OGH 4Ob172/22f

OGH4Ob172/22f18.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka und die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*, vertreten durch Dr. Thomas Juen, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch Dr. Sabine Prantner, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen 19.680 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. Mai 2022, GZ 1 R 37/22h‑63, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. Dezember 2021, GZ 18 Cg 41/21k‑53, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00172.22F.1018.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben, die Urteile der Vorinstanzen zum Feststellungsbegehren werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ließ im Krankenhaus der Beklagten eine plastisch-chirurgische Operation durchführen, die gleichzeitig eine Brustvergrößerung und eine Verkleinerung der Warzenhöfe umsetzte. Die Klägerin unterzeichnete ihre Einwilligungserklärung für die Operation am Tag des Aufklärungsgesprächs, das mehr als 14 Tage vor dem Operationstermin stattfand. Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Klägerin dabei über die Vor‑ und Nachteile einer gemeinsamen Operation gegenüber zwei getrennten Eingriffen aufgeklärt wurde. Über die verschiedenen Methoden der Schnittführung für Warzenhofverkleinerungen wurde die Klägerin nicht aufgeklärt.

[2] Die Operation erfolgte lege artis. Aus medizinischer Sicht ist nicht mit operationskausalen Spät- und Dauerfolgen hinsichtlich der Narbensituation zu rechnen.

[3] Die Klägerin begehrte 19.680 EUR an Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Die Ärzte der Beklagten hätten sie vor dem Eingriff unzureichend über alternative Operationstechniken (getrennte Operationen, andere Schnittführung) aufgeklärt und sie eine schriftliche Einwilligung unterzeichnen lassen, bevor die 14‑tägige Überlegungsfrist des § 6 ÄsthOpG verstrichen sei. Die Operation sei nicht lege artis erfolgt, das Operationsergebnis ästhetisch unbefriedigend.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Klägerin hätte auch bei vollständiger Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt und ihre Einwilligung wenn erbeten auch erst 14 Tage nach der Aufklärung und mindestens einen Tag vor der Operation erteilt. Dass die Klägerin die Einwilligung tatsächlich schon am Tag der Aufklärung unterzeichnet habe, schade nicht, weil ihr bis zur Durchführung der Operation eine mehr als zweiwöchige Bedenkzeit geblieben sei.

[5] Das Berufungsgericht hob die Entscheidung über das Zahlungsbegehren wegen sekundärer Feststellungsmängel zur Aufklärung im Hinblick auf die Verkleinerung der Warzenhöfe auf und wies das Feststellungsbegehren mit Teilurteil ab. Die Berufung fechte das Ersturteil zwar zur Gänze an, enthalte aber keine inhaltlichen Ausführungen zum Feststellungsbegehren. Außerdem habe die Klägerin die Feststellung unbekämpft gelassen, dass mit Spät- und Dauerfolgen nicht zu rechnen sei.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision der Klägerin gegen das Teilurteil ist wegen einer Abweichung von der ständigen Rechtsprechung zulässig und berechtigt.

[7] 1. Die Berufung der Klägerin bekämpft auch das Feststellungsbegehren inhaltlich.

[8] 1.1. Die Berufungsschrift hat gemäß § 467 Z 3 ZPO die bestimmte Erklärung zu enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird, die ebenso bestimmte kurze Bezeichnung der Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe), und die Erklärung, ob die Aufhebung oder eine Abänderung des Urteils, und welche beantragt werde (Berufungsantrag).

[9] Stehen Anfechtungserklärung, Berufungsgründe und Berufungsantrag nicht in Einklang, so genügt es, wenn der Zusammenhang der Berufungsschrift verlässlich erkennen lässt, was der Berufungswerber erreichen will (RS0042142; vgl auch RS0109220; RS0036410; RS0045820; RS0042160; RS0041851; RS0042235; RS0042215; RS0041771; RS0042147). Durch die Heranziehung des gesamten Vorbringens zur Auslegung der Rechtsmittelschrift (vgl RS0042160 [T5]) kann sich daher grundsätzlich auch ergeben, dass ein in Anfechtungserklärung und/oder Berufungsantrag genannter Spruchpunkt tatsächlich nicht bekämpft ist, weil dazu bei den Berufungsgründen inhaltliche Ausführungen völlig fehlen (vgl zB 3 Ob 59/08k).

[10] 1.2. Im vorliegenden Fall umfasste die Anfechtungserklärung und der Berufungsantrag sowohl das Zahlungs- als auch das Feststellungsbegehren. Da die Klägerin in ihren Berufungsgründen Mängel geltend machte, die den Grund des Schadenersatzanspruchs betreffen, bekämpfte sie damit klar erkennbar auch das Feststellungsbegehren, selbst wenn es in den Berufungsgründen nicht ausdrücklich separat angesprochen wurde.

[11] 2. Das Feststellungsinteresse der Klägerin ist aufgrund des Sachverhalts im Ersturteil zu bejahen.

[12] 2.1. Das Interesse des Geschädigten iSd § 228 ZPO an der Feststellung der Haftung des Schädigers für künftige Schäden ist nach der Rechtsprechung schon dann gegeben, wenn weitere Schäden aus dem im Feststellungsbegehren bezeichneten Ereignis nicht ausgeschlossen werden können (RS0039018 [T2]; 4 Ob 118/22i Rz 15 mwN).

[13] Wird festgestellt, dass „mit zukünftig eintretenden Schäden nicht zu rechnen ist“ oder weitere Schmerzen, ja sogar Spätfolgen oder Dauerfolgen, „nicht zu erwarten“ seien, ergibt sich daraus nicht mit Sicherheit, dass künftige Schäden nicht (doch) eintreten werden (RS0039018 [T20, T23]). Ein Feststellungsinteresse wäre unter diesen Voraussetzungen zu bejahen (RS0039018 [T25, T27]).

[14] Nur in Fällen, in denen der Eintritt künftiger Schäden „mit Sicherheit ausgeschlossen“ oder mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen“ oder im Fall einer Erkrankung als Folge des schädigenden Ereignisses „mit der in der Medizin möglichen Sicherheit ausschließbar“ ist, fehlt ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung einer (potentiellen) Haftung für zukünftige Schäden (RS0039018 [T27, T28], RS0038976 [T22]).

[15] 2.2. Das Erstgericht stellte im vorliegenden Fall fest, dass mit Spät‑ und Dauerfolgen „aus medizinischer Sicht […] nicht zu rechnen sei“. Da Spät- und Dauerfolgen damit nicht auszuschließen sind, kann auch die Hilfsbegründung im Teilurteil die Abweisung des Feststellungsbegehrens nicht tragen.

[16] 3. Auch Spät- und Dauerfolgen sind im fortgesetzten Verfahren zum Feststellungsbegehren zu prüfen.

[17] 3.1. Grundsätzlich ist jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Integrität eines Patienten rechtswidrig, soweit nicht eine wirksame Einwilligung des Patienten vorliegt (RS0026511 [T4], vgl auch RS0026473).

[18] Hat die ganz ohne Einwilligung oder zumindest ohne ausreichende Aufklärung des Patienten vorgenommene eigenmächtige Behandlung des Patienten nachteilige Folgen, haftet deshalb der Arzt, wenn der Patient sonst in die Behandlung nicht eingewilligt hätte, für diese Folgen selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783). Die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte, trifft den Arzt beziehungsweise den für das Fehlverhalten ihrer Ärzte haftenden Krankenanstaltsträger (vgl RS0038485; RS0108185).

[19] 3.2. Im vorliegenden Fall wurde die Klägerin (nach den bisherigen Verfahrensergebnissen) in zwei Punkten nicht ausreichend aufgeklärt: einerseits über die Möglichkeit, die Brustvergrößerung und die Verkleinerung der Warzenhöfe in zwei getrennten Eingriffen vornehmen zu lassen (zweizeitige Operation); und andererseits über die verschiedenen Arten von Schnittführungen für die Verkleinerung der Warzenhöfe.

[20] Das Erstgericht stellte fest, dass die Klägerin einem gleichzeitigen Eingriff auch bei ausreichender Aufklärung zugestimmt hätte. Die Beweisrüge der Klägerin dagegen blieb im Berufungsverfahren erfolglos, sodass auch der Oberste Gerichtshof an diese Feststellung gebunden ist (RS0002399 [T2]).

[21] Hingegen ließ das Berufungsgericht die Beweisrüge zur hypothetischen Entscheidung der Klägerin bei ausreichender Aufklärung über die Schnittführungsvarianten unerledigt, weil es schon die Feststellungen zur Aufklärung über die Schnittführungen für ergänzungsbedürftig hielt und die Rechtssache zur Ergänzung ans Erstgericht zurückverwies.

[22] Damit steht bisher gerade nicht fest, ob die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung in allen Punkten dem gesamten Eingriff in der durchgeführten Form zugestimmt hätte. Das fortgesetzte Verfahren könnte nämlich ergeben, dass die Klägerin eine andere Schnittführung bevorzugt hätte.

[23] 3.3. Richtig zeigt die Klägerin in ihrer Revision auf, dass die Beklagte in diesem Fall einer unwirksamen Einwilligung für den Eingriff in seiner Gesamtheit für alle nachteiligen Folgen der Operation haftet – mögen diese konkret auf die Schnittführung, die Brustimplantate oder andere Ursachen zurückzuführen sein.

[24] Grundlage für eine Haftung des Arztes oder des Krankenhausträgers wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist nämlich in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff eingegriffen wird. Der Patient muss in die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen, Voraussetzung für eine sachgerechte Entscheidung des Patienten ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt. Fehlt es daran, so ist die gesamte Behandlung grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn der Eingriff selbst medizinisch indiziert und lege artis durchgeführt worden ist (RS0118355).

[25] Im Fall einer – mangels ausreichender Aufklärung – eigenmächtigen Behandlung haftet der Arzt also nicht nur für die Risiken, über die er aufzuklären gehabt hätte und für die er eine Aufklärung unterließ, sondern etwa auch für die Verwirklichung besonders seltener Risiken, für die gar keine Aufklärungspflicht bestand (RS0026511 [T5]).

[26] In diesem Sinn ist es deshalb entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht zulässig, die an der Klägerin vorgenommene Brustoperation in zwei Komponenten aufzuspalten, mögen mit der Operation auch zwei verschiedene Ziele verfolgt worden sein, die auch in zwei getrennten Eingriffen hätten erreicht werden können. Eine sogenannte zweizeitige Operation hat im vorliegenden Fall nämlich gerade nicht stattgefunden.

[27] 4. Aus der Verletzung der Wartefrist nach § 6 Abs 1 ÄsthOpG kann die Klägerin keine Ansprüche ableiten.

[28] 4.1. Eine ästhetische Operation darf gemäß § 6 Abs 1 ÄsthOpG nur durchgeführt werden, wenn die Patientin nach umfassender ärztlicher Aufklärung ihre Einwilligung nachweislich dazu erteilt hat, wobei eine Frist von zumindest zwei Wochen zwischen der abgeschlossenen ärztlichen Aufklärung und der Einwilligung einzuhalten ist.

[29] Anders als bei Dokumentationspflichten oder dem Schriftlichkeitsgebot handelt es sich bei der Zweiwochenfrist des § 6 Abs 1 ÄsthOpG nicht um eine bloße Form‑ oder Ordnungsvorschrift. Aufklärungs‑ und/oder Einwilligungsdefizite führen im Kontext des ÄsthOpG zivilrechtlich dazu, dass die ästhetische Behandlung oder Operation als rechtswidriger Eingriff in die körperliche Integrität beurteilt werden muss, wenn der Eingriff vor Ablauf der Frist erfolgt (RS0132247 = 6 Ob 120/18t; vgl auch 5 Ob 229/20t Rz 13).

[30] 4.2. Jedoch steht dem behandelnden Arzt der im Schadenersatzrecht nur in Ausnahmefällen ausgeschlossene Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens auch bei Verletzung der Wartefrist offen (5 Ob 229/20t Rz 15).

[31] Der Klägerin ist zwar zuzustimmen, dass es einem Patienten unangenehm sein mag, eine verfrüht eingeholte Zustimmung zurückzunehmen. Hätte der Patient – wie hier festgestellt – die Zustimmung aber auch bei ordnungsgemäßer Einhaltung der Wartefrist zwei Wochen nach der Aufklärung ohnehin erteilt, war ein Eindruck, „sich von einem bereits in Gang gesetzten Geschehensverlauf nicht mehr lösen zu können“ gerade nicht ursächlich für die Durchführung der Operation. Dieses Argument bietet daher keinen Anlass, von der Entscheidung des fünften Senats zum rechtmäßigen Alternativverhalten abzugehen, die auch im Schrifttum nicht kritisiert wird (Maleczky in Neumayr/Resch/Wallner, GmundKomm2 [2022] § 6 ÄsthOpG Rz 7; Niernberger, Zum Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens bei ästhetischen Behandlungen und Operationen ohne medizinische Indikation, JMG 2021, 184; Memmer in Aigner/Kletečka/Kletečka-Pulker/Memmer,Handbuch Medizinrecht [Stand 1. 5. 2022, rdb.at] Kap. I.3 Pkt 3.8.1.2).

[32] 4.3. Die Beklagte hat den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens erkennbar erhoben.

[33] Die Beklagte brachte vor: „Selbst wenn die Klägerin nicht bzw mangelhaft aufgeklärt worden wäre, was ausdrücklich bestritten bleibt, hätte sie aufgrund ihres absoluten Wunsches auf Veränderung und Verbesserung ihres ästhetischen Erscheinungsbildes und aufgrund ihres Leidensdruckes dem Eingriff / den Eingriffen zugestimmt und in diese rechtswirksam eingewilligt (hypothetischer Wille).“

[34] Auch wenn dem Vorbringen hier offenbar ein Satzteil fehlt (etwa: „… auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung jedenfalls zugestimmt“), ist doch klar erkennbar, dass die Beklagte den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens erhebt. Die Feststellungen zu ihrem hypothetischen Willen sind damit keine überschießenden Feststellungen.

[35] 4.4. Ein Fehler der Vorinstanzen bei derBeweislastverteilung wird in der Revision nicht nachvollziehbar dargelegt.

[36] Richtig ist, dass bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht die Beweislast für die Zustimmung des Patienten auch bei ausreichender Aufklärung beim Arzt liegt (RS0038485). Die Vorinstanzen haben diese Rechtsprechung aber richtig zitiert. Da sie zum hypothetischen Verhalten jedoch eine positive Feststellung treffen konnten, liegt ohnedies kein Fall vor, der durch die Beweislastverteilung zu lösen wäre.

[37] 5. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren erneut über das Feststellungsbegehren zu entscheiden haben, nachdem es die vom Berufungsgericht aufgetragenen Ergänzungen zur Aufklärung und dem hypothetischen Willen der Klägerin bei umfassender Aufklärung vorgenommen hat.

[38] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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