European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E126641
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Elternteile (eher) der Regelfall sein (RIS-Justiz RS0128811). Diese setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit voraus, weil es bei der gemeinsamen Obsorge erforderlich ist, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und Entschlüsse zu fassen. Es ist daher vom Gericht eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit mit einer solchen zu rechnen ist (RS0128812). Diese Beurteilung kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG (RS0128812 [T5, T15, T19]). Eine solche vermag die Revisionsrekurswerberin auch nicht aufzuzeigen.
2. Bei der Beurteilung, ob zwischen den Eltern eine ausreichende Kommunikationsbasis für die Ausübung der gemeinsamen Obsorge besteht, kommt es nämlich in erster Linie auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch und nicht auf die Art der Nachrichtenübermittlung an (8 Ob 152/17m = RS0132055; RS0128812 [T21, T22]). Die Argumentation, dass die Kommunikation „derzeit nur mehr schriftlich funktioniert“, kann daher keine aufzugreifende Fehlbeurteilung offenlegen.
Das Rekursgericht legte auf Basis des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts zugrunde, dass die Eltern nicht bloß per E‑Mail, sondern auch telefonisch und bei den Besuchskontakten persönlich kommunizierten und es wiederholt Situationen gegeben habe, bei denen die Eltern sachlich miteinander kommuniziert und Lösungen erarbeitet hätten. Wenn es die Verschlechterung im Zuge des Streits um die Obsorge als „Momentaufnahme“, bei der aber die Entwicklungen in der Vergangenheit eine positive Prognose erlaube, beurteilte, ist dies nicht bedenklich. Schwierigkeiten im gegenseitigen Umgang und Probleme in der Kommunikation sind für einen Obsorgestreit mehr oder weniger typisch (10 Ob 8/19b).
Die Revisionsrekurswerberin versucht im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof vom Rekursgericht verneinte Verfahrensmängel aufzugreifen und die von den Vorinstanzen getroffene Beweiswürdigung in unzulässiger Weise anzugreifen (RS0050037; RS0030748; RS0043414 [T15]). Gelangten die Vorinstanzen im vorliegenden Fall zum Ergebnis, dass die jüngsten Einvernahmen der Eltern und nun erstmals im Verfahren auch des fast zwölf Jahre alten Kindes im Zusammenhalt mit dem Clearingbericht und anderen Urkunden eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bilden, so ist die Frage, ob in diesem Einzelfall zusätzlich ein (aktuelles) Sachverständigengutachten oder die Einvernahme weiterer Zeugen erforderlich ist, vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar (RS0108449 [T4]; RS0115719 [T10]). Ein genereller Grundsatz dahin, dass das Pflegschaftsgericht im Obsorgeverfahren einen Sachverständigen beizuziehen hätte, besteht im Übrigen nicht (vgl RS0006319 [T7, T11]). Eine – aus Gründen des Kindeswohls (RS0050037 [T4]; RS0030748 [T18]) in der Rechtsprechung angenommene – ausnahmsweise Durchbrechung des Grundsatzes, dass ein vom Gericht zweiter Instanz verneinter erstinstanzlicher Mangel in dritter Instanz nicht erfolgreich zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht werden kann, ist im vorliegenden Fall nicht geboten.
Darin, dass die Revisionsrekurswerberin pauschal behauptet, es wären weitere Erhebungen und Feststellungen über die Anforderungen an das Lebensumfeld des Kindes, insbesondere auch im Bezug auf seine Dyskalkulie zu treffen gewesen („Einbindung in den Familienverband, seine soziale Absicherung und Anforderungen, Freizeitbeschäftigungen und dgl.“), ohne aber darlegen zu können, welche konkreten und der nun getroffenen Entscheidung über eine gemeinsame Obsorge widersprechenden Tatsachen sich daraus ergeben hätten, liegt keine erhebliche Rechtsfrage. Bereits das Rekursgericht legte zugrunde, dass beim Kind eine Dyskalkulie besteht, aber eben auch, dass beide Elternteile damit vertraut sind und dies bei ihrer Betreuung berücksichtigen.
„Entsprechender“ Feststellungen im Zusammenhang mit dem zusätzlichen Wochenkontakt „in Bezug auf Busverbindungen, Umsteigebedarf, Fahrtintervalle und Fahrtzeiten“ zum Wohnort des Vaters, bedarf es nicht, wenn dieser ohnedies den Auftrag erhielt, sein Kind langsam und seinem Wohl entsprechend auf die Bewältigung der Fahrt mit dem Bus (am Mittwoch) vorzubereiten und bis zu dem Zeitpunkt, an dem es sich das zutraut und sich sicher fühlt, dafür Sorge zu tragen, dass es abgeholt und entsprechend betreut wird.
3. Der Vorhalt, dass es seinem Wohl besser entspräche, wenn das Kind (statt am Mittwoch) am Montag vom Vater betreut würde, „weil er an diesem Tag bisher von der Urgroßmutter betreut wurde, zu der er nicht eine so innige Beziehung hat wie zu seiner Großmutter oder seinem Vater“, findet zum einen keine Deckung im festgestellten Sachverhalt. Zum anderen befasst sich die Mutter nicht ansatzweise mit der Argumentation des Rekursgerichts, wonach es nicht um die Verlängerung der Besuchskontakte (am Wochenende), sondern um die Einräumung einer weiteren zusätzlichen Einheit zwischen Vater und Kind geht. Dass es der Mutter offenbar nicht gelingt, das Kind am Montag anders als von der Urgroßmutter betreuen zu lassen, kann darauf nicht von Einfluss sein.
4. Mit dem erstgerichtlichen Auftrag über die Inanspruchnahme einer Eltern‑ und Erziehungsberatung hat sich die Mutter in ihrem Rekurs inhaltlich in keiner Weise befasst; da dieser Punkt somit erledigt ist, hat eine weitere Auseinandersetzung damit zu unterbleiben.
5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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