OGH 3Ob6/21k

OGH3Ob6/21k25.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*****, geboren am ***** 2012, Mutter E*****, vertreten durch Dr. Michael Hasenöhrl, Rechtsanwalt in Wien, Vater R*****, wegen Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. November 2020, GZ 48 R 158/20w‑103, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00006.21K.0225.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Den Eltern steht die Obsorge zur achtjährigen M***** gemeinsam zu, wobei das Kind hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut wurde. Die Kontakte zwischen M***** und ihrem Vater wurden zuletzt derart geregelt, dass die Minderjährige jedes zweite Wochenende von Freitag nach der Schule bis Montag Schulbeginn sowie in den dazwischenliegenden Wochen von Montag nach der Schule bis Dienstag Schulbeginn beim Vater verbringt.

[2] Die Vorinstanzen wiesen den Antrag der Mutter auf Reduzierung der Kontakte und auf Kontaktbegleitung ab und regelten aufgrund des Antrags des Vaters das Ferienkontaktrecht neu.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen.

[4] 1. Wenn es das Wohl des Minderjährigen verlangt, kann das Gericht eine Besuchsbegleitung anordnen (§ 111 AußStrG; RIS‑Justiz RS0118258). Diese Entscheidung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0097114 ua). Die Ausführungen im Revisionsrekurs sind – soweit sie nicht überhaupt in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpfen wollen – nicht geeignet, einen groben Ermessensfehler bei der Einräumung eines unbegleiteten Kontaktrechts aufzuzeigen.

[5] 1.1 Die Mutter wendet sich gegen die angefochtene Entscheidung wegen der ihrer Meinung nach „großzügigen Sicht“ der Vorinstanzen, wieviel physische und psychische Gewalt bei laufenden Besuchskontakten tolerabel wäre. Es gehe dabei um die Abgrenzung der Pflichten zur Kontaktförderung gegenüber dem Gewaltschutz.

[6] 1.2 Damit entfernt sich die Mutter von den getroffenen Feststellungen, aus denen abzuleiten ist, dass keine Gefährdung der Minderjährigen besteht, wenn dem Vater unbegleitete Kontakte eingeräumt werden. Die Beweisrüge der Mutter, mit der diese festgestellt haben wollte, dass das Kind von der um zwei Jahre älteren Stiefschwester geschlagen und dabei vom Vater nicht geschützt werde, blieb im Rekursverfahren erfolglos.

[7] 1.3 Aus der angefochtenen Entscheidung lässt sich daher keine „großzügige Sicht“ oder Toleranz gegenüber physischer oder psychischer Gewalt ableiten, sodass die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht darauf gestützt werden kann.

[8] 2. Das Rechtsmittel rügt, dass die Vorinstanzen der Familiengerichtshilfe bei deren Erhebungen und den Schlussfolgerungen völlig freies Ermessen zugebilligt hätten.

[9] 2.1 Als Beweismittel kommt im Verfahren außer Streitsachen, in dem der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel herrscht, alles in Betracht, was zur Feststellung des Sachverhalts geeignet und zweckdienlich ist (§ 31 Abs 1 AußStrG). Dazu zählen ua Beteiligte, Zeugen und Sachverständige, Urkunden und Augenschein, ebenso aber auch schriftliche Auskünfte von Behörden, Kammern, Kreditinstituten, die Einholung und Verwertung des Inhalts von Akten, wobei der Umfang der heranzuziehenden Beweismittel vom Ermessen des Gerichts bestimmt wird. Nach § 106a Abs 1 AußStrG unterstützt die Familiengerichtshilfe das Gericht bei der Sammlung von Entscheidungsgrundlagen, der Anbahnung einer gütlichen Einigung und der Information der Parteien im Verfahren über die Obsorge und die persönlichen Kontakte. Nach Abs 2 leg cit ist die Familiengerichtshilfe im Rahmen des gerichtlichen Auftrags berechtigt, Personen, die über die Lebensumstände eines minderjährigen Kindes Auskünfte erteilen können, zu laden und zu befragen, sowie unmittelbaren Kontakt mit dem Kind herzustellen. Personen, in deren Obhut das Kind steht, sind verpflichtet, einen solchen Kontakt zu dulden. Die Befugnisse zur Befragung der Beteiligten kommen einer wesentlichen Funktion des Gerichts – der Sachverhaltsklärung durch die Vernehmung der Parteien und Zeugen – sehr nahe; die Ermächtigung zum Gespräch mit dem Kind und die Aufgabe, Berichte und „psychologische Expertisen“ zu erstatten, rücken die Tätigkeit der Familiengerichtshilfe gleichzeitig in die Nähe der Befundaufnahme eines Sachverständigen. Der gerichtliche Auftrag an die Familiengerichtshilfe dient einer erschöpfenden Erörterung und gründlichen Beurteilung des Verfahrensgegenstands in der Sache. Die Beiziehung der Familiengerichtshilfe nach § 106a AußStrG erfolgt damit im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme. Ihre Berichte und Expertisen sind Beweismittel im Sinn des § 31 Abs 1 AußStrG und unterliegen daher der Beweiswürdigung des Gerichts (7 Ob 129/15v). Nach gesicherter Rechtsprechung kann auch eine fachliche Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe im Zusammenhang mit anderen Beweismitteln eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bilden (zB 5 Ob 104/19h; 10 Ob 74/18g; 5 Ob 192/19z).

[10] 2.2 Die Beiziehung der Familiengerichtshilfe findet im Anlassfall Deckung in der referierten klaren Rechtslage und hält sich im Rahmen der aufgezeigten Judikatur. Den Parteien wurden im Beweisverfahren ausreichende Möglichkeiten zur Stellungnahme, Antragstellung und Mitwirkung geboten, sodass die im Rechtsmittel dazu erstatteten Ausführungen keine erheblichen Rechtsfragen aufzeigen.

[11] 3. Schließlich geben auch die Ausführungen zum Ferienkontaktrecht keinen Anlass zur Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

[12] 3.1 Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil das Kontaktrecht (§ 186 ABGB) eingeräumt werden soll oder dieses einzuschränken oder zu untersagen ist (§ 187 Abs 2 ABGB), hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG regelmäßig nicht zu lösen sind (RS0087024 [T6]; RS0097114 [T10; T17]). Das betrifft auch die Frage, ob und in welchem konkreten Umfang dem nicht betreuenden Elternteil ein zusätzliches Ferienbesuchsrecht eingeräumt werden soll (8 Ob 82/14p). Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt der Revisionsrekurs hier nicht auf.

[13] 3.2 Die Vorinstanzen haben ihren Beurteilungsspielraum nicht dadurch überschritten, dass sie dem (auch) obsorgeberechtigten Vater ein Kontaktrecht zum Kind in den Herbst-, Weihnachts-, Semester-, Oster- und Sommerferien im Ausmaß von (insgesamt) 6,5 Wochen einräumten.

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