für die Einkaufswagen außerhalb der Filiale der Beklagten wird durch eine u‑förmige Edelstahlkonstruktion vorgegeben. Die Konstruktion ist derart ausgeführt, dass ein auf runden, in Abständen von ca 1,5 m angebrachten Metallstützen durchgehend befestigtes Rohr den oberen Abschluss bildet, womit eine Gesamthöhe von ca 20 cm erreicht wird. In Blickrichtung zur Einkaufswagenremise rechts seitlich dieser Konstruktion verbleibt eine freie Fläche, die rechts zur Gebäudemauer hin zumindest 1,3 m misst.

[3] Der Kläger schob seinen Wagen ganz rechts in der „Remise“ in den davor etwa auf Höhe des Endes der eingangsnahen Begrenzungskonstruktion stehenden Wagen und danach alle in dieser Reihe befindlichen Wägen zusammen, sodass der von ihm benützte Wagen als letzter in dieser entlang der rechten Metallbegrenzung stehenden Reihe etwa auf Höhe des Beginns des eingangsnahen letzten Drittels der Einfassung stand. Während dieser Manipulationen hatte er keine Sicht auf die Metalleinfassung am Boden. Er wollte noch zu einem nächst der Filiale der Beklagten liegenden Geschäft gehen und bewegte sich nach dem Loslassen des Griffs des Einkaufswagens nach rechts in Richtung der einen Zu‑ bzw Abgang bildenden Freifläche neben der Einfassung. Dabei blieb er mit den Füßen am Rohr hängen, was ihn stürzen ließ. Er hatte keine Möglichkeit, den Sturz durch reaktives Abstützen oder ähnliche Abwehrhandlungen noch zu verhindern.

[4] Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von 11.700 EUR sA. Die Beklagte habe vertragliche Verkehrssicherungspflichten verletzt, weil eine nur 15 cm über dem Boden geführte Begrenzungseinrichtung deutlich zu niedrig sei und eine Gefahrenquelle für Kunden darstelle. Derartige Absicherungen wären zumindest in 1 m Höhe und mit einem Querrohr auf ca 50 cm anzubringen gewesen. Die Einkaufswägen seien im Zeitpunkt der Schädigung lose (und nicht geordnet) gestanden und sie hätten die Sicht auf die Einfriedung verdeckt.

[5] Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage. Die Abgrenzung diene gerade der Verkehrssicherung, damit in der Einkaufswagenremise die einzelnen Wagen ordnungsgemäß und an einem Ort zusammengestellt werden können, ohne abzurollen bzw am Gelände vor dem Eingang des Marktes herumzustehen. Die Absicherung sei schon bei normaler Aufmerksamkeit gut sichtbar für jeden erkennbar und stelle keine überraschende, plötzlich auftretende Gefahrenstelle dar. Der Sturz sei vielmehr auf das eigene Verschulden des Klägers bzw dessen Sorglosigkeit eigenen Gütern gegenüber zurückzuführen, weil er kurz unaufmerksam gewesen sei und in diesem Moment nicht auf die von ihm eingeschlagene Wegstrecke geachtet habe.

[6] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Dabei ging es von einer Verletzung der vertraglichen Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte aus. Eine am Boden angebrachte Metallkonstruktion sei, auch wenn sie nur 20 cm hoch sei, für Menschen mit ausreichender Sehfähigkeit grundsätzlich wahrzunehmen. Dem Kläger könne das „Übersehen“ des Begrenzungsrohrs aufgrund der konkreten Situation nicht vorgeworfen werden.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte das Zwischenurteil des Erstgerichts insofern, als es aussprach, dass das Klagebehren dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestehe. Im Übrigen änderte es die Entscheidung in ein das restliche Klagebegehren (im Umfang von weiteren 5.850 EUR sA) abweisendes Teilurteil ab. Es bejahte einen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten, weil die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter zu erkennen gewesen wäre und diese Gefahr durch zumutbare Maßnahmen, etwa eine deutlich höhere Situierung des Rohrs verhältnismäßig einfach abgewendet werden hätte können. Dem Kläger sei jedoch ein Mitverschulden anzulasten, weil die Metallkonstruktion nach der dislozierten Feststellung des Erstgerichts grundsätzlich wahrnehmbar gewesen sei und er nur während der Manipulation mit den Einkaufswägen (also vorübergehend) keine Sicht darauf gehabt habe. Der nicht verkehrssicheren Gestaltung der Remise durch die Beklagte stehe daher die Unaufmerksamkeit des Klägers gegenüber, der die grundsätzlich erkennbare Metallkonstruktion nach dem Zurückstellen des Einkaufswagens nicht beachtet habe, was eine Verschuldensteilung von 1 : 1 angemessen erscheinen lasse.

[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der verkehrssicherungsrechtlichen Beurteilung der vorliegenden, von zahlreichen Supermärkten genutzten Remise über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung zukomme.

[9] Gegen das (das Klagebegehren im Umfang von 5.850 EUR sA abweisende) Teilurteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Zwischenurteils des Erstgerichts; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] In der Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.

[12] 1. Soweit der Kläger in der Revision einen Verstoß gegen die vertragliche Verkehrssicherungspflicht thematisiert, indem er die Konstruktion als gefährlich einstuft, sie als „Stolperfalle“ bezeichnet und weitere Sicherungsmaßnahmen vermisst, zeigt er eine unrichtige Beurteilung des festgestellten Sachverhalts durch das Berufungsgericht nicht auf, weil es – in Übereinstimmung mit der vom Kläger in der Revision vertretenen Rechtsansicht – ohnedies von einem Verstoß der Beklagten gegen die Verkehrssicherungspflicht ausging.

[13] 2. Das Berufungsgericht gelangte zur Abweisung eines Teils des Klagebegehrens vielmehr, weil es ein (gleichteiliges) Mitverschulden des Klägers annahm.

[14] 2.1.1. Nach ständiger Rechtsprechung bildet die Frage, ob den Geschädigten überhaupt ein Mitverschulden an dem von ihm geltend gemachten Schaden trifft, wegen seiner Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0044088 [T30]). Bei Schadenersatzpflichten wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt ein Mitverschulden nur dann vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für eine solche Verletzung bestehen, und die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen (RS0023704). Von einem Fußgänger ist nicht nur zu verlangen, beim Gehen vor die Füße zu schauen und der eingeschlagenen Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden (RS0023787 [T3]), sondern auch, einem auftauchenden Hindernis oder einer gefährlichen Stelle möglichst auszuweichen (RS0027447 [T14]).

[15] 2.1.2. Die angefochtene Entscheidung entspricht diesen Grundsätzen. Eine Überschreitung des dem Berufungsgericht in diesem Zusammenhang zukommenden Beurteilungsspielraums zeigt die Revision nicht auf. Entgegen der offenbaren Ansicht des Klägers in der Revision ist nicht entscheidend, ob der Kläger schon im Zeitpunkt der Annäherung an die Einkaufswagenabstellfläche Sicht auf die Metallkonstruktion hatte, über die er letztlich stürzte. Das Berufungsgericht ging vielmehr davon aus, dass der Kläger die grundsätzlich erkennbare Metallkonstruktion nach dem Zurückstellen des Einkaufswagens (also nach den Manipulationen der Einkaufswägen) nicht ausreichend beachtete. Aus welchen anderen Gründen er die Metallkonstruktion in diesem Moment – unmittelbar bevor er sich nach Loslassen des Griffs des Einkaufswagens nach rechts in Richtung der neben der Metallkonstruktion befindlichen Freifläche bewegte – nicht als Hindernis wahrnehmen hätte können, legt der Kläger in der Revision nicht offen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger in diesem Moment der einzuschlagenden Wegstrecke und der dort befindlichen – grundsätzlich erkennbaren – Metallkonstruktion nicht die nötige Aufmerksamkeit widmete, ist somit nicht korrekturbedürftig.

[16] 2.2.1. Auch die Frage, in welchem Ausmaß den Geschädigten ein Mitverschulden trifft bzw ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist im Allgemeinen – von einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch das Berufungsgericht abgesehen – keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0087606; RS0044262 [T42, T53]).

[17] 2.2.2. Mit dem Hinweis darauf, dass die Metallkonstruktion als gefährlich einzustufen sei und die Beklagte weitere Sicherungsmaßnahmen treffen hätte müssen, spricht die Revision lediglich einen – vomBerufungsgericht ohnedies bejahten – Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte an, zeigt aber keine Überschreitung des dem Berufungsgericht eingeräumten Beurteilungsspielraums bei der Beurteilung des Ausmaßes des Mitverschuldens auf. Soweit sich der Kläger auf die Entscheidung 3 Ob 6/20h beruft, der nach seiner Behauptung ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liege, gibt er das Ergebnis der Entscheidung unrichtig wieder, weil dort – wie im vorliegenden Fall – vom Berufungsgericht eine Verschuldensteilung von 1 : 1 angenommen und dies vom Obersten Gerichtshof als nicht korrekturbedürftig beurteilt wurde. Inwiefern die vom Berufungsgericht angenommene Verschuldensteilung daher im vorliegenden Fall außerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums liegen und einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfen soll, lässt sich der Revision nicht nachvollziehbar entnehmen.

[18] 3.1. Die Revision des Klägers ist somit mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[19] 3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen ein Teilurteil findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222 [T9]). Vielmehr findet ein Kostenersatz an den Rechtsmittelgegner statt, wenn er – wie hier die Beklagte – auf diese Unzulässigkeit hingewiesen hat (RS0123222 [T8]; RS0035962 [T28]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte