OGH 10Ob53/19w

OGH10Ob53/19w13.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Tino Kostner, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei K*****, vertreten durch Mag. Helmut Hawranek, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterhalt, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 23. April 2019, GZ 2 R 82/19x‑195, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 20. Dezember 2018, GZ 248 C 13/13m‑188, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00053.19W.0913.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Ehe der Streitteile wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 10. 7. 2002 im Einvernehmen geschieden. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Beklagte, der Klägerin ab 1. 8. 2002 monatlich einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 130 EUR zu zahlen. Er verpflichtete sich zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 250 EUR für seine Tochter.

Am 20. 1. 2004 schlossen die Streitteile folgende gerichtlich protokollierte „Vereinbarung über die Festsetzung des Unterhalts“:

„... Ehegattenunterhalt:

Bisher hat der Kindesvater der Kindesmutter einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 130 EUR bezahlt. Ab 1. 2. 2004 verzichtet die Kindesmutter auf diese Unterhaltszahlung.

Kindesunterhalt:

Mit Vergleich des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 10. 7. 2002 wurde ein Kindesunterhalt ... von monatlich 250 EUR vereinbart. Ab 1. 1. 2004 soll diese Zahlung um 50 EUR freiwillig auf 300 EUR monatlich erhöht werden.“

Die Klägerin wurde am 3. 6. 2012 bei einem Verkehrsunfall verletzt. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. 3. 2016 wurden der allein schuldtragende Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer verpflichtet, der Klägerin Schmerzengeld, Motorradschaden sowie Haushaltshilfe‑ und Pflegekosten zu zahlen. Die Haftung des Unfallgegners und seines Haftpflichtversicherers für sämtliche künftige Schäden aus dem Verkehrsunfall wurde festgestellt.

Die Klägerin begehrt – soweit noch Verfahrensgegenstand – die Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 500 EUR sA vom 1. 5. 2013 bis 30. 6. 2014. Sie beruft sich auf eine maßgebliche Änderung jener Umstände, die dem Unterhaltsverzicht zugrunde gelegt worden seien, insbesondere auf ihre unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Einkommenslosigkeit.

Das Erstgericht wies das Unterhaltsbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ nachträglich die Revision im Hinblick auf die besondere Fallkonstellation zu.

Rechtliche Beurteilung

Die – beantwortete – Revision der Klägerin ist entgegen diesem nicht bindenden Ausspruch (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

1. Der Oberste Gerichtshof hat – unter der Voraussetzung, dass das Tatsachenvorbringen der Klägerin zu einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zutrifft – in der Vorentscheidung 10 Ob 42/17z (betreffend den Unterhaltsanspruch ab 1. 7. 2014) Folgendes klargestellt: Sowohl die Unterhaltsvereinbarung im Scheidungsvergleich als auch der Unterhaltsverzicht standen unter der Umstandsklausel. Im Zeitpunkt des Unterhaltsverzichts war die Unterhaltsverpflichtung des Beklagten infolge einer wesentlichen Erhöhung des Einkommens der Klägerin (auf monatlich 1.500 bis 1.800 EUR) materiell erloschen. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (Einkommensverlust und Erwerbsunfähigkeit sowie vermehrte Bedürfnisse aufgrund des Verkehrsunfalls) kann grundsätzlich zu einer Neubestimmung des im Scheidungsvergleich vereinbarten Unterhaltsanspruchs entsprechend den im Vergleich festgehaltenen Relationen führen. Die Klägerin trifft jedoch eine Anspannungsobliegenheit. Sie hätte Ansprüche auf Verdienstentgang und den Ersatz der Kosten vermehrter Bedürfnisse (§ 1325 ABGB) gegen den Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer geltend machen müssen.

2. Die Klägerin macht im Sinn dieser Vorentscheidung ausschließlich einen „wiederaufgelebten“ Unterhaltsanspruch nach § 69a Abs 1 EheG geltend. Entscheidend ist damit zunächst das Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Dafür trifft die Klägerin nach den allgemeinen Beweisregeln die Behauptungs- und Beweislast (RS0109832 [T1]; RS0037797).

3. Die Klägerin verdiente nach ihren Behauptungen zum Zeitpunkt des Unterhaltsverzichts im Jahr 2004 monatlich 1.500 bis 1.800 EUR. Zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls am 3. 6. 2012 studierte sie Pharmazie, erzielte als Teilzeitbeschäftigte ein zuletzt mit 500 EUR beziffertes (ON 180 S 2) monatliches Einkommen und bezog ein – mit Vollendung ihres 36. Lebensjahres im Dezember 2012 – befristetes Selbsterhalterstipendium von rund 740 EUR monatlich (ON 185 S 2). Nach den Feststellungen des Erstgerichts hatte sie nach dem Verkehrsunfall folgende monatliche Einkünfte a) 630 EUR Berufsunfähigkeitspension (wie die Revision behauptet: inklusive eines nicht einzubeziehenden Kinderzuschusses von 29,07 EUR) b) 236,62 EUR Ausgleichszulage c) 284,30 EUR Pflegegeld, ab 1. 7. 2013 154,20 EUR d) 146 EUR Wohnzulage.

4. Nach ihrem, noch in der Revision vertretenen Standpunkt ist der Klägerin vom 1. 5. 2013 bis 30. 6. 2014 (ausgenommen während des Bezugs von Krankengeld von 227,40 EUR monatlich aufgrund eines Krankenhausaufenthalts in den Monaten Mai und Juni 2013) gar kein Verdienstentgang entstanden, weil sie von der Pensionsversicherungsanstalt monatlich 800 EUR erhalten hat und das Stipendium auch ohne den Unfall bereits mit Ende Dezember 2012 ausgelaufen gewesen wäre. Mit diesem Argument bestreitet sie eine schuldhafte Verletzung der in 10 Ob 42/17z angenommene Obliegenheit, Verdienstentgang und Kosten vermehrter Bedürfnisse gegen den Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer geltend zu machen. In ihren Ausführungen zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage auf:

5. Sie behauptet(e) nicht, sie hätte ohne den Verkehrsunfall ihr Studium vor dem 1. 5. 2013 beendet bzw danach bis zum 30. 6. 2014 ein Einkommen in einer Größenordnung wie zum Zeitpunkt des Unterhaltsverzichts erzielen können. Folgt man ihrem Standpunkt zum Fehlen eines Verdienstentgangs wäre eine unfallkausale, das Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs rechtfertigende wesentliche Änderung ihrer Einkommensverhältnisse gar nicht eingetreten.

6. § 332 Abs 1 ASVG ordnet eine Legalzession an: Schadenersatzansprüche des Geschädigten gehen schon zum Schädigungszeitpunkt auf den Sozialversicherungsträger in jenem Umfang über, als dieser sachlich und zeitlich kongruente Leistungen zu erbringen hat. Ein darüber hinausgehender Schadenersatzanspruch verbleibt dem Geschädigten (RS0030708; RS0087557; 2 Ob 190/07s). Im Ausmaß des Forderungsübergangs ist der Geschädigte gegenüber dem Schädiger nicht aktivlegitimiert (RS0035295; RS0035237). Invaliditäts‑(Berufsunfähigkeits‑)Pension und Krankengeld sind sachlich kongruent zum Verdienstentgangsanspruch eines Geschädigten (RS0031026 [T1]; RS0030708 [T2]; 2 Ob 190/07s).

7. Jedenfalls im Ausmaß der Leistung von Berufsunfähigkeitspension und Krankengeld ist der Anspruch auf Verdienstentgang auf den leistungspflichtigen Sozialversicherungsträger übergegangen. Die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin wäre in einem Direktprozess gegen den Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer nach der Rechtsprechung zwar nur aufgrund einer Einwendung der Beklagten zu berücksichtigen gewesen (2 Ob 190/07s mwN). Mit einem derartigen Einwand ist jedoch in der Regel zu rechnen, wenn eine bei einem Verkehrsunfall Verletzte den Entgang des bisher erzielten Verdienstes ohne Abzug kongruenter Sozialversicherungsleistungen einklagt.

8. Es wäre der Klägerin deshalb nicht als schuldhafte Verletzung einer Anspannungsobliegenheit anzulasten, dass sie ihren durch Leistungen des Sozialversicherungsträgers gedeckten Verdienstentgang nicht eingeklagt hat. Das gilt aber zufolge der Anspannungsobliegenheit (10 Ob 42/17z mwN) jedenfalls nicht für ihr verbleibende Ansprüche auf Verdienstentgang (insbesondere die Differenz zwischen Krankengeld und Einkommen aus der Teilzeitbeschäftigung) und auf Ersatz vermehrter Bedürfnisse (die in der Revision weder konkretisiert noch beziffert werden). Es begründet daher keine Mangelhaftigkeit, dass das Berufungsgericht ihre Beweisrüge, in der sie unter anderem Feststellungen zum Bezug des Krankengeldes von Mai bis Juni 2013 begehrte, inhaltlich nicht behandelt hat.

9. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Der Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

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