OGH 2Ob224/21m

OGH2Ob224/21m26.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A*, vertreten durch MMMMag. Dr. Konstantin Haas, Rechtsanwalt in Leonding, gegen die beklagte Partei P*, vertreten durch Posch, Schausberger & Lutz Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen 25.650,07 EUR sA sowie Herausgabe (Streitwert 1.000 EUR) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. Oktober 2021, GZ 2 R 119/21i-48, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 28. Juni 2021, GZ 5 Cg 60/18b‑44, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00224.21M.0426.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.647,18 EUR (darin enthalten 274,53 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile sind neben zwei weiteren Geschwistern die Kinder des 2015 verstorbenen Erblassers, dessen Nachlass der Beklagten sowie ihrer Schwester zu je einem Viertel und dem Kläger – aufgrund einer entgeltlichen Erbsentschlagung seines Bruders zu seinen Gunsten – zur Hälfte eingeantwortet wurde.

[2] Mit seiner 2018 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Zahlung von 25.650,07 EUR sA bei sonstiger Exekution (in eventu: bei sonstiger Exekution hinsichtlich eines Teilbetrags über 10.441,19 EUR in geschenkte, näher bezeichnete Sparbücher) sowie die Herausgabe einer Münzsammlung (in eventu: Wertersatz in Höhe von 1.000 EUR). Er bringt – soweit für das Revisionsverfahren relevant – vor, die Beklagte habe sich vor dem Tod des Erblassers einen Bargeldbetrag in Höhe von 60.823,53 EUR sowie drei Sparbücher mit einem Einlagenstand von insgesamt 41.776,78 EUR unrechtmäßig angeeignet, sodass ihm davon entsprechend seiner Erbquote 51.300,15 EUR zustünden. Selbst wenn man von Schenkungen des Erblassers ausgehe, seien die Zuwendungen im Wege der Schenkungsanrechnung pflichtteilsrechtlich zu berücksichtigen, sodass ihm jedenfalls der Klagsbetrag zustehe. Der Kläger sei überdies Eigentümer einer Silbermünzsammlung im Wert von zumindest 1.000 EUR, die die Beklagte verwahre und nicht an den Kläger herausgebe.

[3] Die Beklagte bestreitet, sich Vermögenswerte des Erblassers unberechtigt angeeignet zu haben. Ein allfälliger Pflichtteilsanspruch sei verjährt. Auch wenn man von einer schenkungsweisen Zuwendung ausgehe, habe der Kläger aus der Verlassenschaft ohnehin seinen Pflichtteil übersteigende Vermögenswerte erhalten.

[4] Das Erstgericht wies die Haupt‑ sowie die Eventualklagebegehren ab. Die Beklagte habe sich keine Vermögenswerte unrechtmäßig angeeignet. Ein allfälliger Schenkungspflichtteil sei verjährt. Das Herausgabebegehren sowie das in eventu gestellte Zahlungsbegehren seien mangels Feststellbarkeit der Eigentumsverhältnisse nicht berechtigt.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Zwar sei der Pflichtteilsanspruch nicht verjährt, jedoch habe sich der Kläger jene Vermögenswerte anrechnen zu lassen, die er aus der Verlassenschaft aufgrund des gesetzlichen Erbteils erhalten habe. Unter Zugrundelegung des im Verlassenschaftsverfahren festgestellten reinen Nachlasses von 39.449 EUR (richtig: 39.491,15 EUR), Berücksichtigung des Werts der nachlasszugehörigen Liegenschaftsanteile in Höhe von 165.749,99 EUR sowie Hinzurechnung der vom Kläger ins Treffen geführten Schenkungen über 102.631 EUR (richtig: 102.600,31 EUR) errechne sich sein Pflichtteilsanspruch mit 76.957,50 EUR. Er habe jedoch aufgrund seines gesetzlichen Erbrechts ohnehin bereits mehr als den „Pflichtteils- und Schenkungspflichtteilsergänzungsanspruch“ erhalten. Ein Herausgabe- oder Wertersatzanspruch bestehe nicht.

[6] Die Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO), über Antrag des Klägers abgeänderten – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Die Begründung des Berufungsgerichts zur nachträglichen Zulassung der Revision, der Kläger zeige zahlreiche mögliche Rechenfehler auf, stellt mangels Auseinandersetzung mit den vom Kläger vorgetragenen Argumenten eine bloße Scheinbegründung dar (RS0111729). Worin die konkrete Rechtsfrage liegen soll, bleibt offen.

[8] 2. Aber auch der Kläger zeigt keine entscheidungsrelevante Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[9] 3. Auf eine unrechtmäßige Aneignung nachlasszugehöriger Vermögenswerte und das Herausgabebegehren kommt der Kläger in seiner Revision nicht mehr zurück, sodass darauf nicht mehr einzugehen ist (RS0043338).

[10] 4. Wegen des Erbfalls vor dem 1. 1. 2017 sind auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers noch die erbrechtlichen Vorschriften vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015, BGBl I 2015/87, anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).

[11] 5. Bei der Ermittlung des Pflichtteilsanspruchs muss zwischen dem Nachlasspflichtteil und dem Schenkungspflichtteil unterschieden werden. Auch die Berücksichtigung einer Schenkung erfolgt rechnerisch dadurch, dass der Wert dem reinen Nachlass zugeschlagen und auf dieser Basis neuerlich der Pflichtteil ermittelt wird. Der Mehrbetrag, der sich im Vergleich zum Nachlasspflichtteil ergibt, ist der Schenkungspflichtteil oder die Pflichtteilserhöhung. Er bildet zusammen mit dem Nachlasspflichtteil den gemeinen Pflichtteil. Jeder Noterbe muss sich gemäß § 787 Abs 2 ABGB aF die ihm gemachte Schenkung nur auf die Pflichtteilserhöhung, also nicht auf den ganzen Pflichtteil anrechnen lassen (RS0107684).

[12] 6. Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass das Berufungsgericht nicht nur den Verkehrswert der nachlasszugehörigen Liegenschaftsanteile des Erblassers, sondern zusätzlich auch deren – im Verlassenschaftsverfahren bei der für den Pflichtteilsprozess irrelevanten (vgl RS0007784; RS0006465) Vermögenserklärung der Erben als Aktivum ausgewiesenen – dreifachen Einheitswert bei Ermittlung des Reinnachlasses herangezogen hat. Diese verfehlte Doppelberücksichtigung bleibt aber im Ergebnis (s Punkt 8.) ohne Einfluss auf die Berechtigung des Klagebegehrens, sodass insoweit keine entscheidungsrelevante (RS0088931) Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO vorliegt.

7. Gemäß § 785 ABGB aF sind auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes oder des pflichtteilsberechtigten Ehegatten bei der Berechnung des Pflichtteils Schenkungen des Erblassers in Anschlag zu bringen. In Anschlag zu bringen bedeutet, die rechnerische Annahme, es wären noch alle Schenkungen im Nachlass (RS0012936). Entgegen der Ansicht des Klägers kommt aber nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur eine Berücksichtigung jener Schenkungen in Betracht, deren Anrechnung er als pflichtteilsberechtigtes Kind auch verlangt (vgl zur insoweit gleich gelagerten Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015: 2 Ob 119/20v 3.3).

[13] Der Kläger hat zwar im Rahmen der Klagserzählung zahlreiche unrechtmäßige Aneignungen der Beklagten behauptet, sein Klagebegehren aber ausgehend von den vom Berufungsgericht ohnehin berücksichtigten Zuwendungen im Umfang von 102.600,31 EUR berechnet und klargestellt, es gehe – auch bei der Schenkungsanrechnung – konkret um diese Vermögenswerte. Wenn das Berufungsgericht dieses Prozessvorbringen in einzelfallbezogener (RS0042828) Auslegung im Ergebnis dahingehend versteht, der Kläger verlange nur eine Hinzurechnung dieser Zuwendungen, stellt dies jedenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

[14] 8. Auch wenn man daher den reinen Nachlass unter (bloßer) Berücksichtigung des Verkehrswerts der Liegenschaftsanteile des Erblassers – wie der Kläger auch in seiner Revision – mit 173.355,95 EUR und seinen Erbteil daher mit 86.677,98 EUR annimmt, übersteigt dieser, auch vom Kläger selbst auf den Pflichtteilsanspruch angerechnete Betrag den sich mit 68.989,07 EUR errechnenden gemeinen Pflichtteil.

[15] Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.

[16] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, dient der Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (RS0035962).

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