OGH 2Ob98/19d

OGH2Ob98/19d25.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2017 verstorbenen E* R*, zuletzt *, über den Revisionsrekurs der Witwe K* R*, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Dr. Dieter Gallistl, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 29. Jänner 2019, GZ 15 R 23/19m‑34, womit der Rekurs der Witwe gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 2. Jänner 2018, GZ 41 A 378/17f‑15, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125823

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht wird die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund der Verspätung aufgetragen.

 

Begründung:

Der am * 2017 verstorbene Erblasser hinterlässt seine Ehegattin (Rekurswerberin), drei Geschwister sowie drei Nichten (Kinder eines vorverstorbenen Bruders).

Die Witwe war im Verlassenschaftsverfahren durch ihren Sohn vertreten, dem sie am 18. 9. 2017 dafür eine „Spezialvollmacht“ erteilt hatte. Aufgrund dieser Vollmacht gab der Sohn namens der Witwe die bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab.

Mit Einantwortungsbeschluss des Erstgerichts vom 2. 1. 2018 wurde der Witwe die Verlassenschaft aufgrund des Gesetzes zur Gänze eingeantwortet. Mit Beschluss vom 25. 1. 2018 nahm das Erstgericht das um ein nachträglich hervorgekommenes Bankguthaben in Höhe von 182,77 EUR ergänzte Inventar zur Kenntnis. In beiden Beschlüssen räumte es dem Sohn der Witwe (aufgrund der Vollmacht) die Verfügungsberechtigung über die Aktiva ein und bestimmte die Gebühren des Gerichtskommissärs.

Beide Beschlüsse wurden sowohl der Witwe als auch deren Sohn im Jänner 2018 zugestellt; Rechtsmittel wurden nicht erhoben.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 16. 8. 2018, GZ *, wurde Rechtsanwalt Dr. Dieter Gallistl für die Witwe zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter bestellt, zu dessen Wirkungsbereich ua die Vertretung im gegenständlichen Verlassenschaftsverfahren gehört. Über sein Ersuchen stellte ihm das Erstgericht den Einantwortungsbeschluss und den Beschluss vom 25. 1. 2018 am 9. 11. 2018 zu.

Gegen diese Beschlüsse erhob die Witwe, nunmehr vertreten durch ihren gerichtlichen Erwachsenenvertreter, jeweils am 21. 11. 2018 Rekurse. Zu deren Rechtzeitigkeit wurde ausgeführt, die Witwe sei bereits im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung an ihren Sohn aufgrund einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung weder geschäfts- noch verfahrensfähig gewesen.

Das Rekursgericht wies die Rekurse als verspätet zurück. Die Bestellung eines Erwachsenenvertreters wirke nicht zurück. Ein in Scheinrechtskraft erwachsener Beschluss, etwa in Fällen nicht erkannter Verfahrensunfähigkeit, könne nicht mit einem ordentlichen Rechtsmittel, sondern nur mit einem Abänderungsantrag bekämpft werden. Ein solcher sei gemäß § 180 Abs 2 AußStrG nach Rechtskraft der Einantwortung jedoch nicht zulässig.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs jeweils nicht zulässig sei. Dabei ging es – wie auch die Revisionsrekurswerberin – erkennbar von einem 30.000 EUR nicht übersteigenden Wert des jeweiligen Entscheidungsgegenstands aus.

Auf Antrag der Witwe ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs, soweit er sich gegen die Zurückweisung des Rekurses gegen den Einantwortungsbeschluss richtet, nachträglich zu, weil Judikatur des Obersten Gerichtshofs vorliege, wonach in Verfahren, in denen ein Abänderungsantrag nach § 73 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht zulässig sei, die Zustellung an eine nicht verfahrensfähige bzw nicht ordnungsgemäß vertretene Partei die Rechtsmittelfrist nicht auslöse. Die Zulassungsvorstellung und den damit verbundenen ordentlichen Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluss vom 25. 1. 2018 wies es zurück.

Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die Witwe, die Zurückweisung des Rekurses gegen den Einantwortungsbeschluss aufzuheben und dem Rekursgericht eine Entscheidung in der Sache aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Er ist auch berechtigt.

Die Witwe macht geltend, der Oberste Gerichtshof habe bereits ausgesprochen, dass in Fallkonstellationen, in denen das Gesetz den Abänderungsantrag ausschließe, weiterhin an dem Grundsatz festzuhalten sei, dass die Zustellung an einen unwirksam bestellten Vertreter oder eine nicht verfahrensfähige Partei die Rechtsmittelfrist nicht auslöse. Das Rekursgericht habe trotz entsprechenden Vorbringens keine Feststellungen zur Geschäfts‑ und Verfahrensunfähigkeit der Witwe ab dem Zeitpunkt der Vollmachtserteilung an ihren Sohn getroffen. Dies wäre jedoch relevant gewesen, weil gegen den Einantwortungsbeschluss ein Abänderungsantrag unzulässig sei und eine Zurückweisung daher nicht erfolgen hätte dürfen.

Hiezu wurde erwogen:

1. Im Außerstreitverfahren gilt der Grundsatz, dass in den Fällen der nicht erkannten fehlenden Verfahrensfähigkeit ein solcherart in „Scheinrechtskraft“ erwachsener Beschluss nicht mit einem ordentlichen Rechtsmittel, sondern nur mit einem Abänderungsantrag bekämpfbar ist, weil die Bestimmungen über den Abänderungsantrag nach den §§ 72 ff AußStrG jenen der ZPO nachgebildet sind (RS0126542).

2. Diese Rechtsprechung gilt allerdings nicht für Fallkonstellationen, in denen das Gesetz den Abänderungsantrag ausschließt, der Grundsatz des rechtlichen Gehörs aber eine Möglichkeit erfordert, sich wirksam am Verfahren zu beteiligen. In diesen Fällen ist daher weiterhin – wie schon nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des AußStrG BGBl I 2003/111 – an dem Grundsatz festzuhalten, dass die Zustellung an eine verfahrensunfähige Partei unwirksam ist und die Rechtsmittelfrist nicht auslöst (RS0122203). Dies gilt auch für Zustellungen an einen nicht wirksam bevollmächtigten Vertreter (idS auch 6 Ob 16/14t [Zustellkurator]).

3. Im vorliegenden Fall wäre auch nach (bloßer) „Scheinrechtskraft“ des Einantwortungsbeschlusses ein Abänderungsantrag gemäß § 180 Abs 2 AußStrG gesetzlich ausgeschlossen. Nach den dargelegten Grundsätzen wäre daher die Zustellung dieses Beschlusses nicht wirksam, wenn die Revisionsrekurswerberin zu diesem Zeitpunkt nicht verfahrensfähig gewesen und die Vollmacht an ihren Sohn nicht wirksam erteilt worden sein sollte.

4. Bereits mit ihrem Rekurs hat die Witwe das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Prim. Dr. C* R*, LL.M. vom 30. 5. 2018 aus dem Verfahren zur Bestellung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters samt Ergänzungsgutachten dieses Sachverständigen vom 17. 6. 2018 zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Witwe zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung im Verlassenschaftsverfahren am 18. 9. 2017 vorgelegt. Werden Bescheinigungsmittel angeboten und aufgenommen, sind sie einer Beurteilung zu unterziehen; dabei kann auch der Oberste Gerichtshof „Tatsacheninstanz“ sein (1 Ob 248/15z; 2 Ob 75/10h; RS0036430 [T3]; RS0006965 [T13, T16]).

Aufgrund der vorgelegten Sachverständigengutachten ist bescheinigt, dass die Witwe bereits seit 18. 9. 2017 an einer fortgeschrittenen Demenz vom Alzheimertyp litt, die zumindest mittelgradig ausgeprägt war. Es bestanden erhebliche kognitive Defizite mit Merkfähigkeits- und Gedächtnisleistungsstörungen, massiven Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses und der Orientierungsleistungen sowie Störungen der Handlungsplanung; insbesondere wurden komplexe Sachverhalte nicht erfasst. Die Witwe war daher spätestens seit diesem Zeitpunkt nicht in der Lage die Bedeutung und Tragweite von Verfahrenshandlungen im Verlassenschaftsverfahren oder einer in diesem Zusammenhang erteilten Vollmacht an ihren Sohn zu verstehen und zu überblicken.

Sie war somit weder verfahrensfähig (§ 2 Abs 3 AußStrG iVm § 1 ZPO) noch geschäftsfähig (§ 865 ABGB idF vor dem 2. ErwSchG BGBl I 2017/59), weshalb auch die am 18. 9. 2017 an ihren Sohn erteilte Vollmacht unwirksam war (vgl 2 Ob 9/96).

5. Damit wurde der Lauf der vierzehntägigen Rekursfrist (§ 46 Abs 1 AußStrG) erst durch die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den gesetzlichen Erwachsenenvertreter der Witwe ausgelöst, der den Rekurs innerhalb dieser Frist einbrachte. Dessen Zurückweisung durch das Rekursgericht erfolgte zu Unrecht.

6. In Stattgebung des Revisionsrekurses ist daher der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die Sachentscheidung über den rechtzeitigen Rekurs aufzutragen.

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