OGH 9Ob74/22f

OGH9Ob74/22f28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei K* Ö*, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei F* R*, vertreten durch MMag. Dr. Michael Schilchegger, Rechtsanwalt in Linz, wegen 5.238,10 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2022, GZ 63 R 33/22a‑17, womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 9. Dezember 2021, GZ 17 C 1132/21x‑13, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00074.22F.0928.000

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. 9. 2019 wurde der Kläger (dort Antragsgegner) in einem vom Beklagten (dort Antragsteller) eingeleiteten medienrechtlichen Strafverfahren, bestätigt durch das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht vom 27. 2. 2020, wegen Herstellung des objektiven Tatbestands der üblen Nachrede in einem Medium (§ 6 MedienG) zu einer Entschädigungszahlung von 1.500 EUR an den Beklagten verurteilt. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. 4. 2020 wurde der Kläger zudem verpflichtet, dem Beklagten Kosten in Höhe von 3.738,10 EUR zu ersetzen. Der Kläger kam dieser Verpflichtung am 29. 4. 2020 nach.

[2] In einem vom Beklagten gegen den Kläger angestrengten Zivilprozess schlossen die Parteien am 9. 6. 2020 einen Vergleich, in dem sich der Kläger (dort Beklagter) in den Punkten 1. bis 4. zur Unterlassung verschiedener Äußerungen und Handlungen (die auch den Gegenstand des medienrechtlichen Strafverfahrens bildeten) und zum Ersatz eines pauschalen Kosten‑ und Gebührenersatzes an den Beklagten (dort Kläger) verpflichtete. Zudem hielten die Parteien in Punkt 6. fest, dass mit Abschluss dieses Vergleichs sämtliche streitgegenständliche Ansprüche zwischen den Streitparteien bereinigt und verglichen sind.

[3] Am 29. 6. 2020 stellte der Kläger im Strafverfahren einen Erneuerungsantrag. Die Generalprokuratur erhob gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Der Oberste Gerichtshof hob daraufhin das Urteil des Oberlandesgerichts Wien auf. Im neu durchgeführten Strafverfahren wurde das Begehren des Beklagten auf Entschädigungszahlung abgewiesen und der Beklagte zur Tragung der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz verpflichtet.

[4] Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger vom Beklagten die Rückzahlung des von ihm geleisteten Entschädigungsbetrags von 1.500 EUR sowie des Kostenbetrags von 3.738,10 EUR, weil der ursprüngliche Titel nachträglich weggefallen sei.

[5] Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens unter Hinweis auf die generalbereinigende Wirkung des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleichs.

[6] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es teilte den Rechtsstandpunkt des Beklagten. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zur Frage zugelassen, ob die Bereinigungswirkung einer Generalklausel in einem gerichtlichen Vergleich auch eine nach Erneuerungsantrag in einem Strafverfahren geänderte Kostenersatzforderung umfasst. Dem schloss sich der Revisionswerber zwecks Begründung der Zulässigkeit seines Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ZPO an. Die Revision sei aber auch deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wonach Änderungen der Verhältnisse, welche erst nach Vergleichsabschluss eingetreten seien, von der Bereinigungswirkung nicht erfasst seien, abweiche. Demgegenüber bestritt der Revisionsgegner das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Auslegung eines Vergleichs und ebenso die Beurteilung der Reichweite der Bereinigungswirkung hängen von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab und begründen daher nach ständiger Rechtsprechung keine erhebliche Rechtsfrage (RS0113785). Die Auslegung eines Vergleichs im Einzelfall wäre nur revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RS0113785 [T1, T4]; vgl auch RS0042936). Eine solche kann der Kläger nicht darlegen.

[8] Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

[9] 1. Was die Streitteile als Gegenstand der Streitbereinigung angenommen haben, bestimmt sich grundsätzlich nach dem übereinstimmend erklärten Parteiwillen (RS0017954).Da ein solcher hier nicht festgestellt wurde, ist der Inhalt des Vergleichs im Wege der rechtlichen Beurteilung durch Auslegung zu ermitteln (RS0017783).

[10] 2. Entscheidend für das Verständnis der wechselseitigen Erklärungen ist deren objektiver Erklärungswert (RS0014696 [T3]). Grundsätzlich bilden nur die Verhältnisse zur Zeit des Vergleichsabschlusses den Gegenstand des Vergleichs und damit auch seiner Bereinigungswirkungen. Änderungen, die erst nach Vergleichsabschluss eintreten, sind vom Vergleich in der Regel nicht umfasst (RS0032453 [T14, T17]; RS0032429 [T11]). Die Bereinigungswirkung eines Vergleichs erstreckt sich „im Zweifel“ auf alle gegenseitigen Forderungen, an die die Parteien denken konnten (RS0032453 [T18]).

[11] 3. Wenn das Berufungsgericht, insofern dem Erstgericht folgend, unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Vergleichs zum Ergebnis gelangte, dass die im Vergleich vereinbarte Generalklausel den gesamten (Lebens‑)Sachverhalt umfasst, weil die Klausel andernfalls unnötig wäre, da der Streitgegenstand des zivilgerichtlichen Verfahrens vor dem Handelsgericht Wien bereits (umfassend) in den Punkten 1. bis 4. behandelt wird, so ist dies kein unvertretbares Auslegungsergebnis. Wenn es weiters ausführt, dass die Bereinigungswirkung dieser Klausel daher über das Verfahren vor dem Zivilgericht hinausgeht und sich auch auf den Kostenersatzanspruch im Strafverfahren sowie den dort zuerkannten Entschädigungsbetrag, an welche die Parteien jedenfalls denken haben können, erstreckt, so steht auch dies im Einklang mit den dargestellten Grundsätzen zur Vergleichsauslegung und dem Umfang der Bereinigungswirkung einer Generalklausel.

[12] 4. Wenn sich der Revisionswerber nun auf geänderte Verhältnisse beruft, welche nicht vom Vergleich erfasst sein könnten, so ist es zwar zutreffend, dass grundsätzlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses den Gegenstand des Vergleichs bilden und spätere Änderungen daher in der Regel nicht umfasst sind. Dabei handelt es sich in aller Regel um unvorhersehbare, nicht erkennbare (spätere) Ereignisse bzw Ansprüche. Ausgenommen sind jedoch Ansprüche, mit deren späterem Entstehen die Parteien trotz Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt nicht rechnen konnten (RS0032453 [T23]). Davon kann aber hier angesichts des wenige Tage nach dem Vergleichsabschluss eingebrachten Erneuerungsantrags des Klägers keine Rede sein. Das Motiv des Klägers für den Vergleichsabschluss ist für die Auslegung nach dem objektiven Erklärungswert (RS0014205) nicht von Bedeutung.

[13] Die Revision des Klägers ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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