OGH 3Ob140/20i

OGH3Ob140/20i1.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Roch und Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Berthold Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei I* OG, *, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei B* GmbH, *, vertreten durch Braun Königstorfer Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen 685.735,42 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 342.867,71 EUR) gegen das Teil- und Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. Juni 2020, GZ 1 R 54/20x‑116, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 3. Februar 2020, GZ 57 Cg 4/17z‑108, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131341

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das Teil- und Teilzwischenurteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass es unter Einschluss der als unbekämpft in Teilrechtskraft erwachsenen klageabweisenden Aussprüche als Teilurteil insgesamt zu lauten hat:

„Das Klagebegehren des Inhalts

1. die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 685.735,42 EUR samt 7,88 % Zinsen aus 134.982,85 EUR seit 18. April 2012 bis 23. Juli 2013 sowie aus 640.209,02 EUR seit 24. Juli 2016 und aus 685.735,42 EUR seit 1. September 2018 zu bezahlen, wird abgewiesen, sowie

2. es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche künftige Schäden und Aufwendungen hafte, die daraus resultierten, dass am Grundstück *, anlässlich der Bebauung durch die klagende Partei 'Neubau einer Wohnanlage mit 3 Objekten mit jeweils 6 Wohnungen', Verfahren *, Hangrutschungen aufgetreten seien, wozu auch die gehörten, die der klagenden Partei im Fall der Sachfälligkeit im Verfahren * entstünden, wird im Umfang von 50 % abgewiesen.“

Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 17.339,44 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 504,24 EUR USt, 14.314 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die klagende Baugesellschaft beabsichtigte, auf ihrem – in Hanglage gelegenen – Grundstück, eine aus drei Häusern bestehende Wohnanlage zu errichten. Die Beklagte führt beratende Tätigkeiten im Ingenieurwesen sowie der Geotechnik und dem Wasserbau durch.

[2] Der Geschäftsführer der Klägerin beauftragte die Beklagte am 8. September 2010 mündlich mit der Erstellung eines Bodengutachtens sowie zur Frage, ob das Grundstück grundsätzlich zur Bebauung geeignet sei. Vom Auftrag war jedenfalls weder eine Standsicherheitsuntersuchung für das gesamte Grundstück noch eine vertiefende Baugrunduntersuchung umfasst. Die Vereinbarung weiterer Einzelheiten zum Auftrag kann nicht festgestellt werden.

[3] Am 16. September 2010 veranlasste einer der beiden Gesellschafter der Beklagten nach Begehung des Grundstücks im Bereich der geplanten Häuser 1 und 3 Schürfungen bis in eine Tiefe von 3 m. Eine tiefere Grabung war aufgrund der Hanglage und der technischen Möglichkeiten des Baggers nicht durchführbar. Mit Anrainern oberhalb der Baufläche sprach er nicht.

[4] Am 20. September 2010 übermittelte die Beklagte ein mit „Baugrunderkundung und Oberflächenentwässerung – Vorbegutachtungen“ bezeichnetes Schreiben. Darin wurde nachfolgende „vorgutachterliche Stellungnahme“ abgegeben:

[…]

Geotechnische Beurteilung und Bauempfehlungen:

Der Untergrund erscheint ausreichend fest und stabil für die vorgesehene Bebauung (Planstand 15. 09. 2010). [...]

Die Bauherstellung sollte derart erfolgen, dass beim Haus 1 (größte Tiefe, unterkellert) jeweils nur 1/3 Breite ausgehoben wird. Erst nach Errichtung des dortigen Kellers und Hinterfüllung sollte der nächste Abschnitt ausgehoben werden. Weiters wäre empfehlenswert, oberhalb des Hauses 1 einen Voraushub zur Geländeabsenkung von etwa 1 –2 m vorzunehmen. Die Aushubböschung sollte nicht steiler als 1 : 1 ausgeführt und mit Abdeckfolien vor Durchfeuchtung geschützt werden.

Im Bereich Haus 3 sollten größere Aushubtiefen vermieden werden bzw. wären sonst tief reichende Spundungen zur Baugrubensicherung vorzusehen, um ein Nachrutschen der benachbarten Böschung auszuschließen.

[...]

Zusammenfassung:

Wie sich aus der Vorbegutachtung aufgrund Begehung, Anrainerauskünfte und Schürfproben ergeben hat, kann das Grundstück aus geotechnischer Sicht als bebaubar angesehen werden. Die Standsicherheit der Baugruben, vor allem für Haus 1 (tiefster Hanganschnitt), sollte vor Ausführung mittels Standsicherheitsuntersuchung überprüft werden, wobei die Bodenkennwerte evtl. aus einer vertiefenden Baugrunderkundung abgeschätzt werden sollten. […]

 

[5] In der Folge übernahm der zweite Gesellschafter der Beklagten als Vertreter der Beklagten die Zusammenarbeit mit der Klägerin. Er erhielt von ihrem Geschäftsführer die Einreichpläne und führte Gespräche mit Gemeindevertretern und Anrainern.

[6] Bei der Bauverhandlung vom 24. Jänner 2011, an der auch der Geschäftsführer der Klägerin teilnahm, erhoben die Eigentümer des oberhalb der Baufläche liegenden Grundstücks Einspruch, weil der konkrete Hang Rutschgebiet und die geplante Hangsicherung unzureichend sei.

[7] Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde vom 2. Mai 2011 wurde der Klägerin die Baubewilligung mit ua folgender Auflage erteilt:

„3. Die Bodenverhältnisse sind vor dem Baubeginn durch eine befugte Fachperson untersuchen zu lassen. Die Baudurchführung und Fundierung ist in konstruktiver und bauphysikalischer Hinsicht entsprechend dem Ergebnis der Bodenuntersuchung und den sich daraus ergebenden statischen Erfordernissen vorzunehmen. Im Rahmen der Bauausführung ist auch ein begleitendes geotechnisches Kontrollorgan zu beauftragen.“

 

[8] Über Berufung der Eigentümer des oberhalb der Baufläche liegenden Grundstücks wurde der Klägerin im Berufungsvorentscheidungsverfahren mit Schreiben vom 8. Juli 2011 mitgeteilt, der Gemeinderat habe den Einwendungen stattgegeben, es lägen bislang lediglich Vorbegutachtungen bezüglich der Baugrunderkundung und der Oberflächenentwässerung vor. Wörtlich heißt es darin ua:

[...] Laut Gemeinderat ist eine solche Vorbegutachtung jedoch im Schadensfalle (Hangrutschung etc.) bezüglich der allfälligen Haftungsfrage nicht ausreichend. Es wird daher ersucht, der Baubehörde baldmöglichst ein diesbezügliches geotechnisches Bodengutachten – auch dahingehend nachvollziehbar, ob die entlang der nördlichen Grundgrenze geplante Hangsicherung (Korbsteinschlichtung mit ca. 2,30 m Höhe bzw. Böschungsmaßnahmen aufgrund der Bodenverhältnisse als ausreichend anzusehen ist – vorzulegen. Nach Vorlage dieses Gutachtens wird sodann neuerlich der Einspruch der Familie [...] behandelt.“

 

[9] Daraufhin teilte der Geschäftsführer der Klägerin der Beklagten mit, es sei zu einem Einspruch gekommen, die Einwendungen bezögen sich auf das Haus 3. Über Nachfrage der Beklagten betreffend die im Bescheid vom 2. Mai 2011 geforderten vertiefenden Baugrunduntersuchungen versicherte der Geschäftsführer der Klägerin, diese vor Baubeginn jedenfalls vornehmen zu lassen. Den Auftrag zur Vornahme dieser Untersuchungen erteilte die Klägerin der Beklagten nicht, sondern ihr Geschäftsführer forderte von der Beklagten lediglich die Abgabe einer Stellungnahme zur Fragestellung, ob zusätzliche Sicherungsmaßnahmen bei Haus 3 notwendig seien.

[10] Ohne Durchführung vertiefender Baugrunduntersuchungen erstellte die Beklagte sodann mit 26. Juli 2011 ein mit „Geotechnisches Gutachten – Gründung Haus 3 Berechnung Standsicherheit“ betiteltes Gutachten mit ua folgendem Inhalt:

[…] 1.2 Aufgabenstellung

Beurteilung der Baugrundsituation auf Gefährdungspotentiale besonders des nördlich gelegenen Nachbargrundstücks, aufgrund einer Vorschreibung der Gemeinde […]. Die Beurteilung soll auch eine Stellungnahme über die im Einreichprojekt ausgewiesene Korbsteinschlichtung enthalten. […]

 

4. Zusammenfassung

4.1 Allgemeines

Im vorliegenden Gutachten wurde der von der Gemeinde [...] geforderte Standsicherheitsnachweis für die Hangsicherung an der nördlichen Grundstücksgrenze durchgeführt.

 

4.2. Standsicherheit

Zur Abklärung des Untergrundes wurden zwei Schürfe im September 2010 aufgenommen. Der Untergrund besteht aus Kies, sandigen, stark schluffigen Boden (Moräne). Die bodenmechanischen Kennwerte wurden aus Erfahrungswerten abgeleitet.

Die Berechnung der Standsicherheit wurde für den ungünstigsten Hangquerschnitt durchgeführt. Für den untersuchten Querschnitt werden die geforderten Mindestsicherheiten für alle 2 untersuchten Lastfälle eingehalten. Zusätzlich ist noch der Nachweis für die Spritzbetonsicherung zu erbringen.

Die Gleitsicherheit wurde zusätzlich für die Stützmauer beim Haus 3 überprüft. Die geforderten Sicherheiten werden ebenso eingehalten.

 

4.3 Weitere Empfehlungen

Für die Herstellung der Baugrube sind folgende Punkte einzuhalten:

• […]

• Die Böschung zum oben liegenden Grundstück ist speziell auf Risse zu überprüfen. Bei Unklarheiten ist mit der geotechnischen Bauaufsicht Rücksprache zu halten.

• [...].

• Bei Änderungen gegenüber bei der Begehung angetroffenen Bodenschichten ist die geotechnische Bauaufsicht zu informieren und die weiteren Maßnahmen abzustimmen.

 

[11] Mit Berufungsvorentscheidung vom 11. August 2011 wurde der Baubescheid dahin abgeändert, dass die im Gutachten der Beklagten vom 26. Juli 2011 enthaltenen Empfehlungen, Auflagen und Bedingungen zu beachten und einzuhalten seien. Im Übrigen blieb der angefochtene Baubescheid und insbesondere alle darin enthaltenen weiteren Auflagepunkte unberührt.

[12] Mit der Durchführung der Aushubarbeiten beauftragte die Klägerin die Nebenintervenientin. Im September 2011 wurde zuerst auf jener Fläche, auf der das Haus 1 errichtet werden sollte, eine Lkw-Zufahrt eingerichtet. Dann wurde mit dem Aushub für das Haus 2 begonnen. Die Fläche wurde nicht in Abschnitten, sondern in einem Schritt ausgehoben. Nach Fertigstellung des Aushubs wurde die Bodenplatte betoniert. Hangsicherungen oder Stützmaßnahmen wurden nicht gesetzt.

[13] Während dieser Baumaßnahmen war die Beklagte nicht mit der geotechnischen Baubegleitung oder Bauaufsicht beauftragt. Die Beklagte war auch bei den Aushubarbeiten nicht anwesend und wurde über Veränderungen im Aushubmaterial oder das Entstehen von Rissen nicht informiert.

[14] Die ungesicherten Aushubarbeiten lösten Hangrutschungen aus.

[15] Die Bodenverhältnisse der Baufläche sind aufgrund der Hangneigung sowie der Festigkeitseigenschaften der einzelnen Bodenzonen und des vorhandenen Hangwassers labil. In der Geologischen Karte der Republik Österreich ist das Gebiet ausgewiesen als „tiefgreifend aufgelockerter, stark bewegter Felsbereich, Schwemmkegel, Murenkörper, Hangschutt und verkieselter Sandstein, Konglomerat“. Aufgrund dieser Bodengegebenheiten hätte gemäß der ÖNORM B 4402 eine Kategorisierung des Bauvorhabens in geotechnischer Hinsicht erfolgen müssen. Das Grundstück entspricht der Kategorie GK 3 (schwierigste Kategorie). Die ÖNORM B 4402 legt ein mehrstufiges Untersuchungsprogramm zur Erkundung der Bodenverhältnisse fest. Neben einer Vorerkundung und einer Voruntersuchung sind eine Hauptuntersuchung (= vertiefende Baugrunduntersuchung) sowie eine baubegleitende Untersuchung vorgesehen. Die Bodenerkundungen sind von einem Sachverständigen für Geotechnik vorzunehmen. Bei Untergrundverhältnissen der Kategorie GK 3 ist die Durchführung einer Hauptuntersuchung zwingend. Diese dient in erster Linie dazu, eine möglichst genaue Kenntnis von den Bodenverhältnissen zu erhalten. Der Umfang der Untersuchungen wird vom Sachverständigen für Geotechnik festgelegt. Abweichungen von den in der ÖNORM B 4402 festgelegten Untersuchungsschritten sind darzulegen.

[16] Die Berechnung der Kennwerte in den gutachterlichen Konstatierungen der Beklagten beruhen auf Erfahrungswerten, die mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht in Einklang zu bringen sind. Die Beklagte führte eine Kategorisierung der Baufläche nach der ÖNORM B 4402 nicht durch. Die Empfehlungen im zweiten Gutachten betreffen lediglich den Aushub für Haus 3 und wären nicht geeignet gewesen, für eine ausreichende Absicherung zu sorgen. Weder in der vorgutachterlichen Stellungnahme noch im zweiten Gutachten nahm die Beklagte eine Kategorisierung des Baugrundes vor. Auch wendete sie die ÖNORM B 4402 nicht an. Die Geologische Karte der Republik Österreich wurde in den Gutachten der Beklagten nicht berücksichtigt. Für eine vertiefende Baugrunduntersuchung wären Schürfe bis in eine Tiefe von 25 m erforderlich gewesen. Dabei wären die schwierigen Bodenverhältnisse zutage getreten. Bei Standsicherheitsberechnungen wäre zum Vorschein gekommen, dass die Standsicherheit des geplanten Bauvorhabens nur mit zusätzlichen, im Vorhinein zu errichtenden massiven Hangsicherungsmaßnahmen gegeben gewesen wäre.

[17] Wäre eine geotechnische Bauaufsicht während der Aushubarbeiten zugezogen worden, hätte sie die Abweichung der tatsächlichen Bodenverhältnisse von jenen von der Beklagten angenommenen feststellen müssen und mit entsprechenden Vorschreibungen zur weiteren Vorgehensweise und Hangsicherung reagieren können. Außerdem hätte eine geotechnische Bauaufsicht vor Beginn mit den Aushubarbeiten die noch fehlenden Untersuchungen eingefordert und bei solchen Untergrundverhältnissen eine quantitative Beobachtung des Hangverhaltens vorsehen müssen.

[18] Die Eigentümer des oberhalb der Baufläche liegenden Grundstücks informierten am 9. Oktober 2011 die Gemeinde von Veränderungen seit Beginn der Bauarbeiten (Klemmen der Haustüre und der eisernen Kellertüre, Vergrößerung bereits vorhandener Risse, abbröckelnder Putz, tägliches Auftreten neuer Risse). Sie erhoben wegen der Schäden an ihrem Haus Schadenersatzansprüche gegen die Klägerin in einem – derzeit ruhenden – Verfahren.

[19] Die Klägerin begehrt mit ihrer mehrfach modifizierten Klage vom 11. März 2014 Schadenersatz wegen der Hangrutschungen, und zwar die um die Sowieso-Kosten reduzierten Kosten der bereits erfolgten Hangsicherung von 645.735,42 EUR und einen Teil der Kosten der anwaltlichen Vertretung im Bauverfahren von 40.000 EUR sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Sie habe die Beklagte vor Baubeginn mit der Erstellung geotechnischer Gutachten zur Berechnung der Standsicherheit der zu errichtenden Gebäude sowie der geotechnischen Aufsicht des Bauvorhabens beauftragt. In ihrem ersten Gutachten habe sie die Bebaubarkeit des Hangs bestätigt, jedoch mangels der erforderlichen Erkundigungen und Untersuchungen die Schwierigkeit des Untergrundes nicht erkannt und es folglich unterlassen, die Klägerin auf die Erfordernisse der ÖNORM B 4402 hinzuweisen, entsprechende Vorkehrungen wie laufende Messungen und Errichtung einer Stützkonstruktion zu veranlassen und regelmäßig die Baustelle aufzusuchen. Die Beklagte sei ergänzend beauftragt worden, jenes Gutachten zu erstellen, welches von der Gemeinde gefordert wurde. Die Klägerin habe darauf vertrauen dürfen, dass das zweite Gutachten allen notwendigen Anforderungen entspreche. Beide Gutachten seien mangelhaft und die Anweisungen darin unzureichend, unklar und nicht geeignet gewesen, die späteren Hangrutschungen zu verhindern. Diese seien Grundlage für den Beginn der Baumaßnahmen gewesen, weil die Klägerin davon ausgegangen sei, dass der Baugrund für die beabsichtigte Bebauung die erforderliche Stabilität aufweise und keine weiteren Maßnahmen erforderlich seien. Die Herstellung der Baugrube ohne derartige Stützkonstruktionen sei für die Rutschungen kausal gewesen. Wären die Bodenwerte richtig untersucht und festgelegt worden, hätte sich bereits bei Beginn der Aushubarbeiten gezeigt, dass die Standsicherheit nur mit zusätzlich zu errichtenden massiven Hangsicherungsmaßnahmen wie Stützkonstruktionen zu gewährleisten gewesen wäre. Die Haftung der Beklagten resultiere aus der fehlerhaften Gutachtenserstellung und einer nachlässigen geotechnischen Baubegleitung, was rechtzeitige Sicherungsmaßnahmen verhindert hätte.

[20] Die Beklagte bestritt und wendete ua ein, sie sei nur mit der Erstellung eines Vorgutachtens beauftragt gewesen und habe die Regeln dafür eingehalten. Die Beklagte habe Empfehlungen abgegeben, die die Klägerin nicht berücksichtigt habe. Erkennbar habe sich das zweite Gutachten lediglich auf das Haus 3 bezogen. Eine Hauptuntersuchung habe die Klägerin nicht beauftragt. Die Beklagte sei nicht mit der geotechnischen Bauaufsicht beauftragt gewesen, erst nach dem Schadenseintritt habe sie diese übernommen. Die Klägerin habe die ihr im Baubescheid aufgetragenen Auflagen nicht eingehalten, die den Empfehlungen der Beklagten entsprochen hätten. Der Schaden wäre diesfalls nicht eingetreten, weshalb ein Mitverschuldenseinwand erhoben wurde. Die Beklagte wandte ua auch Verjährung ein.

[21] Die Nebenintervenientin schloss sich dem im Wesentlichen an.

[22] Das Erstgericht, das das Verfahren auf den Grund des Anspruchs einschränkte, wies die Klage ab. Es sei zwar das erste Gutachten der Beklagten insbesondere mangels Heranziehung der ÖNORM B 4402 mangelhaft und darauf aufbauend auch das zweite Gutachten unzureichend gewesen. Die Beklagte habe aber festgehalten, dass es sich um Vorerkundungen gehandelt habe, und in ihren Empfehlungen auf die Erforderlichkeit weitergehender Untersuchungen hingewiesen. Dass tiefgreifendere Untersuchungen nicht vorgenommen und Auffälligkeiten während der Aushubarbeiten nicht berücksichtigt worden seien, könne mit Blick auf den ihr von der Klägerin erteilten Auftrag nicht der Beklagten angelastet werden.

[23] Das Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge: Es änderte das Ersturteil in den Ausspruch des Zurechtbestehens des Leistungsbegehrens dem Grunde nach im Ausmaß von 50 % und in die Abweisung des darüber hinausgehenden Leistungsbegehrens sowie des Feststellungsbegehrens im Umfang von 50 % ab. Im Übrigen hob es das Ersturteil hinsichtlich des weiteren Ausspruchs über das Feststellungsbegehren zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig, weil die Verschuldensteilung keine erhebliche Rechtsfrage darstelle.

[24] Sei die Art und Weise der Werkerstellung im Bau- oder im sonstigen Werkvertrag nicht ausdrücklich anders festgelegt worden, habe der Auftragnehmer das Werk so zu erstellen, wie es die Übung des redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB) erfordere und für ein solches Werk ortsüblich und angemessen sei. Die Beklagte als Sachverständige habe daher die die geotechnischen Untersuchungen für bautechnische Zwecke betreffende ÖNORM B 4402 als Verkehrssitte oder Gebräuche im Geschäftsverkehr auch ohne ausdrückliche Vereinbarung der Streitteile zu beachten gehabt.

[25] Die Beklagte habe mit dem Unterbleiben der Einsichtnahme in die Geologische Karte der Republik Österreich eine ganz einfache und naheliegende Erhebung nicht durchgeführt, weshalb sie nicht erkannt habe, dass die Bodenverhältnisse der schwierigsten geotechnischen Kategorie entsprechen. Damit erweise sich ihr Vorgutachten vom 20. September 2010 als mangelhaft. Diese Gutachtensmängel könnten nicht vernachlässigt werden, weil „die unrichtige Information der Klägerin jedenfalls als Mitursache dafür anzusehen ist, dass die Klägerin – in Verkennung des Gefahrenpotentials des Baugrundstücks – Auflagen der Baubehörde nicht befolgte“.

[26] Als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten (§ 1304 ABGB) müsse sich die Klägerin anrechnen lassen, dass sie konkrete Behördenauflagen missachtet habe, obwohl ihr als Bauunternehmerin die Bedeutung solcher Anordnungen bekannt sein musste. Eine geotechnische Bauaufsicht hätte die Abweichungen der tatsächlichen Bodenverhältnisse von den ursprünglichen Annahmen feststellen können, Standsicherheitsberechnungen hätten die Notwendigkeit massiver Hangsicherungsmaßnahmen gezeigt. Die Versäumnisse der Streitteile würden gleich schwer wiegen, weshalb die Beklagte dem Grunde nach für 50 % der Schäden der Klägerin zu haften habe.

[27] Über die Haftung für künftige Schäden dürfe kein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs gefällt werden, weil für die Bejahung des Anspruchsgrundes alle Anspruchsvoraussetzungen feststehen müssen, dann aber schon eine Endentscheidung über das Feststellungsbegehren gefällt werden könne.

[28] Gegen den Ausspruch, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu 50 % zu Recht bestehe, richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Das Berufungsverfahren sei mangelhaft, weil das Berufungsgericht (sowohl zum vereinbarten Auftragsumfang als auch) zur Ursächlichkeit der Gutachten der Beklagten für die Nichteinhaltung der Bescheidauflagen durch die Klägerin nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehe; dazu liege keine Tatsachenfeststellung vor. In der Sache wendet sich die Beklagte gegen die Verbindlichkeit der ÖNORM B 4402 ihr gegenüber und gegen die Kausalität der Vorwürfe gegenüber der Beklagten. Die Klägerin habe weder vertiefende Baugrunduntersuchungen durchführen lassen noch eine geotechnische Bauaufsicht beigezogen, obwohl bei Durchführung dieser Auflagen die Problematik der Bodenverhältnisse erkannt und der Schadenseintritt vermieden worden wäre. Die Nichtberücksichtigung der ÖNORM B 4402 und der Geologischen Karte durch die Beklagte seien daher nicht schadenskausal. Ursächlich für die aufgetretenen Schäden sei ausschließlich das Verhalten der Klägerin gewesen. Ein allfälliges Mitverschulden der Beklagten trete daher völlig in den Hintergrund.

[29] Die Klägerin verweist in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision und tritt ihr auch inhaltlich entgegen.

Rechtliche Beurteilung

[30] Die außerordentliche Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts korrekturbedürftig ist.

[31] 1. Der Revision ist dahin zuzustimmen, dass das Ersturteil keine Feststellungen dazu enthält, warum die Klägerin mit dem Bau begann, ohne sich an die – auch nach dem zweiten Gutachten der Beklagten beibehaltenen – Auflagen im (ergänzten) Baubewilligungsbescheid vom 11. August 2011 zu halten. Folglich fehlt es auch an der Feststellung, dass die beiden Gutachten der Beklagten (mit‑)ursächlich für die Nichteinhaltung der Auflagen waren.

[32] Die zweifellos dem Tatsachenbereich zuzuordnende Aussage des Berufungsgerichts, „die unrichtige Information der Klägerin [ist] jedenfalls als Mitursache dafür anzusehen, dass die Klägerin – in Verkennung des Gefahrenpotentials des Baugrundstücks – Auflagen der Baubehörde nicht befolgte.“ stellt daher eine gegenüber dem Erstgericht ergänzende Feststellung dar, die ohne Beweiswiederholung getroffen wurde. Das Berufungsgericht darf ergänzende Feststellungen aber nur nach Beweiswiederholung oder Beweisergänzung treffen (RIS‑Justiz RS0043026). Ein Verstoß begründet eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RS0043461; RS0043057). Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz führt jedoch nur dann zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht (vgl RS0043461 [T1]), wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (vgl RS0043027; RS0043461 [T9]).

[33] 2. Das ist hier nicht der Fall, weil eine Haftung der Beklagten auch bei Annahme einer Mitkausalität ihrer – auch gemessen an der ÖNORM B 4402 – mangelhaften Gutachten aus folgenden Gründen zu verneinen ist:

[34] 2.1. Die – schon im ersten Baubescheid enthaltenen und im zweiten Baubescheid ausdrücklich als unberührt aufrecht erhaltenen – Bescheidauflagen verlangten einerseits, die Bodenverhältnisse vor dem Baubeginn durch eine befugte Fachperson untersuchen zu lassen (was angesichts des bereits vorliegenden Vorgutachtens nur dahin verstanden werden konnte, dass eine sogenannte Hauptuntersuchung = vertiefende Baugrunduntersuchung vorzunehmen ist) und andererseits die Beauftragung eines begleitenden geotechnischen Kontrollorgans im Rahmen der Bauausführung, also die Bestellung einer geotechnischen Bauaufsicht. Die Ansicht der Klägerin, sie habe darauf vertrauen dürfen, dass mit dem zweiten Gutachten der Beklagten allen von der Baubehörde als notwendig erachteten Anforderungen entsprochen sei, ist nicht zu teilen. Hätte nämlich die Baubehörde die beiden Gutachten der Beklagten als ausreichend angesehen, hätte sie nicht ausdrücklich die schon im ersten Baubescheid enthaltenen weiteren Auflagepunkte als unberührt erklärt.

[35] 2.2. Der Klägerin ist der Nachweis der Beauftragung der Beklagten mit der geotechnischen Bauaufsicht für die Zeit vor dem Schadenseintritt nicht gelungen. Damit scheidet ein vertrags- = rechtswidriges Verhalten der Beklagten von vornherein aus. Für die Unterlassung dieses Auftrags, der auch bei Einholung eines weiteren Bodengutachtens notwendig gewesen wäre, bietet der festgestellte Inhalt der Gutachten der Beklagten keine Rechtfertigung. Vielmehr lässt das zweite Gutachten erkennen, dass die Beklagte davon ausgeht, dass eine geotechnische Bauaufsicht tätig sein wird. Nach den Feststellungen zu den Aufgaben der geotechnischen Bauaufsicht ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Gefährlichkeit des Bodens rechtzeitig entdeckt worden wäre, also gar kein Schaden eingetreten wäre.

[36] 2.3. Zur geforderten vertiefenden Baugrunduntersuchung ist zu bedenken, dass der Geschäftsführer der Klägerin einem der beiden Gesellschafter der Beklagten über dessen Nachfrage betreffend die im (ersten) Bescheid vom 2. Mai 2011 geforderte vertiefende Baugrunduntersuchung unmittelbar vor Auftragserteilung zum zweiten Gutachten versicherte, diese vor Baubeginn jedenfalls vornehmen zu lassen. Das bedeutet, dass die Beklagte den Geschäftsführer der Klägerin darauf aufmerksam machte, dass eine solche vertiefende Baugrunduntersuchung unbedingt vor Baubeginn notwendig ist. Demnach wusste er, dass auch die Beklagte eine solche vertiefende Baugrunduntersuchung für notwendig erachtet, und zwar trotz des Vorgutachtens und des gleichzeitig beauftragten Teilgutachtens nur zum Haus 3. Dafür, dass die Klägerin das zweite Gutachten als die geforderte vertiefende Baugrunduntersuchung auffassen konnte, bieten die Feststellungen zu seiner Beauftragung, seiner Bezeichnung und seinem Inhalt nicht den geringsten Anlass. Wie schon erwähnt, rechtfertigt auch der zweite Baubewilligungsbescheid ein solches Verständnis nicht. Auch dazu steht fest, dass bei Durchführung einer vertiefenden Baugrunduntersuchung die schwierigen Bodenverhältnisse zutage getreten wären.

[37] 3. Für eine Verschuldensteilung ist die Pflichtverletzung der Beklagten den der Klägerin anzulastenden Sorgfaltswidrigkeiten gegenüberzustellen. Dabei ist kein Verschulden im technischen Sinne oder überhaupt rechtswidriges Verhalten gemeint, sondern eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (RS0022681; RS0032045). Diese Abwägung kann auch dazu führen, dass die Haftung des Schädigers gänzlich aufgehoben wird, was ein weitaus überwiegendes Verschulden des Geschädigten voraussetzt (RS0027202). Dabei ist aber nicht (nur) die Zahl der Sorgfaltswidrigkeiten entscheidend (RS0026861 [T1]), sondern vielmehr das Gewicht des (Gesamt-)Verschuldens, die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das Verschulden jeweils bewirkten Gefahr sowie die Bedeutung der gegebenenfalls verletzten Vorschriften (RS0026861 [T11]; RS0026597 [T3, T4]).

[38] 3.1. Selbst wenn man unterstellt, dass die beiden schriftlichen Gutachten der Beklagten der ÖNORM B 4402 nicht entsprochen haben und mitursächlich für den Entschluss der Klägerin waren, die beiden baubehördlichen Auflagen nicht einzuhalten, steht dem gegenüber, dass die Beklagte die Einhaltung der einen Auflage (Bodenuntersuchung) ausdrücklich von der Klägerin mündlich verlangte und zugesichert erhielt sowie dass sie mit ihren Gutachten keinen gerechtfertigten Anlass für die Nichteinhaltung der zweiten Auflage (geotechnische Bauaufsicht) setzte. Die Klägerin hat sich daher wider besseres Wissen bzw nahezu mutwillig über die beiden Behördenauflagen hinweggesetzt, obwohl ihr als Bauunternehmerin – wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt – sowohl die Bedeutung solcher Anordnungen als auch die aus der Nichteinhaltung drohenden großen Gefahren bekannt sein mussten und davon auszugehen ist, dass die Einhaltung jeder der beiden Auflagen unabhängig voneinander die Schäden vermieden hätte. Unter diesen Umständen tritt das Fehlverhalten der Beklagten gegenüber dem schwerwiegenden Verschulden der Klägerin völlig in den Hintergrund, weshalb sich die vom Erstgericht vertretene Ablehnung der Haftung der Beklagten als zutreffend erweist.

[39] 3.2. Dieses Ergebnis erübrigt eine Auseinandersetzung mir der von der Revision verneinten Frage, ob die ÖNORM B 4402 von der Beklagten anzuwenden war.

[40] 4. Das Ersturteil war daher – unter Einschluss der in Teilrechtskraft erwachsenen Aussprüche des Berufungsgerichts – wiederherzustellen, soweit es nicht vom Aufhebungsbeschluss betroffen ist.

[41] Weder ließ das Berufungsgericht den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss zu noch hat aufgrund der Revisionsentscheidung überhaupt keine weitere Behandlung des von der Aufhebung umfassten Klagebegehrens mehr stattzufinden. Daher kann der Oberste Gerichtshof über den vom Aufhebungsbeschluss betroffenen Teil nicht entscheiden (RS0040804 [T4]; Musger in Fasching/Konecny³ § 519 ZPO Rz 101). Allerdings entfällt in einem solchen Fall die Bindung des Erstgerichts an eine dem Aufhebungsbeschluss zugrundeliegende, vom Obersten Gerichtshof nicht geteilte Rechtsauffassung (RS0042279). Vielmehr ist das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs gebunden (3 Ob 73/20m; RS0042279 [T3]).

[42] 5. Der Kostenvorbehalt beruht hinsichtlich der erstinstanzlichen Verfahrenskosten und der Kosten des Berufungsverfahrens auf § 52 ZPO.

[43] Im Revisionsverfahren gebührt der insoweit zur Gänze obsiegenden Beklagten Kostenersatz gemäß §§ 41, 50 ZPO.

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