European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130498
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Antragstellerin unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Begründung:
[1] Die am * 2019 verstorbene Erblasserin hinterließ einen volljährigen Sohn. Dieser gab im Rahmen der Todesfallaufnahme bekannt, dass er die Begräbniskosten von 5.179,14 EUR getragen habe und beantragte die Überlassung der Nachlassaktiven an Zahlungs statt. Unter den Aktiva wurden in der Todesfallaufnahme zwei Pensionskonten der Erblasserin bei der antragstellenden Bank aufgelistet.
[2] Die Antragstellerin gab mit Schreiben vom 30. 7. 2019 die Kontostände zum Todestag mit Guthaben von 20,53 EUR und 86,24 EUR sowie die aktuellen Stände mit einem Debet von 106,03 EUR und einem Guthaben von 151,39 EUR, jeweils ohne Berücksichtigung laufender Zinsen, Kosten und Spesen bekannt. Eine Aufstellung der Kontobewegungen seit dem Todestag war angeschlossen. Die Antragstellerinerklärte ohne nähere Präzisierung, sie melde „unsere Forderung zuzüglich weiterlaufender Zinsen unter Geltendmachung unserer Absonderungs- und Kompensationsrechte im Rahmen der Verlassenschaft an."
[3] Das Erstgericht überließ die Aktiven der überschuldeten Verlassenschaft von insgesamt 347,98 EUR, beinhaltend ein Guthaben auf einem der Pensionskonten bei der Antragstellerin von insgesamt 187,85 EUR, dem Sohn gemäß § 154 AußStrG an Zahlungs statt zur teilweisen Abdeckung der Begräbniskosten gegen Bezahlung der Gebühr des Gerichtskommissärs von 56,94 EUR. Weiters sprach es betreffend das andere Pensionskonto aus, dass die (näher aufgeschlüsselte) Forderung der Antragstellerin von 69,82 EUR in der Verlassenschaft nicht gedeckt sei und daher keine Berücksichtigung finde.
[4] In ihrem Rekurs bemängelte die Antragstellerin, dass ihr ihre Eingabe vom 30. 7. 2019 nicht zur Verbesserung zurückgestellt worden sei. Sie brachte unter Hinweis auf die dem Rekurs beigefügten Urkunden vor, dass ihr laut den mit den Kontoeröffnungsverträgen vereinbarten AGB ein Pfandrecht an sämtlichen Kontoguthaben zustehe. Mit ihrer Eingabe habe sie das Pfandrecht ausdrücklich geltend gemacht und hinsichtlich der beiden Konten die Aufrechnung erklärt. Am Tag der Rekurserhebung stehe der Antragstellerin gegen die Verlassenschaft eine Forderung von 109,46 EUR zu, der eine Verbindlichkeit von 148,91 EUR gegenüberstehe. Dem Sohn dürfe daher nur die Differenz von 39,45 EUR an Zahlungs statt überlassen werden.
[5] Das Rekursgericht wies den Rekurs der Antragstellerin mangels Beschwer zurück. Ob überhaupt eine ordnungsgemäße Forderungsanmeldung vorliege, könne dahingestellt bleiben, weil durch die Überlassung an Zahlungs statt nicht mehr Rechte überlassen werden könnten, als dem Erblasser zugestanden hätten. Das Pfandrecht der Antragstellerin am Guthaben auf dem Pensionskonto bleibe daher durch den angefochtenen Beschluss unberührt. Er greife damit in ihre Rechte nicht ein, sodass die materielle Beschwer zu verneinen sei.
[6] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass zur Frage der Aufrechnung von Konten bzw der Rechtsmittellegitimation von Pfandgläubigern bei der Überlassung an Zahlungs statt keine oberstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Abänderungsantrag, dem Sohn nur39,45 EUR an Zahlungs statt zu überlassen; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt. Sie steht auf dem Standpunkt, ihre ordnungsgemäß angemeldete Forderung hätte aufgrund der erfolgten Aufrechnungserklärung und des geltend gemachten Absonderungsrechts vorrangig befriedigt werden müssen und nur die restlichen Aktiva hätten dem Sohn überlassen werden dürfen. Zumindest hätte im Beschluss des Erstgerichts auf das Bestehen des Pfandrechts der Antragstellerin hingewiesen werden müssen, um zu vermeiden, dass der Überlassungsempfänger allenfalls gutgläubig unbelastetes Eigentum am Kontoguthaben erwerbe und dieses verwerte, wodurch der Antragstellerin die Geltendmachung ihres Pfandrechts zumindest erschwert werden würde. Aus diesem Grund sei sie entgegen der Ansicht des Rekursgerichts durch den erstinstanzlichen Beschluss beschwert. Ihr Rechtsmittel hätte inhaltlich behandelt werden müssen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die Beschwer der Antragstellerin zu Unrecht verneinte; er ist auch berechtigt.
[9] 1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden (RS0002495). Voraussetzung ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer (RS0041868; RS0006497). Sie liegt vor, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, er also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (RS0041746; RS0043815). Ist dies nicht der Fall, ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag abweicht (RS0041868 [T14, T15]). Auch im Außerstreitverfahren steht ein Rekursrecht nur demjenigen zu, dessen rechtlich geschützte Interessen durch den angefochtenen Beschluss beeinträchtigt sind (RS0006641; RS0006598).
[10] 2. Grundsätzlich steht jedem Verlassenschaftsgläubiger das Recht zu, die Überlassung an Zahlungs statt und damit auch die in diesem Beschluss erfolgte Art der Aufteilung der vorhandenen Aktiven unter mehreren Gläubigern zu bekämpfen (4 Ob 50/13a mwN; 2 Ob 75/18w; RS0006659; RS0006604).
[11] 3. Das Rekursgericht war der Ansicht, dass das Pfandrecht der Antragstellerin am Pensionskontoguthaben durch dessen Überlassung an Zahlungs statt an den Sohn der Erblasserin unberührt bleibe, die Antragstellerin dagegen meint, sie hätte deshalb (durch Aufrechnung) bevorzugt befriedigt werden müssen. Beiden Ansichten kann im Ergebnis nicht gefolgt werden:
[12] 4. Aus § 154 Abs 1 letzter Halbsatz AußStrG ergibt sich, dass die Überlassung an Zahlungs statt eine Alternative zum Verlassenschaftsinsolvenzverfahren ist (6 Ob 47/12y). Deshalb sind im Verfahren nach dieser Bestimmung die in der Insolvenz jeweils geltenden Vorschriften über die Aussonderungs- und Absonderungsansprüche, über die Masseforderungen und über die Insolvenzforderungen sinngemäß anzuwenden (RS0007622).
[13] Daraus folgt zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen, dass Rechte, die eine Verlassenschaftsinsolvenz nicht beeinträchtigen würden, durch eine Überlassung an Zahlungs statt ebenso wenig beeinträchtigt werden dürfen (6 Ob 47/12y; 6 Ob 99/10t; Schumacher, Die Überlassung überschuldeter Verlassenschaften an Zahlungs statt, in FS Rechberger 552, [558 f]). Das Insolvenzverfahren sieht die vorrangige Befriedigung von Aussonderungs- und Absonderungsgläubigern vor den Insolvenzgläubigern vor (vgl zu den Absonderungsgläubigern § 48 Abs 1 IO). Dem folgend sind diese auch im Verfahren nach den §§ 154 f AußStrG vor der sonstigen Überlassung an Zahlungs statt zu befriedigen (6 Ob 99/10t; 6 Ob 47/12y; 2 Ob 66/17w; RS0007622 [T4]; Schumacher in FS Rechberger 552 [559]; Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG § 154 Rz 24).
[14] 5. Allerdings schließen Gläubiger, die Ansprüche auf abgesonderte Befriedigung aus bestimmten Sachen des Gemeinschuldners haben (Absonderungsgläubiger), gemäß § 48 Abs 1 IO, soweit ihre Forderungen reichen, nurInsolvenzgläubiger von der Zahlung aus diesen Sachen (Sondermassen) aus. Insoweit können sie im Rang des Absonderungsrechts – mit der Einschränkung der in § 11 Abs 2 IO normierten Zwangsstundung – auch Befriedigung suchen und nehmen dann nur mit dem Ausfall am Insolvenzverfahren teil (§§ 132, 137 Abs 3 IO; vgl 9 Ob 17/15p).
[15] 6. Im vorliegenden Fall ist die Antragstellerin Vertragspartnerin der Erblasserin betreffend die Führung zweier Bankkonten, auf denen nach dem Tod der Erblasserin noch Kontobewegungen stattfanden. Zweiseitige Rechtsgeschäfte bleiben in der Regel von der Insolvenzeröffnung unberührt und laufen daher als beiderseits verbindliche Rechtsbeziehungen weiter. Sie begründen für den Vertragspartner der Insolvenzmasse grundsätzlich Ansprüche als Masseforderungen. Für die den Stichtag der Insolvenzeröffnung überdauernden Verträge findet sich die Abgrenzungsregel zwischen Insolvenzforderungen und Masseforderungen in § 51 Abs 1 IO (vgl Engelhart in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 46 IO Rz 49). Danach sind Insolvenzforderungen Forderungen von Gläubigern, denen vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zustehen.
[16] Hier waren aber nach der Auskunft der Antragstellerin beide Kontostände zum Todestag positiv, erst danach ergab sich auf einem der Konten ein negativer Saldo zulasten der Verlassenschaft. Die Antragstellerin hatte daher in dem der Insolvenzeröffnung gleich zu haltenden Zeitpunkt des Todes (6 Ob 47/12y) keine (pfandrechtlich sichergestellte) Forderung und ist daher insoweit weder Insolvenzgläubigerin noch Absonderungsgläubigerin, sondern allenfalls Massegläubigerin. Ihre Anmeldung kann in diesem Sinn verstanden werden.
[17] 7. Nach § 46 IO sind Masseforderungen (ua) nach Z 1 die Kosten des Insolvenzverfahrens und nach Z 2 alle Auslagen, die mit der Erhaltung, Verwaltung und Bewirtschaftung der Masse verbunden sind, sowie nach Z 7 die Kosten einer einfachen Bestattung des Schuldners.
[18] § 47 Abs 1 IO bestimmt, dass aus der Insolvenzmasse vor allem die Masseforderungen zu berichtigen sind. Können die Masseforderungen nicht vollständig befriedigt werden, so sind sie nach Abs 2 dieser Bestimmung nacheinander wie folgt zu zahlen:
1. die unter § 46 Z 1 fallenden, vom Insolvenzverwalter vorschussweise bestrittenen Barauslagen,
2. die übrigen Kosten des Verfahrens nach § 46 Z 1,
[...]
6. die übrigen Masseforderungen.
[19] Innerhalb gleicher Gruppen sind die Masseforderungen verhältnismäßig zu befriedigen. Geleistete Zahlungen können nicht zurückgefordert werden.
[20] 8. § 154 Abs 2 AußStrG sieht nun vor, dass bei der Überlassung an Zahlungs statt das Vermögen wie folgt zu verteilen ist:
1. zunächst in sinngemäßer Anwendung der §§ 46 und 47 IO;
2. sodann an den gesetzlichen Vertreter des Verstorbenen, soweit ihm beschlussmäßig Beträge zuerkannt wurden;
3. schließlich an alle übrigen Gläubiger, jeweils im Verhältnis der Höhe ihrer unbestrittenen oder durch unbedenkliche Urkunden bescheinigten Forderungen.
[21] 9. Im vorliegenden Verfahren bedeutet dies, dass hier vorrangig die Verfahrenskosten (also insbesondere die Gebühren des Gerichtskommissärs) zu berichtigen sind und danach unter den Masseforderungen nicht weiter zu unterscheiden ist. Der Antragstellerin könnte daher ein Anteil, der dem Verhältnis ihrer Forderung zu jener der Begräbniskosten am verbleibenden Guthaben entspricht, zustehen. Ob dies zutrifft, ist in diesem Rechtsmittelverfahren nicht zu entscheiden.
[22] 10. Insofern ist die Rechtsmittelwerberin daher jedenfalls beschwert. Die dies verneinende Rekursentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung über den Rekurs der Antragstellerin zurückzuverweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)