OGH 5Ob78/20m

OGH5Ob78/20m23.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Grundbuchsache der Antragstellerin E* E*, geboren am *, vertreten durch die Mag. Günter Novak-Kaiser Rechtsanwalt GmbH in Murau, wegen Einverleibung des Eigentumsrechts und anderer Grundbuchshandlungen ob den EZ * und EZ *, je KG *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin und des Einschreiters W* S*, geboren am *, vertreten durch die Mag. Günter Novak-Kaiser Rechtsanwalt GmbH in Murau, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 10. Februar 2020, AZ 1 R 232/19p, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Murau vom 7. November 2019, AZ TZ 2139/2019, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128974

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:

Urkunden

1 Schenkungsvertrag vom 20. 11. 2018

2 Bescheid vom 03. 01. 2019

3 Nachtrag vom 27. 09. 2019

Bewilligt wird

1 in EZ * KG *

auf Anteil B-LNR 1

1 ANTEIL: 1/1

W* S*

GEB: * ADR: * *

zu 1/1 (hinsichtlich der Liegenschaft)

die Einverleibung des Eigentumsrechts

für E* E*, geb. * *

2 in EZ * KG *

Einverleibung Wohnungsgebrauchsrecht

gemäß 4 Schenkungsvertrag vom 20. 11. 2018

für W* S*, geb. *

3 in EZ * KG *

auf Anteil B-LNR 1

1 ANTEIL: 1/1

W* S*

GEB: * ADR: * *

zu 1/1 (hinsichtlich der Liegenschaft)

die Einverleibung des Eigentumsrechts

für E* E*, geb. * *

 

Verständigt werden:

1.  Mag. Günter Novak-Kaiser Rechtsanwalt GmbH, Raffaltplatz 6, 8850 Murau

2.  W* S*, geb. * *

3.  E* E*, geb. *

*

4.  Marktgemeinde S*

*

5.  Finanzamt J*

*

6.  S* AG

*

 

Der Vollzug und die Verständigung der Beteiligten obliegen dem Erstgericht.

 

Begründung:

Der Einschreiter ist grundbücherlicher Alleineigentümer der Liegenschaften EZ * und EZ *, je KG *. Mit dem – nicht in Form eines Notariatsakts errichteten – Schenkungsvertrag vom 20. 11. 2018 schenkte er diese Liegenschaften der Antragstellerin. Im Gegenzug räumte die Antragstellerin dem Geschenkgeber an einer der Liegenschaften das Wohnungsgebrauchsrecht ein.

Dieser Schenkungsvertrag vom 20. 11. 2018 enthält unter anderem folgende Bestimmungen:

„[…]

3 Übergabe und Übernahme

3.1 Die Übergabe und Übernahme des Schenkungsgegenstandes in den tatsächlichen Besitz und Genuss erfolgte am 01. 09. 2018.

3.2 Als Stichtag für den Übergang von Besitz, Gefahr, Schaden und Zufall, Last und Vorteil, gilt ebenfalls der 01. 09. 2018, mit welchem Zeitpunkt die Geschenknehmerin auch alle diesbezüglichen Realsteuern, Abgaben und Lasten zu tragen hat.

4 Wohnungsgebrauchsrecht

Als Gegenleistung für diese Schenkung räumt die Geschenknehmerin E* E*, geb. *, für sich und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum der Liegenschaft EZ *, Grundbuch *, dem Geschenkgeber W* S*, geb. * zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf dessen Lebensdauer zum persönlichen Bedarf im Haus Untere F*straße *, die Dienstbarkeit des Wohnungsgebrauchsrechtes ein.

[…]“

Unter Berufung auf diesen Schekungsvertrag und andere Urkunden begehrte die Antragstellerin ob der Liegenschaften die Einverleibung ihres Eigentumsrechts sowie die Einverleibung des Wohnungsgebrauchsrechts für den Einschreiter.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Im Hinblick auf das „Zurückbehalten“ des Wohnungsgebrauchsrechts handle es sich um eine Schenkung ohne wirkliche Übergabe und diese sei notariatsaktspflichtig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin und des Einschreiters nicht Folge. Nach § 1 Abs 1 lit d Notariatsaktsgesetz bedürften Schenkungsverträge ohne wirkliche Übergabe zur Gültigkeit eines Notariatsakts. Dabei genüge im Grundbuchsverfahren grundsätzlich ein Hinweis in der Vertragsurkunde, dass die Übergabe bereits erfolgt sei. Konkrete Übergabeakte müssten nicht dargestellt werden; ein Notariatsakt sei dann entbehrlich. Bestünden aber aufgrund des Urkundeninhalts Zweifel, ob der Schenker die Liegenschaft tatsächlich „real“ aus der Hand gegeben habe, sei das Ansuchen auf Einverleibung des Eigentums des Geschenknehmers abzuweisen, wenn der Vertrag nicht in Form eines Notariatsakts abgeschlossen worden sei. Wie sich aus der höchstgerichtlichen Judikatur ableiten lasse, könnten derartige Zweifel bereits dann bestehen, wenn den Geschenkgebern ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt werde, das sich auf alle Räumlichkeiten des Hauses und die Nutzung der gesamten Liegenschaft beziehe. Derartige Bestimmungen könnten dann so verstanden werden, dass die Stellung des Geschenkgebers in tatsächlicher Hinsicht keine wesentliche Änderung erfahren solle und erwecke damit Bedenken, ob er die Liegenschaft real aus der Hand gegeben habe, wie es für eine wirkliche Übergabe gefordert sei. Dies sei hier der Fall, weil sich der Geschenkgeber von der Geschenknehmerin an der einen Liegenschaft ein Wohnungsgebrauchsrecht zur Sicherung seines Lebensunterhalts einräumen lasse. Wenn das Erstgericht aufgrund dieser Vertragsklausel Zweifel an der realen Übergabe hege, liege darin keine Fehlentscheidung.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin und des Einschreiters mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen abzuändern und das Grundbuchsgesuch zu bewilligen.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil dem Rekursgericht eine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist daher auch berechtigt.

1. Das Grundbuchgericht hat das Ansuchen und dessen Beilagen einer genauen Prüfung zu unterziehen (§ 94 Abs 1 GBG). Zu prüfen ist daher, ob der Urkundeninhalt nicht nur in formeller Beziehung unbedenklich erscheint, sondern auch in materiell-rechtlicher Hinsicht frei von Zweifel ist. Ein Ansuchen kann somit nur dann bewilligt werden, wenn der Urkundeninhalt auch bezüglich der materiell-rechtlichen Frage keinerlei Zweifel aufkommen lässt (RIS‑Justiz RS0060878). Es ist dem Grundbuchgericht verwehrt, eine undeutliche und zu begründeten Zweifeln Anlass gebende Urkunde auszulegen. Durch den Inhalt der Urkunde erweckte und nicht restlos beseitigte Zweifel haben vielmehr zur Abweisung des Grundbuchsgesuchs zu führen (RS0060573).

2. Nach § 1 Abs 1 lit d NotAktG bedürfen Schenkungsverträge ohne wirkliche Übergabe zu ihrer Gültigkeit eines Notariatsakts. Eine „wirkliche Übergabe“ muss nach außen erkennbar und so beschaffen sein, dass aus ihr der Wille des Geschenkgebers hervorgeht, das Objekt der Schenkung sofort aus seiner Gewahrsame in den Besitz des Beschenkten zu übertragen (RS0011383). Der Ausdruck „wirkliche Übergabe“ bedeutet nichts anderes als das Gegenteil der bloßen Zusicherung oder des bloßen Schenkungsversprechens (RS0011295 [T2]; RS0018908 [T1]). Bei Liegenschaften genügt die außerbücherliche Übergabe (RS0011228 [T11]; RS0011383 [T4]).

3. Im Hinblick auf dessen Charakter als reines Urkundenverfahren genügt im Grundbuchverfahren ein Hinweis in der Vertragsurkunde darauf, dass die „wirkliche Übergabe“ – als kürzelhafte Wiedergabe eines von den Parteien so verstandenen faktischen Vorgangs – bereits erfolgt ist. Konkrete Übergabsakte müssen im urkundlichen Nachweis einer bereits erfolgten Übergabe nicht dargestellt werden; ein Notariatsakt ist dann entbehrlich (5 Ob 172/15b; RS0018923).

4. Der Hinweis in der Vertragsurkunde, dass die Übergabe bereits erfolgt ist, genügt im Grundbuchverfahren grundsätzlich auch dann, wenn dem Geschenkgeber gleichzeitig ein lebenslanges, alleiniges Wohnungsrecht eingeräumt wird (5 Ob 76/16m; 5 Ob 184/15t; 5 Ob 82/15t; 5 Ob 247/02p). Eine Grundbuchsurkunde ist jedoch stets in ihrer Gesamtheit zu beurteilen (RS0010950 [T2]). Bestehen daher aufgrund des (sonstigen) Urkundeninhalts Zweifel, ob der Geschenkgeber die Liegenschaft tatsächlich „real“ aus der Hand gegeben hat, ist das Ansuchen auf Einverleibung des Eigentums der Geschenknehmerin daran abzuweisen, wenn der Schenkungsvertrag nicht in Form eines Notariatsakts abgeschlossen wurde (5 Ob 136/18p; 5 Ob 156/17p; 5 Ob 172/15b). Solche Zweifel können etwa bestehen, wenn sich die Geschenkgeber nicht nur das Wohnungsrecht, sondern zusätzlich Rechte vorbehalten, durch die keine wesentliche Veränderung ihrer Stellung in tatsächlicher Hinsicht erkennbar ist, wie etwa das Recht an einer weiter benützten Eigentumswohnung und an den allgemeinen Teilen nach Gutdünken bauliche Veränderungen vornehmen zu können (5 Ob 172/15b), oder das Recht, die gesamte Liegenschaft weiterhin in land- und forstwirtschaftlicher Hinsicht zu bewirtschaften, Holzarbeiten durchzuführen, die bestehende Almhütte zu nutzen und die Bienenzucht zu betreiben, all dies nach dem Vertragswortlaut im Sinne eines eigenen Bewirtschaftungsrechts (5 Ob 156/17b). Zweifel an der angeblich bereits erfolgten Übergabe des Vertragsgegenstands bestehen freilich auch dann, wenn den Geschenkgebern – wie in der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 5 Ob 8/16m – ein lebenslanges unentgeltliches Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt wird, das sich auf alle Räumlichkeiten des Hauses und die Nutzung der gesamten Liegenschaft bezieht, „so wie dies bisher“, also vor und auch nach dem Zeitpunkt der im Vertrag festgehaltenen Übergabe an den Geschenknehmer, der Fall war. Eine solche Bestimmung kann ihrem Wortlaut nach nur so verstanden werden, dass die Stellung der Geschenkgeber in tatsächlicher Hinsicht keine wesentliche Änderung erfahren soll (5 Ob 8/16m).

5. Auch im hier zu beurteilenden Fall ist, um die Frage der Übertragung der Gewahrsame und damit der wirklichen Übergabe zu beantworten, auf den Wortlaut des Schenkungsvertrags abzustellen (5 Ob 136/18p; 5 Ob 82/15t mwN). Die im Schenkungsvertrag vom 20. 11. 2018 gewählte Formulierung, „die Übergabe und Übernahme des Schenkungsgegenstandes in den tatsächlichen Besitz und Genuss erfolgte am 1. 9. 2018“, ist im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Grundbuchsachen ein ausreichender urkundlicher Nachweis für eine wirkliche Übergabe (vgl 5 Ob 82/15t). Diese Formulierung bringt klar zum Ausdruck, dass die tatsächliche Übergabe bereits vor der Vertragsunterfertigung stattgefunden hat und nicht etwa erst als bevorstehend angekündigt wird (vgl 5 Ob 229/16m; RS0018923 [T3]). Dem Wortlaut des Vertrags sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Geschenkgeber das auf der einen Liegenschaft gelegene Haus schon vor der im Vertrag festgehaltenen Übergabe alleine bewohnt hat, diese ausschließliche Nutzung faktisch unverändert blieb und sich daher nur der Rechtstitel für die Benützung ändern sollte (vgl 5 Ob 82/15t). Selbst die Adressen des Geschenkgebers und des Schenkungsobjekts stimmen nicht überein (vgl zur begrenzten Aussagekraft auch gleichlautender Adressen 5 Ob 76/16m; 5 Ob 184/15t; 5 Ob 181/15a; 5 Ob 82/15t). Begründete Zweifel an der fast zwei Monate vor Vertragsabschluss erfolgten, urkundlich nachgewiesenen Tatsache der wirklichen Übergabe bestehen hier daher nicht.

6. Der von den Vorinstanzen herangezogene Abweisungsgrund liegt nicht vor, weil der Schenkungsvertrag nach wirklicher Übergabe des Schenkungsobjekts nicht als Notariatsakt errichtet werden musste. Andere Eintragungshindernisse sind nicht ersichtlich. In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen war das Grundbuchsgesuch daher antragsgemäß zu bewilligen.

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