OGH 1Ob83/11d

OGH1Ob83/11d29.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen F***** P*****, geboren am *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Sachwalters V***** - S*****, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 23. Februar 2011, GZ 2 R 341/10m-145, mit dem über Rekurs des Sachwalters der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 23. September 2010, GZ 2 P 56/02s-140, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass dem Antrag des Sachwalters stattgegeben und dessen Wirkungskreis um die Angelegenheit „Sicherstellung der sozialen und medizinischen Versorgung“ eingeschränkt wird.

Text

Begründung

Der Wirkungskreis des Sachwalters umfasst laut Beschluss des Erstgerichts vom 3. 11. 1994, SW 14/91-53, die Einkommens- und Vermögensverwaltung, die Vertretung vor Ämtern, Behörden und privaten Vertragspartnern sowie (im Revisionsrekursverfahren strittig) die Sicherstellung der sozialen und medizinischen Versorgung.

Mit Schreiben vom 7. 7. 2010 beantragte der Sachwalter die Aufhebung dieses Teilbereichs, weil bereits der Wirkungskreis „Vertretung vor Ämtern, Behörden und privaten Vertragspartnern“ alle nötigen Vertretungshandlungen zur Organisation von sozialer und medizinischer Betreuung ermögliche. Die „Sicherstellung“ einer solchen Versorgung sei durch den Sachwalter auch nicht zu bewerkstelligen.

Nach dem vom Erstgericht aus Anlass dieses Antrags eingeholten Sachverständigengutachten leidet der Betroffene unter einer chronischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Er ist im Antrieb vermindert, der Affekt ist abgeflacht. Von sich aus würde er weder ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, noch die verordneten Medikamente einnehmen. In der Besorgung seiner Angelegenheiten, insbesondere auch der medizinischen Belange, ist der Betroffene unverändert auf fremde Hilfe angewiesen. Die tägliche Betreuung durch die Heimhilfe ist unbedingt erforderlich, um die Medikamente im Dispenser vorzuordnen und deren Einnahme zu kontrollieren.

Das Erstgericht erweiterte den Wirkungsbereich des Sachwalters auf die Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen iSd § 268 Abs 3 Z 3 ABGB.

Das vom bestellten Sachwalter angerufene Rekursgericht gab dessen Rekurs teilweise Folge und hob die Erweiterung des Wirkungskreises auf alle Angelegenheiten gemäß § 268 Abs 3 Z 3 ABGB auf. Den Antrag auf Aufhebung des Bereichs „Sicherstellung der sozialen und medizinischen Versorgung“ wies es ab, weil feststehe, dass der Betroffene im Bedarfsfall von sich aus keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen würde. Hinsichtlich der verordneten Medikamente fehle ihm völlig die Übersicht. Diesbezüglich sei die Betreuung durch die Heimhilfe (Verordnung der Medikamente, Überwachung der Einnahme) unbedingt erforderlich. Würde man den (Anm: auch noch im Revisionsrekursverfahren) strittigen Wirkungsbereich des Sachwalters aufheben, bestünde für die Heimhilfe keine Handhabe, die notwendige Unterstützung des Betroffenen fortzusetzen, falls er diese zukünftig verweigern sollte, was beim vorliegenden Krankheitsbild nicht ausgeschlossen werden könne. Durch die dem Sachwalter obliegenden Agenden der Vertretung des Betroffenen vor Ämtern, Behörden und privaten Vertragspartnern werde dieser Wirkungskreis nicht abgedeckt, der nicht nur Vertretungshandlungen, sondern auch Kontroll- bzw Überwachungsmaßnahmen erfordere.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die seit dem Bestellungsbeschluss des Erstgerichts erfolgten Änderungen des § 282 ABGB nicht berücksichtigte. Er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Dem Betroffenen steht gemäß § 127 AußStrG, der nach § 128 AußStrG auch im Verfahren über die Einschränkung der Sachwalterschaft Anwendung findet, ein Rekursrecht zu. Ihm war daher die Möglichkeit einer Revisionsrekursbeantwortung einzuräumen (§ 68 Abs 1 und 3 Z 3 AußStrG), wovon er aber keinen Gebrauch machte.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Sachwalter legitimiert ist, im eigenen Namen ein Rechtsmittel zu erheben, wenn er - wie hier - releviert, dass der Umfang der ihm eingeräumten Rechte und Pflichten zu wenig deutlich beschrieben wurde (RIS-Justiz RS0008563).

Der Sachwalter macht im Wesentlichen geltend, aus dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung gehe nicht klar hervor, für welche konkreten Vertretungshandlungen aus dem Bereich der Personensorge er bestellt worden sei. Stelle die Entscheidung lediglich auf die Bemühungspflicht des Sachwalters nach § 282 ABGB ab, hätte eine ausdrückliche Aufnahme in den Bestellungsbeschluss unterbleiben müssen.

Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des KindRÄG 2001 (BGBl I 2000/135) verpflichtete § 282 ABGB jeden Sachwalter, die erforderliche Personensorge, insbesondere auch die ärztliche und soziale Betreuung, sicherzustellen, soweit das Gericht nichts anderes bestimmte. Grundsätzlich umfasste somit jede Sachwalterbestellung auch die Pflicht zur erforderlichen Personensorge, wenn der Sachwalter nicht im Einzelfall von dieser Verpflichtung teilweise oder zur Gänze befreit wurde (Stabentheiner in Rummel, ABGB³ [2000] § 282 Rz 3 mwN; RIS-Justiz RS0049114; 3 Ob 109/09i). In dem Umfang, in dem dem Sachwalter die Personensorge durch das Gericht ausdrücklich übertragen worden war, kam ihm auch die gesetzliche Vertretungsbefugnis zu. Die Formulierung des Wirkungskreises des Sachwalters entspricht im strittigen Umfang nahezu wörtlich § 282 ABGB aF.

Durch das KindRÄG 2001 wurde § 282 ABGB (nunmehr unter der Überschrift „Personensorge“) dahin geändert, dass die in Satz 2 enthaltene Formulierung aus dem Gesetzestext entfernt und in § 282 Abs 2 ABGB idF des KindRÄG 2001 angeordnet wurde, dass der Sachwalter mit der behinderten Person persönlichen Kontakt zu halten und sich darum zu bemühen hat, dass der behinderten Person die gebotene ärztliche und soziale Betreuung gewährt wird. Durch diese Änderung sollten die den Sachwalter treffenden Pflichten tendenziell eingeschränkt werden (Schauer, Zur Bestellung eines Sachwalters ausschließlich für den Bereich der Personensorge, FamZ 2006, 19 f). Die Neuregelung trat mit 1. Juli 2001 in Kraft, eine besondere Übergangsregelung wurde nicht erlassen (Art XVIII KindRÄG 2001). Nunmehr regelt Satz 1 des § 282 ABGB idF des SWRÄG 2006 (BGBl I 2006/92) diese Verpflichtung des Sachwalters. Danach hat er in dem nach den Umständen des Einzelfalls erforderlichen Ausmaß persönlichen Kontakt mit der behinderten Person zu halten und sich darum zu bemühen, dass ihr die erforderliche ärztliche und soziale Betreuung gewährt wird. Festgeschrieben wurde in Satz 2 zusätzlich, dass der Kontakt mindestens einmal im Monat stattzufinden hat, sofern der Sachwalter nicht bloß zur Besorgung einzelner Angelegenheiten bestellt ist.

Die in § 282 Abs 2 ABGB idF des KindRÄG 2001 und nunmehr in § 282 erster Satz ABGB idF des SWRÄG 2006 vorgesehene „Bemühungspflicht“ des Sachwalters trifft nach dem insofern gleich gebliebenen Wortlaut jeden Sachwalter unabhängig von seinem Wirkungskreis, also auch den nur für eine einzelne Angelegenheit bestellten Sachwalter und insbesondere auch Sachwalter, in deren Wirkungskreis keine Angelegenheiten der Personensorge fallen (Stabentheiner in Rummel³, ErgBd [2003] § 282 Rz 3 mit Darstellung des Gesetzgebungsprozesses; Barth/Ganner in Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts², 44 ff). Diese Bemühungspflicht ist rein faktisch zu verstehen und gibt dem Sachwalter keine Vertretungsbefugnis (3 Ob 109/09i; Stabentheiner in Rummel³, ErgBd [2003] § 282 Rz 3 mwN; Weitzenböck in Schwimann³ [2005] § 282 Rz 2; Schauer aaO 19 [20]; Barth/Dokalik in Barth/Ganner aaO 172).

Im vorliegenden Fall umfasst der Wirkungskreis des Sachwalters eine Reihe von Angelegenheiten iSd § 268 Abs 3 ABGB. Bereits damit trifft ihn die Bemühungspflicht nach § 282 ABGB idgF als rein faktische Tätigkeit. Demgegenüber verlangt das Gesetz vom Sachwalter seit dem KindRÄG 2001 nicht mehr die Sicherstellung der Personensorge. Die insoweit durch die Gesetzesänderung begründete Einschränkung der den Sachwalter zukommenden Pflichten (vgl Schauer aaO 19), findet im angefochtenen Beschluss keine Berücksichtigung, der schon deshalb einer Korrektur bedarf. Aber auch eine Umdeutung in eine Anordnung gegenüber dem Sachwalter, er habe sich darum zu bemühen, dass die gebotene ärztliche und soziale Versorgung gewährt wird, wäre im Hinblick auf § 123 Abs 1 Z 2 AußStrG 2005, der die Umschreibung der Angelegenheiten, welche der Sachwalter zu besorgen hat, fordert, zu pauschal und unpräzise (vgl 5 Ob 54/06m = FamZ 2006/34, 95 [Parapatits]). Nur eine präzise Bestimmung, welche konkreten Befugnisse ihm im Wirkungskreis „Personensorge“ zukommen, versetzt den Sachwalter in die Lage, seine Rechte und Pflichten verlässlich abzuschätzen (3 Ob 109/09i = RIS-Justiz RS0125158). Für die Zustimmung des Sachwalters zu einer medizinischen Behandlung, weil die behinderte Person nicht einsichts- und urteilsfähig ist, fordert § 283 Abs 1 ABGB, dass dessen Wirkungsbereich konkret die Besorgung dieser Angelegenheit umfasst.

Die pauschale Anführung des Wirkungskreises „soziale und medizinische Versorgung“ im Bestellungsbeschluss der Vorinstanzen widerspricht diesen Grundsätzen. Aus der Begründung der Rekursentscheidung wird jedoch deutlich, dass dem Sachwalter damit rechtliche Dispositionsbefugnisse in Angelegenheiten dieses Teilbereichs der Personensorge gar nicht eingeräumt sein sollten. Das Rekursgericht, das sich auf das vom Erstgericht eingeholte Sachverständigengutachten stützt, stellt nämlich auf rein faktische Maßnahmen ab, indem es die Betreuung des Betroffenen durch die Heimhilfe und damit zusammenhängend Kontroll- bzw Überwachungsmaßnahmen in den Vordergrund stellt und diese rein faktischen Angelegenheiten gegenüber der Befugnis zur Vertretung vor Ämtern, Behörden und privaten Vertragspartnern abgrenzt. Solche faktischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Personensorge fallen aber unter die Bemühungspflicht des § 282 ABGB, die den Sachwalter - wie dargestellt - kraft Gesetzes trifft. Allenfalls nötige Vertretungshandlungen im Zusammenhang mit der Betreuung des Betroffenen, wie etwa gegenüber der Heimhilfe, sind ohnehin vom Wirkungskreis „Vertretung gegenüber privaten Vertragspartnern“ abgedeckt, der die rechtlichen Dispositionsbefugnisse gegenüber privaten Sozialeinrichtungen einschließt.

Damit fehlt es jedenfalls derzeit an der Notwendigkeit, dem Sachwalter Angelegenheiten der „sozialen und medizinischen Versorgung“ als Teilbereich der Personensorge im Sinne einer Angelegenheit des § 268 Abs 3 ABGB zu übertragen, sodass eine Ergänzung des Verfahrens zur Präzisierung des Wirkungsbereichs unterbleiben kann. Der dem Sachwalter zukommende Aufgabenbereich ist daher über seinen Antrag nach § 278 Abs 2 erster Satz ABGB dahin einzuschränken, dass der im Revisionsrekursverfahren noch bekämpfte Teil des Wirkungskreises ersatzlos zu entfallen hat.

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