European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00015.21K.0519.000
Spruch:
1. Das Revisionsrekursverfahren wird fortgesetzt.
2. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Provisorialverfahrens.
Begründung:
[1] I. Das Revisionsrekursverfahren war bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Ablehnung des Mitglieds des Rekurssenats ***** unterbrochen (10 Ob 57/20k) und ist nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses (ON 288), mit dem der Ablehnungsantrag zurückgewiesen wurde, fortzusetzen.
[2] II. Der (bisherige) Kläger und Gegner der gefährdeten Parteien (in der Folge: Kläger) und die (bisherige) Beklagte und erstgefährdete Partei (in der Folge: Beklagte) schlossen am 9. 9. 1999 die Ehe. Dieser Ehe entstammen die zweit‑ und drittgefährdeten Parteien, die minderjährigen Kinder der Streitteile.
[3] Mit der am 24. 7. 2017 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Die Beklagte gestand die unheilbare Ehezerrüttung zu, trat dem Scheidungsbegehren nicht entgegen und erhob den Mitverschuldenseinwand (ON 8).
[4] Am 26. 9. 2017 (ON 7) beantragten die Beklagte sowie die Kinder, den Kläger zu einem einstweiligen Ehegattenunterhalt von monatlich 900 EUR sowie zu Kindesunterhalt von monatlich 730 EUR (zweitgefährdete Partei) und 500 EUR (drittgefährdete Partei) mit einstweiliger Verfügung zu verpflichten. Am 9. 10. 2017 (ON 11) beantragte die Beklagte, dem Kläger als ehegattenunterhaltsrechtlichen Sonderbedarf die Leistung eines Prozesskostenvorschusses von (nach Einschränkung, ON 12) 15.000 EUR mit einstweiliger Verfügung aufzutragen.
[5] Das Begehren der Kinder auf Zahlung einstweiligen Unterhalts wurde am 28. 3. 2019 (ON 88) modifiziert und (teilweise) ausgedehnt. In der Tagsatzung vom 2. 4. 2019 (ON 90) wurde im allseitigen Einvernehmen festgehalten, dass eine gesonderte Beweisaufnahme im Provisorialverfahren nicht stattfindet, sondern die Befragung in der Hauptsache unter einem erfolgen soll. Die Beklagte dehnte am 6. 3. 2020 (ON 208) den Antrag auf einstweiligen Ehegattenunterhalt auf monatlich 3.651,81 EUR ab Antragstellung bis 31. 12. 2018 und 3.949,31 EUR ab 1. 1. 2019, sowie das Begehren auf Prozesskostenvorschuss auf einen Betrag von 449.918,77 EUR aus.
[6] Am 23. 7. 2020 zog der Kläger die Scheidungsklage unter Anspruchsverzicht zurück (ON 252).
[7] Das Erstgericht erklärte mit dem angefochtenen Beschluss das gesamte Verfahren aufgrund der Klagerückziehung für beendet. Die Verfahrensbeendigung umfasse auch sämtliche Provisorialbegehren der Beklagten und der Kinder einschließlich deren Ausdehnung. Eine Entscheidung gemäß § 382 Abs 1 Z 8a EO setze ein anhängiges Scheidungsverfahren voraus. Daran fehle es nach der Klagerücknahme. Die Anordnung einer Rechtfertigungsfrist für eine Unterhaltsklage komme hier nicht in Betracht, weil die Beklagte und die Kinder ausreichend Zeit gehabt hätten, um eine entsprechende Klage selbst einzubringen. Die Provisorialanträge seien 2017 gestellt worden. Mindestens dreimal habe die Beklagte angeregt, nicht vorab über diese Anträge zu entscheiden. Eine am 2. 5. 2018 angekündigte Widerklage habe sie nicht eingebracht. Da in einem solchen Fall nicht einmal dann eine Rechtfertigungsfrist zu setzen wäre, wenn bereits eine einstweilige Verfügung erlassen worden wäre, müsse dies um so weniger gelten, wenn – wie hier – erst der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung vorliege. Andernfalls hätte es die Beklagte in der Hand, einen Prozess weiterzuführen, obwohl der Kläger die Klage zurückgezogen habe.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten und der Kinder Folge. Es hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die Entscheidung über die Anträge auf einstweiligen Unterhalt und den Prozesskostenvorschuss auf. Die Rücknahme der Klage schaffe eine Situation wie bei Beantragung einer einstweiligen Verfügung vor einem anhängigen Hauptverfahren. Über die Provisorialanträge sei daher meritorisch zu entscheiden. Für den Fall der Bewilligung der beantragten einstweiligen Verfügungen müsse gemäß § 391 Abs 2 EO eine Rechtfertigungsfrist gesetzt werden. Vor Rücknahme der Klage habe für die Beklagte und die Kinder keine Veranlassung bestanden, ihrerseits bereits eine Klage auf Ehescheidung oder Unterhalt einzubringen. Die Beklagte sei dem Scheidungsbegehren nicht entgegengetreten, sodass kein Anlass bestanden habe anzunehmen, sie selbst wolle keine Scheidungsklage einbringen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen fehle und die Rechtsansicht des Erstgerichts in der Entscheidung 3 Ob 38/84 eine Stütze finden könnte.
[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Beklagten und den Kindern beantwortete Revisionsrekurs des Klägers, mit dem er die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
[11] 1. Der Revisionsrekurswerber behauptet die Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses gemäß § 477 Abs 1 Z 1 ZPO, weil das Mitglied des Senats des Rekursgerichts, *****, befangen sei. Der behauptete Nichtigkeitsgrund liegt im Hinblick auf die schon erwähnte Zurückweisung des Befangenheitsantrags nicht vor.
[12] 2. Der Revisionsrekurswerber macht geltend, dass im Fall der Klagerücknahme die Voraussetzungen für die Einräumung einer Rechtfertigungsfrist nur vorlägen, wenn zuvor ein einstweiliger Unterhalt bewilligt worden sei. An dieser Voraussetzung fehle es aber im vorliegenden Fall. Nach Beendigung des Scheidungsverfahrens infolge der Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht fehle es für eine Entscheidung durch den Erstrichter am dafür notwendigen Zusammenhang mit einem Ehescheidungsverfahren. Dem Gericht dürfe nicht aufgetragen werden, eine einstweilige Entscheidung in einem beendeten Verfahren zu treffen. Denn Sinn und Zweck des § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO liege darin, dass der Kläger durch die Rücknahme der Klage nicht die Möglichkeit erhalten solle, einem bereits bewilligten einstweiligen Unterhalt die Grundlage zu entziehen. Auch § 391 Abs 2 EO gehe davon aus, dass eine einstweilige Verfügung bewilligt sein müsse, damit man eine Rechtfertigungsfrist setzen könne. Im Übrigen sei der Beklagten und den Kindern ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, eine Widerklage einzubringen.
[13] 3. Dazu wurde erwogen:
[14] 3.1 Einer vom Kläger beantragten einstweiligen Verfügung wird durch die Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht die Grundlage entzogen. Dies hat zur Folge, dass die einstweilige Verfügung in sinngemäßer Anwendung des § 399 Abs 1 Z 4 EO auf Antrag aufzuheben ist (RIS‑Justiz RS0005630).
[15] 3.2 Hingegen kann der zugunsten des beklagten Ehegatten bewilligten einstweiligen Verfügung durch eine solche Klagerücknahme nicht ohne weiteres die Grundlage entzogen werden. Dem beklagten Ehegatten ist vielmehr in einem solchen Fall in der Regel die Möglichkeit zu geben, das Weiterbestehen der einstweiligen Verfügung dadurch zu rechtfertigen, dass er selbst das dafür erforderliche Verfahren – allenfalls nach Fristsetzung durch das Gericht – in Gang setzt (RS0006114).
[16] 3.3 Ein solcher Fall liegt jedoch – worauf der Revisionsrekurswerber zutreffend hinweist – hier nicht vor: Über die während des Scheidungsverfahrens gestellten Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat das Erstgericht noch nicht entschieden. Auch darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von der vom Rekursgericht in seinem Zulassungsausspruch zitierten Entscheidung 3 Ob 38/84. Im damaligen Fall wurde überdies nicht die Scheidungsklage zurückgenommen, sondern wegen örtlicher Unzuständigkeit zurückgewiesen.
[17] 4.1 Im vorliegenden Fall ist vielmehr die Frage zu beurteilen, ob das für das Scheidungsverfahren zuständige Gericht auch nach Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht (§ 237 Abs 1 Satz 2 ZPO) über die während dieses Verfahrens in zulässiger Weise (RS0006100) gestellten Anträge gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO zu entscheiden hat.
[18] 4.2 Voraussetzung für die Bewilligung einer einstweiligen Verfügung nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO ist die Verletzung der Unterhaltspflicht im Antragszeitpunkt oder doch zumindest bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag (RS0114824). Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Scheidung und den Verschuldensausspruch kann provisorischer Unterhalt nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO begehrt werden (RS0005728, RS0016145). Das für das Scheidungsverfahren zuständige Gericht ist aber auch noch nach Rechtskraft des Urteils über die Scheidung einschließlich des Verschuldensausspruchs wegen des Zusammenhangs mit der Scheidung zur Entscheidung über die einstweilige Verfügung berufen (1 Ob 2082/96z; RS0005934; Sailer in Deixler‑Hübner, EO [31. Lfg] § 382 EO Rz 24 aE).
[19] Wird der Antrag auf Zuspruch (der Erhöhung des) einstweiligen Unterhalts also vor Rechtskraft der Entscheidung über das Scheidungsbegehren und den Verschuldensausspruch gestellt, so bleibt das für das Scheidungsverfahren zuständige Gericht zur Entscheidung darüber zuständig. Inhaltlich ist dem Begehren jedoch mit Rechtskraft des Ausspruchs über Scheidung und des Verschuldens an der Zerrüttung eine zeitliche Grenze gezogen (7 Ob 2/10k, RS0103604).
[20] 4.3 Die Rücknahme der Scheidungsklage ist der rechtskräftigen Abweisung des Anspruchs gleichzuhalten (4 Ob 586/83 EvBl 1984/43; RS0006114; Kodek in Angst/Oberhammer, EO³ [2015] § 399 EO Rz 23), was auch im vorliegenden Zusammenhang zu beachten ist. Daher besteht hier, wie das Rekursgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, die Zuständigkeit des Erstgerichts für die Entscheidung über die während des Scheidungsverfahrens erhobenen Provisorialanträge aufrecht fort. Inhaltlich ist das Begehren jedoch mit dem Zeitpunkt der Rücknahme der Scheidungsklage zeitlich begrenzt (Heller/Berger/Stix, EO4 [1976] 2769).
[21] 5. Der Rekursantrag der Beklagten und der Kinder ist auf die Fortsetzung des Verfahrens über die Provisorialanträge gerichtet und umfasst daher auch die Entscheidung darüber. Der in diesem Zusammenhang behauptete Verfahrensmangel des Rekursgerichts liegt nicht vor.
[22] Dem Revisionsrekurs war daher im Ergebnis nicht Folge zu geben.
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