OGH 1Ob79/22g

OGH1Ob79/22g18.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R* K*, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde K*, vertreten durch die HOHENBERG Rechtsanwälte GmbH, Graz, und die Nebenintervenienten 1. DI D* K* und 2. K* GmbH, *, vertreten durch die Neger/Ulm Rechtsanwälte GmbH, Graz, wegen 3.016,99 EUR sA und 26.664,72 EUR sA, über die („außerordentliche“) Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2021, GZ 5 R 78/21m‑37, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. Februar 2021, GZ 34 Cg 62/19h‑32, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00079.22G.0518.000

 

Spruch:

I. Die „außerordentliche“ Revision betreffend Ansprüche aus dem Pool‑Genehmigungsverfahren (von 3.016,99 EUR sA) wird zurückgewiesen.

II. Die Revision betreffend Ansprüche aus dem Garagentrakt‑Genehmigungsverfahren (von 26.664,72 EUR sA) wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.804,50 EUR (darin enthalten 300,75 EUR USt) und den Nebenintervenienten auf Seite der beklagten Partei die mit 1.804,50 EUR (darin enthalten 300,75 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] I. Der Kläger – ein Rechtsanwalt – macht Amtshaftungsansprüche von 3.016,99 EUR sA aus einem baubehördlichen Pool‑Genehmigungsverfahren und von 26.664,72 EUR sA aus einem Genehmigungsverfahren betreffend seinen Garagentrakt geltend. Der Streitwert des von ihm auf Kosten eingeschränkten ursprünglichen Feststellungsbegehrens, das das Bauansuchen für den Garagentrakt betraf, ist auf Null gesunken (§ 54 Abs 2 JN; vgl RIS‑Justiz RS0042793) und beträgt nicht – wie er unter Verweis auf § 12 Abs 4 RATG meint – 1.000 EUR.

[2] Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, bilden sie im Sinn des § 55 Abs 4 JN nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand für das Rechtsmittelgericht, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen. Andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RS0037838 [T38]). Eine Zusammenrechnung hat demnach nur zu erfolgen, wenn die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN stehen (RS0037838 [T35]). Eine Zusammenrechnung im Sinn des § 55 Abs 1 JN ist dann zu verneinen, wenn jeder einzelne Anspruch unabhängig von den anderen besteht, also jeder ein ganz verschiedenes rechtliches Schicksal haben kann (RS0037899), und die Ansprüche weder aus einer gemeinsamen Tatsache noch aus einem gemeinsamen Rechtsgrund abgeleitet werden (RS0037838 [T36]).

[3] Der Kläger leitet seine Ansprüche aus verschiedenen, voneinander unabhängigen behördlichen Anlassverfahren ab. Damit hat keine Zusammenrechnung stattzufinden und die Zulässigkeit der Revision ist für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (RS0042642; vgl RS0042741 [T16]). Die Ansprüche aus dem Pool‑Genehmigungsverfahren und die Schadenersatzforderungen aus dem Garagentrakt-Genehmigungsverfahren können ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben und werden nicht aus einer gemeinsamen Tatsache, sondern jeweils aus unterschiedlichen Verwaltungsverfahren (und damit aus behaupteten unterschiedlichen Schadensursachen) abgeleitet.

[4] Da in Fällen des gesetzlichen Ausschusses der Revision – hier nach § 502 Abs 2 ZPO – eine Revision überhaupt nicht in Betracht kommt, ist die vom Kläger hilfsweise erhobene „außerordentliche“ Revision betreffend seine Ansprüche aus dem Pool‑Genehmigungsverfahren von 3.016,99 EUR – wie schon vom Berufungsgericht sein primär gestellter Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO – zurückzuweisen.

[5] II. Die Revision betreffend die Amtshaftungsansprüche des Klägers über 26.664,72 EUR sA, die er aus dem Baubewilligungsverfahren für den Garagentrakt ableitet, ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden nachträglichen Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – nicht zulässig, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.

[6] 1. Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung ist nach ständiger Rechtsprechung von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb grundsätzlich einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0049955 [T10]; RS0110837). Nach ständiger Rechtsprechung ist im Amtshaftungsprozess nicht wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die in Betracht kommende Entscheidung oder das zu beurteilende Organverhalten richtig war, sondern ob die Entscheidung bzw das Verhalten auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte; nur die Abweichung von einer klaren Gesetzeslage oder einhelligen Rechtsprechung, die nicht erkennen lässt, dass sie auf einer sorgfältigen Überlegung beruht, ist regelmäßig als unvertretbar anzusehen (RS0049955 [T8]).

[7] Wenn die Vorinstanzen unter den gegebenen Umständen die Auffassung vertreten haben, dass das Verhalten der für die beklagte Rechtsträgerin handelnden Organe in diesem Sinn vertretbar gewesen sei, kann dies jedenfalls nicht als aufzugreifende Fehlbeurteilung angesehen werden, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte.

[8] 2. Soweit der Kläger ein Vorgehen nach § 11 Abs 1 AHG vermisst, legt er nicht dar, dass ein Bescheid rechtswidrig wäre. Die Rechtswidrigkeit faktischer Amtshandlungen hat aber das Amtshaftungsgericht grundsätzlich selbst zu beurteilen (RS0050239), was auch für die Gestaltung des Verfahrensablaufs gilt, sofern diese keine Fehlerhaftigkeit eines Bescheids begründen. Die Beklagte erteilte dem Kläger am 16. 4. 2020 die baurechtliche Genehmigung zur Errichtung des Garagentrakts. Dass dieser Bescheid rechtswidrig wäre, behauptet er (naturgemäß) nicht.

[9] Eine allfällige Verzögerung bei der Erlassung dieses Bescheids – der Kläger stellte sein Bauansuchen am 4. 9. 2019 – kann nicht Gegenstand eines Verfahrens nach § 11 Abs 1 AHG sein. Dass die beklagte Gemeinde vor Erlassung des Baubewilligungsbescheids überprüfte, ob das geplante Bauwerk dem Ortsbild gerecht wird (vgl § 43 Abs 4 Steiermärkisches Baugesetz [Stmk BauG], LGBl 1995/59 idF LGBl 2013/83), war jedenfalls vertretbar.

[10] 3. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zu § 43 Stmk BauG ausgesprochen, dass die Auswirkung einer Anlage auf das Ortsbild – sofern sie der Behörde nicht unbedenklich erscheint – jedenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen zu beurteilen ist (Zl 2010/06/0270). Dem Einwand des Klägers, der von der Beklagten beigezogene Ortsbildsachverständige (Erstnebenintervenient) sei kein bautechnischer Sachverständiger gemäß § 28 Stmk BauG, hielt das Berufungsgericht entgegen, dass sich aus § 43 Abs 2 Stmk BauG ergebe, was unter bautechnischen Anforderungen eines Bauwerks zu verstehen sei. Darin werde aber gerade das Straßen‑, Orts‑ und Landschaftsbild nicht genannt. Dieses sei nach der Anordnung des § 43 Abs 4 Stmk BauG vielmehr „zusätzlich“, also neben den bautechnischen Anforderungen zu prüfen. Vor diesem Hintergrund sei es jedenfalls vertretbar gewesen, wenn die beklagte Gemeinde den Erstnebenintervenienten – einen Ortsbildsachverständigen nach § 11 Stmk Ortsbildgesetz 1977, LGBl 1977/54 idF LGBl 1998/73 – beigezogen habe. Dieser Beurteilung setzt der Revisionswerber nur den Verweis auf die Entscheidung zu 1 Ob 85/19k entgegen, aus der sich für seinen Standpunkt aber nichts ableiten lässt; er vermag auch sonst keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzuzeigen.

[11] Warum die Beklagte den Erstnebenintervenienten als nichtamtlichen Sachverständigen nicht entsprechend § 52 Abs 2 AVG heranziehen hätte dürfen, zeigt der Kläger nicht schlüssigauf. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Erstnebenintervenient von der Beklagten aufgrund der von einem Bausachverständigen zuvor geäußerten Bedenken und nicht wegen der grundsätzlichen Ablehnung des Bauvorhabens beigezogen worden sei, und dies nicht unvertretbar gewesen sei, ist nicht zu beanstanden. Warum sich der „Kläger sämtliche Kosten erspart hätte“, wenn die Beklagte von vornherein die Amtssachverständige vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung beigezogen hätte, vermag er nicht nachvollziehbar darzulegen; ebensowenig, warum deren Beiziehung die einzige rechtlich in Betracht kommende Möglichkeit gewesen wäre.

[12] 4.1. Gemäß § 24 Abs 1 Stmk BauG kann die Behörde über ein Ansuchen eine mündliche Bauverhandlung durchführen. Im Rahmen der Bauverhandlung hat ein Ortsaugenschein stattzufinden. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass nach dieser Bestimmung der Behörde ins Ermessen gestellt werde, eine Bauverhandlung durchzuführen oder auch nicht (vgl zum inhaltsähnlichen § 39 Abs 2 AVG: etwa VwGH 2002/06/0060; 2002/06/0030) und sie dazu weder im Allgemeinen verpflichtet sei, noch die Parteien einen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung in Verwaltungsverfahren hätten (vgl – wieder zu § 39 Abs 2 AVGVwGH 2010/12/0215), ist nicht korrekturbedürftig. Im Rahmen dieser Ermessensausübung liegt ein amtshaftungsbegründendes Verschulden aber nur dann vor, wenn entweder der Ermessensspielraum überschritten oder das Ermessen missbraucht, also willkürlich, schikanös, feindselig oder unwahrhaftig vorgegangen wird (RS0049974 [T1]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass ein solches Verhalten der Beklagten, deren zuständiges Organ den vom Kläger beantragten Lokalaugenschein nicht durchgeführt hatte, weder ersichtlich sei noch im Rechtsmittel nachvollziehbar dargestellt werde, hält sich im Rahmen des zitierten Beurteilungsspielraums.

[13] 4.2. Geht es um eine fehlende Urkunde, würde eine vor deren Beibringung abgehaltene mündliche Verhandlung geradezu den Grundsätzen einer zweckmäßigen, raschen, einfachen und kostensparenden Verfahrensführung (§ 24 Abs 2 Stmk BauG) widersprechen (vgl zu § 39 Abs 2 letzter Satz AVG: VwGH Ra 2016/05/0122). Der Kläger hat die Zustimmung der Straßenverwaltung nach § 22 Abs 2a Stmk BauG erst am 18. 11. 2019 der Baubehörde der Beklagten vorgelegt. Aufgrund dieser späten Vorlage war der zunächst angestrebte Termin am 21. 11. 2019 für die Abhaltung der Bauverhandlung nicht mehr einhaltbar. Dass die beantragte Bauverhandlung letztlich völlig unbegründet und willkürlich nicht durchgeführt worden wäre, ist nicht erkennbar. Der Kläger vermag auch nicht schlüssig aufzuzeigen, inwiefern die unterlassene Durchführung der Bauverhandlung zu einem „Verzögerungsschaden“ geführt haben soll und ob überhaupt bzw welche begehrten Kosten dadurch veranlasst worden sein sollen.

[14] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[15] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Sowohl die Beklagte als auch die Nebenintervenienten haben auf die fehlende Zulässigkeit der Revision des Klägers hingewiesen, sodass ihre Revisionsbeantwortungen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienen. Die Bemessungsgrundlage für das Revisionsverfahren beträgt 27.664,72 EUR sA. Den Nebenintervenienten ist daher Kostenersatz nicht auf der verzeichneten Basis von 33.271,81 EUR zuzusprechen; einen Streitgenossenzuschlag haben sie nicht verzeichnet. Entgegen der Auffassung des Klägers besteht keine Möglichkeit, den Nebenintervenienten, den ihnen vom Berufungsgericht zuerkannten Kostenersatz abzuerkennen, da die zweitinstanzliche Unterentscheidung keiner Anfechtung unterliegt (vgl RS0053407 [T7]).

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