OGH 8Ob117/20v

OGH8Ob117/20v23.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der betroffenen Person K*, vertreten durch den Rechtsbeistand und einstweiligen Erwachsenenvertreter Dr. C*, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des einstweiligen Erwachsenenvertreters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. November 2020, GZ 43 R 444/20t-148, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131120

 

Spruch:

Der Revisionsrekurswird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit (rechtskräftigem) Beschluss vom 26. 6. 2019 wurde für den Betroffenen der Rechtsanwalt Dr. C* zum Rechtsbeistand und einstweiligen Erwachsenenvertreter mit dem Wirkungsbereich „Verwaltung von Einkommen, Vermögen und Verbindlichkeiten, insbesondere Regelung der Bezahlung der laufenden Fixkosten und Verbindlichkeiten für die Eigentumswohnung in * sowie die dem Betroffenen gehörige Liegenschaft in * und Vertretung gegenüber Sozialversicherungsträgern und privaten Vertragspartnern, um allfällige Zahlungsrückstände abzuklären und allenfalls Ratenvereinbarungen zu schließen,“ bestellt. Mit Beschluss vom 21. 2. 2020 wurde der Wirkungsbereich auf die Vertretung vor Gerichten erweitert.

[2] Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 6. 5. 2020 zu * wurde das Konkursverfahren über das Vermögen des Betroffenen eröffnet und Rechtsanwalt Dr. * B* zum Insolvenzverwalter bestellt.

[3] Mit Beschluss vom 8. 6. 2020 erweiterte das Erstgericht über Anregung des Insolvenzverwalters die einstweilige gerichtliche Erwachsenenvertretung nochmals um den Wirkungsbereich „Vertretung vor Verwaltungsbehörden, insbesondere Finanzbehörden“. Das Finanzamt habe im Insolvenzverfahren des Betroffenen aufgrund eines vollstreckbaren Rückstandsausweises eine Forderung von 55.730,04 EUR angemeldet. Über Aufforderung des Finanzamts seien die Einnahmen des Betroffenen von 2017 bis laufend unter Übermittlung von Bankkontoauszügen und eine Aufstellung der Vermögenswerte des Betroffenen vorzulegen. Bisher habe der Betroffene im Finanzverfahren – wie bereits in zahlreichen Gerichtsverfahren – sachlich nicht nachvollziehbare und widersprüchliche Angaben gemacht, die nicht in seinem Interesse liegen würden. Der bestellte Insolvenzverwalter sei nicht primär im Interesse des Betroffenen tätig, da er auch und insbesondere die Interessen der Gläubiger zu wahren habe.

[4] Gegen diesen Beschluss erhoben sowohl der einstweilige Erwachsenenvertreter im eigenen Namen als auch der Betroffene Rekurs.

[5] Das Rekursgericht gab beiden Rekursen nicht Folge. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht zugelassen.

[6] Gegen die Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des einstweiligen Erwachsenenvertreters mit dem er geltend macht, dass

- der „Verdrängungseffekt“ der insolvenzrechtlichen Bestimmungen die Bestellung eines Erwachsenenvertreters für die die Insolvenzmasse treffenden Angelegenheiten ausschließe;

- die Umschreibung des Wirkungsbereichs im bekämpften Beschluss der Bestimmung des § 272 Abs 1 ABGB widerstreite.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist mangels Rechtsmittellegitimation zurückzuweisen.

[8] 1. Nach den Grundwertungen des AußStrG steht ein Rechtsmittel – abgesehen von gesetzlichen Sonderregelungen wie etwa der Bestimmung des § 127 Abs 3 AußStrG – nur demjenigen zu, der durch die Entscheidung in seinem eigenen rechtlich geschützten Interesse beeinträchtigt ist (RIS-Justiz RS0006641). Im Erwachsenenschutzverfahren (bzw in der Diktion vor Inkrafttreten des 2. ErwSchG Sachwalterbestellungsverfahren) sollen grundsätzlich (nur) die betroffene Person und ihre Interessen geschützt werden (s auch 4 Ob 115/19v). Der Schutz des Interesses des Vertreters selbst, dass nach dem Subsidiaritätsprinzip kein Erwachsenenvertreter (vormals Sachwalter) bestellt wird, gehört nicht zu den mit dem Verfahren angestrebten Zwecken (8 Ob 83/09b).

[9] Für die Frage der Rechtsmittellegitimation des Vertreters im Erwachsenenschutzverfahren bleibt die – auf die allgemeinen Grundsätze zurückgehende – Rechtsprechung zum Sachwalterbestellungsverfahren maßgeblich (vgl RS0006229 [T33]), zumal mit dem ersatzlosen Entfall der in § 127 AußStrG aF enthalten gewesenen Regelung über die Rekurslegitimation im Bestellungsverfahren durch das 2. ErwSchG wohl keine Änderung der bisherigen Rechtslage verbunden sein sollte (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 271 Rz 27).

[10] 2.1 Der Rekurs gegen die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters steht daher der betroffenen Person und im Namen der betroffenen Person ihrem (gesetzlichen oder selbstgewählten) Vertreter sowie dem Rechtsbeistand zu. Der einstweilige Erwachsenenvertreter hat hingegen keine Rechtsmittelbefugnis im Bestellungsverfahren im Interesse des Betroffenen. Er kann seine Bestellung nur anfechten, sofern in seine eigene Rechtssphäre eingegriffen wird (RS0124559; RS0048288; RS0008563; Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG [2018] § 120 Rz 9; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG Bd I² [2019] § 120 Rz 21; Mondel in Rechberger/Klicka, AußStrG³ [2021] § 120 Rz 10).

[11] 2.2 Demnach kann der (einstweilige) Erwachsenenvertreter geltend machen, dass er trotz Vorliegens von Ablehnungsgründen bestellt worden sei (Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG [2018] § 120 Rz 9), oder dass der Umfang der ihm eingeräumten Rechte und Pflichten zu wenig deutlich beschrieben worden sei. Hingegen kann er nicht geltend machen, dass kein Grund zur Bestellung eines (einstweiligen) Erwachsenenvertreters bestünde (vgl RS0008563).

[12] 2.3 Im Einzelnen sind folgende Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs hervorzuheben:

[13] Zu 2 Ob 540/95 wurdeeiner einstweiligen Sachwalterin eine eigene Rechtsmittelbefugnis zuerkannt, die geltend machte, für die ihr mit dem angefochtenen Erweiterungsbeschluss zusätzlich übertragenen Aufgaben seien detaillierte Rechtskenntnisse erforderlich, sodass gemäß § 281 Abs 3 ABGB (idF BGBl 1983/136) ein Rechtsanwalt als einstweiliger Sachwalter zu bestellen sei.

[14] Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung bejahte der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 55/99b die Rekurslegitimation eines einstweiligen Sachwalters gegen die Erweiterung seines Aufgabenbereichs „um die Ersetzung der Zustimmung zur ... medizinischen Heilbehandlung, insbesonders der Sicherung der nervenärztlichen Kontrolle, nach entsprechender ärztlicher Aufklärung“. Der Rechtsmittelwerber argumentierte mit der Zuständigkeit des Vollzugsgerichts für die im Zuge eines Strafverfahrens in einer öffentlichen Krankenanstalt vorläufig angehaltene Betroffene.

[15] Zu 3 Ob 109/09i bekämpfte eine Sachwalterin den Bestellungsbeschluss im Umfang des Wirkungskreises „Personensorge“ mit der Begründung, dass eine Präzisierung jenes Kreises von Angelegenheiten zu erfolgen habe, die unter „Personensorge“ fielen. Habe das Gericht erster Instanz unter „Personensorge“ lediglich die in § 282 ABGB (idF des SWRÄG 2006) beschriebenen Verpflichtungen gemeint, wäre diese Angelegenheit in den Bestellungsbeschluss gar nicht aufzunehmen gewesen. Der Oberste Gerichtshof ging unter Hinweis darauf, dass die Sachwalterin geltend mache, der Umfang der ihr eingeräumten Rechte und Pflichten sei zu wenig deutlich beschrieben worden, von ihrer Rechtsmittellegitimation aus.

[16] Auch zu 1 Ob 83/11d relevierte ein Sachwalter, der Umfang der ihm eingeräumten Rechte und Pflichten sei zu wenig deutlich beschrieben worden, weil aus dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung nicht klar hervorgehe, für welche konkreten Vertretungshandlungen aus dem Bereich der Personensorge er bestellt worden sei. Stelle die Entscheidung lediglich auf die Bemühungspflicht des Sachwalters nach § 282 ABGB (idF des SWRÄG 2006) ab, hätte eine ausdrückliche Aufnahme in den Bestellungsbeschluss unterbleiben müssen. Auch in diesem Fall wurde die Rechtsmittellegitimation bejaht.

[17] In der Entscheidung 6 Ob 95/12g richtete sich ein Sachwalter insoweit gegen den Umfang seiner Bestellung, als die Vorinstanzen die „regelmäßige Kontrolle des Gesundheitszustands des Betroffenen, insbesondere hinsichtlich seiner psychischen Erkrankung“ angeordnet hatten. Im Anschluss an die Entscheidungen 3 Ob 109/09i und 1 Ob 83/11d nahm der Oberste Gerichtshof eine Rechtsmittelbefugnis des Sachwalters an und führte inhaltlich aus, dass nur eine präzise Bestimmung, welche konkreten Befugnisse dem Sachwalter im Wirkungskreis „Personensorge“ zukommen würden, ihn in die Lage versetze, seine Rechte und Pflichten verlässlich abzuschätzen.

[18] Zu 10 Ob 12/13g wies der Oberste Gerichtshof einen im eigenen Namen einer Sachwalterin erhobenen Revisionsrekurs gegen die Ablehnung der Einschränkung des Wirkungsbereichs mangels Rechtsmittellegitimation zurück, weil ihr Rechtsmittelantrag nicht auf eine Präzisierung der ihr zugewiesenen Aufgabengebiete, sondern (mit der Behauptung, der Betroffene könne den in Rede stehenden Pflichten faktisch selbst nachkommen) auf eine Einschränkung ihrer Aufgabengebiete iSd § 268 Abs 4 ABGB (idF des SWRÄG 2006) abzielte. Wie es für einen Sachwalter kein gesetzlich verankertes Recht gebe, eine größere als die tatsächliche vom Gericht für erforderlich erachtete Vertretungsbefugnis für sich zu beanspruchen, bestehe auch kein subjektives Recht des Sachwalters auf Einschränkung seines Wirkungskreises. Er könne sich demnach gegen die Zuweisung von Aufgabengebieten nicht mit dem Argument zur Wehr setzen, es bestehe kein Grund zur Bestellung eines Sachwalters. Die Frage, ob es für bestimmte Angelegenheiten der Bestellung eines Sachwalters bedürfe, sei nicht von ihm, sondern vom Gericht zu beurteilen.

[19] Schließlich wies der Oberste Gerichtshof zu 4 Ob 75/20p die Revisionsrekursbeantwortung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters im Rechtsmittelverfahren gegen die Erweiterung seines Wirkungsbereichs um die Vertretung der Betroffenen gegenüber Gerichten, Ämtern, Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie die Einkommens- und Vermögensverwaltung und die Vertretung gegenüber privaten Vertragspartnern zurück, weil durch die Festlegung seines Wirkungsbereichs nicht in seine subjektiven Rechte eingegriffen werde.

[20] 3.1 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Legitimation des einstweiligen Erwachsenenvertreters, im eigenen Namen ein Rechtsmittel gegen den Bestellungs- bzw Erweiterungsbeschluss zu erheben, davon abhängt, dass ihm selbst ein berechtigtes Interesse an seiner Nichtbestellung (zumindest in Ansehung eines Teils seines Wirkungsbereichs) oder an der Klärung seines Wirkungsbereichs zukommt, um imstande zu sein, seine Rechte und Pflichten für die betroffene Person ordnungsgemäß wahrzunehmen.

[21] 3.2 Ein solches Interesse bringt der einstweilige Erwachsenenvertreter im Anlassfall nicht zur Darstellung:

[22] Mit dem Argument, seine Bestellung (auch) für die „Vertretung vor Verwaltungsbehörden, insbesondere Finanzbehörden“ sei unzulässig, weil ohnehin alle Befugnisse vom Insolvenzverwalter wahrzunehmen seien, sodass ihm faktisch keine Angelegenheiten zu erledigen verblieben, zeigt er einen Eingriff in seine subjektiven Rechte nicht auf. Diese Behauptung läuft nämlich darauf hinaus, dass es der Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters gar nicht bedürfe. Auch kann der einstweilige Erwachsenenvertreter nicht im eigenen Namen geltend machen, dass eine iSd § 272 Abs 1 ABGB unzulässige „Vorratsbestellung“ vorliege. Ziel dieser Vorschrift ist, die Selbstbestimmung der betroffenen Person weitgehend zu erhalten. Die Wahrung des – mit dem 2. ErwSchG nochmals gestärkten (vgl Barth/Koza in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 271 Rz 41) – Subsidiaritätsprinzips liegt daher allein im Interesse der betroffenen Person.

[23] Eine Unklarheit über den Umfang seiner Rechte und Pflichten releviert der einstweilige Erwachsenenvertreter in seinem Rechtsmittel weder mit dem Einwand, die Formulierung im Erweiterungsbeschluss umfasse, soweit es Verwaltungsverfahren angehe, alle Angelegenheiten, noch mit dem Verweis auf die nach der IO dem Insolvenzverwalter obliegenden Aufgaben.

[24] 4. Der von ihm „als Einschreiter“ erhobene Revisionsrekurs ist daher mangels Rekurslegitimation als unzulässig zurückzuweisen.

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