OGH 1Ob11/21f

OGH1Ob11/21f23.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*, vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei G*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Univ.‑Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer‑Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. J*, vertreten durch Mag. Kurt Ehninger, Rechtsanwalt in Linz, wegen 896.797,96 EUR sA, Rente und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. Dezember 2020, GZ 2 R 137/20k‑99, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. September 2020, GZ 14 Cg 66/17v‑95, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131381

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der der beklagten Partei auferlegten Zahlungspflicht von 346.110,19 EUR samt 4 % Zinsen aus 191.100,02 EUR seit 13. 4. 2016, aus 2.594,27 EUR seit 2. 5. 2016, aus 2.594,27 EUR seit 2. 6. 2016, aus 2.594,27 EUR seit 2. 7. 2016, aus 2.594,27 EUR seit 2. 8. 2016, aus 2.594,27 EUR seit 2. 9. 2016, aus 2.594,27 EUR seit 2. 10. 2016, aus 2.594,27 EUR seit 2. 11. 2016, aus 2.594,27 EUR seit 2. 12. 2016, aus 2.507,77 EUR seit 2. 1. 2017, aus 2.507,77 EUR seit 2. 2. 2017, aus 15.000,00 EUR seit 15. 6. 2017 und aus 114.240,47 EUR seit 20. 7. 2020 binnen 14 Tagen und der Zahlung einer monatlichen Geldrente beginnend ab 1. 8. 2020 in Höhe von 2.919,45 EUR, die bis zur Rechtskraft des Urteils fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monats im Vorhinein, sowie der Feststellung, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für 50 % aller künftigen Schäden aus der verspäteten Notsectio am 4. 5. 2009 in einem bestimmten Spital der beklagten Partei haftet, und der Abweisung eines Mehrbegehrens von 204.577,58 EUR samt Zinsen, des Zinsenmehrbegehrens aus dem zugesprochenen Betrag, des Feststellungsbegehrens für Schäden aus dem an die Notsectio anschließenden stationären Aufenthalt sowie eines Rentenmehrbegehrens von 3.067,11 EUR monatlich unangefochten in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen einschließlich der Kostenentscheidung aufgehoben.

Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin hat schwerste körperliche sowie geistige Defizite und Beeinträchtigungen ohne Aussicht auf Besserung (nur beispielhaft aufgezählt seien Schluckstörungen, generalisierende Epilepsie mit ein bis zwei Anfällen pro Woche, beeinträchtigte Sehleistung, Unfähigkeit zu sitzen, sich selbständig fortzubewegen oder einen altersadäquaten Lagewechsel durchzuführen, Verdauungsprobleme mit Harn‑ und Stuhlinkontinenz, Mundfehlhaltung mit Speichelfluss, autoagressive Handlungen durch Beissen, Narbenbildung, möglicherweise kann sie auf ihren Namen reagieren, sonst erfolgt jedoch keine wie immer geartete Kommunikation).

[2] Diese Beeinträchtigungen sind Folge der Geburt der Klägerin durch einen mit 50 Minuten Verspätung durchgeführten Notkaiserschnitt am Ende der 31. Schwangerschaftswoche.

[3] Die Klägerin begehrt Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Pflegekosten, eine monatliche Rente und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei als Rechtsträgerin jener Krankenanstalt, in der sie und ihr (gesunder) Zwillingsbruder am 4. 5. 2009 durch sectio geboren wurden. Sie warf der Beklagten vor, dass ihre Beeinträchtigungen auf grobe Behandlungsfehler zurückzuführen seien.

[4] Die Beklagte stritt einen Behandlungsfehler ab und führte die Beschwerden der Klägerin auf das schicksalhafte Ereignis einer seit längerer Zeit bestehenden chronischen Asphyxie (ein mit Sauerstoffmangel einhergehender Zustand), eine vor der Geburt erlittene Hirnblutung und ihre Frühgeburt zurück. Der als Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten beigetretene niedergelassene Gynäkologe der Mutter der Klägerin brachte vor, er habe die Mutter umgehend ins Krankenhaus überwiesen.

[5] Das Erstgericht stellte (verkürzt dargestellt) neben dem Behandlungsfehler der verspäteten Durchführung des Notkaiserschnitts fest, dass die neuroradiologische Beurteilung der MRI (Magnetic Resonance Imaging) der Klägerin 16 Tage nach der Geburt Folgendes ergeben habe:

[6] 1. eine ausgeprägte hypoxisch-ischämische Enzephalopathie,

[7] 2. eine germinale Matrix- und intraventrikuläre Blutung Grad III mit posthämorrhapischen Verklebungen der Foramina Luschkae sowie Magendii und Disruption des Kleinhirns und

[8] 3. eine Sinusvenenthrombose.

[9] Zur Verursachung der bei der Klägerin aufgetretenen schweren cerebralen Schädigung erachtete das Erstgericht die Annahme, dass diese auf eine seit längerer Zeit bestehende Plazentainsuffuzienz und auf eine sich daraus entwickelnde chronische Asphyxie zurückzuführen sei, die auch durch eine früher durchgeführte Notsectio nicht mehr verhindert hätte werden können, als widerlegt. Ebenso sei nicht richtig gewesen, dass die Hirnblutung vor der Geburt aufgetreten sei, diese habe sich vielmehr als Folge der „Frühgeburtlichkeit“ entwickelt.

[10] Es konnte daher nicht feststellen, dass bei der Klägerin bereits vor der Geburt über längere Zeit eine erhebliche Sauerstoffunterversorgung und Gehirnschädigung vorgelegen hatte und „der Schaden“ auch bei einer 50 Minuten früher durchgeführten Notsectio „in gleicher Weise“ eingetreten wäre. Dagegen hielt es für erwiesen, dass sich durch diese 50‑minütige Verspätung die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Schädigung des Kindes durch Unterversorgung kommt, nicht bloß unwesentlich erhöhte.

[11] Das Beweisverfahren habe nicht ergeben, dass die Hirnschädigung der Klägerin ohne die erlittene Hirnblutung geringer ausgefallen wäre und „die Schädigung“ daher auf summierte Einwirkungen zurückzuführen sei, weil sich dies den Gutachten nicht entnehmen lasse. Demgegenüber habe die Klägerin nachgewiesen, dass durch die Verzögerung mit dem Kaiserschnitt die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts der Klägerin infolge Sauerstoffunterversorgung nicht bloß unwesentlich erhöht worden sei. Der Klägerin sei damit der Kausalitätsbeweis gelungen, während die Beklagte den Beweis nicht erbracht habe, dass die ihr zuzurechnende Sorgfaltsverletzung mit größter Wahrscheinlichkeit nicht kausal für den Schaden gewesen sei. Die „Frühgeburtlichkeit“ der Klägerin stelle keine körperliche Vorschädigung dar, sondern ein zusätzliches Risiko, das durchaus vergleichbar mit einer krankhaften Anlage sei. Da nicht feststehe, dass die „Frühgeburtlichkeit“ für sich allein „die gleiche schwere Schädigung“ der Klägerin ausgelöst hätte, hafte die Beklagte für den (gesamten) Schaden, sei doch die behauptete Kausalität der Hirnblutung für das Ausmaß des Hirnschadens nicht nachgewiesen. Es erkannte der Klägerin der Höhe nach angemessenen Ersatz für die aufgetretenen Schäden zu und sprach die Feststellung der Haftung der Beklagten (beschränkt auf die Folgen der verspäteten Notsectio, zumal spätere Behandlungsfehler nicht einmal ansatzweise behauptet worden seien) aus.

[12] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, und erachtete die „Frühgeburtlichkeit“ der Klägerin ebenfalls als eine Schadensanlage, die nicht zu einer Zurechnung von Folgen zu ihrer Sphäre führe. Anders als im Fall der Entscheidung 4 Ob 75/08w sei bei dem Kind eine intrauterine Vorschädigung nicht vorgelegen. Die aus der Frühgeburtlichkeit resultierenden Komplikationen und Schäden seien deshalb von der Beklagten zu verantworten, weil kein Unterschied zu jenem Fall vorliege, wo unmittelbar durch den Unfall herbeigeführte Verletzungen zusammen mit einer besonderen Veranlagung des Verletzten (hier der Umstand der Frühgeburtlichkeit) die Schwere der Verletzungsfolgen bedingten. Dann bleibe der Schädiger für den gesamten Schadenserfolg verantwortlich.

Rechtliche Beurteilung

[13] In der von der Beklagten gegen diese Entscheidung erhobenen – von der Klägerin beantworteten – außerordentlichen Revision gelingt es ihr aufzuzeigen, dass die Feststellungen des Erstgerichts zu einem Hirnschaden, der durch die Hirnblutung herbeigeführt wurde, widersprüchlich bzw unklar sind, sodass die Revision zulässig und im Sinne des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags berechtigt ist.

[14] 1. Die Beklagte wendet sich an erster Stelle dagegen, dass der Klägerin der Nachweis der Kausalität des Behandlungsfehlers für einen Gesundheitsschaden bereits dann gelungen sei, wenn feststünde, dass der Behandlungsfehler die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht bloß unwesentlich erhöhte (und ihr die Entkräftung, dass im konkreten Fall der eingetretene Schaden nicht auf den Behandlungsfehler zurückzuführen ist, nicht gelungen ist). Sie fordert, die Klägerin müsse zum Nachweis der Kausalität die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verursachung des Schadenseintritts durch den Behandlungsfehler nachweisen. Dazu beruft sie sich allein auf die zu 6 Ob 137/20w ergangene Entscheidung und behauptet ohne weitere argumentative Auseinandersetzung, das Berufungsgericht sei von dieser Entscheidung abgewichen.

[15] In diesem Urteil wird vom 6. Senat – in Anlehnung an Fälle der Anlageberaterhaftung – dem geschädigten Patienten der Nachweis abverlangt, dass der Schaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die ärztliche Fehlbehandlung zurückzuführen ist. Dem gegenüber wird in der übrigen aktuellen Rechtsprechung für den dem Kläger obliegenden Beweis der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden der Nachweis als genügend erachtet, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch den Fehler der Ärzte nicht bloß unwesentlich erhöht wurde (RIS‑Justiz RS0038222 [T7, T9, T11, T12, T16]; RS0026768 [T4, T6, T7, T8 ua]). Diese Auffassung wurde in den jeweils zuletzt ergangenen Entscheidungen des 3. (3 Ob 233/13f), 7. (7 Ob 88/17t), 9. (9 Ob 80/17f), 8. (8 Ob 110/19p), 10. (10 Ob 35/19y), 4. (4 Ob 28/20a) und 1. Senats (1 Ob 189/20f) vertreten; sie ist daher ohne Bedenken als herrschend zu bezeichnen. Entgegen dem von der Beklagten erhobenen Vorwurf ist das Berufungsgericht dadurch, dass es der vereinzelt gebliebenen Entscheidung des 6. Senats nicht folgte (vgl RS0042690 [T1]), nicht von „gesicherter neuer Rechtsprechung“ abgewichen; eine über den Verweis auf diese Entscheidung hinausgehende inhaltliche Auseinandersetzung mit Fragen der Beweislast findet in der Revision nicht statt.

[16] Der Patient muss ohnehin zuerst den (strengen) Beweis eines Behandlungsfehlers nach dem Regelbeweismaß erbringen. Gelingt ihm zudem der (Anscheins‑)Beweis, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch den ärztlichen Kunstfehler nicht bloß unwesentlich erhöht wurde, kann der Krankenanstaltenträger seinerseits beweisen, dass die ihm zuzurechnende Sorgfaltsverletzung „mit größter Wahrscheinlichkeit“ nicht kausal für den Schaden des Patienten war (RS0026768 [T6, T7, T9, T10]; RS0038222 [T7, T9, T12]). Es kehrt sich in diesen Fällen also die Beweislast für das (Nicht‑)Vorliegen der Kausalität in einem gewissen Maß um (RS0038222 [T7]; RS0026768 [T4]). Diese herrschende Rechtsprechung haben die Vorinstanzen ihrer Entscheidung zugrundegelegt.

[17] 2.1. Die Beklagte setzt sich in ihren weiteren Ausführungen auch gegen die Beurteilung der germinalen Matrixblutung als „Anlageschaden“ zur Wehr. Diese sei vielmehr mit einem Vorschaden (für den sie nicht ersatzpflichtig sei) zu vergleichen. Die „Judikatur zum Anlageschaden“ (wonach der Schädiger für den gesamten Schaden haftet) sei (nur) dann „anzuwenden“, wenn eine Schadensanlage zu einer Vergrößerung des durch das Schadensereignis verursachten Schadens führt. Es seien demjenigen, der ein schädigendes Ereignis zu verantworten hat, (nur) jene Nachteile zuzurechnen, für die das Ereignis eine Bedingung gewesen ist. Die Ansicht, die Hirnblutung und der am Kleinhirn daraus resultierende Hirnschaden seien erst nach der Geburt eingetreten, also nach dem Behandlungsfehler, weswegen sie keinen „Vorschaden“ darstellten, verkenne, dass der Begriff der Vorschädigung nicht rein zeitlich, sondern kausal zu begreifen sei. Ursache der Hirnblutung und des Substanzverlusts am Kleinhirn sei die „Frühgeburtlichkeit“ gewesen, die aber schicksalhaft und unabhängig von der Sauerstoffversorgung aufgetreten sei. Die Notwendigkeit, die Schwangerschaft – durch eine sectio – vorzeitig zu beenden (somit die Frühgeburtlichkeit), wäre überhaupt erst die Voraussetzung dafür gewesen, dass ein Behandlungsfehler habe unterlaufen können (nicht aber dessen Folge). Die Frühgeburtlichkeit mit der Folge der Hirnblutung und des Substanzverlusts am Kleinhirn sei ein (allein) die Klägerin treffender Zufall, sie habe zu einem Schaden unabhängig von dem Schaden, der durch die Sauerstoffunterversorgung ausgelöst worden sei, geführt, sodass der Gesamtschaden auf summierte Einwirkungen zurückzuführen sei. Dies müsse zur Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 führen.

[18] 2.2. Im Rahmen der Prüfung der Kausalität geht es um die Klärung, ob ein bestimmtes Ereignis einen Schaden verursacht hat. Steht ein bestimmtes Ereignis überhaupt nicht in einem Ursachenzusammenhang mit einem bestimmten (später aufgetretenen) Schaden, ist dieser nicht dessen Folge. Kausal kann ein Ereignis nur dann sein, wenn es (zumindest Mit‑)Bedingung für den Eintritt des Schadens ist. Dass der Schaden zeitlich nach dem (potentiell) schädigenden Ereignis auftritt, ist – soweit er nicht dadurch erzeugt wurde – bedeutungslos. Die zeitliche Abfolge von (früherem) Fehlverhalten und (späterem) Eintritt eines Schadens (allein) „beweist“ – wenn auch andere Ursachen in Frage kommen – nicht, dass eine bestimmte Handlung diesen Schaden herbeiführte.

[19] Unklar ist im vorliegenden Fall (noch), ob sämtliche aufgetretenen Schäden auf die Notsectio zurückzuführen sind (und davon zumindest mitverursacht wurden) oder ob sie teilweise (allein) auf den Umstand, dass es sich bei der Klägerin nicht um ein ausgereiftes Kind (sondern eine Frühgeburt) handelte, zurückgehen. Soweit Schäden aus der „Frühgeburtlichkeit“ der Klägerin resultieren und auch bei rechtzeitiger Notsectio (ohne die 50-minütige Verspätung) aufgetreten wären, haftet die Beklagte nicht. Nur, wenn sich dies nicht klären lässt, kommen die vorstehenden (unter Pkt 1. dargestellten) Beweislastregeln zur Anwendung. Dann genügt für den Nachweis der Verursachung einer bestimmten Schadensfolge durch den Behandlungsfehler, dass sich die Wahrscheinlichkeit des konkreten Schadenseintritts durch den ärztlichen Kunstfehler nicht bloß unwesentlich erhöhte, es sei denn, es gelänge dem Krankenanstaltenträger seinerseits der Nachweis, dass die ihm zuzurechnende Sorgfaltsverletzung „mit größter Wahrscheinlichkeit“ nicht kausal für den Schaden des Patienten war.

[20] 2.3. Die vom Erstgericht zu den aufgetretenen Schäden getroffenen Feststellungen lassen die Beurteilung der Kausalität des Behandlungsfehlers derzeit nicht abschließend zu und bedürfen einer Klarstellung. Sie geben keinen Aufschluss darüber, in welchem Zustand die Klägerin bei unverzüglicher Vornahme des Kaiserschnitts wäre und ob sie auch dann ein bestimmter Teil der erlittenen Nachteile getroffen hätte.

[21] Das Erstgericht stellte einerseits zu den sich aus der neuroradiologischen Beurteilung der MRI (Magnetic Resonance Imaging) ergebenden körperlichen Schäden fest, dass die hypoxisch‑ischämische Enzephalopathie auf eine schwere Sauerstoffunterversorgung zurückzuführen ist, während die germinale Matrixblutung mit Ventrikelhämorrhagie vom Grad III mit Hydrozhephalus „eine Komplikation der Frühgeburtlichkeit ist“, wobei „als weitere Komplikation dieser Hirnblutung der Substanzverlust am Kleinhirn darstellt“. Ob die Sinusvenenthrombose primär auf einen schweren Sauerstoffmangel unter der Geburt zurückzuführen ist oder in direktem Zusammenhang mit der festgestellten Ventrikelblutung steht, lässt sich nicht sagen.

[22] An anderer Stelle führte es aus, es stehe nicht fest, dass aufgrund der Hirnblutung ein zusätzlicher Hirnschaden entstanden ist und – wenn auch disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung – ebensowenig, dass die Hirnschädigung der Klägerin ohne die erlittene Hirnblutung geringer ausgefallen wäre. Es ging im Rahmen der Beweiswürdigung weiters davon aus, dass das Beweisverfahren nicht ergeben habe, dass die Schädigung auf summierte Einwirkungen zurückzuführen sei, weil sich dies den Gutachten nicht entnehmen lasse und verneinte (im Rahmen der rechtlichen Beurteilung) den Nachweis der behaupteten Kausalität der Hirnblutung für das Ausmaß des Hirnschadens.

[23] Die Beklagte verstand (noch in ihrer Berufung) die Negativfeststellung zum zusätzlichen Hirnschaden (zuerst selbst) als (auch) auf den Substanzverlust am Kleinhirn bezogen und bemängelte diese als unrichtig. Sie strebte in ihrer Beweisrüge den Ersatz der Negativfeststellung (dass nicht feststehe, dass aufgrund der Hirnblutung ein zusätzlicher Hirnschaden entstanden ist) durch die (positive) Feststellung an, dass die aufgrund der Frühgeburtlichkeit eingetretene schwere Hirnblutung Grad III und der dadurch bedingte Substanzverlust am Kleinhirn zu einem zusätzlichen Hirnschaden geführt haben.

[24] Das Berufungsgericht kam durch seine Auslegung der Feststellungen zum Ergebnis, das Erstgericht habe ohnehin festgestellt, dass der Substanzverlust am Kleinhirn auf die schwere Hirnblutung und diese auf die Frühgeburtlichkeit zurückzuführen sei. Es habe daher ohnehin den angesprochenen Substanzverlust am Kleinhirn als „zusätzlichen“ Hirnschaden festgestellt. Damit geht das Berufungsgericht wiederum über die getroffene Negativfeststellung hinweg oder bezieht sie ohne ausreichende Klarheit auf den (ohne lokale Festlegung) festgestellten „Hirnschaden durch Asphyxie“.

[25] Die Beklagte behandelt in ihrer Revision (jetzt ausgehend von der Auslegung der Feststellungen durch das Berufungsgericht), den festgestellten Sachverhalt nicht nur so, als sei damit (eindeutig) festgestellt worden, dass ein zusätzlicher Hirnschaden am Kleinhirn durch die Hirnblutung entstanden ist, sondern auch so, als stünde fest, dass dieser Schaden unabhängig von der Verspätung beim Kaiserschnitt aufgetreten ist.

[26] Wäre dem so, wäre der Beklagten darin Recht zu geben, dass ihr ein darauf beruhender Schaden nicht zugerechnet werden könnte (soweit er sich, worauf noch einzugehen sein wird, im klinischen [Beschwerde‑]Bild der Klägerin in relevanter Weise manifestiert).

[27] 2.4. Die Geburt der Klägerin (einige Wochen vor dem „Termin“) hätte in jedem Fall vor der Geburtsreife stattfinden müssen. Die Klägerin wäre ohne Behandlungsfehler durch Kaiserschnitt sogar noch um 50 Minuten früher geboren worden. Das mit einer Frühgeburt einhergehende Risiko ist daher nicht durch die Behandlung verursacht worden (dies haben die Vorinstanzen auch nicht angenommen). War aber die Frühgeburt medizinisch indiziert und notwendig und hätte sie sogar noch früher erfolgen sollen, könnte der Beklagten ein nachteiliger Zustand, der unabhängig von der 50‑minütigen Verspätung beim Kaiserschnitt ebenfalls eingetreten wäre, nicht zugerechnet werden.

[28] Aus den Feststellungen lässt sich aber derzeit nicht ableiten, ob die Schädigung bzw ein Substanzverlust am Kleinhirn von der Verspätung mit der Sectio unabhängig ist oder nicht. Es steht bloß fest, dass „die germinale Matrixblutung mit Ventrikelhämorrhagie vom Grad III mit Hydrozhephalus eine Komplikation der Frühgeburtlichkeit ist, wobei als weitere Komplikation dieser Hirnblutung der Substanzverlust am Kleinhirn darstellt“. Zu dieser allgemein gehaltenen Formulierung wäre klarzustellen, ob und inwieweit die festgestellten Schäden (nicht bloß generell, sondern auch) im konkreten Fall Folge der Frühgeburt sind.

[29] Zur Enzephalopathie („ausgeprägte hypoxisch-ischämische Enzephalopathie“) steht fest, dass sie auf eine stattgehabte schwere Sauerstoffunterversorgung zurückzuführen ist und dass sich durch die Verspätung die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Schädigung des Kindes gekommen ist, nicht unwesentlich erhöht hat. Es lässt sich dem Urteil zudem entnehmen, dass bei Frühgeborenen die Wahrscheinlichkeit eines komplizierten Verlaufs und einer ungünstigen neurologischen Entwicklung nach Asphyxie generell höher ist als bei Reifgeborenen. Bei den durch Sauerstoffversorgung hervorgerufenen Schädigungen in Form der festgestellten Enzephalopathie trifft daher die Ansicht der Vorinstanzen – was die Beklagte aber in jenem Bereich auch gar nicht anzweifelt – zu, dass der in dieser Form verursachte Schaden durch die „Frühgeburtlichkeit“ der Klägerin (als anlagebedingte besondere Vulnerabilität für Sauerstoffunterversorgung) besonders schwerwiegend ausgefallen ist und der Beklagten dieser Schaden(‑steil) zur Gänze zuzurechnen ist. Zu dieser Schadensursache lässt sich aber aus dem Urteil nicht ableiten, welche Regionen des Gehirns von der Asphyxie in Mitleidenschaft gezogen worden sind (so etwa nicht, ob auch das Kleinhirn dadurch [vor‑]geschädigt wurde). Zum Schaden am Kleinhirn (als örtlich eingegrenzten Teil des Gehirns) wird der Widerspruch zwischen der Negativfeststellung zum Entstehen eines zusätzlichen „Hirnschadens“ aufgrund der Hirnblutung und der festgestellten Schädigung des Kleinhirns aufzulösen sein.

[30] Sollte sich zur germinalen Matrix‑ und intraventrikulären Blutung Grad III mit posthämorraghischen Verklebungen der Foramina Luschkae sowie Magendii und Disruption des Kleinhirns und zur Sinusvenenthrombose nicht eindeutig klären lassen, ob diese in der aufgetretenen Form unabhängig von der Verspätung mit der Notsectio eingetreten sind, wird die Frage zu beantworten sein, ob sich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Risiken durch die Verspätung nicht bloß unwesentlich erhöht hat. Sollte der Klägerin dieser Nachweis gelingen (und der Beklagten der Nachweis misslingen, dass die Verspätung mit größter Wahrscheinlichkeit nicht kausal für diese Schadensfolgen war), wäre die Folge, dass die Beklagte auch für diese Schadensfolgen zur Gänze haftet.

[31] Sollte sich aber, entweder für beide oder auch nur für eines der beiden zuletzt genannten Schadensbilder ergeben, dass sich die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts durch die Verspätung mit dem Kaiserschnitt nicht oder nur unwesentlich erhöht hat oder der Beklagten der Nachweis gelingen, dass der Behandlungsfehler mit größter Wahrscheinlichkeit nicht kausal für Substanzverlust am Kleinhirn und (oder) die Sinusvenenthrombose war, wäre in der Folge der Zusammenhang (die Auswirkungen) zwischen den festgestellten, nach außen hin in Erscheinung tretenden Beeinträchtigungen der Klägerin und den nach den MRT‑Bildern diagnostizierten körperlichen (gewebsmäßigen) Schäden festzustellen. Dann bedarf es der Klärung, in welchem Umfang sich die motorischen, kognitiven und sonstigen Beeinträchtigungen der Klägerin auf welche Hirn(teil‑)schäden bzw aus den MRT‑Bildern ersichtlichen Schadensbilder zurückführen lassen.

[32] 2.5. Für alle Beeinträchtigungen und Defizite, die auf den verspäteten Eingriff zurückzuführen sind, hätte die Beklagte zu haften. Nur dann, wenn eine Zuordnung der aufgetretenen Beeinträchtigungen und Folgeschäden nicht einmal größenordnungsmäßig möglich wäre, hätte es zu einer Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 zu kommen (vgl RS0123610; RS0090872; RS0027286).

[33] 3. Damit hat es zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im angefochtenen Umfang und zur Zurückverweisung der Rechtssache in die erste Instanz zu kommen.

[34] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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