OGH 7Ob214/21b

OGH7Ob214/21b28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch die Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien – Wiener Wohnen, *, vertreten durch Dr. Georg Angermaier, Rechtsanwalt in Wien, Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei „*“ * registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *, vertreten durch Dr. Wolfgang Riha, Rechtsanwalt in Wien, wegen 136.591,56 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Oktober 2021, GZ 15 R 73/21x‑36,mit dem das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wienvom 29. März 2021, GZ 18 Cg 18/19b‑30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00214.21B.0928.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung als Endurteil insgesamt wie folgt lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 136.591,56 EUR samt 8,58 % Zinsen aus 84.195,68 EUR vom 3. 11. 2018 bis 16. 9. 2020 und aus 136.591,56 EUR seit 17. 9. 2020 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 31.463,32 EUR (darin 3.509,29 EUR USt, 10.398 EUR Gerichtsgebühren und 9,60 EUR Fahrtkosten) und der Nebenintervenientin die mit 19.182,70 EUR (darin 2.481,45 EUR USt und 4.294 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte beauftragte die Klägerin, mit der sie seit Jahren eine regelmäßige Geschäftsbeziehung unterhält und deren Hauptauftraggeber (mit im Durchschnitt zwei großen mehrjährigen Bauvorhaben parallel) sie ist, mit der Ausführung von Dachdecker-, Spengler- und Zimmererarbeiten bei einem Bauvorhaben auf einer ihrer Liegenschaften. Die Klägerin selbst ist im Bereich Holzbau/Zimmerei tätig und beauftragte für die weiteren, im Rahmen der Teilausschreibung durch die Beklagte in einem Angebot zusammengefassten Gewerke Subunternehmer. Diesen Subunternehmern überbindet sie regelmäßig den aus dem Leistungsverzeichnis der Ausschreibung ersichtlichen Index für veränderliche Preise; die Klägerin ist insofern als Teilgeneralunternehmer tätig.

[2] Die Ausschreibungen erfolgten nach dem Bundesvergabegesetz, es gab vor Auftragsvergabe keine direkten Verhandlungen zwischen den Parteien. Die Ausschreibungsunterlagen für das Bauvorhaben waren auftrags der Beklagten von der Nebenintervenientin bzw einer von dieser beauftragten Subunternehmerin erstellt worden. Die Ausschreibungsunterlagen bestehen unter anderem aus dem Angebot, für das stets das Formular „SR 75“, die „Sonderdrucksorte 75 der Magistratsdirektion Geschäftsbereich Bau und Technik“ samt weiteren Formularen als Beilagen verwendet wird.

[3] Das von der Klägerin am 24. 3. 2014 auf dem Angebotsformular „SR 75“ erstattete und von der Beklagten nach Prüfung durch die Nebenintervenientin angenommene Angebot lautet auszugsweise:

„…

3. Es gelten die 'Allgemeinen Vertragsbestimmungen der Stadt Wien für Bauleistungen' (WD314) und weiters:

Die Bestimmungen des Formblattes 'Angebot'

Das Leistungsverzeichnis

Bei Vorliegen von Langtextverzeichnis und Kurzleistungsverzeichnis gilt das Langtextverzeichnis vorrangig…

10. Folgende Grundlagen für die Umrechnung veränderlicher Preise werden festgelegt:

...

Die Errechnung der Veränderungsprozentsätze je Preisanteil hat getrennt nach einzelnen Leistungsteilen der Gesamtleistung zu erfolgen (Beilage 13.05.1.).

13. Dem Angebot sind anzuschließen:

13.01. Leistungsverzeichnis

13.04. Kalkulationsangaben

13.05. Angaben zur Umrechnung veränderlicher Preise

13.05.1. Getrennt nach einzelnen Leistungsteilen der Gesamtleistung

…“

[4] In der Beilage 13.05.1 („Angaben zur Umrechnung veränderlicher Preise für die Umrechnung getrennt nach einzelnen Leistungsteilen der Gesamtleistung“), die dem Angebot der Klägerin angeschlossen war, wurden folgende Leistungsteile aufgelistet: Leistungsteil 01 – Dachdecker, Leistungsteil 02 – Spengler, Leistungsteil 03 – Zimmerer; weiters lautet es in dieser Beilage:

Der Schwellenwert wird je Leistungsteil gemäß Abschnitt 5.2.2.2 der ÖNORM B 21 1 1 (Ausgabe 1. 5. 2007) berechnet. Die Errechnung des Veränderungsprozentsatzes je Preisanteil hat getrennt nach folgenden Leistungsteilen der Gesamtleistung zu erfolgen:

Leistungsteil 01 – Dachdecker

Für den Preisanteil 'Lohn':

Baukostenveränderungen für Hochbau und Siedlungswasserbau 2010, BMWFW

Als Arbeitskategorie/Kategorie wird festgelegt: Dachdecker, Lohn (WIEN)

Für den Preisanteil 'Sonstiges':

Baukostenveränderungen für Hochbau und Siedlungswasserbau 2010, BMWFW

Als Arbeitskategorie/Kategorie wird festgelegt: Dachdecker , Sonstiges

Leistungsteil 02 – Spengler

Für den Preisanteil 'Lohn':

Baukostenveränderungen für Hochbau und Siedlungswasserbau 2010, BMWFW

Als Arbeitskategorie/Kategorie wird festgelegt: Spengler, Lohn (WIEN)

Für den Preisanteil 'Sonstiges':

Baukostenveränderungen für Hochbau und Siedlungswasserbau 2010, BMWFW

Als Arbeitskategorie/Kategorie wird festgelegt: Spengler , Sonstiges

Leistungsteil 03 – Zimmerer

Für den Preisanteil ‚Lohn‘:

Baukostenveränderungen für Hochbau und Siedlungswasserbau 2010, BMWFW

Als Arbeitskategorie/Kategorie wird festgelegt: Holzbau (Zimmerer) Gewerbe, Lohn (WIEN)

Für den Preisanteil 'Sonstiges':

Baukostenveränderungen für Hochbau und Siedlungswasserbau 2010, BMWFW

Als Arbeitskategorie/Kategorie wird festgelegt: Holzbau (Zimmerer) Gewerbe, Sonstiges“

[5] Im Ausschreibungs-Leistungsverzeichnis ist dagegen am Rande jeder einzelnen Position unter der Rubrik „Preisangaben in EUR“ die Kürzel „LT:01“ angeführt. Tatsächlich umfasst diese Ausschreibung sechs Gewerke, nämlich neben dem Dachdecker, Spengler und Zimmerer noch Schwarzdecker, Baumeister und konstruktiver Stahlbau. Den drei zuletzt genannten Gewerken entsprechende Leistungsteile sind in Beilage 13.05.1 nicht genannt. Das Leistungsverzeichnis enthält zudem Leistungen, die keinem konkreten Gewerk zugeordnet werden können, wie zB Baustellengemeinkosten oder Abbruch.

[6] Die Allgemeinen Vertragsbestimmungen der Stadt Wien für Bauleistungen („WD314“) lauten auszugsweise:

1. Vertrag

1.1. Vertragsbestandteile

1.1.3. Reihenfolge der Vertragsbestandteile

Ergeben sich aus dem Vertrag Widersprüche, gelten die Vertragsbestandteile in nachfolgender Reihenfolge:

1) Die schriftliche Vereinbarung (z.B. Angebotsannahme, Auftragsschreiben, Bestellschein, Auftragsbestätigung, Schluss- und Gegenschlussbrief), durch die der Vertrag zustande gekommen ist;

2) Vereinbarungen, die in Protokollen von etwaig durchgeführten Verhandlungen festgehalten sind;

3) die Bestimmungen des Formblattes 'Angebot' (MD BD-SR 75) oder des in den Ausschreibungsunterlagen der vergebenden Stelle vorgegebenen vergleichbaren Angebotshauptteiles;

4) die Beschreibung der Leistung oder das mit Preisen versehene Leistungsverzeichnis;

8) diese Allgemeinen Vertragsbestimmungen der Stadt Wien für Bauleistungen;

9) Normen technischen Inhaltes;

10) die ÖNORMEN …

1. 2. Vertragspartner

1.2.1 Vertretung

… Die Abgabe von die Stadt Wien bindenden Erklärungen kommt lediglich dem jeweiligen Dienststellenleiter bzw dem von ihm bevollmächtigten Vertreter zu.

4.3.2 Abschlagszahlungen, Abschlagsrechnungen, Zahlungsplan

4.3.2.1 Der AN [= Die Klägerin] ist berechtigt, während der Ausführung entsprechend den erbrachten Leistungen, wozu auch auftragsspezifische Vorfertigungen (z.B. Werkstättenleistungen) des AN zählen, mittels Abschlagsrechnungen oder nach einem vereinbarten Zahlungsplan Abschlagszahlungen (Entgelt zuzüglich Umsatzsteuer) zu verlangen.

4.3.2.2 Abschlagsrechnungen sind fortlaufend zu nummerieren.

4.3.2.3 Jede Abschlagsrechnung hat den allgemeinen Anforderungen gemäß 4.3.1 zu entsprechen und folgende Angaben zu enthalten:

1) die gesamten seit Beginn der Ausführung erbrachten Leistungen im zumindest annähernd ermittelten Ausmaß,

3) die vereinbarten Preise der Leistungen,

4) allfällige Preisumrechnungen, aufgegliedert nach den einzelnen Preisanteilen und den jeweiligen Preisperioden,

4.3.2.4 Entscheidungen über die Ansätze und Mengen der Schlussrechnung werden durch die Abschlagszahlungen nicht vorweggenommen.

4.3.4 Schlussrechnung

Die Gesamtleistung ist in der Schlussrechnung, die als solche zu bezeichnen ist, abzurechnen.

Etwaige Abschlagsrechnungen und -zahlungen sowie Haftungsrücklass, Vertragsstrafe, Prämie u. dgl. sind anzuführen.

4.3.5 Teilschlussrechnung

Über vereinbarte Teilleistungen können Teilschlussrechnungen gelegt werden. Sie sind wie Schlussrechnungen zu behandeln.

…“

[7] Die Klägerin legte entsprechend dem Arbeitsfortschritt Teilrechnungen, wobei sämtliche Positionen nach dem Dachdeckerindex, der dem im Leistungsverzeichnis genannten „LT:01“ laut Beilage 13.05.1 des Angebots entsprach, indexiert wurden. Bis zur 30. Teilrechnung vom 29. 6. 2018 wurde dies von der Nebenintervenientin, die die Rechnungen jeweils prüfte (bzw durch Subunternehmer prüfen ließ), nicht beanstandet und die Rechnungen wurden auch von der Beklagten (mit hier nicht relevanten Kürzungen) bezahlt.

[8] Etwa Mitte des Jahres 2018 fiel dem bei der Beklagten seit 2013 als Techniker und seit 2015 als Projektleiter des Bauvorhabens beschäftigten Mitarbeiter Ing. G* auf, dass zwischen der Beilage 13.05.1, in der drei Leistungsteile genannt sind, und dem Leistungsverzeichnis, in dem stets nur ein Leistungsteil genannt ist, eine Diskrepanz besteht. Der im Leistungsverzeichnis angesprochene Dachdeckerindex „LT:01“ war seit Auftragserteilung stärker gestiegen als die beiden anderen in der Beilage 13.05.1 genannten Indizes. Daraufhin wies Ing. G* die Nebenintervenientin an, die bereits gelegten Teilrechnungen nach den in der Beilage 13.05.1 genannten Indizes neu zu berechnen. Dies wurde sodann rückwirkend ab der 1. Teilrechnung durchgeführt. Sofern Leistungen keiner der drei dort genannten Indizes zugeschrieben werden konnten, wurde subsidiär wieder der „LT:01“ laut Leistungsverzeichnis herangezogen.

[9] Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung war von der Klägerin mittlerweile die 52. Teilrechnung gelegt, von Beklagtenseite geprüft und (auf Basis der neuen Indexberechnung) gezahlt worden. Die Differenz zwischen den von der Klägerin aufgrund der Indexierung nach dem Dachdeckerindex „LT:01“ gelegten Rechnungsbeträgen und den von der Beklagten aufgrund aller drei in Beilage 13.05.1 genannten Indizes korrigierten niedrigeren Rechnungsbeträge beträgt 136.591,56 EUR.

[10] Die Klägerin begehrt 136.591,56 EUR. Gemäß den dem Auftrag zugrundeliegenden Ausschreibungsunterlagen seien veränderliche Preise vereinbart worden. Die Preisumrechnung sei in den Leistungsverzeichnissen konkret nach dem Leistungsteil 01 –Dachdecker „LT:01“ ausgeschrieben und vereinbart worden; in den Ausschreibungsunterlagen sei die Preisumrechnung nach „LT:01“ angegeben gewesen. Die Klägerin habe dementsprechend ihr Angebot gelegt und die Berechnung der veränderlichen Preise korrekt vorgenommen; die Beklagte habe die so erstellten Rechnungen vorerst unbeanstandet bezahlt. Es liege kein Widerspruch in den Vertragsunterlagen vor. Erstmals bei der 31. Teilrechnung habe die Beklagte die Preisumrechnung bemängelt und – unberechtigt – Abzüge in Höhe des Klagsbetrags vorgenommen. Ein Widerspruch in den Vertragsunterlagen liege nicht vor. Die Beklagte habe bereits bei bisherigen Ausschreibungen, die mehr als ein Gewerk beinhalteten, zwar im Formblatt alle drei möglichen Indizes definiert, dann aber teils die Preisumrechnung nach nur einem dieser Gewerke (und Verweis auf einen der definierten Indizes), teils getrennt nach Gewerken (unter Verweis auf mehrere Indizes) zugrundegelegt. Die Klägerin habe zu Recht davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte hier die einheitliche Preisumrechnung nach „LT:01“ in den Ausschreibungsunterlagen bewusst gewählt habe. Der Klägerin seien betreffend die Preisumrechnung/Wertsicherung beide Vorgehensweisen der Beklagten aus Aufträgen der vergangenen Jahre als auch bei aktuellen Aufträgen bekannt gewesen. Die Beklagte habe wiederholt aus Gründen der abrechnungstechnischen Vereinfachung eine derartige einheitliche Indexierung verschiedener Leistungsteile auf Basis des „LT:01“ ausgeschrieben und beauftragt und die entsprechend auf dieser Basis gelegten Rechnungen auch unbeanstandet bezahlt. Die Ausschreibungsunterlagen der Beklagten seien nach dem eindeutigen Urkundeninhalt auszulegen, weil es im Hinblick auf das Vergabeverfahren keine darüber hinausgehenden Verhandlungen gegeben habe. Im Angebot werde lediglich festgelegt, welche Indizes gemeint seien; maßgeblich sei der im Leistungsverzeichnis einheitlich mit „LT:01“ festgelegte Preisanpassungsindex, aus dem sich die Zuordnung des anzuwendenden Index ergebe, zudem darin auch Leistungen enthalten seien, die keinem der drei in der Beilage zum Angebot erwähnten Indizes zuzuordnen seien.

[11] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass die Klägerin exakt jene Preise erhalten habe, welche vertraglich eindeutig vereinbart gewesen seien. Es habe sich um einen Bauauftrag im offenen Verfahren im Oberschwellenbereich gehandelt. Die Errechnung des Veränderungsprozentsatzes je Preisanteilen der dem Vertrag zugrunde gelegten veränderlichen Preise habe getrennt nach einzelnen Leistungsteilen der Gesamtleistung zu erfolgen gehabt. Diese Leistungsteile seien in Beilage 13.05.1 festgelegt worden. Die Beklagte habe genau diese Preisberechnung der Rechnungsprüfung und Korrektur zugrundegelegt. Die vertraglich vereinbarte inhaltliche Differenzierung zwischen Dachdeckerarbeiten, Spenglerarbeiten sowie Zimmererarbeiten müsse einem fachkundigen Unternehmer bekannt sein, und entspreche den Leistungsteilen im Leistungsverzeichnis. Sofern der Klägerin ein allfälliger Widerspruch zum Leistungsverzeichnis nicht aufgefallen sein sollte, habe sie offensichtlich die im Leistungsverzeichnis genannte Indexierung nicht beachtet. Die Angaben im Angebot würden dem Leistungsverzeichnis vorgehen; für im Angebot nicht genannte Gewerke sei subsidiär auf die Zuordnung im Leistungsverzeichnis zurückzugreifen. Entscheidungen über die Ansätze und Mengen in späteren Rechnungen würden durch Abschlagszahlungen nicht vorweggenommen. Ein die vertraglichen Regelungen abänderndes Einverständnis von Mitarbeitern der Beklagten liege nicht vor; die Abgabe von die Beklagte bindenden Erklärungen komme nur dem Dienststellenleiter – konkret dem Direktor von Wiener Wohnen – zu.

[12] Die Beklagte wandte gegen das Klagebegehren 1.351.634,23 EUR compensando ein, zog diese Einwendung mit ihrer Revision jedoch wieder zurück.

[13] Die Nebenintervenientin brachte vor, im Angebot seien ausdrücklich verschiedene Preisanpassungen für die Leistungsteile Dachdecker, Spengler und Zimmerer vereinbart worden. Aus dem Leistungsverzeichnis sei klar ersichtlich, welche Arbeiten diesen drei Leistungsteilen zugeordnet seien. Dass der Nebenintervenientin ein Redaktionsversehen unterlaufen sei, nämlich ein offensichtlicher Schreibfehler insofern, als im Leistungsverzeichnis unter allen Leistungspositionen entgegen den Überschriften „LT:01“ angemerkt worden sei, könne nicht zu Lasten der Beklagten gehen. Eine solche Auslegung ergebe zudem keinen Sinn, weil die Leistungsteile Spengler und Zimmerer nunmehr unter den Leistungsteil Dachdecker fielen.

[14] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren – im Hinblick auf im Entscheidungszeitpunkt noch aufrechte Gegenforderung mit Teilurteil – zur Gänze statt und behielt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vor.

[15] Es bestehe eine mehrjährige, „beiderseitigem Vertragsverständnis“ entsprechende Übung zwischen den Parteien, aber auch gegenüber anderen Auftragnehmern der Beklagten, wonach trotz der Anführung mehrerer Leistungsteile im Leistungsverzeichnis allen Positionen „nur ein Leistungsteil/Index zugeordnet“ gewesen sei. Die so gestaltete langjährige Abwicklung lasse Rückschlüsse auf den seinerzeitigen Geschäftswillen zu; zudem bestehe eine „Abwicklungspraxis“ unabhängig von dem, was im Angebotsformular und in der Beilage 13.05.1 angegeben gewesen sei. Zudem habe nach § 915 ABGB derjenige, der sich unklarer Äußerungen bediene, dies gegen sich gelten zu lassen.

[16] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

[17] Zur Lösung des Widerspruchs zwischen Angebot und Beilage 13.05.1 einerseits und dem Leistungsverzeichnis andererseits sähen die mitvereinbarten AGB „bei reiner Wortinterpretation“ den Vorrang Ersterer vor. Hier sei jedoch die Parteiabsicht zu berücksichtigen, zumal die Klägerin „schon aufgrund der vorangegangenen Vertragsabwicklungen … bei vergleichbaren Ausschreibungen“ davon ausgehen habe dürfen, dass die Beklagte auch den vorliegenden Werkvertrag nicht anders interpretiere. Die Erklärungen der Beklagten gälten im Sinne der Vertrauenstheorie so, wie sie ein redlicher Empfänger habe verstehen dürfen. Es liege zwar keine „langjährige“, aber aufgrund der zahlreichen Fälle doch eine „gefestigte“ Abwicklungspraxis vor, der auch die Abwicklung des vorliegenden Projekts bis zur 30. Teilrechnung gefolgt sei, sodass auch hier ein Rückschluss auf den seinerzeitigen Geschäftswillen zulässig sei. Dass der Vertrag das Ergebnis eines Ausschreibungsverfahrens sei, ändere daran nichts, weil die allfällige Verletzung von Bestimmungen des BVergG lediglich zu einem Rechtsschutzverfahren vor dem BVwG bzw zu Schadenersatzansprüchen benachteiligter Bieter führen könne, ohne dass der zwischen den Parteien zustandegekommene Leistungsvertrag davon berührt wäre. § 867 ABGB stehe diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Auch eine Gemeinde als juristische Person des öffentlichen Rechts könne ihren Willen iSd § 863 ABGB durch schlüssiges Verhalten erklären. Dass der Prüfauftrag an die Rechnungen der Klägerin Prüfende ohne Befassung der statutenmäßig vorgesehenen Organe der Beklagten erteilt worden wäre, sei weder behauptet worden noch aus den Feststellungen abzuleiten; die Beklagte müsse sich deren Handlungen gemäß § 1313a ABGB zurechnen lassen.

[18] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[19] Mit ihrerRevision begehrt die Beklagte, die Entscheidungen dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[20] Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[21] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.

[22] Die Beklagte führt darin zusammengefasst ins Treffen, das Berufungsgericht entferne sich von der stRsp, wonach Bedingungen von öffentlichen Ausschreibungen objektiv so auszulegen seien, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschlössen. Eine Ausschreibung richte sich an einen unbestimmten Kreis geeigneter Bieter, die von Mentalvorbehalten der Parteien früherer Ausschreibungen keine Kenntnis haben könnten. Die Beklagte sei nach den Vertragsbedingungen berechtigt und auch verpflichtet, Korrekturen sogar noch in der Schlussrechnung für alle vorangehenden Abschlags- oder Teilrechnungen vorzunehmen. Dass eine Verletzung von Bestimmungen des BVergG den Leistungsvertrag nicht berühre, sei grundlegend unrichtig; vielmehr seien die Parteien an den sich durch Annahme des Angebots aus dem Vergabeverfahren geschlossenen Leistungsvertrag gebunden; dieser ändere seinen Inhalt nicht plötzlich mit dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Zudem seien aus einem der Nebenintervenientin erteilten Auftrag zur Kollaudierung und Rechnungsprüfung keine schlüssige Vertragsänderung oder schlüssige Genehmigung der Auszahlung vertraglich nicht vereinbarter Vergütungsbeträge abzuleiten. Die Rechnungsprüfung sei eine bloße Wissens- und keine Willenserklärung. Die gegenteilige Rechtsansicht des Berufungsgerichts könne sich auf kein Beweisergebnis über den Inhalt des Prüfauftrages stützen; es liege Aktenwidrigkeit vor. Die Rechtsansicht sei zudem überraschend und wäre mit der Beklagten zu erörtern gewesen, die dann vorgebracht und Beweis hierfür angeboten hätte, dass sie der Nebenintervenientin keine Vertretungs- oder Willensbildungsmacht eingeräumt habe. In Ansehung einer „gefestigten Abwicklungspraxis“ entferne sich das Berufungsgericht entgegen § 498 Abs 1 ZPO von den erstgerichtlichen Feststellungen.

[23] 1.1. Bei öffentlichen Ausschreibungen sind die Erklärungen der Auftraggeberin und jene der Bieter objektiv auszulegen. Demnach kommt es bei der Auslegung von Ausschreibungsbedingungen darauf an, wie diese bei objektiver Beurteilung der Sache vom Bieter zu verstehen waren, wobei erst bei Unklarheiten vor allem dem Geschäftszweck, der redlicherweise der Erklärung zu unterstellen ist, und der Interessenslage Bedeutung zukommt (RS0014205 [T24]). Öffentliche Ausschreibungen sind somit – wie AGB – so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Ihre Klauseln sind – wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren – objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (vgl RS0008901 [T1]; 5 Ob 136/21t mwN).

[24] 1.2. Die Vorinstanzen haben noch zutreffend erkannt, dass die vorliegenden Ausschreibungsbedingungen objektiv dahin zu verstehen sind, dass im Fall von Widersprüchen die Bestimmungen des Angebots und der ihren Bestandteil bildenden Beilage 13.05.1 Vorrang gegenüber dem Leistungsverzeichnis zukommt.

[25] Grundsätzlich ist somit in Ansehung der Indexierung nach der insofern klaren Vertragslage nicht generell nach dem „LT:01“ vorzugehen, sondern aufgrund der Beilage 13.05.1 hat die Errechnung des Veränderungsprozentsatzes je Preisanteil getrennt nach den Leistungsteilen der Gesamtleistung für Dachdecker, Spengler und Zimmerer zu erfolgen.

[26] 1.3. Daraus erhellt aber, dass die Ansicht der Vorinstanzen, bei der Auslegung des Vertrages sei auf eine vorangegangene „Abwicklungspraxis“ abzustellen, nicht geteilt werden kann. Unklarheiten, die eine vom objektiven Wortlaut abweichende Auslegung des nach den Feststellungen allein aufgrund der Ausschreibung, des Anbots der Klägerin und dessen Annahme durch die Beklagte, ohne vorangehende Verhandlungen der Parteien, abgeschlossenen Vertrags nahelegen würden, liegen nicht vor.

[27] Behaupteten Verfahrensmängeln im Zusammenhang mit einer angeblichen „Abwicklungspraxis“ und in diesem Zusammenhang vermeinten Aktenwidrigkeiten fehlt es daher an Relevanz.

[28] 1.4. Unstrittig ist, dass die von der Klägerin eingeklagte Differenz sich ausschließlich daraus errechnet, dass die konkreten Positionen der Gesamtleistung für Spengler und Zimmerer nicht nach den für sie relevanten (hier niedrigeren) Indizes valorisiert wurden, sondern nach dem Dachdeckerindex „LT:01“; die Frage, wie Positionen, die nicht einer dieser drei Leitungsteile zuzuordnen sind, korrekt abzurechnen wären, muss daher hier nicht beantwortet werden.

[29] 2.1. Nach § 1170 Satz 2 ABGB ist der Werkunternehmer befugt, wenn das Werk in gewissen Abteilungen verrichtet wird, einen verhältnismäßigen Teil des Entgelts schon vorher zu fordern. Eine solche Errichtung in Abteilungen kann etwa dann vorliegen, wenn der einzelne Teil als selbständiges Werk angesehen werden kann; darüber entscheiden der Parteiwille und die Übung des redlichen Verkehrs. Bei der Verrechnung einzelner Teilleistungen nach prozentuellem Baufortschritt handelt es sich jedoch nicht um die Verrechnung einzelner voneinander unabhängiger Leistungen, sondern um die Verrechnung aufeinander aufbauender Teilleistungen im Rahmen des gesamten Bauprojekts; derartige Abschlagszahlungen sind nur ein Akonto bzw ein Vorschuss auf das Schlussrechnungsentgelt (vgl 9 Ob 32/16w mwN).

[30] 2.2. Hier steht fest, dass die Klägerin ihre Teilrechnungen „entsprechend dem Arbeitsfortschritt“ legte. Dem entspricht auch der oben wiedergegebene Wortlaut der Allgemeinen Vertragsbestimmungen der Stadt Wien für Bauleistungen („WD314“), die der Entscheidung zur Gänze als unstrittig zugrunde gelegt werden können, zumal sich die Klägerin selbst auf diese von der Beklagten vorgelegte Urkunde berufen hat (ON 9; vgl RS0121155 [T1–T3, T10]). Dass die von der Klägerin gelegten Rechnungen mehr als bloße Abschlagsrechnungen iSd Pkt 4.3.2 WD314 gewesen wären, hat sie gar nicht behauptet; dem Vorbringen der Beklagten, aus den WD314 ergebe sich, dass Überzahlungen bei der Schlussrechnung noch berücksichtigt werden könnten (vgl Pkt 4.3.2.4 WD314, wonach Entscheidungen über die Ansätze und Mengen der Schlussrechnung durch die Abschlagszahlungen nicht vorweggenommen werden), trat die Klägerin nicht substanziiert entgegen (ON 11).

[31] Zudem steht die Klägerin selbst ausdrücklich auf dem Standpunkt, ihre Klage nicht auf eine Abänderung der Vertragsgrundlagen zu stützen, sondern betont wiederholt, unter Berücksichtigung der festgestellten Vertragspraxis und allgemeinen Übung sei die vertragliche Vereinbarung von Anfang an dahin zu verstehen, dass eine generelle Indexierung nach „LT:01“ stattzufinden habe.

[32] 2.3. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage gar nicht, ob die Zahlung der Beklagten bis zur 30. Teilrechnung schlüssig (vgl RS0014110) als Anerkennung der Berechtigung der Indexierung generell nach „LT:01“ angesehen werden könnte. Die Zahlungen der Beklagten waren nach dem Gesagten Akontozahlungen auf Abschlagsrechnungen. Derartige Zahlungen und deren vorgängige Prüfung können vor dem Hintergrund der vertraglichen Regelungen (vgl nochmals Pkt 4.3.2.4 WD314) sowie bei objektiver Beurteilung der Sache (vgl oben Pkt 1.1) konkret nicht vernünftig dahin gedeutet werden, dass damit die Vertragsgrundlage – zumal sie auch ohne individuelle Verhandlungen zustandekam – geändert werden soll.

[33] Damit liegt insgesamt schon kein äußerer Tatbestand vor, auf den vertraut zu haben die Beklagte trotz allfälliger Nichteinhaltung von Organisationsvorschriften einer Körperschaft öffentlichen Rechts zu schützen wäre (vgl RS0014726).

[34] 2.4. Rechtliche Feststellungsmängel zur Willensbildung durch für die Beklagte vertretungsbefugte Personen liegen damit nicht vor.

[35] 3. Zusammengefasst war es der Beklagten daher nicht verwehrt, eine Indexierung nach den im Angebot vorgesehenen Leistungsteilen vorzunehmen und der Klägerin um den Klagsbetrag verminderte Zahlungen zu leisten.

[36] Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen waren in ein Endurteil abzuändern, dass das unberechtigte Klagebegehren abgewiesen wird.

[37] 4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 41 ZPO, für das erstinstanzliche Verfahren iVm § 54 Abs 1a ZPO (da die Klägerin keine Einwendungen gegen die Kostennoten der Gegenseite erstattete) und für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO.

[38] Bei der Beklagten waren in erster Instanz die mit 9,60 EUR verzeichneten Fahrtkosten als Barauslagen zuzusprechen, bei den Kosten der Berufung war ein Additionsfehler (richtig insgesamt 7.721,02 EUR statt 7.791,02 EUR) zu korrigieren und bei den Kosten der Revision war ein offenkundiger Rechenfehler zu berichtigen (Verdienst netto 2.057,10 EUR, richtig daher USt 411,42 EUR und Bruttoverdienst 2.468,52 EUR).

[39] Die Kosten der Berufung der Nebenintervenientin waren zu reduzieren, weil ein ERV-Zuschlag gemäß § 23a erster Satz RATG in Höhe von 4,10 EUR nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze gebührt, unter denen auch alle Rechtsmittelschriftsätze zu verstehen sind, für die nur 2,10 EUR zustehen (RS0126594 [T1]; 4 Ob 177/19m).

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