OGH 1Ob50/20i

OGH1Ob50/20i14.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Uwe Niernberger, Dr. Angelika Kleewein, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei M***** L*****, vertreten durch Dr. Herbert Wimmer, Rechtsanwalt in Wildon, wegen 60.984,18 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2020, GZ 4 R 168/19m‑79, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Juni 2019, GZ 23 Cg 35/17d‑73, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00050.20I.0414.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Beklagte wurde strafgerichtlich verurteilt, weil er am 29. 9. 2016 zwei Mitarbeiter der Klägerin am Körper verletzte. Einer der Mitarbeiter war aufgrund seiner Verletzung bis einschließlich 27. 10. 2016 im Krankenstand. Für diesen Zeitraum zahlte ihm die Klägerin das volle Entgelt fort. Der zweite Mitarbeiter befand sich von 29. 9. 2016 – mit Ausnahme einer Unterbrechung von 20. bis 21. 8. 2017 – durchgehend bis 13. 10. 2017 im Krankenstand. Es wäre ihm ab Jänner 2017 möglich gewesen, seine Tätigkeit für die Klägerin wieder aufzunehmen. Er hatte Anspruch auf Auszahlung des vollen Lohns bis 2. 12. 2016, danach erhielt er bis Ende 2016 das halbe Entgelt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts, mit dem der Klägerin der Ersatz des Aufwands für die Entgeltfortzahlung bis 27. 10. 2016 bzw bis 31. 12. 2016 zugebilligt und der Beklagte zur Zahlung von 13.421,79 EUR sA verurteilt sowie das Mehrbegehren, dem der Aufwand der Klägerin für die Beschäftigung von Leiharbeitern zugrunde liegt, abgewiesen worden war.

Dagegen richtet sich das außerordentliche Rechtsmittel der Klägerin mit dem Argument, sie habe primär den Zuspruch der Kosten für die ersatzweise in Anspruch genommenen Leiharbeiter begehrt, und wendet sich damit gegen die tragende Begründung des Berufungsgerichts, ersatzfähig sei nur der auf den Dienstgeber überwälzte Schaden des Dienstnehmers, nicht aber dessen eigener Schaden aus dem Ausfall der Arbeitskraft. Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO spricht sie damit jedoch nicht an:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Grundsätzlich kann nur der unmittelbar durch die rechtswidrige Handlung Geschädigte Ersatz verlangen, nicht aber der bloß mittelbar geschädigte Dritte (RIS‑Justiz RS0022638 [T2; T5]). Ob jemand als unmittelbar Geschädigter anzusehen ist, richtet sich danach, ob die Norm, die der Schädiger verletzt hat, (zumindest auch) den Schutz der Interessen des Beschädigten bezweckt (RS0022638).

1.2 Anderes gilt dann, wenn beim unmittelbar Geschädigten nur deshalb ein bestimmter Vermögensnachteil nicht eintritt, weil ein Dritter aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen zum Geschädigten das wirtschaftliche Risiko zu tragen hat (RS0022608; RS0022578 [T4]; RS0022612 [T4]). Die Drittschadensliquidation erfasst (nur) jenen Schaden, der typischerweise beim unmittelbar Geschädigten eintritt, im besonderen Fall aber durch ein Rechtsverhältnis auf einen Dritten überwälzt wird (2 Ob 124/17z; 10 Ob 98/18m). Einer der Anwendungsfälle dieser Drittschadensliquidation ist die Lohnfortzahlung (RS0043287). Ist der Verletzte Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber gesetzlich zur Lohnfortzahlung verpflichtet, wird der sonst im Verdienstentgang liegende Schaden insoweit auf den Arbeitgeber überwälzt.

2.1 Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze auf die Haftung nach § 1325 ABGB zutreffend angewendet. Seine Ansicht, dass der Schädiger dem Dienstgeber zwar den auf ihn überwälzten Schaden des Dienstnehmers zu ersetzen hat, nicht aber einen eigenen Schaden aus dem Ausfall der Arbeitskraft, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Höchstgerichts (RS0043287 [T3]; 2 Ob 73/14w ua) und entspricht auch der Lehre (vgl nur Danzl in KBB5 § 1325 ABGB Rz 17; Gamerith in Rummel, ABGB³ § 1358 Rz 1b ua). Weder die Ausführungen der Revisionswerberin zum Schutzzweck der (von ihr gar nicht bezeichneten) Norm, noch ihr Bemühen mit Hinweisen auf Entscheidungen des Höchstgerichts zum Ersatz von Lohnfortzahlungskosten die Ersatzfähigkeit von Kosten der von ihr in Anspruch genommenen Leiharbeiter zu begründen, geben Anlass, davon abzugehen. Warum der vorliegende Fall anders zu beurteilen sein soll, weil die Klägerin als Dienstleisterin für die Sicherheit auf einem Bahnhof zu sorgen und damit, wie sie meint, gemeinwichtige Aufgaben zu erfüllen hat, ist nicht nachvollziehbar und schon gar nicht im Auslegungsweg aus § 1325 ABGB zu gewinnen. Die Klägerin übersieht offenbar auch, dass nach den Feststellungen eine Tätigkeit der beiden Verletzten als Sicherheitspersonal gar nicht erkennbar war, weil sie zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung in Privatkleidung unterwegs waren und ihren Dienst erst antreten wollten. Ebensowenig kann die Klägerin mit ihrem Hinweis, das Höchstgericht habe sich in den von ihr angesprochenen Entscheidungen mit den Kosten der Ersatzkraft „für einen durch das Verbrechen der schweren Körperverletzung geschädigten Unternehmer, der Leistungen im öffentlichen Interesse erbringt“, nicht auseinanderzusetzen gehabt, eine Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht aufzeigen, zumal hier der Ersatz von Schäden eines vorsätzlich am Körper verletzten Unternehmers nicht zu beurteilen ist.

2.2 Bei der von der Klägerin zur Begründung ihres Anspruchs auf Ersatz der Kosten für die Leiharbeiter zitierten Rechtsprechung zur sittenwidrigen Schädigung (RS0022813 [T4; T5]) geht es um die Ersatzfähigkeit bloßer Vermögensschäden des unmittelbar Geschädigten. Für ihren Standpunkt kann daraus ebenso wenig gewonnen werden, wie aus ihrer Argumentation, die an ihren Mitarbeitern begangene Vorsatztat stelle einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit und damit eine in Geld messbare Beeinträchtigung der gesicherten Rechtsposition eines Unternehmens dar. Welche gesicherte Rechtsposition damit konkret beeinträchtigt worden sein soll, versucht sie gar nicht zu erklären. Die von ihr zitierte Judikatur zu § 1325 ABGB in RS0030621 hat die Vernichtung der Arbeitskraft des unmittelbar Verletzten und dessen Ansprüche zum Gegenstand; was daraus für ihren Standpunkt zu gewinnen sein soll, ist nicht erkennbar. Ansprüche der vom Angriff des Beklagten Betroffenen sind hier nämlich nicht zu beurteilen, sodass auch der Hinweis der Klägerin, bei der „Verletzung von Mitarbeitern eines Unternehmens [soll dies] – in gleichheitswidriger und sachlich nicht zu rechtfertigender Art und Weise – nicht gelten“, schlicht unverständlich ist. Schon das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Ziel der Angriffe des Beklagten allein die beiden verletzten Personen waren; von einem sittenwidrigen Angriff auf das Vermögen der Klägerin iSd § 1295 Abs 2 ABGB kann keine Rede sein.

3. Beruht – wie nach den Festellungen im vorliegenden Fall – die Vermutung einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ auf den Angaben des Mitarbeiters der Klägerin gegenüber seinem Arzt, und folgten die Tatsacheninstanzen nicht dem als Zeugen vernommenen Arzt, sondern dem Ergebnis eines gerichtlichen Gutachtens, wonach die vorfallskausale Dauer des Krankenstands dieses Mitarbeiters (nur) drei Monate beträgt, kommt eine Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof grundsätzlich nicht in Betracht, weil es sich um eine Tatfrage handelt (vgl RS0118604). Die Anfechtung aufgrund von Sachverständigenfeststellungen mit Revision ist nur möglich, wenn im Gutachten ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist (RS0043404), nicht aber wenn das Ergebnis der Anwendung einer an sich geeigneten Methode bekämpft wird (RS0127336). Die Revisionswerberin vermag weder einen solchen Verstoß gegen zwingende Denkgesetze aufzuzeigen, noch darzulegen, welche anderen konkreten Feststellungen sich zwingend ergeben hätten.

4. Eine

Vorlage an den

EuGH war nicht geboten, weil sich keine entscheidungsrelevanten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts stellen, insbesondere nicht zu Art 16 GRC.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO).

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