OGH 5Ob102/22v

OGH5Ob102/22v29.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Schmid & Horn, Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Eigentümergemeinschaft der Liegenschaft EZ * KG *, vertreten durch Mag. Stefan Feldbacher, Mag. Georg Barth, Rechtsanwälte in Graz, wegen 7.607,49 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR) über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 17. Jänner 2022, GZ 5 R 105/21d‑33, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00102.22V.0629.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Mit‑ und Wohnungseigentümerin einer Liegenschaft mit einer Tiefgarage, in der sich ihr Kfz‑Abstellplatz befindet. Die Tiefgarage wurde durch ein Starkregenereignis überflutet, wovon die Verwalterin der Beklagten alle Bewohner informierte. Die Verwalterin beauftragte sofort die Feuerwehr mit dem Abpumpen des Wassers und ein Reinigungsunternehmen mit der Reinigung der Tiefgarage. Die Klägerin betrat die Tiefgarage am zweiten Tag nach der Überflutung zeitig in der Früh. Auf dem Boden waren noch großflächig Lacken und schlammiges Erdreich ersichtlich. Dessen ungeachtet versuchte die Klägerin, zu ihrem PKW zu gehen, rutschte aus und verletzte sich.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die gegen die Abweisung des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht, das den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend bewertete, gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[3] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Selbst wenn man mit der Revisionswerberin von einer Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts insoweit ausgehen wollte, als es ihr den Mangel schlüssigen Vorbringens zur schadenskausalen Unterlassung schadensvermeidender Maßnahmen im Vorfeld des Wassereintritts vorhielt, würde dies nichts daran ändern, dass das Berufungsgericht – im Weg einer Hilfsbegründung – die Zurechnung selbst eines kausalen diesbezüglichen Verhaltens ablehnte, weil die Schadensfolge auf einen selbständigen Willensentschluss eines Dritten oder des Geschädigten zurückzuführen sei, die nicht durch den haftungsbegründenden Vorgang herausgefordert worden sei. Dies sei hier der Fall gewesen, weil die Klägerin am frühen Morgen den mit großflächigen Lacken und schlammigem Erdreich bedeckten Boden der Tiefgarage begangen und sich aus freien Stücken einer Sturzgefahr ausgesetzt habe. Diese selbständig tragfähige Hilfsbegründung (vgl RIS‑Justiz RS0118709) bekämpft die Klägerin in ihrer Revision nicht. Dem behaupteten Verfahrensmangel fehlt es daher jedenfalls an der Relevanz.

[4] 2. Dass Rechtsprechung zu einem exakt vergleichbaren Sachverhalt fehlt, begründet entgegen der Auffassung der Revisionswerberin noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0122015 [T4]). Die Kasuistik des Einzelfalls schließt eine beispielgebende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vielmehr in der Regel aus (vgl RS0042405). Rechtsprechung zur Haftung von Verkehrsicherungspflichtigen wegen Stürzen aufgrund auf dem Boden verbliebener Flüssigkeit (2 Ob 213/18i) oder Nässe und Feuchtigkeit im Allgemeinen (9 Ob 71/19k – dort betreffend ein Parkhaus), liegt im Übrigen bereits vor.

[5] 3. Nach ständiger Rechtsprechung hängt der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist vor allem, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (RS0110202; vgl auch RS0111380). Entscheidungen über Verkehrssicherungspflichten sind daher nur dann revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlief, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (RS0110202 [T14]). Von einer erheblichen Fehlbeurteilung abgesehen liegt keine Frage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor, wenn das Berufungsgericht die Rechtsprechung zu Inhalt und Umfang von Verkehrssicherungspflichten, insbesondere zu deren Beschränkung bei Erkennbarkeit der Gefahr beachtet hat (RS0111380 [T1]).

[6] 4. Das Berufungsgericht hat die in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zu Verkehrssicherungspflichten zutreffend wiedergegeben und im Einzelfall deren haftungsbegründende Verletzung verneint, ohne dass dies einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Davon auszugehen, es sei eine Überspannung der Verkehrssicherungspflichten, von der Verwalterin nicht nur zu verlangen, dass sie unmittelbar nach dem Starkregenereignis das Abpumpen durch die Feuerwehr veranlasst und das Reinigungsunternehmen telefonisch beauftragt, sondern bereits am Folgetag die Durchführung dieser Arbeiten kontrolliert, ist nicht zu beanstanden. Dass eine Überschwemmung durch ein vereinzelt vorkommendes Starkregenereignis nicht mit winterlichen Witterungsbedingungen zu vergleichen ist, liegt im Gegensatz zu den Ausführungen der Revision auf der Hand. Während im Winter mit Schnee und Eis regelmäßig zu rechnen ist, sodass eine Eigentümergemeinschaft bzw deren Verwalterin durch entsprechende Organisation eines Räum‑ und Streudienstes von vornherein dafür vorzusorgen hat, ist ein Starkregenereignis, das sogar zu einer Überschwemmung der Tiefgarage führt, ein in dieser massiven Ausprägung vereinzeltes Elementarereignis, mit dem nach der nicht korrekturbedürftigen Auffassung des Berufungsgerichts die Verwalterin nicht jedenfalls zu rechnen hatte. Ihr keinen haftungsbegründenden Vorwurf daraus zu machen, dass sie nicht in der Lage war, dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche Verschmutzungen und feuchten Stellen am Folgetag nach dem Starkregenereignis in der Tiefgarage bereits vollständig entfernt waren, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung und bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

[7] 5. Die behaupteten sekundären Feststellungsmängel betreffend die mangelnde regelmäßige Reinigung liegen nicht vor. Behauptungen dahin, im Fall regelmäßiger ordnungsgemäßer Reinigung wäre nach dem Starkregenereignis kein rutschiger Boden vorhanden gewesen und die Klägerin daher nicht zu Sturz gekommen, hat sie im Verfahren erster Instanz nicht aufgestellt.

[8] 6. Damit war die außerordentliche Revision zurückzuweisen, ohne, dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

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