OGH 7Ob20/20x

OGH7Ob20/20x27.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. F*****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 218.429,10 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. April 2019, GZ 4 R 36/19d‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 7. Jänner 2019, GZ 40 Cg 124/17x‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00020.20X.0527.000

 

Spruch:

I. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Kläger suchte im Jahr 2005 im Zusammenhang mit einem Hausbau eine geeignete Kreditfinanzierung. Ein Bekannter, der bei der Beklagten tätig war, vermittelte ihm den Kontakt zu einer Bank, die ihm einen CHF-Kredit mit Endfälligkeit und Ansparung in Form einer fondsgebundenen Lebensversicherung empfahl. Die Absicht des Klägers war allein darauf gerichtet, den geforderten Tilgungsträger für das Finanzierungsmodell der Bank zu erfüllen, um zum Fälligkeitstermin die Kreditschuld bezahlen zu können.

Der Kläger schloss deshalb mit der Beklagten einen Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung mit Versicherungsbeginn am 1. 8. 2005 und einer Vertragsdauer von 20 Jahren. Auf Seite 4 des Antragsformulars der Beklagten unter „Erklärungen und Hinweise“ befand sich mit der Überschrift „Rücktrittsrecht“ folgender Text:

„Der Antragsteller kann innerhalb von 31 Tagen nach Zugang der Polizze schriftlich vom Vertrag zurücktreten. Es genügt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb des genannten Zeitraums abgesendet wird.“

In der Folge erhielt der Kläger sowohl die Versicherungspolizze als auch die „Allgemeinen Bedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung“, gültig ab 1. 12. 2000, per Post zugesandt. Diese enthalten folgende Klausel:

§ 3 Können Sie von dem Versicherungsvertrag zurücktreten?

Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Zusendung der Versicherungspolizze, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Informationen vom Versicherungsvertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn wir Sie über Ihr Rücktrittsrecht belehrt haben.“

Am 16./18. 8. 2005 verpfändete der Kläger das Recht auf Empfang sämtlicher Versicherungsleistungen aus der gegenständlichen Lebensversicherung samt allfälliger auch künftiger Vertragssummenerhöhungen und Indexierungen an die Bank, wovon die Beklagte unbestritten verständigt wurde.

Unter Pkt 4. dieser Vereinbarung ist festgehalten:

„4. Ich/wir widerrufe(n) für die Dauer dieser Verpfändung allfällige Bezugsrechte bis zur Höhe der von der …. [Bank] beanspruchten Versicherungsleistung und mache(n) die …. [Bank] in diesem Umfang als alleinige Bezugsberechtigte namhaft.“

Zu einem nicht konkret feststellbaren Zeitpunkt erlangte der Kläger aufgrund eines Zeitungsartikels davon Kenntnis, dass es Streitfälle im Zusammenhang mit Rücktrittserklärungen bei Lebensversicherungen gibt. Da sich seine Lebensversicherung nicht so entwickelt hatte, wie es ihm verheißen worden war, nahm er Kontakt mit dem Klagsvertreter auf.

Am 2. 10. 2017 trat der Kläger schriftlich vom Vertrag zurück. Er forderte die Rückabwicklung und Zahlung seiner bis 21. 8. 2017 gezahlten Prämien in Höhe von 204.336,90 EUR samt 4 % Verzugszinsen. Die Rücktrittserklärung des Klägers erfolgte mit Wissen und Zustimmung der Bank. Die Beklagte lehnte den Rücktritt ab.

Der Kläger begehrte mit seiner am 13. 12. 2017 eingelangten und ausgedehnten Klage seine monatliche Prämie von 1.409,22 EUR für den Zeittraum 8/2005 bis 6/2018, somit 155 Monate, das sind 218.429,10 EUR und mit einer detailliert aufgeschlüsselten Zinsstaffel 4 % Zinsen für die Prämienzahlungen ab 31. 12. 2014. Die Beklagte habe ihn über das Rücktrittsrecht falsch belehrt. Die Belehrung sei außerdem widersprüchlich. Jeder Widerspruch gehe zu Lasten der Beklagten. Die Rückabwicklung habe bereicherungsrechtlich ex tunc mit einer Verzinsung von 4 % zu erfolgen. Die laufenden Prämien zahle der Kläger unter Vorbehalt weiter, um allfällige Rechtsnachteile zu vermeiden. Er sei aktiv legitimiert, weil er das Rücktrittsrecht selbst nicht verpfändet und die Bank dem Rücktritt zugestimmt habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei nicht aktiv legitimiert. Er sei im Antragsformular ordnungsgemäß über sein Rücktrittsrecht belehrt worden. Das in § 3 der Allgemeinen Bedingungen angeführte Rücktrittsrecht von 14 Tagen beziehe sich auf § 5b VersVG. Das Rücktrittsrecht sei verjährt. Der Kläger wolle nur die Kursverluste auf die Beklagte überwälzen. Durch die Verpfändung der Ansprüche aus der Versicherung an die Bank sei ein Vertrauenstatbestand auf das Weiterbestehen entstanden. Der Hinweis auf die Schriftlichkeit des Rücktritts sei richtlinienkonform und würde niemanden vom Rücktritt abhalten. Sollte der Vertragsrücktritt, was bestritten werde, dennoch rechtswirksam sein, könne der Kläger nur den Rückkaufswert nach § 176 VersVG verlangen. Eine pauschale Verzinsung von 4 % stehe nicht zu. Es sei Verjährung eingetreten. Auch seien Risikokosten und die Versicherungssteuer abzuziehen.

Das Erstgericht schränkte die Verhandlung auf den Grund des Anspruchs ein und wies in der Folge das Klagebegehren ab. Der Kläger sei vor Abschluss des Versicherungsvertrags im Antragsformular über das Rücktrittsrecht zutreffend belehrt worden. Dass eine Frist mit 31 anstatt mit 30 Tagen eingeräumt worden sei, schade nicht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es verwarf die Tatsachenrüge und vertrat rechtlich, dass der Kläger aktiv legitimiert sei. Das Rücktrittsrecht bleibe durch die Verpfändung unberührt und stehe daher weiterhin dem Kläger zu. Im Übrigen habe die Bank der Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Kläger ausdrücklich zugestimmt. § 165a VersVG in der hier maßgeblichen Fassung habe eine 30-tägige Rücktrittsfrist mit Fristenlauf „nach Zustandekommen des Vertrags“ vorgesehen. Die Belehrung im Antrag sei ausreichend gewesen. Da das Zustandekommen des Versicherungsvertrags „nach Zugang der Polizze“ für den Versicherungsnehmer leicht und eindeutig erkennbar gewesen sei, seien weitere Erläuterungen dazu für eine wirksame Belehrung entbehrlich gewesen. Die Vereinbarung der Schriftform führe zu keiner unionswidrigen Erschwernis des Rücktrittsrechts. Zwar könne § 3 der Allgemeinen Bedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung nicht entnommen werden, dass es sich hiebei um das Rücktrittsrecht nach § 5b Abs 2 VersVG handle, Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Kläger auf die vom Antrag abweichende Rücktrittsfrist der Bedingungen hingewiesen habe, lägen aber nicht vor. Die in den nachträglich zugesandten Allgemeinen Bedingungen für fondsgebundene Lebensversicherungen enthaltene, § 165a VersVG widersprechende Rücktrittsfrist sei gemäß § 5 Abs 3 VersVG ohne rechtliche Wirkung. Dass sich der Kläger über die unterschiedlichen Rücktrittsfristen in einem Irrtum befunden habe, der ihn am rechtzeitigen Vertragsrücktritt gehindert habe, habe er nicht geltend gemacht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Zur Frage, ob die Schriftform für den Rücktritt dem Unionsrecht widerspricht, behänge ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof. Im Hinblick auf die noch ungeklärten Fragen sei die ordentliche Revision zuzulassen.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Zu I.:

1. Der Senat hat aus Anlass der Revision mit Beschluss vom 28. 8. 2019, AZ 7 Ob 107/19i, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua , unterbrochen.

2.  Der EuGH hat mit Urteil vom 19. Dezember 2019 in den verbundenen Rechtssachen C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 ( Rust-Hackner ) über das zuvor bezeichnete Vorabentscheidungsersuchen entschieden. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.

Zu II.:

A. Belehrung über das Rücktrittsrecht:

1. Zum nationalen (österreichischen) Recht bei Abschluss des Versicherungsvertrags:

1.1.  Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a VersVG (idF BGBl I 2004/62), in Kraft getreten mit 1. 10. 2004 lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. …“

1.2.  Der bei Vertragsabschluss geltende § 9a Abs 1 VAG (idF BGBl 1996/447) lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist bei Abschluß eines Versicherungsvertrages über ein im Inland belegenes Risiko vor Abgabe seiner Vertragserklärung schriftlich zu informieren über

6. die Umstände, unter denen der Versicherungsnehmer den Abschluß des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann.

...“

2. Zur Rechtsbelehrung im Antragsformular:

Das Antragsformular der Beklagten enthielt in der Rechtsbelehrung über die Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers den Hinweis:

„Gemäß § 165a VersVG ist der Versicherungsnehmer berechtigt, binnen 31 Tagen nach dem Zustandekommen eines Lebensversicherungsvertrages von diesem zurückzutreten ...“

Die in der Belehrung vorgesehene unrichtige Frist von 31 Tagen verlängerte die von Unionsrecht und nationalem Recht vorgesehene Frist. Eine solche unrichtige Wiedergabe der Rechtslage war schon deshalb nicht geeignet, die Möglichkeit des Klägers zum Rücktritt zu beeinträchtigen, weil sie ihm zu seinen Gunsten eine längere Überlegungszeit einräumte und nicht erkennbar ist, wie ihn dies daran gehindert hätte, seinen Rücktritt zu erklären (7 Ob 16/20h).

3. Abweichen der Belehrung in den Versicherungsbedingungen:

Die dem Kläger mit der Polizze zugesandten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) wichen allerdings vom Antrag insofern ab, als sie in ihrem § 3 für den Rücktritt eine Frist von nur 14 Tagen vorsahen. Die Bestimmung verweist auf keine bestimmte Rechtsnorm und ist auch nicht aufgrund der Wortwahl zweifelsfrei einem bestimmten anderen Rücktrittsrecht als § 165a VersVG zuzuordnen , weshalb dem Einwand der Beklagten, sie hätte sich (nur) auf § 5b VersVG bezogen, im Gegensatz zu 7 Ob 43/20d schon mangels Erkennbarkeit für den Versicherungsnehmer nicht gefolgt werden kann.

Die Belehrung entsprach somit nicht § 165a VersVG idF BGBl I 2004/62. Der österreichische Gesetzgeber hatte sich zwar ursprünglich für eine 14-tägige Frist entschieden, diese aber mit der Novelle BGBl I 2004/62 ab 1. 1. 2004 auf 30 Tage ausgedehnt. Die Belehrung in den Bedingungen war daher gesetzwidrig und stand im Widerspruch zu der im Antragsformular enthaltenen Belehrung.

4. Zu den Rechtsfolgen der fehlerhaften (widersprüchlichen) Belehrung:

Der Senat hat von den Entscheidungen des EuGH 19. 12. 2013, C‑209/12, Endress , und 10. 4. 2008, C‑412/06, Hamilton, ausgehend ausgesprochen, dass aufgrund einer fehlerhaften Belehrung über die Dauer der Rücktrittsfrist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 165a Abs 2 VersVG dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zusteht (

7 Ob 107/15h = RS0130376; 7 Ob 10/20a, 7 Ob 11/20y).

Sowohl aus der Struktur als auch aus dem Wortlaut der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen folgt, dass damit sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht genau belehrt wird. Wenn ein Versicherungsnehmer daher nicht oder zumindest nicht ausreichend belehrt worden ist, steht dies dem Beginn des Fristenlaufs entgegen und führt damit zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht (7 Ob 107/15h, 7 Ob 10/20a, 7 Ob 11/20y).

Der Kläger wurde über seine Rücktrittsmöglichkeit insofern fehlerhaft und irreführend belehrt, als ihm zwei unterschiedliche Fristen für den Rücktritt genannt wurden. Dies war geeignet, ihn zwischen dem 15. und dem 30. Tag nach Vertragsabschluss zur irrigen Auffassung zu verleiten, dass die Rücktrittsfrist bereits abgelaufen sei, und ihn damit vom eigentlich noch zulässigen Rücktritt abzuhalten. Damit wurde dem Kläger die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Die Rücktrittsfrist nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 2004/62) hat im vorliegenden Fall daher mangels korrekter Belehrung nicht mit dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, zu dem der Kläger davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Vertrag geschlossen wurde. Die hier vorliegende irreführende Belehrung steht dem Beginn des Fristenlaufs entgegen und führt zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht des Klägers.

5. Zur Aktivlegitimation des Klägers:

Forderungen des Versicherungsnehmers „aus der Versicherung“ (§ 15 VersVG) können als Geldforderungen im Allgemeinen ohne weiteres abgetreten, verpfändet oder gepfändet werden, ohne dass dadurch das Versicherungsverhältnis zwischen Versicherer und Versichertem berührt würde (7 Ob 157/12g; RS0011319).

Der Kläger verpfändete hier das Recht auf Empfang sämtlicher Versicherungsleistungen aus dem Lebensversicherungsvertrag samt allfälliger auch künftiger Erhöhungen der Vertragssumme und Indexierungen an die Bank. Dass auch Gestaltungsrechte, wie das Rücktrittsrecht, mitübertragen worden wären, ergibt sich nicht. Die Pfandgläubigerin hat überdies der Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Kläger zugestimmt.

Der Kläger begehrt nun die Auszahlung des sich aus der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ergebenden Betrags an sich selbst.

Verpfändet der Versicherungsnehmer aber seine Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag, wird dem Pfandgläubiger das Vorrecht vor dem Bezugsberechtigten eingeräumt, sich bei Nichterfüllung seiner Forderung aus den verpfändeten Vermögensstücken zu befriedigen (7 Ob 36/18x; RS0011299). Der Pfandgläubiger ist nach der Pfandreife bis zur Höhe seiner Forderung zur Einziehung der Versicherungsleistung berechtigt (7 Ob 61/16w; RS0080565). Eine schuldbefreiende Leistung des Versicherers an den Versicherungsnehmer kann nur mit Zustimmung der Pfandgläubigerin erfolgen ( Schauer in Fenyves/Schauer , VersVG § 166 Rz 41).

Dass die in Bezug auf das Recht auf Empfang sämtlicher Versicherungsleistungen aus dem Lebensversicherungsvertrag bevorrechtete Pfandgläubigerin hier nicht nur der Ausübung des Rücktrittsrechts, sondern auch der Einklagung der sich daraus ergebenden Forderung durch den Pfandschuldner und insbesondere dem Begehren auf Auszahlung des Klagsbetrags an ihn selbst zugestimmt hätte, steht nicht fest, sodass derzeit seine A ktivlegitimation nicht abschließend beurteilt werden kann. Das Erstgericht wird dazu im fortgesetzten Verfahren geeignete Feststellungen zu treffen haben.

6. Kein „widersprüchliches Verhalten“:

Die Beklagte argumentiert weiters, die Ausübung des Rücktrittsrechts Jahre nach dem Abschluss des Vertrags und Kenntnis vom Rücktrittsrecht sei rechtsmissbräuchlich und widersprüchlich.

Soweit sie dazu auf frühere Schriftsätze verweist, ist dies unzulässig (RS0007029). Überdies folgt aus der Beantwortung der Vorlagefrage 2 durch den EuGH zu C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18, Rust‑Hackner , dass in einem Fall, in dem der Versicherer dem Versicherungsnehmer keine oder eine entsprechend fehlerhafte Information über dessen Rücktrittsrecht mitteilt, die Frist für das Rücktrittsrecht selbst dann nicht zu laufen beginnt, wenn der Versicherungsnehmer auf anderem Weg von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt haben sollte (vgl 7 Ob 15/20m, 7 Ob 19/20z).

Weiters hat der Versicherungsnehmer bei der Verpfändung nicht in voller und irrtumsfreier Kenntnis des Umfangs seines Rücktrittsrechts gehandelt. Aus seinem Verhalten können daher insofern keine rechtlichen Schlüsse gezogen werden (7 Ob 40/20p, 7 Ob 19/20z).

B. Zu den Rechtsfolgen des Rücktritts:

Wie der Fachsenat bereits wiederholt ausgesprochen hat, widerspricht die von der Beklagten gewünschte Beschränkung der Rückabwicklung auf den bloßen Rückkaufswert nach § 176 VersVG dem Unionsrecht (7 Ob 15/20m, 7 Ob 14/20i, 7 Ob 10/20a, 7 Ob 11/20y). Der Rücktritt führt zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags (7 Ob 19/20z; 7 Ob 10/20a; 7 Ob 11/20y).

Die Bestimmung des § 1435 ABGB räumt einen Rückforderungsanspruch ein, wenn der zunächst vorhandene rechtliche Grund – wie etwa bei einem Rücktritt – wegfällt. Der Wegfall des Vertrags beseitigt bei beiden Parteien den Rechtsgrund für das Behalten der empfangenen Leistungen (7 Ob 15/20m mwN).

Das bedeutet, dass der Kläger aufgrund der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach wirksamem Rücktritt – vorbehaltlich der Zustimmung der Bank – Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien hat.

Hervorzuheben ist, dass das Verfahren auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt ist.

C. Zur Verzinsung zurückzuzahlender Prämien:

Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass im Klagepunktum Zinsen enthalten sind, wird Folgendes zu beachten sein:

1.1  Kondiktionsansprüche, die aus der (Teil‑)Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts oder einer Vertragsbestimmung resultieren, verjähren in 30 Jahren beginnend vom Tag der Zahlung (RS0127654).

Alle Arten von Zinsen aus einer fälligen, zu erstattenden Geldsumme ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungspflicht, darunter auch Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“), verjähren gemäß § 1480 ABGB (RS0031939; RS0033829; RS0032078; RS0038587). Unkenntnis des Anspruchs hindert den Beginn der Verjährung im Allgemeinen nicht. Wer etwa einen wegen Irrtums (auch eines Rechtsirrtums) ohne Rechtsgrund geleisteten Geldbetrag zurückfordert, ist zwar bis zur Aufdeckung dieses Willensmangels gar nicht in der Lage, Zinsen von dem rechtsgrundlos gegebenen Kapital zu fordern; das hindert aber nicht den Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1480 ABGB, ist doch der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich – von Ausnahmebestimmungen wie etwa § 1489 ABGB abgesehen – an die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung geknüpft. Die Möglichkeit zu klagen ist im objektiven Sinn zu verstehen; subjektive, in der Person des Berechtigten liegende Hindernisse, wie ein Irrtum des Berechtigten oder überhaupt Unkenntnis des Anspruchs, haben in der Regel auf den Beginn der Verjährungsfrist keinen Einfluss (RS0034337; RS0034445 [T1]; RS0034248). Mehr als drei Jahre vor dem Tag der Klagseinbringung rückständige Vergütungszinsen sind daher verjährt (4 Ob 584/87).

1.2 In seinen erst jüngst ergangenen Entscheidungen 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y hat der erkennende Fachsenat diese Rechtsprechung auch für den Fall der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach einem (Spät‑)Rücktritt des Versicherungsnehmers von einem Lebensversicherungsvertrag ausdrücklich aufrechterhalten.

2.1 Ausgehend von der Entscheidung des EuGH 19. 12. 2013, C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18, Rust‑Hackner, (ua) hat der Senat in seinen Entscheidungen 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y weiters ausgesprochen: Im Grundsatz steht das Unionsrecht einer Verjährung des Anspruchs auf die Vergütungszinsen binnen drei Jahren nicht entgegen, wenn dies die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst nicht beeinträchtigt. Der EuGH hob deutlich hervor, dass das Rücktrittsrecht nicht dazu dient, dass der Versicherungsnehmer eine höhere Rendite erhalten oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen spekulieren kann. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine solche Verjährung des Anspruchs auf Vergütungszinsen geeignet ist, die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst zu beeinträchtigen, zumal Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte sind, die je nach anbietenden Versicherer große Unterschiede aufweisen und über einen potentiell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können. Wenn unter diesen Umständen die Tatsache, dass die für mehr als drei Jahre fälligen Zinsen verjährt sind, dazu führen sollte, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht nicht ausübt, obwohl der Vertrag seinen Bedürfnissen nicht entspricht, wäre eine solche Verjährung geeignet, das Rücktrittsrecht zu beeinträchtigen, insbesondere wenn der Versicherungsnehmer nicht richtig über die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts informiert wurde. Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren.

Die Ausführungen des EuGH in seiner Entscheidung 19. 12. 2013, C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18, Rust‑Hackner, (ua) zeigen, dass bei der – im Zusammenhang mit der Verjährung von Vergütungszinsen relevanten – Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ausschließlich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist. Hingegen bezieht sich der EuGH ganz klar auf den Zeitpunkt des Rücktritts, wenn er davon ausgeht, dass dessen Ausübung dem Versicherungsnehmer keinesfalls ermöglichen soll auf eine Rendite im oben aufgezeigten Sinn zu spekulieren, er also keine Vorteile aus einem verspäteten Rücktritt ziehen soll. Auf die zu 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y dargestellten Lehrmeinungen muss – vor dem Hintergrund der eben zitierten Entscheidung des EuGH – nicht weiter eingegangen werden. Daraus folgt aber, dass das Ausmaß der Nutzungsentschädigung – entgegen der Ansicht des Klägers – keine relevante Bezugsgröße darstellt, die auf die Frage der Verjährung der Vergütungszinsen Einfluss haben könnte, weil damit nämlich der vom EuGH verpönte Vorteil aus dem Spätrücktritt gezogen würde (Spekulation mit den gesetzlich gesicherten Vergütungszinsen).

2.2  Hier steht fest, dass der Kläger einerseits eine dem vorgeschlagenen Finanzierungskonzept der Bank entsprechende fondsgebundene Lebensversicherung bei der Beklagten abgeschlossen hat, und andererseits den Rücktritt deshalb erklärte, weil sich die Leistung der Lebensversicherung nicht so entwickelte, wie das vom Kläger erwartet worden war.

Damit liegt nach der derzeitigen Aktenlage der Ausnahmefall nicht vor, für den der EuGH eine längere als die dreijährige Verjährungsfrist zur Vermeidung einer Beeinträchtigung des Rücktrittsrechts des Versicherungsnehmers für notwendig erachtet. Der Kläger verwendete die von der Bank geforderte und bei der Beklagten abgeschlossene Lebensversicherung für den von ihm beabsichtigten Zweck, nämlich zur Besicherung seines Kredits, und er erklärte den Rücktritt, weil der erwartete Ertrag nicht erzielt wurde. Dass der Rücktritt dazu dient, dem Kläger im Hinblick auf die gesicherten gesetzlichen Vergütungszinsen eine höhere Rendite zu verschaffen, wird vom EuGH abgelehnt.

2.3  Da die Beurteilungsparameter des EuGH aber im erstinstanzlichen Verfahren nicht bekannt waren, ist dem Kläger um ihn nicht zu überraschen, dennoch Gelegenheit zu geben, darzulegen, aus welchen anderen Gründen der Vertrag im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht seinen Bedürfnissen entsprochen hat, und ob und inwiefern er durch die Verjährung der Zinsen binnen drei Jahren daran gehindert würde, sein Rücktrittsrecht geltend zu machen.

D. Zur Versicherungssteuer:

1. Der Senat hat zu 7 Ob 211/18g – im Anschluss an die zu C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18, Rust‑Hackner, gestellten – jedoch zwischenzeitig entschiedenen – Vorabentscheidungsersuchen folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG (bzw Art 35 Abs 1 in Verbindung mit Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 185 Abs 1 in Verbindung mit Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG ) dahin auszulegen, dass sie nationalen Regelungen entgegenstehen, wonach im Falle eines berechtigten (Spät‑)Rücktritts des Versicherungsnehmers vom Versicherungsvertrag die von ihm als Steuerschuldner geschuldete und vom Versicherer bloß als Haftender eingehobene und an den Bund (Republik Österreich) abgeführte Versicherungssteuer (in Höhe von 4 % der Netto‑Versicherungsprämie) nicht jedenfalls gemeinsam mit der Netto‑Versicherungsprämie vom Versicherer aus vertraglicher Rückabwicklung zurückerlangt werden kann, sondern der Versicherungsnehmer darauf verwiesen ist, die Versicherungssteuer vom Bund (Republik Österreich) nach abgabenrechtlichen Vorschriften zurückzuverlangen, oder – falls dies erfolglos bleibt – allenfalls Schadenersatzansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen?“

Dieses Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH in der Rechtssache C‑803/19, WWK (vgl dazu Perner/Spitzer, Rücktritt von der Lebensversicherung [2020] 68 ff) wurde bislang noch nicht beantwortet.

2.  Es bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen überlassen, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt des fortgesetzten Verfahrens – sie im Hinblick darauf, dass sie auch in Rechtssachen, in denen sie nicht unmittelbar Anlassfallgericht sind, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden haben – in Ansehung der begehrten Versicherungssteuer auch das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen unterbrechen (RS0110583 mwN).

E.  Der Revision des Klägers ist im Sinne des Aufhebungsantrags Folge zu geben.

F.  Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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