OGH 5Ob59/22w

OGH5Ob59/22w1.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch die Mähr Rechtsanwalt GmbH, Götzis, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch die Rechtsanwälte Mandl GmbH, Feldkirch, wegen Unterlassung (Streitwert 20.000 EUR) und Entfernung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 13. Jänner 2022, GZ 2 R 186/21a‑37, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 16. September 2021, GZ 9 Cg 74/18v‑31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00059.22W.0601.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.411,20 EUR (darin enthalten 235,20 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin und die Beklagte waren Miteigentümerinnen einer Liegenschaft, auf der Wohnungseigentum begründet ist. Die Klägerin betrieb in den in ihrem Wohnungseigentum stehenden Räumlichkeiten ein Hotel, zu dem eine Garage mit drei Stellplätzen im Erdgeschoß gehört. Nachdem das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben und diesem – ausgehend von seiner Rechtsansicht – eine neuerliche Entscheidung aufgetragen hatte, übertrug sie ihre Miteigentumsanteile mit einer als Sacheinlagevertrag titulierten Vereinbarung vom 22. 6. 2021 an eine Liegenschaftsverwaltungs-KG. In Punkt 4.2 dieses Vertrags heißt es:

„Die Übergabe und Übernahme des Vertragsobjektes erfolgt mit sämtlichen Rechten, ausdrücklich jedoch nicht mit Pflichten. Festzuhalten ist, dass der weitere Miteigentümer der gegenständlichen Liegenschaft eine Benützungsvereinbarung im Bereich der Zufahrt zu den Garagen behauptet. Eine allfällige Benützungsvereinbarung wird ausdrücklich nicht mitübernommen. Die übernehmende KG lehnt zudem den Eintritt in eine allenfalls bestehende Benützungsvereinbarung ausdrücklich ab. Ferner wird einvernehmlich festgehalten, dass die übernehmende Partei ausdrücklich nicht in eine allenfalls bestehende Vereinbarung eintritt.“

[2] Die Beklagte betrieb in den ihr zur ausschließlichen Nutzung zugewiesenen Räumen ein Modegeschäft und übertrug ihre Miteigentumsanteile mit Notariatsakt vom 30. 5. 2018 an ihren Ehemann. Dieser Vertrag wurde erst nach Streitanhängigkeit in diesem Verfahren verbüchert.

[3] Gegenstand des Verfahrens sind Nutzungsrechte an einer Allgemeinfläche der Liegenschaft im Freien, die maximal sechs Meter breit ist und der Klägerin als Zufahrt zu den Garagenplätzen und als Zugang zu Räumen im Erdgeschoß bzw über eine Außentreppe zu einer Terrasse über den Garagen dient. Die Beklagte und ihr Ehemann nutzen diese Freifläche im Bereich der Außentreppe, weil sie dort am breitesten ist, so wie bereits ihre Rechtsvorgänger seit der Begründung von Wohnungseigentum mit „Übereinkommen“ vom 21. 8. 1972 zum Parken.

[4] Die Klägerin begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, geparkte Fahrzeuge von dieser Fläche zu entfernen und es zu unterlassen, diese durch das Parken von Fahrzeugen ausschließlich zu nutzen, in eventu, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, diese Fläche ausschließlich zu nutzen.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Klagebegehrens durch das Erstgericht im zweiten Rechtsgang. Die Klägerin bekämpfe nicht mehr, dass zwischen den Rechtsvorgängern der Streitteile (Anm.: vor dem Inkrafttreten des WEG 2002) eine konkludente Benützungsvereinbarung zustande gekommen sei, die es den Rechtsvorgängern der Beklagten erlaubt habe, Fahrzeuge vor der Außentreppe derart abzustellen, dass die Zufahrt zur Garage frei bleibe, und ziehe auch nicht mehr in Zweifel, dass diese Vereinbarung in den jeweiligen Verträgen den jeweiligen Rechtsnachfolgern überbunden worden sei und auch die Streitteile in diese Benützungsvereinbarung eingetreten seien. Ob der Sacheinlagenvertrag vom 22. 6. 2021 ein Umgehungsgeschäft sei, um die konkludente Benützungsvereinbarung „auszuhebeln“, müsse nicht geprüft werden, weil nach § 234 ZPO die Veräußerung einer streitverfangenen Sache ohne Einfluss auf den Prozess sei. Dass die Klägerin ihre Miteigentumsanteile während des Verfahrens in eine KG eingebracht habe, seinach der zu dieser Bestimmung vertretenen Irrelevanztheorie ohne Bedeutung für die Sachentscheidung. Die Revision erklärte das Berufungsgericht über Antrag der Klägerin nach § 508 ZPO für zulässig. Nach mehreren oberstgerichtlichen Entscheidungen komme es für die Aktiv‑ und Passivlegitimation auf den Zeitpunkt der Streitanhängigkeit an, während für die anderen Entscheidungsgrundlagen der Schluss der Verhandlung in erster Instanz maßgeblich bleibe. Damit sei nicht auszuschließen, dass die von der Klägerin vorgenommene Veräußerung ihrer Miteigentumsanteile doch Einfluss auf die vorliegende Sachentscheidung habe.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig. Das ist kurz zu begründen.

[7] 1.1 Zur Frage der Wirksamkeit einer vor Inkrafttreten des WEG 2002 mit 1. 7. 2002 mündlich oder auch nur konkludent abgeschlossenen Nutzungsvereinbarung und deren Übergang auf Rechtsnachfolger liegt gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung vor. Das mit dem WEG 2002 eingeführte Schriftlichkeitsgebot des § 17 Abs 1 WEG berührt danach zwar den nach dem 30. 6. 2002 im Weg der Einzelrechtsnachfolge neu hinzutretenden Mit‑ und Wohnungseigentümer. Die Vereinbarung bleibt aber wirksam, wenn der Rechtsnachfolger, der seine Anteile nach diesem Zeitpunkt erwarb, mit schriftlichem Vertrag in die Rechtsstellung seines Vorgängers eintrat oder der von seinem Vorgänger (konkludent) übernommenen Verpflichtung schriftlich beitrat. Erst wenn feststeht, dass der Erwerber einen formgerechten Beitritt zu einer solchen Vereinbarung ablehnt, fällt die Wirksamkeit der Vereinbarung für alle Beteiligten weg (5 Ob 205/14d; 5 Ob 246/18i ua; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 56 WEG Rz 55f). Die schriftliche Vereinbarung, einen Miteigentumsanteil mit allen Rechten und Pflichten, mit welchen ihn sein Vorgänger besessen und benützt hat, zu übernehmen, ist in der Regel als Eintritt in die bestehende Benützungsvereinbarung anzusehen (RIS‑Justiz RS0013619).

[8] 1.2 Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Rechtsvorgänger der Streitteile vor dem Inkrafttreten des WEG 2002 (konkludent) eine Vereinbarung über die Benützung der Allgemeinfläche vor der Außenstiege zur Terrasse abgeschlossen haben, in die deren jeweilige Rechtsnachfolger im Miteigentum seit Begründung des Wohnungseigentums an der Liegenschaft durch Übernahme aller Rechte und Pflichten ihrer Vorgänger in den schriftlichen Verträgen eingetreten sind. Soweit die Klägerin in ihrer Rechtsrüge behauptet, sie hätte sich dazu entschieden, der Benützungsvereinbarung nicht beizutreten, sodass die Übertragungskette nicht gewahrt sei, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Danach hat sie mit dem als Notariatsakt errichteten Schenkungsvertrag vom 21. 1. 2011, mit dem sie die Miteigentumsanteile von ihrem Vater übertragen erhielt, alle Rechte und Lasten, wie sie der Geschenkgeber bisher besessen und benutzt hat, übernommen. Insoweit ist ihre Rechtsrüge nicht gesetzesgemäß ausgeführt (RS0043603; vgl auch RS0043312).

[9] 2.1 Nach § 234 ZPO hat die Veräußerung einer streitverfangenen Sache oder Forderung auf den Prozess keinen Einfluss. Diese Bestimmung bildet nach der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Irrelevanztheorie insofern eine Ausnahme gegenüber § 406 ZPO, als für die Frage der Aktiv‑ und Passivlegitimation der Zeitpunkt der Streitanhängigkeit entscheidet. Veräußerung im Sinn des § 234 ZPO wird in Judikatur und Lehre als jede wechselnde Rechtszuständigkeit der vom Klagebegehren betroffenen Sache oder Forderung außerhalb einer Gesamtrechtsnachfolge definiert (RS0039302; Klicka in Fasching/Konecny³ § 234 ZPO Rz 1 und 21). § 234 ZPO gilt für jede Art der Einzelrechtsnachfolge (RS0039231 [T1]). Vorausgesetzt wird, dass nach der Veräußerung für oder gegen den Rechtsnachfolger nach dem materiellen Recht ein identischer Anspruch besteht, weil nur dann eine Rechtsnachfolge vorliegt (RS0039231 [T7]; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 234 Rz 1).

[10] 2.2 Die Bestimmung des § 234 ZPO ist eine Schutzvorschrift zugunsten der Gegenpartei, die verhindern soll, dass sich eine Partei durch Veräußerung des Streitgegenstandes ihrer Sachlegitimation entledigt und damit einen an sich berechtigten Anspruch des Gegners zum Scheitern bringt (RS0039314). Nach der Rechtsprechung zur Irrelevanztheorie sind daher alle Einwendungen hinsichtlich der Veräußerung oder der Person des Erwerbers ausgeschlossen, sodass die Disposition über den Streitgegenstand weiterhin allein dem Veräußerer zusteht (5 Ob 550/86; vgl Klicka aaO § 234 ZPO Rz 25; Rechberger/Klicka aaO § 234 Rz 4 mit Verweis auf die herrschende Rechtsprechung).

[11] 2.3 Entgegen der von der Klägerin offensichtlich vertretenen Auffassung ist der Veräußerer im Prozess nach der Irrelevanztheorie so zu behandeln, als ob er die Sache nicht veräußert hätte. Die Veräußerung bleibt für den Rechtsstreit sowohl hinsichtlich des Prozessrechtsverhältnisses der Parteien als auch für die materiell‑rechtliche Beurteilung des zugrunde liegenden Anspruchs bedeutungslos. Der Veräußerer einer streitverfangenen Sache wird im Prozess weiterhin als allein Sachlegitimierter angesehen (5 Ob 550/86; 8 Ob 1610/90). Es ist so zu entscheiden, als ob der Veräußerungsakt überhaupt nicht erfolgt wäre (zur Zession: RS0039242).

[12] 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht diesen Grundsätzen, sodass mit der Erledigung des Rechtsmittels der Klägerin entgegen dessen Zulassungsausspruch auch keine Rechtsfragen gemäß § 502 Abs 1 ZPO verknüpft sind. Die Entscheidung war so zu treffen, als ob die Übertragung der Miteigentumsanteile an die Immobilien-KG mit Sacheinbringungsvertrag vom 22. 6. 2021 überhaupt nicht erfolgt wäre, sodass nach der Sachlage bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu prüfen war, ob die Klägerin an die von ihr nicht mehr bestrittene Benützungsvereinbarung gebunden war. Ihre Einwendung, dass die Immobilien-KG im Vertrag die Benützungsvereinbarung ausdrücklich nicht übernommen habe und daher nicht daran gebunden sei, betrifft ausschließlich die Person des Erwerbers und ist nach der Irrelevanztheorie für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung (5 Ob 550/86). Damit begründet es auch keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, wenn dieses die Annahme des Erstgerichts, die Vereinbarung vom 22. 6. 2021 sei ein unzulässiges Umgehungsgeschäft, nicht prüfte und die von der Klägerin dazu erhobene Beweisrüge nicht behandelte.

[13] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[14] 5. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Revision nicht zulässig ist. Ihr sind daher gemäß §§ 41, 50 ZPO die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

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