OGH 3Ob208/21s

OGH3Ob208/21s23.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH, *, vertreten durch Imre & Schaffer Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei R* eGenmbH, *, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 278.426,19 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 12. Oktober 2021, GZ 3 R 64/21k‑19, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00208.21S.0223.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist ein auf Räumungen und die Verwertung von Fahrnissen durch Online‑Auktionen spezialisiertes Unternehmen. Bei einer vertraglich vereinbarten („besenreinen“) Räumung eines Geschäftslokals samt Nebengebäude (Garage) „plus Grundstück“, die auch den Kauf der vorhandenen „Fahrnisse in Bausch und Bogen“ zum Preis von 1.000 EUR umfasste, fanden Mitarbeiter der Klägerin in einem Raum im ersten Stock in einer alten Waschmaschinentrommel 27 in einem Ledertäschchen verpackte Kleinbetragssparbücher samt den zugehörigen Losungsworten. Deren Existenz war zuvor den Erben nach dem verstorbenen Eigentümer der Liegenschaft nicht bekannt gewesen. Die Klägerin begehrte von der beklagten Bank unter Vorlage der Sparbücher und der Losungsworte die Auszahlung sämtlicher Guthaben. Die Beklagte verweigerte dies und wendete ein, die Klägerin sei an den Sparbüchern materiell nicht berechtigt.

[2] Das Erstgericht wies das auf Auszahlung der Guthaben von insgesamt 278.426,19 EUR gerichtete Klagebegehren ab.

[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[4] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[5] 1.1 Behauptete Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht nicht als solche anerkannt hat, können in dritter Instanz nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RS0042963). Ein Mangel des Berufungsverfahrens läge dann vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge überhaupt nicht befasst (RS0042963 [T9]) oder diese mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RS0042963 [T28]). Das ist hier jedoch nicht der Fall.

[6] 1.2 An der Rechtsprechung zum verneinten Verfahrensmangel hat der Oberste Gerichtshof in Kenntnis der dazu in der Literatur geführten Diskussion in jüngerer Zeit mehrfach ausdrücklich festgehalten (1 Ob 127/21i; 2 Ob 69/21t; 3 Ob 40/21k; 3 Ob 76/21d; 5 Ob 40/21z; 7 Ob 70/21a; 8 Ob 7/21v; 9 Ob 38/21k; 10 ObS 59/21f). Eine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO liegt daher– entgegen der Auffassung der Revisionswerberin – auch insoweit nicht vor.

[7] 2. Die behaupteten Aktenwidrigkeiten wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Insbesondere zeigt die Klägerin kein – zumal konkret entscheidungswesentliches (vgl RS0043271 [T2]) – Abweichen des Berufungsgerichts von der Aktenlage auf.

[8] 3. Soweit die Klägerin behauptet, die Feststellungen zum übereinstimmenden Parteiwillen betreffend den Inhalt des Vertrags widersprächen „jeglichem Rechtsempfinden im Hinblick auf die Auslegung von Verträgen und dem Parteiwillen“, erhebt sie in Wahrheit eine in dritter Instanz unzulässige Beweisrüge (vgl RS0043371 [T24, T28]).

[9] 4. Fragen der Vertragsauslegung kommt nach ständiger Rechtsprechung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0112106 [T14]). Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe an den bei der Räumung der Liegenschaft aufgefundenen Kleinbetragssparbüchern auf der Grundlage des Vertrags über den Ankauf der vorhandenen Fahrnisse sachenrechtlich kein Eigentum erworben, nicht korrekturbedürftig: Nach dem Vertragsinhalt sowie dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien sollte die Klägerin die „besenreine“ Räumung des Geschäftslokals samt Nebengebäude durchführen, die von ihrem Mitarbeiter besichtigten und geschätzten Fahrnisse zum Kaufpreis von 1.000 EUR erwerben, sowie deren Verwertung durch eine Online‑Auktion vor Ort innerhalb von vier Wochen durchführen. Einen möglichen unerwarteten Fund von Wertgegenständen im Zuge der Räumung haben die Parteien nicht besprochen und nicht geregelt. Das Berufungsgericht verwies in seiner Begründung auch auf die Entscheidung 4 Ob 99/19s, in der – zu überraschend nach einem Liegenschaftskauf einschließlich „Inventar“ aufgefundenen Sparbüchern – ausgeführt wurde, dass auch nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zwischen Fahrnissen bzw Inventar und Geld unterschieden werde und dass Bargeld, Wertpapiere oder andere Pretiosen nicht zum „Inventar“ gehörten. Damit steht die Auslegung des mit der Klägerin abgeschlossenen Räumungsvertrags dahin, dass zwar neben der vollständigen („besenreinen“) Räumung auch ein Kauf der vorhandenen Fahrnisse und deren Verwertung (im Rahmen einer Online‑Auktion) vereinbart, davon allerdings die überraschend aufgefundenen Sparbücher nicht umfasst waren, im Einklang; eine aufzugreifende Fehlbeurteilung ist darin nicht zu erkennen.

[10] 5.1 Sparbücher, deren Guthabensstand weniger als 15.000 EUR beträgt, die nicht auf einen Namen lauten und mit einem Losungswort versehen sind (§ 32 Abs 4 Z 1 BWG; sogenannte „Kleinbetragssparbücher“), sind Inhaberpapiere (4 Ob 170/11w mwN). Kleinbetragssparbücher werden grundsätzlich durch Übergabe und Mitteilung des Losungsworts ins Eigentum des Übernehmers übertragen (vgl RS0102510). Das Kreditinstitut darf (gemäß § 32 Abs 4 Z 1 BWG) an den identifizierten (§ 6 Abs 1 Z 1 FM‑GwG) Vorleger der Sparurkunde (Kleinbetragssparbuch) gegen Nennung des korrekten Losungsworts leisten (8 Ob 120/20k).

[11] 5.2 Nennt der sich identifizierende Vorleger eines nicht auf Namen lautenden Kleinbetragssparbuchs im Sinn des § 31 Abs 3 BWG das Losungswort, so obliegt dem Kreditinstitut der Beweis, dass der Vorleger mangels Rechtsnachfolge oder Vollmacht nicht zur Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs berechtigt ist (RS0127716; s auch 1 Ob 46/21b). Dieser Nachweis ist der Beklagten auf der Grundlage der zuvor dargestellten Vertragsauslegung gelungen.

[12] 5.3 Wenn die Klägerin meint, das Erstgericht hätte Feststellungen zur (fehlenden) materiellen Berechtigung der Klägerin „gar nicht erst treffen dürfen“, so gerät sie in Widerspruch zur erwähnten, auch von ihr selbst zitierten Rechtsprechung, nach der zwar der Vorleger eines Kleinbetragssparbuchs abgesehen vom Losungswort seine Berechtigung nicht nachweisen muss, das Kreditinstitut aber den Nachweis der fehlenden Berechtigung zur Behebung des verbrieften Guthabens erbringen kann (vgl 4 Ob 170/11w = RS0127716; vgl auch 1 Ob 46/21b). Die Bestimmung des § 32 Abs 4 Z 1 BWG, nach der die Bank berechtigt ist, gegen Vorlage des Kleinbetragssparbuchs und Nennung des Losungswortes an den gemäß § 6 Abs 1 Z 1 FM‑GwG identifizierten Vorleger der Sparurkunde auszuzahlen, lässt sich – entgegen der Meinung der Klägerin – nicht so auslegen, dass sie eine Auszahlung – jedenfalls – vornehmen müsste und ihr eine Prüfung der materiellen Berechtigung des Vorlegers untersagt wäre. Dem widerspricht schon die Bedeutung des Wortes „berechtigt“, und eine Interpretation dahin, dass sie beim Verdacht auf eine fehlende materielle Berechtigung des Vorlegers der Sparurkunde die Auszahlung nicht verweigern dürfte, wäre mit den Zwecken des in Umsetzung der RL (EU) 2015/849 vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (Vierte Geldwäsche‑RL, ABl L 2015/141, 73) erlassenen FM‑GwG unvereinbar (dazu ausführlich 4 Ob 209/19t mwN).

[13] 6. Die Klägerin zeigt somit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revision ist daher nicht zulässig und somit zurückzuweisen.

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