OGH 1Ob217/18w

OGH1Ob217/18w20.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Gemeinde S*****, vertreten durch Dr. Erich Greger und Dr. Günther Auer, Rechtsanwälte in Oberndorf bei Salzburg, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 2 C 502/13t des Bezirksgerichts Oberndorf (wegen Beseitigung), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 18. Juli 2018, GZ 22 R 184/18i‑15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Oberndorf vom 23. April 2018, GZ 2 C 289/17z‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00217.18W.1220.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Das Erstgericht bewilligte der Wiederaufnahmsklägerin (in der Folge nur: Klägerin) die Wiederaufnahme des Verfahrens 2 C 502/13t des Erstgerichts und hob dessen Urteil vom 31. 10. 2016 sowie das Urteil des Berufungsgerichts vom 8. 2. 2017 auf.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Wiederaufnahmsbeklagten (in der Folge nur: Beklagte) nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und erklärte nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage, ob es einer Partei als Verschulden anzulasten sei, dass sie im Hauptprozess kein Vermessungsgutachten beantragt habe, obwohl mehrfach behauptet worden sei, dass die Ausführungen des beigezogenen Sachverständigen zur Lage eines strittigen Kanals nicht zuträfen, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine solche Rechtsfrage ausgeführt.

Rechtliche Beurteilung

1. Eine Wiederaufnahme wegen neu aufgefundener Beweismittel kommt grundsätzlich nur dort in Frage, wo im Vorprozess eine bestimmte Tatsache zwar behauptet wurde, aber nicht bewiesen werden konnte, und die neu aufgefundenen Beweismittel eben den Beweis dieser Tatsache erbringen sollen (RIS‑Justiz RS0040999 [T2]). Die neuen Tatsachen im Sinn des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO müssen im vorangegangenen Verfahren bereits entstanden oder vorhanden gewesen sein. Bei den neuen Beweismitteln kommt es – entgegen der Meinung der Beklagten – nicht darauf an, wann diese entstanden sind; sie müssen sich nur auf Tatsachen beziehen, die schon vor Verfahrensabschluss erster Instanz im Hauptprozess vorhanden waren (RIS‑Justiz RS0044437; vgl RS0124752).

2.1. Dass sich aus späteren Tatumständen die Unrichtigkeit eines im Vorverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens oder die mangelnde Eignung des Sachverständigen ergeben soll, ist nach ständiger Rechtsprechung für sich allein kein tauglicher Wiederaufnahmsgrund (RIS‑Justiz RS0044555; RS0044834). Anderes gilt, wenn ein später eingeholtes Gutachten auf einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode aufbaut, die zur Zeit des Vorprozesses noch nicht bekannt war (RIS‑Justiz RS0044733 [T1]), wenn das Gutachten des Vorprozesses deshalb auf einer unvollständigen Grundlage beruhte, weil erst nachträglich neue Tatsachen bekannt wurden, die dem Sachverständigen im Zeitpunkt der Befundaufnahme noch nicht zugänglich waren (RIS‑Justiz RS0044773 [T2]), oder wenn etwa der im Hauptverfahren beigezogene Sachverständige eine behauptete Zwischenerhebung in Wahrheit nicht durchgeführt hat (10 ObS 91/87 mwN; RIS‑Justiz RS0044834 [T5]; RS0044555 [T4]).

2.2. Der im Hauptprozess bestellte Sachverständige aus dem Fachgebiet Tiefbau ermittelte an Hand der Messung nach Vergrößerung des vorhandenen Einreichplans, dass der tatsächlich errichtete Kanal der Beklagten auf dem Grundstück der Klägerin nur ca 0,50 Meter weiter in ihr Grundstück reicht, weshalb durch den Kanalverlauf gegenüber der ursprünglichen Bewilligung nur eine Grundfläche von weiteren 2 m 2 betroffen sei. Nicht bekannt ist, wie die vom Sachverständigen auch behauptete „Maßkontrolle vor Ort“ erfolgt ist. Aus der nach Beendigung des Hauptverfahrens durchgeführten Vermessung des Grundstücks der Klägerin durch einen Geometer und der von diesem errichteten Vermessungsurkunde ergibt sich unter anderem, dass der Verlauf des Kanals im Schnittpunkt mit der westlichen Grundgrenze – nicht wie im Vorprozess angenommen 0,50 Meter, sondern – 2,09 Meter weiter, als ursprünglich projektiert und bewilligt, in das Grundstück der Klägerin hineinreicht.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Befundgrundlage des im Hauptprozess beigezogenen Sachverständigen, der das Ausmaß der Abweichungen (nur) an Hand der Vergrößerung eines Plans feststellte, unvollständig gewesen sei und keine ausreichende Befundgrundlage für die Beurteilung des Abstands des Kanalstrangs zur Grundgrenze vorgelegen habe, folgt der Rechtsprechung und ist nicht korrekturbedürftig. Dieser Rechtsansicht tritt die Revisionswerberin auch nicht substantiiert entgegen.

3.1. Gemäß § 530 Abs 2 ZPO ist die Wiederaufnahme aus dem Grund des Abs 1 Z 7 leg cit nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welchen die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen. Die Behauptungs‑ und Beweislast für den Mangel des Verschuldens trägt der Wiederaufnahmskläger (RIS‑Justiz RS0044558 [T11]). Ob ein Wiederaufnahmskläger die zumutbare Sorgfalt eingehalten hat, kann nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und wirft dementsprechend regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS‑Justiz RS0111578; RS0044619 [T5]).

3.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Klägerin könne nicht vorgeworfen werden, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren kein Privatgutachten eingeholt oder die Einholung eines Gutachtens aus dem Vermessungswesen beantragt habe, weil der bestellte Gutachter aus dem Fachgebiet Tiefbau mitteilte, er habe die Abstände genau messen können ist nach den Umständen des Einzelfalls nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Beklagten war die nunmehr vorliegende Vermessungsurkunde kein im Hauptprozess „bereitstehendes“ Beweismittel; die in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung 4 Ob 139/17w betraf einen anders gelagerten Sachverhalt (unterlassene Verwertung einer Tonaufzeichnung).

4.1. Ist die Zulässigkeit und Schlüssigkeit der Klage zu bejahen, sind im Wiederaufnahmeverfahren die neuen Beweismittel über ihre abstrakte Eignung zur Herbeiführung einer Änderung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung hinaus im Wege einer eingeschränkten Beweiswürdigung dahin zu prüfen, ob ihre Nichtberücksichtigung im Hauptprozess gegen die materielle Wahrheitsfindung und die Vollständigkeit der Urteilsgrundlage verstößt, bzw ob sie geeignet waren, die Beweiswürdigung im Hauptprozess konkret zu beeinflussen (RIS‑Justiz RS0044510; RS0044687 [T2, T4]).

Dabei ist zu untersuchen, ob den betreffenden Beweismitteln für sich allein betrachtet die Eignung zukommt, eine für den Wiederaufnahmskläger günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0044678). Nur die endgültige, in der Zusammenschau mit den Beweisergebnissen des Hauptprozesses vorzunehmende Beweiswürdigung bleibt im Regelfall dem Hauptprozess vorbehalten, falls dessen Wiederaufnahme bewilligt wird (RIS‑Justiz RS0044678 [T5]).

4.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aufgrund der nunmehr vorliegenden Vermessungsurkunde die Klägerin in der Lage ist, die Beweiswürdigung zur Lage des Kanalstrangs im Vorprozess konkret zu beeinflussen, um die genaue und exakte Feststellung des Ausmaßes sowie die Art und Intensität der Beeinträchtigung ihres Grundstücks beurteilen zu können, ist nicht korrekturbedürftig. Entgegen der Ansicht der Beklagten ändert der Umstand, dass die Klägerin im Hauptverfahren mit ihrer Beweisrüge im Berufungsverfahren nicht durchdrang, nichts daran, dass die nunmehr vorliegende Vermessungsurkunde die konkrete Eignung hat, die Beweiswürdigung des Hauptverfahrens zu beeinflussen, auch wenn es sich dabei um eine Privaturkunde handelt. Die gesetzliche Fiktion des § 111 Abs 4 WRG berechtigt nur dann zur Annahme einer Dienstbarkeit, wenn der fremde Grund in einem bloß unerheblichen Ausmaß in Anspruch genommen wird. Dabei ist nicht die Bedeutung des Wasserbauvorhabens maßgeblich, sondern Art und Intensität des dadurch bewirkten Rechtseingriffs (1 Ob 226/16s mwN; vgl RIS‑Justiz RS0082243). Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage ist aber insbesondere der exakte tatsächliche Verlauf des Kanalstrangs maßgebend, der nach der Vermessungsurkunde in einem bestimmten Bereich bedeutend weiter in das Grundstück der Klägerin hineinreicht als im Hauptprozess festgestellt wurde.

5. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision damit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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