OGH 6Ob155/19s

OGH6Ob155/19s23.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Clemens Richter als Masseverwalter im Konkurs der A***** Holding GmbH, *****, vertreten durch Dr. Engelhart & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. C*****, vertreten durch Rohregger Scheibner Bachmann Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. F***** S.A., *****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen 50.000.000 EUR sA gegen die erstbeklagte Partei und 186.230.000 EUR sA gegen die zweitbeklagte Partei, über die Revisionsrekurse der zweitbeklagten Partei sowie der Zeugen 1. E***** S*****, vertreten durch Frotz Rechtsanwälte OG in Wien, 2. A***** T*****, vertreten durch Hausmaninger Kletter Rechtsanwälte-Gesellschaft mbH in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 29. März 2019, GZ 5 R 39/19w‑192, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 9. November 2017, GZ 143 Cg 1/16d‑171, ersatzlos behoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00155.19S.0423.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Die Zweitbeklagte und die Zeugen E***** S***** und A***** T***** sind zu gleichen Teilen schuldig, dem Kläger die mit 56.082,82 EUR (darin 9.347,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Die Entscheidung über die Berechtigung der Aussageverweigerung eines Zeugen erfolgt gemäß § 324 Abs 1 ZPO mittels Beschluss. Sie ist gemäß § 349 Abs 1 ZPO nicht abgesondert anfechtbar. Wenn das Gericht zweiter Instanz dem gegen diesen Beschluss gemeinsam mit der Berufung gegen das Urteil erhobenen Rekurs (nicht) Folge gibt, handelt es sich dabei um eine Entscheidung des Rekursgerichts, deren Anfechtbarkeit sich nach § 528 Abs 1 und 2 ZPO richtet (6 Ob 233/16g; vgl RS0108617; 4 Ob 50/06s).

2. Von den Rechtsmittelwerbern wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO dargetan.

3. Im vorliegenden Fall erachtete das Rekursgericht die in der Berufung gegen das klageabweisende Endurteil des Erstgerichts enthaltene Verfahrensrüge als Rekurs gegen jenen Beschluss, mit dem das Erstgericht die Weigerung der im Kopf der Entscheidung genannten Zeugen S***** und T*****, im Verfahren „gänzlich sowie zu einzelnen Fragen“ auszusagen, als berechtigt erkannte und in weiterer Folge von ihrer Ladung absah.

Das Rekursgericht behob den Beschluss ersatzlos, weil es nicht zulässig sei, ausschließlich aufgrund einer übermittelten Frageliste über die Berechtigung einer allfälligen Aussageverweigerung zu entscheiden, ohne den Zeugen zu laden. Hier sei zudem noch gar keine Aussageverweigerung der Zeugen vorgelegen, über deren Berechtigung hätte entschieden werden können, weil die Zeugen in ihren Mitteilungen vom 6. 7. 2017 (Zeuge S*****) und 11. 7. 2017 (Zeuge T*****) lediglich angekündigt hätten, zu welchen Fragen sie sich der Aussage entschlagen würden. Daraus hätte sich zudem die Aussagebereitschaft des Zeugen S***** in einem bestimmten Umfang ergeben.

4. Die Rechtsmittelwerber wenden sich gegen die vom Rekursgericht vorgenommene Auslegung dieser Erklärungen.

4.1. Die Auslegung von Prozesserklärungen im Einzelfall begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, sofern sie nicht mit dem Wortlaut der Erklärung unvereinbar ist oder gegen die Denkgesetze verstößt (RS0042828 [T11, T31]).

4.2. Die Auslegung durch das Rekursgericht hält sich innerhalb des ihm eingeräumten Ermessensspielraums.

So gab der Zeuge S***** an, zu welchen Themen er von seinem Entschlagungsrecht nach § 321 Abs 1 Z 1 und 2 ZPO Gebrauch machen werde bzw ihm ein solches zukomme. Er verwies zu einzelnen Fragen auf seine bereits im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren getätigten Aussagen und teilte mit, er werde keine darüber hinausgehenden Angaben machen. Der Zeuge T***** gab an, er „würde“ sich hinsichtlich der wirtschaftlichen Gebarung der A*****‑Gruppe auf sein Entschlagungsrecht berufen bzw werde („wird“) zu im Einzelnen angeführten Themenbereichen keine über seine bereits erfolgte Beschuldigtenvernehmung hinaus gehenden Angaben machen.

4.3. Dass das Rekursgericht diese Mitteilungen lediglich als Ankündigung der Zeugen wertete, bei einer künftigen Vernehmung in einem bestimmten Umfang von ihren Aussageverweigerungsrechten Gebrauch zu machen, widerspricht weder dem Wortlaut der Erklärungen noch den Denkgesetzen. Das gilt auch für die Auslegung des Rekursgerichts, dass die Zeugen in einem gewissen Umfang – soweit sie als Beschuldigte bereits Angaben gemacht hätten – ihre Aussagebereitschaft bekundeten.

4.4. Dass die Rechtsmittelwerber eine abweichende Auslegung anstreben, reicht nicht aus, um eine im Einzelfall vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufzuzeigen.

5. Die Zweitbeklagte steht auf dem Standpunkt, der Kläger hätte den Umstand, dass die erstgerichtliche Beschlussfassung ohne vorangegangene Befragung der Zeugen und deren konkret erklärte Aussageverweigerung erfolgt sei, weder im Sinn des § 196 ZPO gerügt noch in ihrem Rekurs aufgegriffen.

5.1. Eine Partei kann sich auf eine Verletzung der Vorschriften der §§ 321, 323 und 324 ZPO nur berufen, wenn sie den Vorgang im Sinn des § 196 ZPO gerügt hat (RS0037160; vgl RS0037369). Auch die Rüge nach § 196 ZPO sowie die Rechtsmittel der Parteien sind Prozesserklärungen, deren Auslegung im Einzelfall keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft (vgl RS0042828).

5.2. Der Kläger rügte die Beschlussfassung des Erstgerichts in der Tagsatzung vom 9. 11. 2017 gemäß § 196 ZPO als mangelhaft und wiederholte den Antrag auf Vernehmung der Zeugen S***** und T*****. Mit seinem – in der Berufung ausgeführten – Rekurs wandte er sich auch gegen die vom Erstgericht akzeptierte „gänzliche“ Aussageverweigerung und die unterbliebene Ladung der Zeugen. Das Rekursgericht stellte klar, dass es das Rekursvorbringen als umfassende Bekämpfung des erstgerichtlichen Beschlusses ansah, mit dem sich der Kläger auch gegen die vom Erstgericht als berechtigt angesehene „gänzliche“ Aussageverweigerung der Zeugen – sodass diese nicht einmal geladen und befragt wurden – wandte.

5.3. Ein solches Verständnis des Rekursgerichts ist vertretbar. Dass die Zweitbeklagte das Rekursvorbringen des Klägers enger auslegt – nämlich dahin, dass dieser nur eine Überprüfung der Voraussetzungen der Aussageverweigerung angestrebt hätte – begründet noch keine unvertretbare Auslegung des Rekursgerichts und daher auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO.

6. Ausgehend von der Auslegung der Prozesserklärungen der Zeugen dahin, dass noch keine Aussageverweigerungen vorlagen, über die zu entscheiden wäre, kam das Rekursgericht zum Ergebnis, auf die Berechtigung der Weigerungsgründen nicht eingehen zu müssen. Diese Rechtsansicht folgt aus der vertretbaren Auslegung der Prozesserklärungen der Zeugen durch das Rekursgericht.

Das von den Rechtsmittelwerbern erstattete Vorbringen zur Berechtigung der Aussageverweigerung der Zeugen nach § 321 Abs 1 Z 1 und 2 ZPO im Hinblick auf die vom Kläger intendierten Fragestellungen wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf.

7. Auf die Frage, ob die Entscheidung über das Vorliegen eines Weigerungsgrundes gemäß § 321 ZPO stets die Befragung des Zeugen voraussetzt, oder ob allein aufgrund der schriftlichen Bekanntgabe von intendierten Fragen des Beweisführers und von Weigerungsgründen des Zeugen über die Berechtigung einer Aussageverweigerung hinsichtlich einzelner Fragen gemäß § 321 ZPO abgesprochen werden kann – worin das Rekursgericht eine erhebliche Rechtsfrage erblickte –, kommt es im vorliegenden Fall nicht an.

8. Zur rechtlichen Relevanz des Vorliegens einer Weisung der Zweitbeklagten im Sinn des § 9 Abs 1 EKEG – wozu der Kläger die Vernehmung der Zeugen S***** und T***** beantragte – wird auf die Entscheidung 6 Ob 154/19v verwiesen.

9. Soweit die Rechtsmittelwerber als Mangel des Rekursverfahrens rügen, dass das Rekursgericht die Anträge auf Vernehmung der Zeugen nicht als präkludiert zurückgewiesen habe, wird damit ebenfalls keine Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Die Zulassung eines Vorbringens oder einer Beweisaufnahme vermag nämlich schon deshalb keinen Verfahrensmangel zu begründen, weil dadurch die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Rechtssache nicht gehindert werden kann (vgl RS0040415).

10. Die komprimierte Darstellung des Verfahrensgangs durch das Rekursgericht ist nicht geeignet, eine Aktenwidrigkeit zu begründen (vgl RS0041814 [T6] zur Wiedergabe des Parteienvorbringens).

11. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revisionsrekurse hingewiesen. Die Beantwortungen der drei– dem Klagevertreter am selben Tag zugestellten – Rechtsmittel hätten verbunden werden können (§ 22 RATG). Dem Kläger sind daher nur die Kosten einer Rechtsmittelbeantwortung zu ersetzen, wobei sein Mehraufwand infolge der Beantwortung dreier Revisionsrekurse durch den Streitgenossenzuschlag abgegolten wird (vgl RS0036159 [T2]; Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.249, 3.56).

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