OGH 7Ob59/21h

OGH7Ob59/21h23.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin I* S*, geboren * 1939, *, vertreten durch den Verein VertretungsNetz Erwachsenenvertretung, Patientenanwalt‑schaft, Bewohnervertretung, 1050 Wien, Ziegelofengasse 33/1/3, (Bewohnervertreterin DGKP B* B*), dieser vertreten durch Dr. Alexandra Schachermayer und Dr. Gerlinde Füssel, Rechtsanwältinnen in Linz, Einrichtungsleiterin PhDr. E* T*, MAS, *, vertreten durch Dr. Andreas Joklik, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen Überprüfung einer Freiheitsbeschränkung gemäß § 19a HeimAufG, über den Revisionsrekurs der Einrichtungsleiterin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 11. Jänner 2021, GZ 45 R 458/20s‑57, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 28. August 2020, GZ 36 Ha 2/20w‑45, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132310

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Die Bewohnerin leidet an Demenz und Parkinson. Am 10. April 2020 zog sie sich bei einem Sturz zu Hause eine Tibiakopffraktur zu. Sie wurde am selben Tag stationär im Donauspital aufgenommen, wo ihr ein Oberschenkelgips angelegt wurde. Am Aufnahmetag und am 27. April 2020 wurden COVID‑19‑Tests veranlasst, die beide negativ ausfielen. Am 30. April 2020 wurde die Bewohnerin in das Sanatorium Hera transferiert, wo am 6. Mai 2020 ein COVID‑19‑Test durchgeführt wurde, der wieder negativ ausfiel. Am 8. Mai 2020 wurde die Bewohnerin in der Einrichtung aufgenommen.

[2] Die Empfehlungen des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu COVID‑19‑Schutzmaßnahmen für Pflege und Betreuung vom 9. April 2020 sehen vor, dass bei Verdachtsfällen bei Vorliegen eines negativen Testergebnisses die Isolationsmaßnahmen aufgehoben werden können.

[3] Nach einer in der Einrichtung zur Anwendung kommenden Standard Operating Procedure (SOP) aber sind „BewohnerInnen bei Aufnahmen präventiv trotz negativem SARS‑COV‑2 Testbefund einer Screening Isolation für mindestens zehn Tage zu unterziehen (im Einzelzimmer oder Doppelzimmer mit Einzelbelegung). ... Nach acht Tagen ab Aufnahme hat ein erneuerter Abstrich (Nase und Rachen) und eine RD‑PCR Testung zu erfolgen. ... Bei Vorliegen eines neuerlichen negativen Testbefundes auf SARS‑COV‑2 ist die Isolation aufzuheben und ein Transfer (auch in ein Mehrbettzimmer) möglich“. Im Zuge der Ausarbeitung der SOP wurde keine verpflichtende regelmäßige Testung der Mitarbeiter vorgesehen, sondern wurde entschieden, diese zur Selbstbeobachtung aufzufordern. Für die Umsetzung der SOP in der Einrichtung ist deren ärztlicher Leiter zuständig. Seiner Ansicht nach sind im Notfall die Sicherheitsbehörden heranzuziehen, sollte ein Bewohner dem Ersuchen im Zusammenhang mit einer Screening Isolation nicht entsprechen. Die Stationsleiterin interpretierte die SOP derart, dass unabhängig davon, ob ein Wille wirksam gebildet werden könne, die Bewohner jedenfalls davon zu überzeugen seien, dass die Maßnahme der Screening Isolation sinnvoll ist.

[4] Bereits am Tag des Einlangens in der Einrichtung wurde die Bewohnerin in einem Einzelzimmer isoliert. Die Stationsleiterin erklärte der Bewohnerin am 8. Mai 2020, dass sie aufgrund der nötigen Isolation für zehn Tage im Einzelzimmer verbleiben müsse und es wichtig sei, dass sie sich in den kommenden zehn Tagen in ihrem Zimmer aufhalte.

[5] Die Pflegemitarbeiter der Station haben von Anfang an bemerkt, dass die Bewohnerin deren Nähe braucht und wünscht. Am 10. Mai 2020 suchte eine Stationsärztin die Bewohnerin auf, nachdem ihr berichtet worden war, dass die Bewohnerin sehr unruhig sei und dauernd läute. Die Stationsärztin fand die Bewohnerin ratlos und verloren vor. Die Bewohnerin konnte ihr nicht erklären, warum sie läute. Sie fühlte sich besser, weil die Stationsärztin anwesend war und entschuldigte sich bei der Ärztin dafür, dass sie läutet und Umstände macht und klagte über Schmerzen an ihrem Bein. Bei der Bewohnerin lag ein Transferierungsstress vor. Ohne Vorliegen der COVID‑19‑Pandemie hätte die Stationsärztin vorgeschlagen, die Bewohnerin in den Tagraum zu schieben.

[6] Die Kontaktisolierung im Zimmer wurde ab dem Aufnahmetag über einen Zeitraum von zehn Tagen durchgeführt. Während der Isolation wurde die Bewohnerin nie zu den anderen Bewohnern gebracht. Bei der Bewohnerin zeigten sich durchgehend (dokumentierte) Gefühle von Einsamkeit (sie betätigte laufend die Rufanlage), Angst, agitiertes Verhalten (Schreien) und sichtlich eine Zunahme von Schmerzen (zum Beispiel als Somatisierung). „In dieser für sie verunsichernden Umgebung war die Bewohnerin am Verlassen des Zimmers gehindert.“

[7] Am 19. Mai 2020 wurde die Bewohnerin nach einem am 18. Mai 2020 vorgenommenen negativen COVID‑19‑Test in den Tagraum zu den Mitbewohnern gebracht.

[8] Die Isolierung im Einzelzimmer wurde an den Verein nicht gemeldet. Am 11. Mai 2020 erfolgte eine Meldung an den Verein über die Dauermedikation mit Quetiapin und Lorezepam seit 10. Mai 2020. Aus dieser Meldung geht die Diagnose „dementielle Entwicklung DD delirante Entwicklung“ hervor. Weiters ist vermerkt: „Pat. mit vorbekannten neurokognitiven Defiziten wurde vor wenigen Tagen h.o. stationär aufgenommen. Aufgrund d. Isolation (Quarantäne‑Maßnahme I.R.d. Corona) ist die Patientin ängstlich, unruhig, verloren, Transferierungsstress, Anpassungsstörung.“

[9] Es gab keine Indizien dafür, dass von der Bewohnerin eine Gefahr der Keimverschleppung mit COVID‑19 über die Gefahr, die von jedem Menschen ausgeht, ausging. Aufgrund der drei Negativtests war das Risiko einer Keimverschleppung durch die Bewohnerin „mehr als unerheblich niedriger“. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung der Bewohnerin und dem Risiko anderer Bewohner von ihr mit COVID‑19 infiziert zu werden, besteht nicht.

[10] Der Verein beantragte die Überprüfung der an der Bewohnerin vorgenommenen Freiheitsbeschränkung vom 8. bis zum 18. Mai 2020 durch Isolierung in einem Einzelzimmer. Die Freiheitsbeschränkung sei wegen Verletzung der Dokumentationspflicht sowie mangels ernstlicher und erheblicher Fremdgefährdung unzulässig und auch nicht verhältnismäßig gewesen.

[11] Die Einrichtungsleiterin beantragte die Abweisung des Antrags. Es habe keine Freiheitsbeschränkung vorgelegen, weil die Bewohnerin lediglich ersucht bzw gebeten worden sei, im Zimmer zu bleiben. Auch seien weder bewegungseinschränkende Maßnahmen gesetzt noch angedroht worden, insbesondere nicht durch ein aktives Tun. Mangels Freiheitsbeschränkung habe auch keine Dokumentationspflicht bestanden.

[12] Das Erstgericht sprach aus, dass die an der Bewohnerin vorgenommene Freiheitsbeschränkung durch Isolierung in einem Einzelzimmer vom 8. bis zum 18. Mai 2020 unzulässig war. Es liege eine Freiheitsbeschränkung vor, die unzulässig sei, weil die Fremdgefährdung anderer Personen durch die Bewohnerin wegen einer möglichen Ansteckung mit COVID‑19 in keinem Zusammenhang mit derenpsychischer Erkrankung stehe.

[13] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die Freiheitsbeschränkung sei schon deshalb unzulässig, weil keine Dokumentation zum Grund der Freiheitsbeschränkung erfolgt sei. Dieser gravierende Dokumentationsmangel könne auch nicht mehr nachträglich durch Aussagen oder Gutachten beseitigt werden. Ein aussagekräftiger Grund für die Freiheitsbeschränkung sei hier auch nicht aus anderen Urkunden objektivierbar. Die Freiheitsbeschränkung sei daher schon wegen des Fehlens dieser formellen Voraussetzung in ihrer Gesamtheit unzulässig. Es liege daher auch keine erhebliche Rechtsfrage vor.

[14] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Einrichtungsleiterin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[15] Der Verein begehrt in seiner vor Freistellung erstatteten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs nicht zuzulassen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[16] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[17] 1. Die Einrichtungsleiterin bemängelt, das Erstgericht habe in der Beweiswürdigung den Pflegschaftsakt der Bewohnerin angeführt, obwohl dieser nicht verlesen worden sei. Vom Rekursgericht bereits verneinte Mängel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz stellen – ohne hier nicht gegebene relevante Ausnahmen – keinen Revisionsrekursgrund dar (RS0050037; RS0030748 [T15]; 7 Ob 84/19g zum UbG).

[18] 2. Zutreffend rügt die Einrichtungsleiterin zwar, dass sich das Rekursgericht mit ihrer im Rekurs geltend gemachten Rüge eines Verfahrensmangels (Nichteinholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Entscheidungsfähigkeit der Bewohnerin) nicht befasst hat; darin liegt ein Mangel des Rekursverfahrens (RS0043086 [T12, T13]). Verfahrensverstöße können aber auch im Außerstreitverfahren nur dann eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens bilden, wenn sie abstrakt geeignet sind, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen; die Erheblichkeit des Mangels ist vom Rechtsmittelwerber darzulegen (RS0043027 [T13]). Dies ist der Revisionsrekurswerberin nicht gelungen, denn die Behandlung der Verfahrensrüge durch das Rekursgericht hätte nur zur Verneinung des geltend gemachten Verfahrensmangels führen können (vgl 6 Ob 196/16s).

[19] 2.1. Nach § 3 Abs 1 HeimAufG ist für eine Freiheitsbeschränkung unter anderem kennzeichnend, dass diese gegen oder ohne den Willen des Bewohners stattfindet. Dem entsprechend weist § 3 Abs 2 HeimAufG die Einwilligung des Bewohners als negatives Tatbestandsmerkmal der Freiheitsbeschränkung aus (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II§ 3 HeimAufG Rz 29). Die Einwilligung durch die entscheidungsfähige betreute oder gepflegte Person schließt den Grundrechtseingriff aus; sie ist aber nur dann rechtserheblich, wenn sie ernstlich und frei von Zwang sowie Irrtum erteilt wird (RS0121662 [T4]). Die Einwilligung kann schriftlich, mündlich oder auch konkludent (schlüssig) erteilt werden. Bei der konkludenten Zustimmung eines Bewohners in eine Unterbindung der Ortsveränderung ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen, weshalb das bloße „Sich‑nicht‑Wehren“ keine Zustimmung darstellt (Herdega/Bürger in Resch/Wallner, Medizinrecht³ VII. HeimAufG Rz 69; Zierl/Wall/Zeinhofer, Heimrecht I3 110; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II§ 3 HeimAufG Rz 33).

[20] 2.2. Die interne Richtlinie der Einrichtung (SOP) sah vor, dass Bewohner bei Aufnahme trotz negativem SARS‑COV‑2‑Testbefund präventiv einer Screening Isolation für mindestens zehn Tage (im Einzelzimmer oder Doppelzimmer mit Einzelbelegung) zu unterziehen sind. Der ärztliche Leiter der Pflege, der für die Umsetzung der SOP verantwortlich ist, vertritt die Ansicht, dass, wenn ein Bewohner dem Ersuchen nach Isolation nicht entspricht, „im Notfall sogar die Sicherheitsbehörden heranzuziehen“ wären. Obwohl die Pflegemitarbeiter der Einrichtung von Anfang an aus dem Verhalten und den Äußerungen der Bewohnerin bemerkten, dass sie Nähe und Kontakt braucht und wünscht, wurde sie in Isolation gehalten, weil man aufgrund der SOP die Ansicht vertrat, von der Bewohnerin gehe eine ernstliche Fremdgefährdung aus.

[21] Entsprechend der SOP erklärte die zuständige Mitarbeiterin der Einrichtung der Bewohnerin, dass sie zehn Tage im Einzelzimmer bleiben müsse. Sie ging davon aus, dass unabhängig davon, ob ein Bewohner wirksam einen Willen bilden kann, dieser „jedenfalls davon zu überzeugen ist“, dass diese Maßnahme sinnvoll ist. Unabhängig davon, ob die Bewohnerin überhaupt in der Lage war, einen freien Willen zu bilden, wurde bei ihr im vorliegenden Fall durch das unmissverständliche Vermitteln, dass sie „jedenfalls“ im Zimmer bleiben muss, der Eindruck erweckt, dass sie sich dieser Vorgabe nicht entziehen kann, dass sie mit physischem Zwang rechnen muss, dies um so mehr, als ihrem von Anfang an klar erkennbaren Wunsch nach Kontakt, das heißt nach Beendigung der Isolation, beharrlich nicht entsprochen wurde. Wenn sie unter diesen Umständen nicht versuchte, sich physisch der Isolation zu widersetzen, kann dies nicht als Zustimmung zur Maßnahme ausgelegt werden. Ein etwaiger Wille der Bewohnerin, sich den an sie herangetragenen „jedenfalls“ einzuhaltenden und nach Ansicht des Leiters der Pflege auch durchzusetzenden Vorgaben zu unterwerfen, wäre unter diesen Umständen nicht ernstlich und frei von Zwang.

[22] 2.3. Somit ist die von der Einrichtungsleiterin aufgeworfene Frage der Entscheidungsfähigkeit der Bewohnerin nicht rechtserheblich.

[23] 3. Mit ihren Ausführungen, ihr rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil ihr Rechtsvertreter nicht zur „Erstanhörung“ geladen worden sei, macht die Einrichtungsleiterin einen schwerwiegenden Verfahrens‑verstoß nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG geltend (vgl 7 Ob 101/13y). Dieser kann auch dann gemäß § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn er vom Rekursgericht verneint worden ist (RS0121265 [T4]; RS0030748 [T14]).

[24] Es ist zwar richtig, dass das Erstgericht die Einrichtungsleiterin nicht zur Tagsatzung am 29. Juni 2020 geladen hat, allerdings wurde ihr das Protokoll ausgehändigt und sie war bei den beiden weiteren Tagsatzungen anwesend bzw vertreten. Sie konnte sich zu allen relevanten Tatsachen und Beweisergebnissen vor der Entscheidung äußern, weshalb eine Gehörverletzung nicht vorliegt (vgl RS0006036 [T11]; RS0074920; 7 Ob 27/18y).

[25] 4. Soweit die Einrichtungsleiterin über weite Strecken Fragen der Beweiswürdigung erörtert, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof auch in Außerstreitverfahren nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist (RS0007236). Fragen der Beweiswürdigung können daher nicht mehr überprüft werden (RS0007236 [T4]).

[26] 5. Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung im Sinn dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. In diesem Sinn liegt eine Freiheitsbeschränkung dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern (RS0075871 [T6, T19]; RS0121662 [T9]).

[27] 5.1. Auch psychologische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit können den Tatbestand der Freiheitsbeschränkung erfüllen. Eine Freiheitsbeschränkung setzt auch nicht notwendigerweise die Anwendung physischen Zwangs voraus. Es genügt dessen Androhung. Der Begriff der Androhung ist im spezifischen Konnex der Pflege oder Betreuung der betroffenen Person zu verstehen. Es ist nicht erforderlich, dass ihr von der anordnungsbefugten Person oder anderen Bediensteten konkret mit freiheitsentziehenden Maßnahmen „gedroht“ wird. Vielmehr reicht es aus, wenn sie aus dem Gesamtbild des Geschehens den Eindruck gewinnen muss, dass sie den Aufenthaltsort nicht mehr verlassen kann. In solchen Fällen wird es also darauf ankommen, ob der Bewohner ungehindert von äußerem Zwang seinen Aufenthaltsort nach freiem Willen verlassen kann oder mit einem physischen Zugriff rechnen muss (7 Ob 139/14p unter Verweis auf ErläutRV 353 BlgNR 22. GP  8 ff; 7 Ob 205/16x). Dabei kommt es auf die Bildung eines (vernünftigen) Fortbewegungswillens und darauf, ob sich der betroffene Bewohner der Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit bewusst ist, aber nicht an (RS0121221 [T1]).

[28] 5.2. Bei der Bewohnerin wurde durch das unmissverständliche Vermitteln, dass sie „jedenfalls“ im Zimmer bleiben muss, der Eindruck erweckt, dass sie sich dieser Vorgabe nicht entziehen kann und bei Zuwiderhandeln mit physischem Zwang rechnen muss. Sie konnte daher nicht ungehindert von äußerem Zwang ihren Aufenthaltsort nach freiem Willen verlassen. Ob die Bewohnerin das Zimmer verlassen wollte und daran auch tatsächlich durch physischen Zwang gehindert wurde, spielt dann nach der dargestellten Judikatur keine Rolle. Es ist somit eine Freiheitsbeschränkung gemäß § 3 Abs 1 HeimAufG zu bejahen.

[29] 5.3. Sekundäre Feststellungsmängel liegen in diesem Zusammenhang nicht vor.

[30] 6. Nach § 4 Z 1 HeimAufG ist eine Freiheitsbeschränkung nur dann zulässig, wenn entweder das Leben oder die Gesundheit des Bewohners oder das Leben oder die Gesundheit anderer Personen gefährdet ist. Darüber hinaus muss ein kausaler Zusammenhang zwischen der psychischen Krankheit bzw geistigen Behinderung und der Gefährdung von Leben oder Gesundheit bestehen. Es muss demnach zwischen dem Vorliegen der psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung und dem vom Bewohner für sich selbst oder für Dritte ausgehenden Gefährdungspotenzial ein unmittelbarer Konnex gegeben sein (Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2 140; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II§ 4 HeimAufG Rz 14; Bürger/Herdega in GmundKomm § 4 HeimAufG Rz 4).

[31] Nach den Feststellungen gab es keine Indizien dafür, dass von der Bewohnerin eine über die von jedem Menschen ausgehende Gefahr der Ansteckung mit COVID‑19 ausging. Auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung der Bewohnerin und dem Risiko anderer Bewohner, von ihr mit COVID‑19 infiziert zu werden, bestand nicht. Somit war die Freiheitsbeschränkung der Bewohnerin von 8. bis 18. Mai 2020 materiell unzulässig. Daran ändert auch eine interne Richtlinie der Einrichtung, die nicht auf die konkreten Umstände abstellt, nichts.

[32] 7. Der Revisionsrekurs ist daher nicht berechtigt.

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