OGH 4Ob64/20w

OGH4Ob64/20w2.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* F*, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei R* K*, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, wegen Unterlassung, über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 9. Dezember 2019, GZ 1 R 281/19k‑45, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 26. September 2019, GZ 4 C 385/18h‑40, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128725

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn; auf den Liegenschaften befinden sich Einfamilienhäuser. In einem eingezäunten Bereich von ca 300 m² direkt an der Grundgrenze hält der Beklagte Schweine und Hasen, zwei Hähne, sechs Hennen, zwei Gänse und eine Ente. Seit etwa zehn Jahren hält er auch Pfaue: Die ursprünglichen zwei oder drei Tiere waren davongeflogen; seit etwa acht Jahren hält er einen männlichen und einen weiblichen Pfau.

Der Kläger begehrt vom Beklagten, es zu unterlassen, sein Eigentum dadurch zu stören, dass die vom Beklagten auf seiner Liegenschaft gehaltenen Pfaue 1. nicht ortsüblichen Lärm entwickeln und 2. auf die Liegenschaft des Klägers eindringen.

Die Vorinstanzen gaben beiden Unterlassungsbegehren statt. Das Berufungsgericht sprach über Abänderungsantrag des Beklagten aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil keine gesicherte Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob mangels Einbringung einer Unterlassungsklage eine ortsunübliche Immission nach Ablauf von drei Jahren vom Eigentümer der von der Immission betroffenen Liegenschaft hinzunehmen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Die Klage nach § 364 Abs 2 ABGB ist ein Anwendungsfall der negatorischen Eigentumsklage iSd § 523 ABGB (RIS‑Justiz RS0010526). Während der Eigentümer gemäß § 523 ABGB gegen jeden unberechtigten Eingriff in sein Eigentumsrecht vorgehen kann (RS0012040), kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn nach § 364 Abs 2 ABGB die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Unmittelbare Zuleitungen sind jedenfalls unzulässig und daher nach § 523 ABGB zu untersagen.

2.1. Das Untersagungsrecht nach § 364 Abs 2 ABGB besteht nur dann, wenn die auf den betroffenen Grund wirkenden Einflüsse einerseits das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und zugleich die ortsübliche Benutzung dieser Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen. Dabei sind die örtlichen Verhältnisse in beiden Belangen zu beachten (RS0010587).

2.2. Die Rechtsansicht, schon das bloße mehrjährige unbeanstandete Hinnehmen einer Immissionsbeeinträchtigung durch den Nachbarn (vgl 2 Ob 94/00p mwN = RS0010587 [T6]) könne die nicht rechtzeitig abgewehrten Einwirkungen ortsüblich machen (vgl 3 Ob 201/99a), wird in der jüngeren Rechtsprechung abgelehnt (RS0117865).

Die Umgebung, die der in § 364 Abs 2 ABGB verwendete Begriff „Ort“ umschreibt, lässt sich im Regelfall nicht auf das emittierende und das/die davon wesentlich beeinträchtigte(n) Grundstück(e) reduzieren. Die „örtlichen Verhältnisse“ sind weiträumiger zu verstehen; es geht um Gebiets- bzw Stadtteile („Viertel“) mit annähernd gleichen Lebens- und Umweltbedingungen. Um annehmen zu können, Immissionseinwirkungen auf Nachbargrundstücke seien ortsüblich (geworden), müsste die Immissionsquelle demnach den Charakter der Gegend geprägt haben (5 Ob 65/03z mwN; 8 Ob 61/19g = RS0117865 [T2]).

Bereits in 3 Ob 201/99a hat der Oberste Gerichtshof zudem ausgesprochen, dass Beanstandung nicht bloß in der Einbringung einer Unterlassungsklage, sondern in jeder Erklärung liegt, die dem Eigentümer der von den Immissionen betroffenen Liegenschaft zurechenbar ist und dem Verursacher der Immissionen bekannt gegeben wird oder zur Kenntnis gelangt und in der eindeutig zum Ausdruck kommt, dass der Liegenschaftseigentümer die Immissionen nicht hinnimmt. Es entspricht daher jüngerer Rechtsprechung, dass von einer jahrelangen widerspruchslosen Hinnahme von Emissionen dann keine Rede sein kann, wenn im Laufe der Jahre (vergeblich) eine Gesprächsbasis mit dem Störer gesucht wurde (vgl 5 Ob 173/15z).

2.3. Hier ist aus den Feststellungen nicht abzuleiten, dass die Tierhaltung des Beklagten von Pfauen und insbesondere deren Geräuschentwicklung nunmehr den Charakter der Gegend geprägt hätten.

Weiters steht fest, dass sich der Kläger selbst sowie seine Mieterin (und Mutter) seit ihrem Einzug vor etwa acht Jahren über den Lärm (sowie das Eindringen des ebenso lange gehaltenen Pfauenpaars und dessen Koten auf der klägerischen Liegenschaft) beschwert hatten.

2.4. Da hier somit schon mangels prägenden Charakters sowie mangels widerspruchsloser Hinnahme von Lärmemissionen durch die Pfaue deren Ortsüblichkeit von den Vorinstanzen im Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung vertretbar verneint wurde, kommt es auf die Zulassungsfrage nicht an.

3. Die Revision zeigt auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage auf.

3.1. Sekundäre Feststellungsmängel, die der Rechtsrüge zuzuordnen sind (RS0043304 [T3]), liegen nur dann vor, wenn Tatsachen fehlen, die für die neuerliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317). Wurden – wiehier – zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können insoweit auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]).

Das Erstgericht hat hier nicht nur die – die entsprechenden Ö‑Norm-Planungsrichtwerte übersteigenden – Maximalwerte der Pfauenschreie in Dezibel festgestellt, sondern auch die Art der Schreie und ihre Häufigkeit.

Die Frage, ob eine Immission (noch) als ortsüblich zu beurteilen ist, ist zudem nicht allein aufgrund rein empirischer Ergebnisse, sondern auch anhand normativer Wertungen zu prüfen; die Ortsüblichkeit ist somit auch ein wertungsabhängiger Rechtsbegriff (4 Ob 9/10t mwN). Bei der Beurteilung, ob der von einem Grundstück ausgehende Lärm die ortsübliche Nutzung der Nachbarliegenschaft wesentlich beeinträchtigt, ist nicht nur die (objektiv messbare) Lautstärke, sondern auch die subjektive Lästigkeit maßgebend, wobei auf das Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstücks abzustellen ist. Für diese Lästigkeit sind vor allem die Tonhöhe, die Dauer und die Eigenart der Geräusche entscheidend (RS0010557; RS0010607; vgl RS0010583).

Die Einschätzung der Vorinstanzen, dass die konkreten sehr lauten, hellen und spitzen, über den ganzen Tag verteilten (auch in den Nachtstunden bis zu 5‑ bis 10‑mal vorkommenden) Pfauenrufe, die im Haus des Klägers auch bei geschlossenen Fenstern zu hören sind, das ortsübliche Maß übersteigen, hält sich im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechungsgrundsätze und ist nicht im Einzelfall korrekturbedürftig. Die behaupteten rechtlichen Feststellungsmängel in Ansehung von Lautstärke und Intensität der Lärmimmissionen liegen nicht vor.

3.2. Bei größeren Tieren und ihrem Eindringen auf Nachbargrundstücke liegt nach der jüngeren Rechtsprechung kein Anwendungsfall einer allenfalls zulässigen Eigentumsbeschränkung durch eine Immission iSd § 364 Abs 2 ABGB vor, wenn aufgrund der Eigenart der in Rede stehenden Tiere die Beeinträchtigung der fremden Liegenschaft mit zumutbaren Maßnahmen verhindert werden kann; der beeinträchtigte Eigentümer ist vielmehr durch die actio negatoria iSd § 523 ABGB (Eigentumsfreiheitsklage) geschützt, ohne dass es auf die Kriterien der Ortsüblichkeit und Wesentlichkeit des Eingriffs ankommt (RS0127237). Dabei ist nicht ausschließlich auf die Körpergröße des Tieres, sondern auch auf dessen Beschaffenheit abzustellen. Daraus ist abzuleiten, dass es dem Grundeigentümer und Halter eines „größeren Tieres“ unter Berücksichtigung von dessen Wesensart möglich sein muss, Vorkehrungen in einem zumutbaren Ausmaß zu treffen, um ein Eindringen auf das Nachbargrundstück zu verhindern (5 Ob 138/11x mwN).

Die Entscheidungen der Vorinstanzen zum (zweiten) Unterlassungsbegehren, dem Beklagten die Unterlassung des Eindringens von Pfauen auf die Liegenschaft des Klägers schon nach § 523 ABGB zu verbieten, halten sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Es steht fest, dass der Beklagte das Ausbrechen der Pfaue durch eine Erhöhung des Zaunes oder durch ein Stutzen der Bäume im Gehege verhindern könnte. Die Pfaue des Beklagten deshalb – ebenso wie Hühner (10 Ob 52/11m) – als „beherrschbar“ anzusehen, bewegt sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums.

3.3. Fragen der ausreichenden Bestimmtheit des Klagebegehrens bilden regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0037671). Es entspricht der Rechtsprechung, dass bei Lärmimmissionen ein auf Untersagung ortsunüblicher und das zumutbare Maß überschreitender Emissionen gerichtetes Klagebegehren zulässig und auch ohne Angabe von Dezibel-Messeinheiten hinreichend bestimmt ist (vgl RS0037178).

4.1. Der Beklagte vermag insgesamt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht darzulegen. Die Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

4.2. Die Kostenentscheidung gründet in §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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