OGH 8Ob82/20x

OGH8Ob82/20x18.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Reif & Wuritsch Rechtsanwälte in Judenburg, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei D*****, vertreten durch Niederbichler Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. G*****, vertreten durch Mag. Karl Heinz Fauland, Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen 330.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. Juli 2020, GZ 2 R 97/20g-51, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. April 2020, GZ 61 Cg 23/18w-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00082.20X.1218.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Begründung:

[1] Der Kläger verkaufte dem Beklagten am 15. 2. 2018 als Freiland gewidmete und als Wiese genutzte Liegenschaften mit dem Verkehrswert von 98.200 EUR um den Preis von 330.000 EUR. Die insgesamt 12.359 m² großen Liegenschaften befinden sich in einem Landschaftsschutzgebiet; ihre „Baulandausweisung“ widerspräche dem regionalen Entwicklungsprogramm.

[2] Der Kläger beantragte am 15. 2. 2017 bei der zuständigen Marktgemeinde, einen ca 40 m breiten, 2.300 m² großen Streifen dieser Liegenschaften entlang einer öffentlichen Straße in Bauland umzuwidmen. Über diesen Antrag war im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz noch nicht rechtskräftig entschieden.

[3] Der Beklagte, der ein Grundstück suchte, auf dem er Verkostungsräumlichkeiten für seinen Weinbaubetrieb bauen konnte, erfuhr durch Dritte von der Verkaufsabsicht des Klägers. Er erlangte auch Kenntnis von einem E-Mail, das die Nebenintervenientin – eine Immobilienmaklerin – betreffend der Liegenschaften an einen ihrer Bestandkunden gerichtet hatte und das auszugsweise lautete:

„Der Antrag auf Umwidmung von Freiland zu Bauland (Dorfgebiet 0,2–0,5) von Teilflächen wurde vom Eigentümer bereits bei der Gemeinde abgegeben.

Unmittelbar neben dem Grundstück – in der G*****straße – sind Kanal, Wasser und Strom verlegt.

Kaufpreis: 360.000 EUR“

[4] Der Beklagte wandte sich daraufhin an die Nebenintervenientin und bekundete sein Kaufinteresse. Er ging aufgrund der Angaben in dem E-Mail und seiner eigenen Interpretation dieser Informationen irrtümlich davon aus, dass man auf den Grundstücken auch bauen dürfe bzw die Grundstücke in Bauland umgewidmet werden würden.

[5] Am 13. 2. 2018 traf sich die Nebenintervenientin mit dem Beklagten und dessen Gattin. Der Beklagte schlug schließlich einen Kaufpreis von 330.000 EUR vor, nachdem die Nebenintervenientin gemeint hatte, dass der Kläger nicht mit 320.000 EUR einverstanden sein werde. Die Nebenintervenientin erwähnte, dass ein Antrag auf Umwidmung des Freilands in Bauland gestellt worden sei und mit einer Entscheidung der Marktgemeinde im Sommer [2018] zu rechnen sei. Sie teilte dem Beklagten und dessen Gattin auch mit, dass durch eine intensivere landwirtschaftliche Nutzung der Flächen eine Bebauung möglich sein würde. Die Nebenintervenientin sagte dem Beklagten nicht, dass es bereits ein oder mehrere negative Umwidmungsverfahren hinsichtlich der Grundstücke des Klägers gegeben habe. Es wurde nicht darüber gesprochen, wie viel die Grundstücke des Klägers tatsächlich wert sind. Der Beklagte ging bei seinem Kaufanbot davon aus, dass er für jene 2.300 m², für die ein Umwidmungsansuchen gestellt worden war, einen Quadratmeterpreis von 100 EUR bietet und für die restlichen ca 10.000 m² Freiland einen Preis von 10 EUR pro Quadratmeter, wobei er damals annahm, dass für Freiland in der Gegend ein Preis von unter 17 EUR je m² bezahlt wird.

[6] Der Kläger wiederum ging bei Annahme des Angebots des Beklagten davon aus, dass sein Ansuchen auf Umwidmung auf Bauland nicht genehmigt werde, zumal er wusste, dass es sich um ein Landschaftsschutzgebiet handelte, und ihm vom ehemaligen Amtsleiter der Marktgemeinde bereits zuvor mitgeteilt worden war, dass die Chance auf Umwidmung nur zu 50 Prozent unter der Voraussetzung bestehen würde, dass dort eine Landwirtschaft betrieben werde. Im Übrigen war es auch nicht sein erstes Ansuchen, sondern stellte er solche alle vier bis acht Jahre, wobei bisher alle abgelehnt worden waren. Den Beklagten informierte er davon jedoch nicht.

[7] Disloziert in der rechtlichen Beurteilung stellte das Erstgericht weiters fest, dass die Aussicht auf zeitnahe Umwidmung in Bauland im Rahmen der laufenden Flächenplanrevision tatsächlich gegen Null tendiert.

[8] Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung des Kaufpreises von 330.000 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe der Liegenschaften. Der Einwand der laesio enormis sei ausgeschlossen, weil der Beklagte die Liegenschaften offensichtlich aus rein spekulativen Gründen gekauft habe. Überdies sei dem Beklagten deren wahrer Wert bekannt gewesen und sei er auch bereit gewesen, diese aus besonderer Vorliebe (zum Zwecke der Spekulation) zu übernehmen.

[9] Der Beklagte wandte insbesondere ein, den Vertrag wegen rechtswidriger bewusster Täuschung nach § 870 ABGB, wegen wesentlichen Irrtums nach §§ 871 ff ABGB sowie wegen leasio enormis anzufechten. Dem Beklagten sei der wahre Wert der Liegenschaften gerade nicht bekannt gewesen, weil er aufgrund der Angaben der Nebenintervenientin von einer bevorstehenden (teilweisen) Baulandwidmung und damit einer völlig falschen Wertvorstellung ausgegangen sei.

[10] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe durch das ihm zurechenbare Verhalten der Nebenintervenientin und eines weiteren Verhandlungsgehilfen beim Beklagten die Erwartungshaltung erzeugt, es werde eine Umwidmung auf Bauland erfolgen und er könne das von ihm geplante Gebäude auf dem umgewidmeten Teil der Liegenschaften errichten. Damit wäre der Kläger aber auch verpflichtet gewesen, den Beklagten über die diesem nicht bekannten, gegen eine Umwidmung sprechenden Fakten aufzuklären. Da der Kläger den Beklagten trotz des hohen Kaufpreises nicht darüber informiert habe, dass bereits mehrere Umwidmungsanträge abgelehnt worden seien, es ein die Umwidmung ablehnendes Gutachten des Landes Steiermark gebe und der Amtsleiter der Gemeinde dem Umwidmungsansuchen keine besonderen Erfolgsaussichten einräume, habe der Kläger „durch arglistiges Verhalten den Beklagten über die tatsächlich gegen Null tendierende Aussicht auf zeitnahe Umwidmung in Bauland im Rahmen der laufenden Flächenplanrevision in die Irre geführt“.

[11] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es äußerte Bedenken an der vom Kläger mit Beweisrüge bekämpften Tatsachenfeststellung, dass der Beklagte von einer Umwidmung der Grundstücke in Bauland ausging, und klammerte diese Feststellung daher aus dem Sachverhalt, den es seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legte, aus.

[12] In rechtlicher Hinsicht meinte es, dass sich aus der Feststellung, dass der Beklagte von einem Quadratmeterpreis von 100 EUR für jene 2.300 m² ausging, für die der Kläger ein Umwidmungsersuchen in Bauland gestellt hatte, und von einem Quadratmeterpreis von 10 EUR „für die restlichen 10.000 m² Freiland“, ergebe, dass der Beklagte im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vom Kläger nicht einmal die Hälfte „an dem gemeinen Werte“ (§ 934 ABGB) des Kaufpreises von 330.000 EUR erhalten habe. Der Beklagte habe daher zu Recht „die Aufhebung“ – mit sachenrechtlicher Rückwirkung – eingewendet und damit sein Gestaltungsrecht wegen Verkürzung über die Hälfte ausgeübt. Den ihm obliegenden Beweis, dass dem Beklagten der wahre Wert des Kaufobjekts bekannt gewesen sei und er die Liegenschaften dennoch (etwa aus besonderer Vorliebe) trotz des Verkehrswerts von 98.200 EUR um 330.000 EUR gekauft habe, habe der Kläger nicht erbracht. Dass der Beklagte im Freiland gelegene Liegenschaften um einen Preis weit über dem Verkehrswert gekauft und auf eine Wertsteigerung durch (nicht absehbare) Umwidmungen gehofft habe, mache aus dem Liegenschaftskaufvertrag kein Glücksgeschäft im Sinne des § 1267 ABGB, weil Gegenstand des Vertrags gerade nicht das Versprechen und die Annahme der „Hoffnung eines noch ungewissen Vorteils“ sei.

[13] Die ordentliche Revision sei mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[14] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

[15] In der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte die Revision zurück-, in eventu abzuweisen.

[16] Die Revision ist – entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – zulässig, weil die Vorgangsweise des Berufungsgerichts einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf und über die Rechtssache noch nicht endgültig entschieden werden kann. Dementsprechend ist die Revision im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[17] 1. Laesio enormis ist nach § 935 dritter Halbsatz ABGB dann ausgeschlossen, wenn der Verkürzte Kenntnis des wahren Wertes hatte. Dafür, dass dem Verkürzten der wahre Wert bekannt war, ist der andere Teil beweispflichtig (RIS‑Justiz RS0087574). Der Ausschlusstatbestand setzt positive Kenntnis vom wahren Wert voraus, er ist daher schon bei Zweifeln nicht gegeben (4 Ob 147/01y).

[18] 2.1 Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung ausdrücklich die Annahme zugrunde gelegt, dass der Beklagte den wahren Wert des Kaufgegenstands bei Vertragsabschluss nicht gekannt habe.

[19] Der Revisionswerber rügt sowohl unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens als auch der Aktenwidrigkeit, dass sich das Berufungsgericht damit ohne Beweiswiederholung über die erstgerichtliche Feststellung hinweggesetzt habe, wonach der Beklagte damals davon ausging, dass für Freiland in der Gegend ein Preis von unter 17 EUR je m² bezahlt werde; in concreto rechnete er selbst mit 10 EUR pro m² Freiland.

[20] 2.2 Es bildet noch keinen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, wenn das Berufungsgericht einen logisch zwingenden Schluss zieht, der – wenn auch unausgesprochen – bereits dem Urteil des Erstgerichts zugrunde liegt (RS0043093).

[21] Im vorliegenden Fall lassen die Feststellungen des Erstgerichts sehr wohl den Schluss zu, dass dem Beklagten der wahre Wert des Kaufgegenstands bei Kaufvertragsabschluss nicht bekannt war, weil er von einer – offenbar sicher – bevorstehenden Umwidmung einer Teilfläche von 2.300 m 2 in Bauland ausging und er diese Teilfläche daher nicht mit dem ortsüblichen Preis für Freiland, sondern für Bauland bewertete.

[22] Allerdings hat das Berufungsgericht gerade die für diese Auslegung der erstgerichtlichen Feststellungen maßgebliche Feststellung, dass der Beklagte von einer (bevorstehenden) Umwidmung der Grundstücke ausging, „ausgeklammert“. Damit ist die – entgegen dem Prozessvorbringen des Klägers getroffene – Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte sei in Unkenntnis des wahren Wertes gewesen, angesichts der (verbleibenden) Feststellungen, dass der Beklagte um den damaligen Marktpreis für Freiland wusste, mit dem er ja auch selbst hinsichtlich der weit überwiegenden Liegenschaftsflächen kalkulierte, nicht einwandfrei nachvollziehbar: Der sich unter Zugrundelegung des vom Beklagten angenommenen Werts von 10 EUR pro m² ergebende Preis von ca 120.000 EUR für die gesamten Liegenschaften weicht nicht entscheidend vom tatsächlichen Wert ab. Dem Beklagten wäre daher eine die Grenzen der laesio enormis (weit) unterschreitende Verkürzung bewusst gewesen (vgl 3 Ob 50/14w).

[23] 2.3 Das Berufungsgericht darf sich über Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts nicht hinwegsetzen, sondern sie nur zur Folge abweichender rechtlicher Beurteilung dann außer Acht lassen, wenn sie für die Annahme des vom Berufungsgericht als erheblich betrachteten Sachverhalts rechtlich ohne Bedeutung sind ( Pimmer in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 498 ZPO Rz 6). Das ist hier aber – wie gezeigt wurde – nicht der Fall. Die bekämpfte Feststellung ist auch für die vom Erstgericht bejahte Anfechtung wegen List nach § 870 ABGB bedeutend.

[24] Eine Beweiswiederholung oder -ergänzung, auf Basis derer eine abweichende Feststellung getroffen hätte werden können, wurde vom Berufungsgericht nicht durchgeführt. Das Berufungsgericht hat die Beweisrüge des Klägers damit zu einer entscheidungswesentlichen Feststellung unbehandelt gelassen.

[25] 3. Ein Glücksvertrag liegt vor, wenn Gegenstand des Vertrags die Hoffnung auf einen noch ungewissen Vorteil ist, nicht aber schon dann, wenn mit dem Abschluss eines Vertrags ein Risiko oder eine Chance verbunden ist (RS0020414).

[26] § 1268 ABGB schließt die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte bei Glücksverträgen aus. Die Rechtsprechung wendet diese Bestimmung analog auch auf glücksspielhafte Verträge an (RS0106040), also auf Rechtsgeschäfte, die bedeutsame aleatorische Elemente aufweisen ( Stefula in Klang 3 § 1268 ABGB Rz 5 mwN). Dem Ausschluss liegt zugrunde, dass Risiken für das Glücks- bzw glücksvertragsähnliche Rechtsgeschäft charakteristisch sind und von den Parteien bewusst übernommen werden (4 Ob 135/07t; vgl auch Stefula aaO Rz 1).

[27] Der Kläger argumentiert nun, dass im vorliegenden Fall – ähnlich wie beim spekulativen Aktienkauf (vgl 4 Ob 44/11s) – eine Korrektur nach den erst nachträglich zu ermittelnden tatsächlichen Gegebenheiten dem von den Parteien gewollten Charakter des Geschäfts zuwider liefe.

[28] Wenn der Beklagte hier allerdings davon ausgegangen wäre, dass eine Umwidmung einer Teilfläche der Liegenschaften in Bauland bevorsteht – im Übrigen wurde auch festgestellt, dass der Kläger ihn nicht darüber aufgeklärt hat, dass die Aussicht auf Umwidmung tatsächlich gegen Null geht – wie es das Erstgericht festgestellt hat, könnte keine Rede davon sein, dass vom Beklagten das Risiko der Umwidmung bewusst übernommen worden wäre.

[29] 4. Das Urteil des Berufungsgerichts war daher – in Stattgebung der Revision – aufzuheben und die Rechtssache zur abschließenden Erledigung der Beweisrüge des Klägers an die zweite Instanz zurückzuverweisen.

[30] 5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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