OGH 1Ob248/15z

OGH1Ob248/15z28.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer. Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Mag. R***** N*****, vertreten durch Mag. Michael Stanzl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner DI H***** N*****, vertreten durch Dr. Raimund Hora, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Antragstellerin und des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. Oktober 2015, GZ 43 R 339/15v‑183, mit dem der Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 27. Mai 2015, GZ 2 C 15/11w‑169, zurückgewiesen und über Rekurs des Antragsgegners dieser Beschluss bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00248.15Z.0128.000

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird hinsichtlich der Zurückweisung des Rekurses der Antragstellerin aufgehoben und dem Rekursgericht die Entscheidung über diesen Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des diesbezüglichen Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

2. Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Erstgericht teilte das eheliche Gebrauchsvermögen und die ehelichen Ersparnisse der geschiedenen Ehegatten in bestimmter Weise auf. Dieser Beschluss wurde dem Rechtsvertreter der Antragstellerin am 28. 5. 2015 zugestellt. Der am 8. 6. 2015 verfasste Rekurs der Antragstellerin langte am 30. 6. 2015 beim Erstgericht ein. Das Erhebungsverfahren zur Frage, wann der Rekurs zur Post gegeben wurde, blieb ohne Ergebnis. Dem nachfolgenden Auftrag des Erstgerichts, den Rekurs im Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) einzubringen, kam die Antragstellerin nach, wobei sie angab, dass die Übermittlung im ERV am 8. 6. 2015 aufgrund eines Serverproblems ihres Rechtsvertreters nicht möglich gewesen sei.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Antragstellerin gegen den erstinstanzlichen Beschluss zurück und gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Antragsgegners nicht Folge. Rechtlich führte es zur Zurückweisung des Rechtsmittels der Antragstellerin aus, die Einbringung ihres Rekurses auf dem Postweg infolge eines Serverproblems werde grundsätzlich als zulässig angesehen. Die Postaufgabe habe jedoch auch dann innerhalb der Rechtsmittelfrist zu erfolgen. Da das Erhebungsverfahren dazu ohne Ergebnis geblieben sei, sei der am 30. 6. 2015 auf dem Postweg eingelangte Rekurs verspätet und daher zurückzuweisen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Zum Revisionsrekurs der Antragstellerin:

1.1. In ihrem fristgerecht gegen die Zurückweisung ihres Rechtsmittels gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurs führt die Antragstellerin aus, dass ihr Rechtsvertreter am 8. 6. 2015 den eingeschriebenen Brief einem bestimmten Postamt übergeben habe. Über die Postgebühren, die mittels Freistempeleinrichtung ihres Rechtsvertreters entrichtet worden seien, sei vom Postamt kein Beleg ausgestellt worden. Der Sendungsverfolgung der Post sei lediglich zu entnehmen, dass die Postsendung am 30. 6. 2015 an das Erstgericht übergeben worden sei. Die Antragstellerin legte die Kopie des Postbuchs ihres Rechtsvertreters sowie einen Auszug über die Sendungsverfolgung vor.

Die Anfrage des Obersten Gerichtshofs bei der Postfiliale ergab, dass der Rekurs ohne nachweisliche Übergabe in den Postlauf gebracht wurde, der Antragstellervertreter keine Aufgabebestätigung erhielt und die Österreichische Post AG die Postaufgabe am 8. 6. 2015 „weder bestätigen noch dementieren“ kann.

1.2. Der ‑ vom Antragsgegner nach Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung nicht beantwortete - Revisionsrekurs ist zulässig, weil die unberechtigte Zurückweisung eines Rechtsmittels wegen Verspätung eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft (vgl 8 Ob 79/11t mwN). Er ist auch berechtigt.

1.3. Im Hinblick auf das Vorbringen im Revisionsrekurs hat der Oberste Gerichtshof, der in Bezug auf die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels auch „Tatsacheninstanz“ mit Erhebungspflichten sein kann (RIS‑Justiz RS0006965 [T13, T16]; RS0036430 [T3]; zuletzt 2 Ob 174/09s), Einsicht in die vorgelegten Urkunden und die Auskunft der Österreichischen Post AG genommen. Aufgrund dieser Erhebungsergebnisse kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Rekurs der Antragstellerin am 8. 6. 2015 zur Post gegeben wurde. Zum selben Ergebnis gelangte auch das Rekursgericht, ging dieses doch davon aus, das diesbezüglich eingeleitete Erhebungsverfahren sei ohne Ergebnis geblieben.

1.4. Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Rechtsmittel bis zur sicheren Widerlegung von Zweifeln die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich, nämlich solange nicht seine Verspätung eindeutig ausgewiesen ist. Die Ergebnislosigkeit von Erhebungen über die Rechtzeitigkeit wirkt zum Vorteil des Rechtsmittelwerbers (RIS‑Justiz RS0006965).

Die vierzehntägige Rekursfrist des § 46 Abs 1 AußStrG endete für die Antragstellerin am 11. 6. 2015. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass ihr Rekurs am 8. 6. 2015 und somit rechtzeitig zur Post gegeben wurde. Dem vom Erstgericht mangels Einbringung im ERV erteilten Verbesserungsauftrag kam die Antragstellerin fristgerecht nach.

1.5. Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben und dem Rekursgericht die Sachentscheidung über den rechtzeitigen Rekurs der Antragstellerin aufzutragen.

Der Vorbehalt der Verfahrenskosten beruht auf § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG.

2. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners:

2.1. Die Ausführungen zum Kursverlust der Aktien und zum „Einbringen“ des Werts einer bestimmten Wohnung entfernen sich von den getroffenen Feststellungen. Insofern ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RIS‑Justiz RS0043312 [T3, T14]).

2.2. Der Oberste Gerichtshof ist auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz (RIS‑Justiz RS0007236 [T2]), weshalb die im Rechtsmittel erörterten Fragen der Beweiswürdigung nicht revisibel sind (RIS‑Justiz RS0007236 [T4]).

2.3. Voraussetzung für die Zugehörigkeit einer Sache zur Aufteilungsmasse ist jedenfalls, dass sie zum Zeitpunkt der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft zum ehelichen Gebrauchsvermögen oder zu den ehelichen Ersparnissen gehört (RIS‑Justiz RS0057331). Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre ist eine während aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft angefallene Abfertigung als eheliche Ersparnis in die Aufteilung einzubeziehen (RIS‑Justiz RS0057331 [T11]; RS0057349 [T5, T6]; Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 81 EheG Rz 12; Stabentheiner in Rummel 3, § 81 EheG Rz 4; Gitschthaler in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 81 EheG Rz 9 FN 53; Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth EuPR [2011] § 81 EheG Rz 7).

Der Antragsgegner erhielt anlässlich seines Ausscheidens aus einem Unternehmen insgesamt mehr als 126.000 EUR an gesetzlicher und freiwilliger Abfertigung ausbezahlt. Diesen Betrag legte er auf ein Sparbuch und kaufte daraus noch vor Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft um 115.000 EUR eine in seinem Eigentum stehende Wohnung. Wenn die Vorinstanzen diese Eigentumswohnung in die Aufteilungsmasse einbezogen, entspricht dies der Judikatur und ist nicht zu beanstanden. Da der Kaufpreis dieser Wohnung bereits in der Abfertigung Deckung fand, braucht nicht auf die Frage der Berücksichtigung der vom Antragsgegner weiters erhaltenen Pensionsabfindung eingegangen werden.

2.4. Dem Antragsgegner wurde die Zahlung des an die Antragstellerin zu leistenden Ausgleichsbetrags in zwei Raten auferlegt. Er nennt im Revisionsrekurs nicht die von ihm abweichend davon angestrebte Ratenzahlung. Im Übrigen kommt aufgrund seines festgestellten Einkommens, der Möglichkeit der Rücklagenbildung im Hinblick auf die bisherige Verfahrensdauer und der Zumutbarkeit der Aufnahme eines Kredits zur Leistung der Ausgleichszahlung auch aus Billigkeitserwägungen eine andere Art der Ratenzahlung nicht in Betracht.

2.5. Zu seinem Begehren, „dem Rekurs bis zur Zustellung der Entscheidung des Rekursgerichts“ (gemeint wohl: dem außerordentlichen Revisionsrekurs) hemmende Wirkung zuzuerkennen, ist darauf hinzuweisen, dass der außerordentliche Revisionsrekurs grundsätzlich aufschiebende Wirkung hat; dh der Eintritt der formellen und der materiellen Rechtskraft sowie der Vollstreckbarkeit werden gehemmt (§ 62, § 42 iVm § 43 Abs 1 AußStrG; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 62 Rz 2).

2.6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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