OGH 9ObA82/19b

OGH9ObA82/19b17.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. 

Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. 

Hargassner und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer und Werner Krachler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. H***** M*****, und 2. H***** S*****, beide vertreten durch Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Oesterreichische Nationalbank (OeNB), Otto‑Wagner‑Platz 3, 1090 Wien, vertreten durch Burgstaller & Preyer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen (zu 1.) 5.928,40 EUR sA und (zu 2.) 1.517,80 EUR sA sowie jeweils Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 2019, GZ 7 Ra 24/19d‑17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00082.19B.1217.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die Beklagte („Oesterreichische Nationalbank– OeNB“) ist die in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft eingerichtete Zentralbank der Republik Österreich, in deren Alleineigentum sie seit Mai 2010 steht. Die Kläger sind ehemalige Dienstnehmer der Beklagten. Von ihren Pensionen wird nach Art 81 2. Stabilitätsgesetz 2012 (2. StabG 2012; BGBl I 2012/35 idF BGBl I 2014/46) jeweils ein Pensionssicherungsbeitrag abgezogen. Sie vertreten die Ansicht, diese Bestimmung sei unionsrechtswidrig und dürfe daher nicht angewendet werden. Sie begehren die Auszahlung der ihres Erachtens bisher zu Unrecht abgezogenen Pensionssicherungsbeiträge und im Wesentlichen die Feststellung, dass ein solcher Abzug fortan zu unterbleiben habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen wiesen die Klage übereinstimmend ab. In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigen die Kläger als Revisionswerber keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Die Kläger leiten die Unionsrechtswidrigkeit von Art 81 2. StabG 2012 idF BGBl I 2014/46 aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ab. Diese sei hier anzuwenden, weil es sich bei der Beklagten um eine „sonstige Stelle der Union“ im Sinn des Art 51 Abs 1 Satz 1 erster Satzteil GRC handle. Hierfür führen die Kläger ins Treffen, dass die Beklagte als nationale Zentralbank „unionsrechtlich determiniert“ sei, zumal sie gemeinsam mit den anderen nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten und der Europäischen Zentralbank (EZB) Bestandteil des im primären Unionsrecht verankerten Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) sei.

1.1. Die GRC gilt nach ihrem Art 51 Abs 1 Satz 1 erster Satzteil, auf den sich die Revisionswerber stützen, „für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips“. Die Organe der Union sind in Art 13 Abs 1 EUV angeführt. „Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“ meint alle durch die Verträge oder durch sekundäre Rechtsakte geschaffenen Einrichtungen (Terhechte in Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht7 [2015] Art 51 GRC Rn 5 f; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union3 [2016] Art 51 Rn 13; Holoubek/Oswald in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar2 [2019] Art 51 Rz 9 uva).

1.2. Die EZB ist gemäß Art 13 Abs 1 EUV ein Organ der Union. Demgegenüber bezeichnet der AEUV in seinem Art 123 (und in nachfolgenden Artikeln) die Zentralbanken der Mitgliedstaaten als nationale Zentralbanken. Richtig ist, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken gemäß Art 282 Abs 1 Satz 1 AEUV das ESZB bilden. Art 14.1. der – dem AEUV gemäß dessen Art 129 Abs 2 als Protokoll (Nr 4) angehängten – Satzung des ESZB und der EZB verpflichtet jeden Mitgliedstaat sicherzustellen, „dass seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung seiner Zentralbank mit den Verträgen und dieser Satzung im Einklang stehen“. Dem Unionsrecht ist daher zu entnehmen, dass die Zentralbanken der Mitgliedstaaten nicht Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, sondern (weiterhin) Einrichtungen der Mitgliedstaaten sind (Palm in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union [40. EL 2009] Art 8 EGV Rz 46 mwH; ebenso im Ergebnis Potacs, Nationale Zentralbanken in der Wirtschafts- und Währungsunion, EuR 1993, 23; Manger-Nestler, Die Rolle der Bundesbank im Gefüge des ESZB, EuR 2008, 577 [583 f, 586]; Häde in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5 [2016] Art 282 AEUV Rz 14). Aus dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats ergibt sich im Übrigen auch grundsätzlich die Rechtspersönlichkeit der nationalen Zentralbank (Wutscher in Schwarze, EU-Kommentar4 [2019] Art 129 AEUV Rz 2).

1.3. Die Beklagte fällt somit nicht unter Art 51 Abs 1 Satz 1 erster Satzteil GRC. Dass sie weder ein Organ der EU noch eine Einrichtung (oder sonstige Stelle) der EU ist, sprach auch bereits der VfGH aus (G 478/2015 [Pkt IV.2.2.3.2.4]; vgl auch 9 ObA 48/17z [Pkt 3]; 9 ObA 72/17d [Pkt 5]; 8 ObA 47/17w [Pkt 5]).

2. Die Kläger halten die Bestimmung des Art 81 2. StabG 2012 idF BGBl I 2014/46 aber auch wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen der Art 130 f AEUV über die Unabhängigkeit der Zentralbanken für unanwendbar.

2.1. Sinn und Zweck der in Art 130 AEUV verankerten Unabhängigkeitsgarantie der EZB bzw des ESZB ist die Sicherung des Freiraums für eine Geldpolitik abseits von kurzfristigen Erwägungen der Politik. Das ESZB und seine Beschlussorgane sollen vor externen Einflussnahmen, die mit der Wahrnehmung der Aufgaben, die der AEUV und das Protokoll über das ESZB und die EZB dem ESZB übertragen, in Konflikt geraten könnten, geschützt werden. Die Vorschrift soll damit im Wesentlichen vor jedem politischen Druck schützen (EuGH C‑11/00, Kommission/EZB [Rn 134]; C‑62/14, Gauweiler/Deutscher Bundestag [Rn 40]; C‑202/18, Rimšēvičs und EZB/Lettland [Rn 46 f]).

Die Unabhängigkeit des ESZB und seiner Beschlussorgane ist aber kein Selbstzweck (Griller in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union [67. EL 2019] Art 130 AEUV Rn 29). Deshalb hat auch bereits der EuGH in der Rechtssache C‑11/00 ausgesprochen, dass die Verfasser des EG-Vertrags die EZB ersichtlich keineswegs jeder Form normativen Handelns des Gemeinschaftsgesetzgebers entziehen wollten (Rn 135).

2.2. Art 131 AEUV verpflichtet jeden Mitgliedstaat sicherzustellen, dass seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung seiner nationalen Zentralbank mit den Verträgen sowie mit der Satzung des ESZB und der EZB im Einklang stehen. Kernpunkt ist hierbei die Weisungsunabhängigkeit der nationalen Zentralbank (Schilmöller/Tutsch in Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht7 Art 140 Rn 8). Die Vorschrift verlangt aber Unabhängigkeit nur in dem Umfang, der sich aus Art 130 AEUV ergibt (Häde in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV5 Art 131 AEUV Rz 3).

2.3. Art 130 (und 131) AEUV führt – wie bereits vom VfGH in seinem Erkenntnis G 478/2015 [Pkt IV.2.2.3.2.2] ausgesprochen – nicht zu einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu einer bestimmten Ausgestaltung von Pensionsregelungen für die Mitarbeiter und Organe nationaler Notenbanken. Die inhaltliche Ausgestaltung gesetzlicher Versorgungssysteme obliegt allein den Mitgliedstaaten. Dies anerkennen auch die Kläger in ihrem Rechtsmittel.

2.4. Hängt die Entscheidung von der Lösung einer Frage des Unionsrechts ab, so ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs mit einer außerordentlichen Revision nur dann zulässig, wenn der zweiten Instanz bei Lösung dieser Frage eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief (RS0117100). Dies ist hier nicht der Fall:

Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH die Auffassung vertreten, es sei hier nicht erkennbar, dass Eingriffe in die rechtliche Position von ehemaligen Mitarbeitern der Beklagten geeignet seien, die von den Nationalbanken wahrzunehmenden Aufgaben zu vereiteln. Diese Ansicht hält sich im Rahmen des zulässigen Beurteilungsspielraums. Das Abverlangen eines Pensionssicherungsbeitrags von (ehemaligen) Mitarbeitern der Beklagten bezweckt (auch) eine Harmonisierung des Pensionsrechts vor dem Hintergrund der im Vergleich zu den Pensionsregelungen der Bundesbeamten und ASVG‑Versicherten höheren Pensionsversorgung der Bediensteten der Beklagten (ErläutRV 1685 BlgNR 24. GP 66 f und 140 BlgNR 25. GP 1). Es ist auch – wie bereits in VfGH G 405/2015 = DRdA 2018, 118 [Tomandl] ausgesprochen – zulässig, in die Reformen zur Harmonisierung der Pensionssysteme bis zu einem gewissen Grad auch betriebliche Pensionszusagen einzubeziehen, die von den Reformen der gesetzlichen Pensionsvorschriften nicht unmittelbar betroffen gewesen sind, aber von Unternehmen zugesichert wurden, die auf Grund von Beteiligungen gleichwohl im Einflussbereich von Gebietskörperschaften stehen und daher bei diesen auch budgetwirksam sind. Zumal Art 81 2. StabG 2012 ein zulässiges Ziel verfolgt und nicht einmal im Ansatz ersichtlich ist, dass durch die betreffende Maßnahme des – durch freie Wahlen legitimierten – österreichischen Gesetzgebers auf die Beklagte politischer Druck ausgeübt und damit unzulässig in deren Unabhängigkeit eingegriffen würde, liegt eine Verletzung von Art 131 f AEUV offenkundig nicht vor.

2.6. Wenn sich die Kläger ergänzend auf Art 36.1 der Satzung des ESZB und der EZB berufen, wonach der EZB-Rat auf Vorschlag des Direktoriums die Beschäftigungsbedingungen für das Personal der EZB festlegt, so genügt der Hinweis, dass die Beklagte – wie bereits ausgeführt – keine Einrichtung und sonstige Stelle der Union und auch keine Untergliederung der EZB ist.

3. Die Kläger machen in ihrer Zulassungsbeschwerde auch geltend, dass Art 81 2. StabG 2012 gegen die Gleichbehandlungs-rahmenrichtlinie 2000/78/EG verstoße. Worin dieser Verstoß konkret liege, führen sie nicht überzeugend aus, sondern verweisen auf Ausführungen in ihrer Berufung. Nach ständiger Rechtsprechung stellt jedoch jede Rechtsmittelschrift einen in sich geschlossenen selbständigen Schriftsatz dar und kann nicht durch die Bezugnahme auf den Inhalt anderer in derselben oder einer anderen Sache erstatteten Schriftsätze ersetzt oder ergänzt werden (RS0007029). Davon aber abgesehen fällt eine nationale gesetzliche Regelung über eine Zusatzsteuer auf Renteneinkünfte nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG (EuGH C‑122/15 [Rz 27]). Der Pensionssicherungsbeitrag ist in diesem Sinne eine „Zusatzsteuer“, weil er als öffentliche Abgabe zu qualifizieren ist (9 ObA 49/17x [Pkt IV.2]; VfGH G 405/2015 [Pkt IV.2.2.3]).

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Kläger zurückzuweisen.

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