OGH 8Ob4/22d

OGH8Ob4/22d25.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Dr. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. C* M*, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U* K*, vertreten durch Dr. Georg Kahlig, Mag. Gerhard Stauder, Rechtsanwälte in Wien, wegen 230,86 EUR sA und Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. November 2021, GZ 38 R 194/21t‑34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00004.22D.0125.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens sind das Begehren auf Zahlung rückständigen Mietzinses für die Wohnung der Beklagten und ein auf § 1118 ABGB gestütztes Räumungsbegehren.

[2] Das Erstgericht sprach dem Kläger Zinsen aus einer nachträglich bezahlten Mietzinsdifferenz zu und wies das übrige Zahlungsbegehren sowie das Räumungsbegehren ab.

[3] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichts. In Stattgebung des Kostenrekurses der Beklagten änderte es lediglich die Kostenentscheidung des Erstgerichts zu deren Gunsten ab.

[4] Die außerordentliche Revision zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Die geltend gemachte Nichtigkeit liegt nicht vor.

[6] Das Berufungsgericht hat mit seiner Entscheidung nicht in die Teilrechtskraft des erstgerichtlichen Urteils eingegriffen. Da es die erstinstanzliche Entscheidung im angefochtenen Umfang bestätigt hat, kann es auch schon begrifflich nicht gegen ein Verbot der reformatio in peius verstoßen haben.

[7] Das Ausmaß der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils wird grundsätzlich durch den Urteilsspruch bestimmt (RIS‑Justiz RS0041331; RS0041357). Die Beurteilung von bloßen Vorfragen (hier: der alleinigen Passivlegitimation) erwächst nicht in Rechtskraft (RS0042554, RS0039843 [T19, T21, T23]; RS0041178). Es steht dem Berufungsgericht im Rahmen der Behandlung einer Rechtsrüge frei, den Sachverhalt rechtlich anders zu beurteilen als das Erstgericht. Eine über den Entscheidungsgegenstand hinausgehende Bindungswirkung entfaltet die Beurteilung hinsichtlich eines nicht angefochtenen Teils eines Urteils nicht.

[8] Soweit sich die Revisionsausführungen auf die abändernde Entscheidung über den Kostenrekurs der Beklagten beziehen, ist dagegen – wie der Kläger auch zutreffend einräumt – gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO ein Revisionsrekurs unzulässig.

[9] 2. Die Auslegung von konkludenten Willenserklärungen ist regelmäßig einzelfallbezogen (RS0042555 [T18]; RS0081754). Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, ist keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, sofern nicht eine auffallende Fehlbeurteilung zu erkennen ist (RS0112106).

[10] Nach § 863 ABGB ist bei einer schlüssigen Willenserklärung ein strenger Maßstab anzulegen (RS0014146; RS0014157; zum Erklärungswert der unbeanstandeten Bezahlung von Mietzinsvorschreibungen vgl auch RS0038618; RS0069831). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die in der Zahlung der Zinsvorschreibungen mit der darin enthaltenen Liftbenützungsgebühr keine konkludente Zustimmung der Beklagten zu der vorgeschlagenen Benützungsvereinbarung erblickt haben, zumal sie den Lift nie benützt hat, ist jedenfalls nicht unvertretbar.

[11] 3. Die Rechtsfrage, ob der Sohn der Beklagten auf seine Mitmietrechte gegenüber dem Rechtsvorgänger des Klägers schlüssig verzichtet hat, sodass ihr die alleinige Passivlegitimation im vorliegenden Verfahren zukommt, ist bei diesem Ergebnis nicht entscheidungswesentlich.

[12] Im Übrigen gilt auch zu diesem Thema der Grundsatz, dass die Beurteilung des rechtsgeschäftlichen Erklärungswerts tatsächlicher Handlungen als einzelfallbezogen die Revisionszulässigkeit grundsätzlich nicht eröffnet.

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