OGH 10ObS48/20m

OGH10ObS48/20m24.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Gewährung medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Februar 2020, GZ 11 Rs 98/19 i‑7, womit der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 29. Oktober 2019, GZ 16 Cgs 245/19d‑3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E128875

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens.

 

Begründung:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 19. 9. 2017, GZ 16 Cgs 57/17d‑12, wurde ua festgestellt, dass beim 1975 geborenen Kläger für mindestens sechs Monate vorübergehende Invalidität besteht und er daher ab dem 27. 9. 2016 für die weitere Dauer der Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung hat. Die auch dort beklagte Pensionsversicherungsanstalt wurde schuldig erkannt, „dem Kläger ab 27. 9. 2016 konkrete medizinische Maßnahmen der Rehabilitation zu erbringen“. Der Kläger bezieht nach wie vor Rehabilitationsgeld.

Unstrittig teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 4. 1. 2018 mit, dass als medizinische Maßnahme der Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit das Ergebnis weiterer Therapien abzuwarten sei.

Am 29. 10. 2018 (Datum des Einlangens) beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung eines Rehabilitationsaufenthalts im BBRZ *. Nach dem unstrittigen Inhalt des im Konvolut Blg ./1 erliegenden Antrags findet sich im Antrag der durch Fettdruck hervorgehobene „Hinweis: Der vorgeschlagene Ort wird nach Möglichkeit berücksichtigt; medizinische Notwendigkeiten sind jedoch vorrangig.“. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Verständigung vom 22. 11. 2018 ab.

Am 10. 1. 2019 (Datum des Einlangens) beantragte der Kläger die Bewilligung eines Rehabilitationsaufenthalts in der Rehabilitationsklinik *. Nach dem unstrittigen Inhalt des im Konvolut Blg ./1 erliegenden Antrags findet sich im Antrag der durch Fettdruck hervorgehobene „Hinweis: Der vorgeschlagene Ort wird nach Möglichkeit berücksichtigt; medizinische Notwendigkeiten sind jedoch vorrangig.“. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Verständigung vom 30. 1. 2019 ab.

Die Beklagte lehnte diese beiden Anträge mit der Begründung ab, dass der Kläger ihrer Meinung nach ohne vorherige Entzugshandlung wegen seiner Benzodiazepin‑ und Alkoholabhängigkeit für diese Aufenthalte nicht ausreichend belastbar sei.

Der Kläger beantragte am 27. 2. 2019 die Erlassung von Bescheiden betreffend die Ablehnung der beiden genannten Anträge.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. 7. 2019 wies die Beklagte den Antrag des Klägers vom 27. 2. 2019 auf Erlassung eines Bescheids über die Anträge auf Gewährung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation vom 29. 10. 2018 und 10. 1. 2019 zurück. Da die Anträge nicht im Rahmen des Case Management gemäß § 143b ASVG während des Bezugs von Rehabilitationsgeld gestellt wurden, handle es sich bei den beantragten medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation nicht um eine Pflichtleistung im Sinn des § 222 Abs 1 Z 2 lit a iVm § 253f ASVG, sondern um eine Pflichtaufgabe im Sinn des § 222 Abs 3 iVm §§ 300 ff ASVG. Aus diesem Grund bestehe keine Bescheidpflicht gemäß § 367 Abs 1 Z 2 ASVG. Maßnahmen der Rehabilitation außerhalb eines Pensionsverfahrens würden gemäß § 301 Abs 1 ASVG nach pflichtgemäßem Ermessen erbracht, es bestehe darauf kein individuell durchsetzbarer Rechtsanspruch.

Der Kläger begehrt mit seiner am 4. 9. 2019 beim Erstgericht eingebrachten (Säumnis‑)Klage die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm „medizinische Maßnahmen der Rehabilitation durch Maßnahmen der ambulanten Rehabilitation und Durchführung eines stationären Heilverfahrens durch Unterbringung in einer Krankenanstalt, die vorwiegend der psychiatrischen Rehabilitation dient, zu erbringen“. Der Kläger habe Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation insbesondere durch ein stationäres Heilverfahren und Maßnahmen der ambulanten Rehabilitation. Über seinen Antrag hätte die Beklagte inhaltlich mit Bescheid absprechen müssen. Beginnend mit einer stationären Alkoholentwöhnungstherapie mit anschließender Benzodiazepin‑Entwöhnungstherapie und in der Folge psychiatrischer stationärer Rehabilitation könne der Kläger in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert werden.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage mangels Rechtswegzulässigkeit. Ein konkreter Rehabilitationsaufenthalt, wie er vom Kläger beantragt worden sei, sei vom Case Manager des Krankenversicherungsträgers vorzuschlagen bzw anzuordnen. Nur in diesem Fall handle es sich um eine Pflichtleistung im Sinn des § 253f ASVG und nur dann bestehe eine bedingte Bescheidpflicht im Sinn des § 367 Abs 1 Z 2 ASVG. Fehle eine solche Anordnung des Case Managers, handle es sich um eine nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringende Pflichtaufgabe der Pensionsversicherung im Sinn des § 222 Abs 3 ASVG. In diesem Fall bestehe kein individueller Rechtsanspruch der versicherten Person und keine Pflicht zur Erlassung eines Bescheids.

Das Erstgericht wies die Klage mangels Zulässigkeit des Rechtswegs mit Beschluss zurück. Medizinische Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung seien nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen. Ein Rechtsanspruch darauf bestehe im Wirkungsbereich der Pensionsversicherung nur für jene Personen, deren Pensionsantrag im Sinn des § 367 Abs 4 ASVG abgelehnt worden sei. Diese Bestimmung verpflichte den Pensionsversicherungsträger jedoch nicht zur Erbringung konkreter Rehabilitationsmaßnahmen. Eine konkrete medizinische Maßnahme der Rehabilitation sei nur dann eine Pflichtleistung gemäß § 253f ASVG, wenn sie vom Case Manager des Krankenversicherungsträgers angeordnet worden sei. Stelle der Rehabilitationsgeldbezieher wie im vorliegenden Fall selbst einen Antrag auf eine bestimmte medizinische Maßnahme der Rehabilitation, so handle es sich um eine nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringende Pflichtaufgabe des Pensionsversicherungsträgers gemäß § 222 Abs 3 ASVG, für die keine Bescheidpflicht bestehe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Auf die Gewährung einer konkreten medizinischen Maßnahme der Rehabilitation bestehe nur dann ein Rechtsanspruch, wenn eine solche Maßnahme bereits im Pensionsantrag beantragt und statt dieser eine andere Maßnahme gewährt wurde. Bei Vorliegen vorübergehender Invalidität bzw Berufsunfähigkeit sei die Erledigung des Antrags auf medizinische Rehabilitation kein Gegenstand des gemäß § 367 Abs 4 ASVG zu erlassenden Bescheids. Ein Anspruch auf bestimmte medizinische Maßnahmen der Rehabilitation im Sinn des § 253f ASVG könne nicht auf die Weise durchgesetzt werden, dass bestimmte Therapiemaßnahmen eingeklagt werden könnten, weil die Rechtsprechung auch in vergleichbaren Fällen nur einen Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensausübung kenne. Der Kläger wünsche konkrete Therapiemaßnahmen, auf die kein Rechtsanspruch bestehe. Über deren Ablehnung sei kein Bescheid zu erlassen, sodass es für eine darauf gerichtete Klage an der Prozessvoraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs fehle. Soweit im Rekurs ein Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensausübung geltend gemacht werde, handle es sich dabei um eine unbeachtliche Neuerung.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur strittigen Frage einer Bescheidpflicht über einen Antrag auf gewünschte Maßnahmen der Rehabilitation im Rehabilitationsverfahren nach § 253f ASVG Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt beantwortete Revisionsrekurs des Klägers, mit dem dieser eine inhaltliche Entscheidung über seine Klage anstrebt.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der 1975 geborene Kläger zählt unstrittig zu der vom SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, erfassten Personengruppe, für die unter den Voraussetzungen des § 253f ASVG ein Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung besteht.

1.2 Gemäß § 67 Abs 1 ASGG darf in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 bis 8 ASGG sowie über die Kostenersatzpflicht eines Versicherungsträgers nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG – vorbehaltlich des § 68 ASGG – vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden oder den Bescheid nicht innerhalb der in § 67 Abs 1 Z 2 ASGG genannten Fristen erlassen hat. Voraussetzung für eine Klageerhebung nach § 67 ASGG ist daher entweder das Vorliegen eines Bescheids im Zeitpunkt der Klagseinbringung oder das Vorliegen eines Säumnisfalls. Der Säumnisfall erfordert, dass der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids verpflichtet ist. Wenn der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids nicht verpflichtet ist, steht dem Versicherten eine Säumnisklage nicht zu.

1.3 Es ist daher die zwischen den Parteien strittige Frage zu prüfen, ob die beklagte Pensionsversicherungsanstalt zur Erlassung eines Bescheids über die vom Kläger beantragte Gewährung medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung gemäß § 253f ASVG verpflichtet war.

2.1 Bei den Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung nach den §§ 300 ff ASVG handelt es sich um eine Pflichtaufgabe des Pensionsversicherungsträgers, die nicht als Pflichtleistung (mit individuellem Rechtsanspruch), sondern als freiwillige Leistung (ohne individuellen Rechtsanspruch) normiert ist. Medizinische Maßnahmen der Rehabilitation nach § 302 ASVG hat der Pensionsversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen, er hat darüber jedoch keinen Bescheid zu erlassen. Der Leistungswerber hat daher keine Möglichkeit, die Erbringung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation durch den Pensionsversicherungsträger nach § 302 ASVG im Leistungsstreitverfahren durchzusetzen, weil § 367 Abs 1 Satz 2 ASVG – vor wie nach dem SRÄG 2012 – nicht auf § 222 Abs 3 ASVG verweist (RIS‑Justiz RS0084894; für die frühere Rechtslage zB 10 ObS 68/09m SSV‑NF 24/7 mwH; für die Rechtslage nach dem SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, ausführlich 10 ObS 119/15w SSV‑NF 30/3 = DRdA 2016/39, 349 [Panhölzl]; vgl auch 10 ObS 78/16t zu beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation nach § 303 ASVG idF des SRÄG 2012).

2.2 Hingegen sind medizinische Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung (§§ 253f, 270b ASVG), die im Zusammenhang mit einem Pensionsantrag stehen, als Leistungssachen mit bedingter Bescheidpflicht im Sinn des § 367 Abs 1 ASVG ausgestaltet (RS0130606). § 367 Abs 1 ASVG idF des SRÄG 2012 – diese Bestimmung blieb in den nachfolgenden Novellen insofern unverändert – ist einschränkend dahin auszulegen, dass eine Bescheidpflicht über die Gewährung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation aus der Pensionsversicherung nur nach den §§ 253f, 270b ASVG besteht (10 ObS 119/15w).

3.1 § 253f Abs 1 ASVG lautet seit seiner Erlassung mit dem SRÄG 2012 unter der Überschrift „Medizinische Maßnahmen der Rehabilitation, Anspruch“ unverändert:

„§ 253f. (1) Personen, für die bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Invalidität im Sinne des § 255 Abs. 1 und 2 oder 3 im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt, haben Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation (§ 302 Abs. 1), wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustandes zweckmäßig ist.“

3.2 Der Rechtsanspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation steht daher (nur) Personen offen, für die bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Invalidität im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 oder 3 ASVG im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt (Pöltner, Das Sozialrechtsänderungsgesetz 2012 [SRÄG 2012] – Invalidität im Wandel, ZAS 2013/3, 13 [14]; Sonntag in Sonntag, ASVG10 § 253f ASVG Rz 1). Diese – wie zu zeigen sein wird: einzige – Anspruchsvoraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt.

3.3 Nach § 253f Abs 1 ASVG besteht ein Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung nur, wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustands zweckmäßig ist. Dabei handelt es sich nicht um eine – weitere – Anspruchsvoraussetzung, sondern um eine Einschränkung (arg: „wenn“) des durch § 253f Abs 1 Satz 1 erster Halbsatz ASVG begründeten Anspruchs. Nach dieser Einschränkung müssen die medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und ausreichend sein, dürfen aber das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 253f Abs 1 und 2 ASVG). Diese Einschränkung des Anspruchs auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation entspricht erkennbar den Prinzipien der Krankenbehandlung nach § 133 Abs 2 Satz 1 ASVG und wird wie dort zu verstehen sein (10 ObS 4/16k SSV‑NF 30/33 mwH). Auch der in § 253f Abs 1 ASVG verwendete Begriff der „Arbeitsfähigkeit“, der eigentlich der Krankenversicherung zuzuordnen ist, deutet auf diese gesetzgeberische Intention hin (vgl dazu Födermayr in SV‑Komm [252. Lfg] § 253f ASVG Rz 5).

3.4 Gemäß § 367 Abs 4 ASVG (nach der im Vorverfahren zum Stichtag 1. 10. 2016 anzuwendenden Rechtslage, § 367 ASVG idF SVAG 2015, BGBl I 2015/2) hat der Versicherungsträger von Amts wegen ua festzustellen, ob Invalidität (Berufsunfähigkeit) vorliegt und wann sie eingetreten ist (Z 1), ob die Invalidität (Berufsunfähigkeit) voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird (Z 2) und ob Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht oder nicht (Z 4). Solange daher der (Dauer‑)Zustand der vorübergehenden Invalidität (§ 255b ASVG) besteht, hat der Versicherte Anspruch auf Rehabilitationsgeld gegen den Krankenversicherungsträger (§ 143a ASVG). § 253f ASVG kann nicht anders verstanden werden, weil diese Bestimmung dasselbe Ziel verfolgt wie das Rehabilitationsgeld: nämlich die „Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt“ (10 ObS 119/15w SSV‑NF 30/3; 10 ObS 133/15d SSV‑NF 30/79 mit Hinweis auf ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP  2). Solange daher der Zustand der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) besteht, hat die versicherte Person (auch) einen Rechtsanspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation gegen den Pensionsversicherungsträger (§ 253f Abs 2 ASVG, vgl 10 ObS 97/15k SSV‑NF 97/15k Pkt 5.).

3.5 Der Krankenversicherungsträger hat sich im Rahmen des Case Management (§ 143b ASVG) mit dem für medizinische Maßnahmen der Rehabilitation gemäß § 253f Abs 2 ASVG zuständigen Pensionsversicherungsträger abzustimmen. Für die Rechtsansicht, dass eine konkrete medizinische Maßnahme der Rehabilitation nur dann eine Pflichtleistung des Pensionsversicherungsträgers gemäß § 253f ASVG darstelle, wenn der Krankenversicherungsträger sie im Rahmen des Case Management anordne, bietet § 253f ASVG keine Grundlage, weil diese Bestimmung keine entsprechende Anordnung enthält. Der Krankenversicherungsträger ist gemäß § 143b ASVG lediglich verpflichtet, die Bezieher von Rehabilitationsgeld (§ 8 Abs 1 Z 1 lit d ASVG) „umfassend zu unterstützen“, sie „während der Krankenbehandlung sowie der medizinischen Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit“ dahingehend „zu begleiten“, dass ein Versorgungsplan erstellt und durch die Leistungsbezieher umgesetzt wird und für einen „optimalen Ablauf der notwendigen Versorgungsschritte zu sorgen“. § 143b ASVG mag daher dem Krankenversicherungsträger die Möglichkeit einräumen, bestimmte Rehabilitationsmaßnahmen im Versorgungsplan vorzusehen: aus dieser Bestimmung kann jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass kein Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation gemäß § 253f ASVG bestünde, wenn der Krankenversicherungsträger solche nicht anordnet. Dies ergibt sich schon daraus, dass dafür nicht der Krankenversicherungsträger, sondern der Pensionsversicherungsträger zuständig ist.

3.6 Ergebnis: Personen, für die bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Invalidität im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 oder 3 ASVG im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt, haben gemäß § 253f ASVG so lange Rechtsanspruch auf die in § 302 Abs 1 ASVG genannten medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation gegenüber dem Pensionsversicherungsträger, als vorübergehende Invalidität vorliegt, wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustands zweckmäßig ist.

3.7 Von dieser Rechtsansicht ist im Übrigen auch die beklagte Pensionsversicherungsanstalt im Verfahren 10 ObS 94/18y zu einem vergleichbaren Sachverhalt ausgegangen: Die damalige Klägerin bezog seit 1. 10. 2014 für die weitere Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit Rehabilitationsgeld. Im Zuge der Wiederbegutachtung teilte ihr die Pensionsversicherungsanstalt mit Schreiben vom 20. 11. 2015 mit, dass als medizinische Maßnahme der Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen abzuwarten sei. Über Antrag der Klägerin erließ sie den im damaligen Verfahren angefochtenen Bescheid vom 28. 1. 2016, wonach als medizinische Maßnahme der Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen abzuwarten sei. Die Pensionsversicherungsanstalt ging daher – über ein Jahr nach dem Ausspruch über das Vorliegen vorübergehender Invalidität und im Rahmen einer Wiederbegutachtung – von einer bedingten Bescheidpflicht in Ansehung einer medizinischen Maßnahme der Rehabilitation aus.

Daraus folgt für den vorliegenden Fall:

4.1 Beim Kläger besteht nach wie vor vorübergehende Invalidität, er bezieht weiterhin Rehabilitationsgeld. Er hat damit grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Gewährung medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation aus der Pensionsversicherung gemäß § 253f ASVG gegen die beklagte Pensionsversicherungsanstalt.

4.2 Nach Ablehnung der vom Kläger beantragten medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation verlangte er am 27. 2. 2019 ausdrücklich darüber einen Bescheid (§ 367 Abs 1 Z 2 ASVG). Die Beklagte wäre, da die Voraussetzungen des § 253f ASVG vorlagen, verpflichtet gewesen, innerhalb von sechs Monaten einen inhaltlich („darüber“ im Sinn des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG) über die Anträge des Klägers absprechenden Bescheid zu erlassen (§ 67 Abs 1 Z 2 ASGG). Da sie dieser Verpflichtung nicht nachkam, lag bereits zum Zeitpunkt der Klageeinbringung, dem 4. 9. 2019, der Säumnisfall vor.

4.3 Der Kläger beschritt daher in zulässiger Weise den Rechtsweg, sodass seinem Revisionsrekurs im Sinn des Aufhebungsantrags Berechtigung zukommt. Im fortzusetzenden Verfahren wird inhaltlich über das Klagebegehren zu entscheiden und dabei zu beachten sein:

5.1 Der Kläger hat zwei konkrete medizinische Maßnahmen der Rehabilitation beantragt, nämlich die Bewilligung eines Rehabilitationsaufenthalts in einem beruflichen Bildungs‑ und Rehabilitationszentrum (BBRZ) und eines Rehabilitationsaufenthalts in einer Rehabilitationsklinik.

5.2 § 253f ASVG verweist zum Begriff der medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation ausdrücklich auf § 302 Abs 1 ASVG. Nach dieser Bestimmung umfassen die medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation ua die Unterbringung in Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen (§ 302 Abs 1 Z 1 ASVG), und Maßnahmen der ambulanten Rehabilitation einschließlich der Telerehabilitation (§ 302 Abs 1 Z 1a ASVG).

5.3 Medizinische Maßnahmen der Rehabilitation werden nach dem Konzept des Gesetzgebers grundsätzlich vom jeweils zuständigen Versicherungsträger erbracht. Die zu rehabilitierende Person trifft (bloß) eine Mitwirkungspflicht (zB § 305 Satz 2 ASVG), deren Verletzung allerdings mit Sanktionen bedroht ist (zB Entziehung oder Ruhen des Rehabilitationsgeldes; § 99 Abs 1a, § 143a Abs 5 ASVG). Die Rehabilitationsträger – zu denen gemäß § 3 Abs 1 Z 2 Bundesbehindertengesetz, BGBl 1990/283 (BBG) in ihrem Wirkungsbereich auch die gesetzliche Pensionsversicherung gehört – haben gemäß § 4 Abs 2 BBG dafür Vorsorge zu treffen, dass alle erforderlichen Maßnahmen zur Rehabilitation unverzüglich eingeleitet werden. Der Rehabilitationsträger hat gemeinsam mit der zu rehabilitierenden Person einen Gesamtplan zur Rehabilitation aufzustellen (§ 5 Abs 1 BBG). Im Bereich des ASVG ist die Beschlussfassung eines Rehabilitationsplans für die Sozialversicherungsträger Aufgabe des Dachverbands, § 30b Abs 1 Z 7 ASVG. Im Rahmen des Case Management ist es wie ausgeführt Aufgabe des Krankenversicherungsträgers, (daneben) einen individuellen Versorgungsplan zu erstellen.

5.4 Der Umstand, dass medizinische Maßnahmen der Rehabilitation im Anwendungsbereich des § 253f ASVG nicht bloß nach pflichtgemäßem Ermessen erbracht werden, sondern darauf ein Rechtsanspruch besteht, ändert nichts daran, dass auch in diesem Fall Rehabilitationsmaßnahmen vom Pensionsversicherungsträger zu erbringen sind (§ 253f Abs 2 ASVG). Die Bestimmung räumt schon nach ihrem Wortlaut keinen Anspruch auf eine bestimmte, vom Anspruchswerber begehrte Rehabilitationsmaßnahme ein. Vielmehr sind solche vom Pensionsversicherungsträger ja überhaupt nur zu erbringen, wenn sie zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustands zweckmäßig sowie ausreichend sind (§ 253f Abs 1 und 2 ASVG). Sind diese Kriterien erfüllt, liegt es nach der dargestellten grundsätzlichen gesetzlichen Konzeption zur Erbringung von Rehabilitationsleistungen (für die im medizinischen Bereich vor allem die ärztliche Einschätzung maßgeblich ist) im Entscheidungsermessen des Pensionsversicherungsträgers, welche – allenfalls auch von mehreren gleichwertigen – notwendigen, zweckmäßigen und ausreichenden Rehabilitationsmaßnahmen er zu erbringen hat (vgl 10 ObS 4/16k SSV‑NF 30/33, Pkt II.5.4; 10 ObS 97/15k SSV‑NF 29/69, Pkt 10.; R. Müller, Tätigkeit in geschützter Werkstätte als Maßnahme der Rehabilitation? DRdA 2016/33, 278 [283]; Bergauer in SV‑Komm [228. Lfg] § 302 ASVG Rz 28 f; aA Födermayr in SV‑Komm [252. Lfg] § 253f ASVG Rz 5/1; Sonntag, Medizinische Rehabilitation im sozialgerichtlichen Verfahren, DRdA 2017, 181 [183 f]).

Daraus folgt für das vorliegende Verfahren:

6.1 Die Klage hat in Sozialrechtssachen gemäß § 82 Abs 1 ASGG ein unter Bedachtnahme auf die Art des erhobenen Anspruchs hinreichend bestimmtes Begehren zu enthalten. Aus dem Klagebegehren muss erkennbar hervorgehen, welche Leistung oder Feststellung der Kläger begehrt, ohne dass dies im Einzelnen determiniert sein müsste (RS0085917). Ein Begehren „im gesetzlichen Ausmaß“ ist nach § 82 Abs 2 Z 1 ASGG so zu verstehen, dass es auf das für den Versicherten Günstigste gerichtet ist.

6.2 Unter diesen Gesichtspunkten ist das hier erhobene, oben wiedergegebene Leistungsbegehren nicht verbesserungsbedürftig. Die medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation werden gemäß § 302 Abs 1 ASVG, auf den § 253f ASVG verweist, grundsätzlich als Sachleistungen erbracht (Bergauer in SV‑Komm [228. Lfg] § 302 ASVG Rz 27), sodass ein auf die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen gerichtetes Klagebegehren, wie sie in § 302 Abs 1 Z 1 und Z 1a ASVG beschrieben sind, den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Insbesondere ist das vorliegende Klagebegehren auch nicht auf einen bestimmten Anspruch – etwa die Durchführung dieser Maßnahmen nur in ganz bestimmten Einrichtungen, oder nur in einer ganz bestimmten Art und Weise oder Dauer – gerichtet.

6.3 Umgekehrt schränkt der Umstand, dass der Kläger in seinen Anträgen bestimmte Einrichtungen für die Durchführung dieser Rehabilitationsmaßnahmen genannt hat, das gerichtliche Verfahren im vorliegenden Fall schon deshalb nicht auf die Durchführung der beantragten Rehabilitationsmaßnahmen in diesen Einrichtungen ein, weil es sich dabei lediglich um Vorschläge handelte, medizinische Notwendigkeiten jedoch vorrangig berücksichtigt werden müssen.

6.4 Ob die vom Kläger beantragten medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation notwendig, zweckmäßig, ausreichend und zumutbar sind, wird im fortzusetzenden Verfahren, allenfalls unter Beiziehung geeigneter (medizinischer) Sachverständiger, zu prüfen sein. Im gerichtlichen Verfahren kann der Kläger nur seinen Anspruch auf die Erbringung der von ihm im Sinn des § 302 Abs 1 ASVG iVm § 253f ASVG begehrten medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation durchsetzen. Deren konkrete Durchführung und Ausgestaltung obliegt – unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands des Klägers und der Zumutbarkeit für ihn, § 253f Abs 2 ASVG – der beklagten Pensionsversicherungsanstalt.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf §§ 50, 52 ZPO iVm § 2 ASGG.

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