OGH 1Ob4/21a

OGH1Ob4/21a16.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Parzmayr und Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Matthias Bacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hans Jalovetz, Rechtsanwalt in Villach, wegen 24.446,55 EUR sowie Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 18. November 2020, GZ 3 R 128/20y‑22, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 23. Juli 2020, GZ 49 Cg 72/19g‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00004.21A.0216.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 2 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Der Verkehrssicherungspflichtige hat die verkehrsübliche Aufmerksamkeit anzuwenden und die notwendige Sorgfalt zu beachten (RIS‑Justiz RS0023487). Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten (der Kläger war Gast in dem von der Beklagten betriebenen Hotel, auf dessen Parkplatz er stürzte) dürfen aber nicht überspannt werden (RS0023487 [T17]). Es sind insbesondere die Grenzen des Zumutbaren zu beachten (RS0023487; RS0023397). Auch im Zusammenhang mit der Streupflicht sind objektive Gesichtspunkte maßgeblich. Die Grenze der Streupflicht orientiert sich einerseits an den Verkehrsbedürfnissen, andererseits an der Zumutbarkeit für den Streupflichtigen (RS0023277), wobei sich der Umfang und die Intensität von Verkehrssicherungspflichten ganz allgemein auch danach richtet, in welchem Maß der Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen kann (RS0023487 [T11]). Der konkrete Inhalt der Verkehrssicherungspflicht und das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO stellt sich dabei in der Regel nicht (vgl RS0029874; RS0110202).

[2] 2.1. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen wurde der geschotterte (für 120 Fahrzeuge ausgelegte und im Durchschnitt mit 110 Autos belegte) Parkplatz der Beklagten, deren Hotel sich in einem auf rund 1.800 Meter Seehöhe gelegenen „hochalpinen“ Schigebiet befindet, regelmäßig von einem damit beauftragten Unternehmen von Schnee geräumt. Taut es tagsüber und gefriert es in der Nacht, kann sich Eis bilden. In diesem Fall wird von dem mit dem Winterdienst betrauten Unternehmen Splitt bzw Salz gestreut (soweit die Revision letzteres in Abrede stellt, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt; vgl RS0043603 [T2]). Am Unfallstag wurde am Parkplatz Split und Salz gestreut. Am Vortag wurde er von Schnee geräumt und ebenfalls Splitt gestreut. Zum Unfallszeitpunkt war er – aufgrund Schneefalls, der eine halbe Stunde zuvor eingesetzt hatte – mit etwa 2 cm Neuschnee bedeckt.

[3] 2.2. Die Schneeräumung am Parkplatz erfolgte mit einem „Radlader“ mit einer 2,5 Meter breiten Schaufel, mit dem nicht ganz bis zu den geparkten Autos (und zwischen diese) zugefahren werden kann. Dadurch – sowie durch Entfernen von Schnee von Autodächern durch die Gäste – kam es zwischen den abgestellten Fahrzeugen zu Schneeablagerungen, die in weiterer Folge durch Fahrzeuge und Fußgänger zusammengepresst wurden und „Schneewülste“ bildeten. Eine händische Schneeräumung zwischen den parkenden Autos wurde von der Beklagten in der Vergangenheit zwar versucht, aufgrund von Beschwerden von Gästen wegen Beschädigungen ihrer Autos aber wieder aufgegeben. Mitarbeiter der Beklagten kontrollierten jeden Morgen, ob „irgendwo geräumt werden muss und ob es irgendwo eisig ist“, wobei die Schneeräumung dann entweder von ihnen selbst (mit einer Schneefräse oder einem kleinen Traktor) vorgenommen oder das mit dem Winterdienst beauftragte Unternehmen verständigt bzw der Hausmeister mit der Streuung beauftragt wurde. Ergab sich bei einer Kontrolle (die bei entsprechender Witterung auch mehrmals täglich vorgenommen wurde), dass „ein Auto weggefahren war“, wurde dieses ebenfalls verständigt, sofern die freien Fläche nicht von Mitarbeitern der Beklagten geräumt werden konnte.

[4] 2.3. Der Bereich zwischen den parkenden Autos hätte mit einer Schneefräse nur geräumt werden können, wenn der Abstand zwischen den Autos „mindestens 80 cm bis einen Meter“ betragen hätte. Eine Bestreuung dieser Bereiche mit Splitt wäre nur per Hand möglich und (auch dann) mit der Gefahr einer Beschädigung der parkenden Fahrzeuge verbunden gewesen. Um die – durch Wegfahren einzelner Gäste – freiwerdenden Stellflächen zur Gänze von Schnee (insbesondere den „Schneewülsten“) zu befreien, hätten ständig Mitarbeiter zur Kontrolle des Parkplatzes eingesetzt werden und auch der Schnee unter Fahrzeugen entfernt werden müssen. Selbst wenn 20 Mitarbeiter mit der Schneebeseitigung beschäftigt worden wären, wäre ein Entfernen sämtlicher Schneeablagerungen vom Parkplatz nur zu bewerkstelligen gewesen, wenn Fahrzeuge zwischenzeitig woanders abgestellt worden wären, was aber nicht möglich war.

[5] 3.1. Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts kann in der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach der Beklagten auch dann keine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen sei, wenn man davon ausginge, dass der Kläger neben dem von ihm (als Beifahrer) benutzten Fahrzeug auf einer dort befindlichen Schneeablagerung (einem „Schneewulst“) ausrutschte, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Überschreitung des bei der Prüfung dieser Frage bestehenden Beurteilungsspielraums erkannt werden. Eine solche vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen.

[6] 3.2. Den Revisionsausführungen ist zunächst entgegenzuhalten, dass an die Verpflichtung zur Schneeräumung und Bestreuung von Verkehrsflächen in einem „hochalpinen“ (hier auf rund 1.800 Meter Seehöhe gelegenen) Schigebiet ein anderer Maßstab anzulegen ist, als bei Flächen in anderen (nicht alpinen) Gebieten (vgl 8 Ob 533/89; die in der Revision genannte Entscheidung 1 Ob 152/05t betraf den mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbaren Fall, dass jemand – wenngleich ebenfalls in einem hoch gelegenen Schiort – auf dem Parkplatz vor einem Sportgeschäft auf der Eisfläche einer sich durch eine Kanalverstopfung gebildeten ca 3 Meter großen und 15 cm tiefen „Pfütze“ einbrach).

[7] 3.3. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen war es der Beklagten mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand nicht möglich, den Bereich zwischen den geparkten Autos vollständig von Schnee zu räumen. Die Behauptung des Revisionswerbers, das Bestreuen mit Splitt wäre bei 120 „Parkflächen“ in maximal 15 Minuten zu bewerkstelligen gewesen, findet keine Deckung im Sachverhalt. Der Kläger übersieht auch, dass dies mit der Gefahr einer Beschädigung der geparkten Fahrzeuge verbunden gewesen wäre. Dass die – wie der Revisionswerber formuliert – „komprimierten Schneeanhäufungen“ durch das Streuen von Salz überhaupt (ohne zusätzliche Räumung) beseitigt werden hätten können, behauptet er gar nicht.

[8] 3.4. Die in der Revision ins Treffen geführte Rechtsprechung, wonach auch „Zugangswege“ zu einem Parkplatz in verkehrssicherem Zustand gehalten werden müssen (im Rechtsmittel werden dazu der Rechtssatz RS0023768 sowie die Entscheidungen 6 Ob 180/15k [richtig 6 Ob 180/14k], 1 Ob 152/05t und 7 Ob 624/88 zitiert), bezog sich nicht auf die (schmale) Fläche zwischen zwei angrenzenden Stellplätzen und den dort parkenden Fahrzeugen, sodass ihr für die Beurteilung des vorliegenden Falls keine maßgebliche Aussagekraft zukommt.

[9] 4. Soweit der Revisionswerber seinen Anspruch – wie schon in erster Instanz – darauf stützt, die Beklagte habe ihm gegenüber ihre – auf die Rutschgefahr auf dem Parkplatz bezogene – Warnpflicht verletzt, übergeht er die (in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts getroffene) Feststellung, dass ihm die örtlichen Verhältnisse zum Unfallzeitpunkt (somit auch die Schneeverhältnisse am Parkplatz zwischen den Stellplätzen) bekannt waren. Der Kläger weist in seinem Rechtsmittel auch selbst darauf hin, dass bereits am Anreisetag (an dem er den Parkplatz zum Abstellen seines Fahrzeugs benutzt hatte) die gleichen Bedingungen geherrscht hatten, wie zum Unfallzeitpunkt. Es ist für ihn daher – wovon bereits das Berufungsgericht ausging – aus einer unterlassenen Warnung nichts zu gewinnen. Im Übrigen behauptet er (auch in erster Instanz) nicht, dass er den Parkplatz bei einem entsprechenden Hinweis auf die dort bestehende Rutschgefahr nicht betreten hätte oder wie er sich im Fall einer Warnung (anders) verhalten hätte. Dass die Beklagte auf ihrem Hotelparkplatz wegen der zwischen einzelnen Stellplätzen entstandenen Schneeablagerungen gar keinen Verkehr zulassen hätte dürfen (das Abstellen von Fahrzeugen dort also verbieten hätte müssen), war nicht zu fordern.

[10] 5. Das Berufungsgericht erachtete die vom Erstgericht zur genauen Unfallstelle (vor oder neben dem vom Kläger als Mitfahrer benutzten Fahrzeug) getroffene Negativfeststellung als „bedenklich“, ging aber von einer rechtlichen Irrelevanz des genauen Unfallorts aus, weil die Beklagte unabhängig davon, ob der Sturz neben oder hinter dem Fahrzeug erfolgte, keine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht zu verantworten habe. Würde man davon ausgehen, dass der Kläger nicht neben dem Fahrzeug (auf einem „Schneewulst“), sondern dahinter stürzte, wäre eine Haftung der Beklagten schon deshalb zu verneinen, weil dort am Unfallstag Salz und Splitt gestreut worden war und es zum Unfallszeitpunkt nicht eisig war, sodass der Beklagten nicht vorgeworfen werden könnte, dass sie den Parkplatz nicht bereits eine halbe Stunde nach Beginn des (leichten) Schneefalls von Schnee geräumt hatte. Dem hält der Revisionswerber keine überzeugenden Argumente entgegen. Mit seiner Behauptung, die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten müsse sich schon daraus ergeben, dass er (auf einer offensichtlich glatten Fläche) gestürzt (ausgerutscht) sei, zeigt er keine Korrekturbedürftigkeit der angefochtenen Entscheidung auf.

[11] 6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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