OGH 7Ob107/19i

OGH7Ob107/19i28.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. F***** S*****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 218.429,10 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. April 2019, GZ 4 R 36/19d‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 7. Jänner 2019, GZ 40 Cg 124/17x‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00107.19I.0828.000

 

Spruch:

Das Verfahren 7 Ob 107/19i wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Der Kläger unterfertigte als Teil einer Kreditfinanzierung eines Hausbaus am 5. 7. 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss eines fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrags beginnend mit 1. 8. 2005 mit einer Laufzeit von 20 Jahren. In dem dem Kläger ausgehändigten Antragsformular befinden sich unter der Überschrift „Erklärungen und Hinweise“ unter der Überschrift „Rücktrittsrecht“ folgende Belehrung:

„Der Antragsteller kann innerhalb von 31 Tagen nach Zugang der Polizze schriftlich vom Vertrag zurücktreten. Es genügt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb dieses genannten Zeitraums abgesendet wird.“

In weiterer Folge erhielt der Kläger sowohl die Versicherungspolizze als auch die „Allgemeinen Bedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung“ per Post.

Diese enthalten folgende Klausel:

§ 3 Können Sie von dem Versicherungsvertrag zurücktreten?

Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Zusendung der Versicherungspolizze, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Informationen vom Versicherungsvertrag zurücktreten.

Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn wir Sie über Ihr Rücktrittsrecht belehrt haben.“

Zu einem nicht konkret feststellbaren Zeitpunkt erlangte der Kläger aufgrund eines Zeitungsartikels davon Kenntnis, dass es Streitfälle im Zusammenhang mit Rücktrittserklärungen bei Lebensversicherungen gibt. Da die Entwicklung der Leistung der Lebensversicherung nicht so war, wie dies dem Kläger verheißen wurde, nahm er Kontakt mit dem Klagsvertreter auf und trat am 2. 10. 2017 vom Vertrag zurück. Diese Rücktrittserklärung erfolgte im Wissen und Zustimmung der Bank.

Mit Schreiben vom 6. 10. 2017 lehnte die Beklagte den Rücktritt ab.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 218.429,10 EUR sA. Die Beklagte habe ihn über das Rücktrittsrecht falsch belehrt. Die Belehrung sei außerdem widersprüchlich, was zu ihren Lasten gehe. Es finde sich kein Hinweis, dass sich die Belehrung über das 14‑tägige Rücktrittsrecht auf § 5b VersVG beziehe. Die Belehrung sei auch nach europarechtlichen Vorgaben unvollständig und in Bezug auf die Schriftlichkeit unrichtig und EU-rechtswidrig. Das Rücktrittsrecht sei nicht verjährt. Der Kläger habe sich nicht rechtsmissbräuchlich oder widersprüchlich verhalten.

Die Beklagte bestritt, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und wendete ua ein, der Kläger sei ordnungsgemäß über sein Rücktrittsrecht belehrt worden. Das in § 3 der Allgemeinen Bedingungen angeführte Rücktrittsrecht von 14 Tagen beziehe sich nicht auf die Lebensversicherung (§ 165a VersVG), sondern auf § 5b VersVG. Der Kläger habe länger als 30 Tage vor Erklärung des Rücktritts vom Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt, § 165a VersVG in der Fassung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (2005) habe eine absolute Frist von 30 Tagen vorgesehen, die abgelaufen sei. Auch ein Gestaltungsrecht, wie hier das Rücktrittsrecht, könne verjähren. Der Kläger übe sein Rücktrittsrecht rechtsmissbräuchlich aus. Er wolle nur die Kursverluste auf die Beklagte überwälzen. Der Hinweis auf die Schriftlichkeit des Rücktritts sei richtlinienkonform und zum Vorteil des Versicherungsnehmers im Sinn des § 178 Abs 1 VersVG.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagestattgebung. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):

1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“

Die Beantwortung dieser Fragen ist zum Teil auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich.

Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RS0110583 mwN).

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