OGH 2Ob113/18h

OGH2Ob113/18h17.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** G*****, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. L***** M*****, 2. I***** M*****, beide *****, und 3. U***** Versicherungen AG, *****, alle vertreten durch Dr. Josef Michael Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 105.935,15 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 16.492 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. April 2018, GZ 1 R 147/17b‑111, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 24. Juli 2017, GZ 6 Cg 150/13i‑100, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00113.18H.1217.000

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile lautet:

„Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 91.387,46 EUR samt 4 % Zinsen aus 12.175,97 EUR vom 20. 8. 2013 bis 15. 11. 2013, 4 % Zinsen aus 62.175,97 EUR vom 15. 11. 2013 bis 13. 12. 2013, 4 % Zinsen aus 66.305,97 EUR vom 14. 12. 2013 bis 26. 3. 2014, 9,5 % Zinsen aus 14.606 EUR vom 27. 3. 2014 bis 13. 11. 2016, 4 % Zinsen aus 51.699,97 EUR vom 27. 3. 2014 bis 24. 4. 2014, 4 % Zinsen aus 56.465,70 EUR vom 25. 4. 2014 bis 16. 1. 2015, 4 % Zinsen aus 76.781,46 EUR vom 17. 1. 2015 bis 13. 11. 2016, 9,5 % Zinsen aus 71.159 EUR vom 14. 11. 2016 bis 7. 3. 2017, 4 % Zinsen aus 20.228,46 EUR vom 14. 11. 2016 bis 7. 3. 2017, 9,5 % Zinsen aus 80.000 EUR seit 8. 3. 2017 und 4 % Zinsen aus 11.387,46 EUR seit 8. 3. 2017 zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei weitere 14.547,69 EUR zu bezahlen, wird ebenso wie das Zinsenmehrbegehren abgewiesen.“

Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.175,22 EUR (darin enthalten 195,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 10. 5. 2003 ereignete sich in Tirol ein Verkehrsunfall, den die Erstbeklagte als Lenkerin eines vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKW allein verschuldete. Der als Lenker und Halter seines Motorrads beteiligte Kläger erlitt dabei erhebliche Verletzungen, aufgrund deren er (ua) im Zeitraum 1. 1. 2008 bis 30. 11. 2010 Haushaltsleistungen im Zeitausmaß von 1,55 Stunden pro Tag nicht mehr verrichten konnte.

In den Jahren nach dem Unfall bis einschließlich des Jahres 2012 leistete die drittbeklagte Partei an den Kläger verschiedene Schadenersatzzahlungen.Mit Schreiben vom 18. 4. 2006 an den seinerzeitigen Rechtsvertreter des Klägers erklärte die drittbeklagte Partei, den unfallkausalen Forderungen des Klägers die Einrede der Verjährung mit Wirkung eines Feststellungsurteils unbefristet nicht entgegenzuhalten. Mit an die drittbeklagte Partei gerichtetem Schreiben vom 5. 10. 2007 forderte der Kläger erstmals den Ersatz der Kosten einer Haushaltshilfe. Dazu wurde in Abstimmung mit der drittbeklagten Partei das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt, das am 9. 1. 2008 vorlag. Im Rahmen einer zwischen dem Klagevertreter und der drittbeklagten Partei in der ersten Jahreshälfte 2008 geführten Korrespondenz wurde die Möglichkeit einer vergleichsweisen Bereinigung der Haushaltshilfekosten erörtert, wobei die drittbeklagte Partei zuletzt in einer Besprechung vom 16. 4. 2008 zusagte, ein Vergleichsanbot zu unterbreiten. Mit Schreiben vom 5. 11. 2013 wandte sich der Klagevertreter erneut an die drittbeklagte Partei, wobei er auf die bisherigen Vergleichsgespräche hinwies und an Kosten fiktiver Haushaltshilfe für den Zeitraum bis Ende 2013 einen Pauschalbetrag von 50.000 EUR forderte. Mit E‑Mail vom 5. 12. 2013 teilte die drittbeklagte Partei dem Klagevertreter mit, sie gehe davon aus, dass die Ansprüche auf Ersatz der Kosten einer Haushaltshilfe für die Jahre 2008 bis 2010 bereits verjährt seien. Ansprüchen aus dem Titel der Haushaltshilfe für das Jahr 2011 werde sie die Einrede der Verjährung bis zum 30. 6. 2014 nicht entgegenhalten.

Der Kläger begehrte mit seiner am 9. 12. 2013 eingebrachten Klage zuletzt 105.035,15 EUR sA an Verdienstentgang und Haushaltshilfekosten, darunter auch die in dritter Instanz noch allein relevanten Kosten einer fiktiven Haushaltshilfe für den Zeitraum 1. 1. 2008 bis 30. 11. 2010 in Höhe von 16.492 EUR.

Die beklagten Parteien wendeten Verjährung dieser Haushaltshilfekosten ein.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es sprach auch den noch strittigen Teilbetrag zu, wobei es davon ausging, dass durch die zwischen den Parteien geführten Vergleichsverhandlungen der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt gewesen und Verjährung daher nicht eingetreten sei.

Über Berufung der beklagten Parteien bestätigte das Berufungsgericht das Urteil im Umfang von 74.895,46 EUR sA. Einen Teilbetrag von 31.039,69 EUR sA wies es ab, darunter die hier strittigen Kosten der Haushaltshilfe. Diese seien verjährt. Der Kläger habe verabsäumt, seine Klage nach Ende der Vergleichsgespräche im Jahr 2008 binnen angemessener Frist einzubringen. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Kläger 91.387,46 EUR „s.A.“ zugesprochen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer durch den Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Hemmung der Verjährung nach § 27 Abs 2 KHVG unberücksichtigt ließ. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Der Kläger macht geltend, dass es zu einem Abbruch der Vergleichsverhandlungen bis zum Erhalt des E‑Mails der drittbeklagten Partei vom 5. 12. 2013 nicht gekommen sei und er die Klage bereits am 9. 12. 2013 binnen angemessener Frist eingebracht habe. Überdies sei aufgrund der Meldung von Schadenersatzansprüchen an die drittbeklagte Partei gemäß § 27 Abs 2 KHVG eine Fortlaufshemmung bis zum Zeitpunkt der Ablehnung der Schadenersatzansprüche eingetreten. Diese sei hinsichtlich der noch strittigen Forderungen erst mit Schreiben vom 5. 12. 2013 erfolgt.

Hiezu wurde erwogen:

1. Die Verjährung von Schadenersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall kann nicht nur durch Vergleichsgespräche (RIS-Justiz RS0034501 [T3, T10]: Ablaufshemmung), sondern daneben auch nach § 27 Abs 2 KHVG gehemmt sein (RIS‑Justiz RS0102109). Nach dieser Bestimmung ist die Verjährung bis zur Zustellung einer schriftlichen Erklärung des Versicherers, dass er den Schadenersatzanspruch ablehnt, gehemmt, wenn der Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten dem Versicherer gemeldet worden ist. Weitere Anmeldungen desselben Schadenersatzanspruchs hemmen die Verjährung jedoch nicht. Die Hemmung oder die Unterbrechung der Verjährung des Schadenersatzanspruchs gegen den ersatzpflichtigen Versicherten bewirkt auch die Hemmung oder die Unterbrechung der noch laufenden Verjährung des Schadenersatzanspruchs gegen den Versicherer und umgekehrt.

2. § 27 Abs 2 KHVG normiert eine Fortlaufshemmung der Verjährungsfrist. Nach dem Wegfall des Hemmungsgrundes laufen die bei Eintritt des Hemmungsgrundes noch nicht abgelaufenen Teile der Verjährungszeit weiter, erst dann tritt Verjährung ein (RIS‑Justiz RS0065855). Eine Bezifferung des Anspruchs in der Schadensmeldung des Geschädigten ist nicht Voraussetzung für eine Verjährungshemmung nach § 27 Abs 2 KHVG. Die bloße Schadensmeldung reicht aus, um die Verjährungshemmung herbeizuführen (2 Ob 237/08d mwN; RIS‑Justiz RS0119627). Letztere muss nicht ausdrücklich geltend gemacht werden. Es genügt, wenn die sie begründenden Tatsachen im Prozess vorgetragen werden (RIS‑Justiz RS0122265) oder wenn diese – was hier der Fall ist – unstrittig sind.

Aus dem von der drittbeklagten Partei abgegebenen Verjährungsverzicht ergibt sich zwingend, dass eine Schadensmeldung des Klägers bereits vor dem 18. 4. 2006, somit spätestens rund zwei Jahre und elf Monate nach dem Unfall, erfolgt sein musste. Der Fortlauf der dreijährigen Verjährungsfrist (§ 1489 ABGB) wurde mit Zugang der erstmaligen Schadensmeldung gehemmt (2 Ob 237/08d). Solange diese Fortlaufshemmung andauerte, konnte auch die dreijährige Frist des § 1480 ABGB ab Fälligkeit der erst künftig entstehenden wiederkehrenden Leistungen, wie es Haushaltshilfekosten sind, nicht zu laufen beginnen (vgl 7 Ob 49/12z; RIS‑Justiz RS0114507 [T2]).

3. Die vollständige Zahlung bisheriger bezifferter Forderungen durch den Versicherer ist einer Ablehnung weiterer Zahlungen nicht gleichzuhalten und macht eine schriftliche Ablehnung nicht überflüssig (2 Ob 237/08d ZVR 2009/159 [zust Kathrein]). Schon aus ihrer Verjährungsverzichtserklärung vom 18. 4. 2006 ergibt sich, dass die drittbeklagte Partei mit weiteren Forderungen des Klägers rechnete. Darüber hinaus war auch danach der Ersatz fiktiver Haushaltshilfekosten und die Abfindung dieser Ansprüche für die Zukunft Gegenstand der Korrespondenz zwischen dem Klagevertreter und der drittbeklagten Partei in der ersten Jahreshälfte 2008.

Dass die Verhandlungen über die nunmehr eingeklagten Haushaltshilfekosten „eingeschlafen“ (so die beklagten Parteien) waren, nachdem die drittbeklagte Partei das im April 2008 zugesagte Vergleichsangebot jahrelang schuldig blieb, beendete die Hemmung der Verjährung nicht. Dies könnte nur dann erwogen werden, wenn aus dem Verhalten des Geschädigten offensichtlich der Schluss gezogen werden müsste, er verfolge seine Ansprüche nicht mehr weiter, sodass die Übermittlung einer qualifizierten Ablehnung durch den Versicherer nur mehr unnötiger Formalismus wäre. Die bloße Untätigkeit des Klägers während eines längeren Zeitraums berechtigt aber keineswegs zu dieser Annahme (zur vergleichbaren deutschen Rechtslage: BGH NJW 2017, 2271 Rn 16; OLG Düsseldorf NJW-RR 1990, 472; Klimke in Prölss/Martin, VVG30 [2018] § 115 Rn 35 f; Beckmann in Bruck/Möller, VVG9 [2013] § 115 Rn 71). Auch sonstige Anhaltspunkte lagen dafür nicht vor. Es wäre daher Sache der drittbeklagten Partei gewesen, eine die Verjährungshemmung beseitigende Ablehnungserklärung abzugeben (vgl 2 Ob 286/06g).

4. Zwar regelt § 27 Abs 1 KHVG, dass die Verjährung des Schadenersatzanspruchs des geschädigten Dritten gegen den Versicherer spätestens zehn Jahre nach dem Schadensereignis endet. Allerdings ist diese Frist – wie die beklagten Parteien in ihrer Revisionsbeantwortung selbst einräumen – keine absolute Höchstfrist, sondern unterliegt der Hemmung bzw Unterbrechung, auch der Hemmung nach § 27 Abs 2 KHVG (2 Ob 242/99y mwN [mit ausführl Begründung] = RIS-Justiz RS0114993; vgl 2 Ob 5/06h; zur inhaltsgleichen Bestimmung des deutschen § 115 VVG: OLG Düsseldorf NJW-RR 1990, 472; Klimke in Prölss/Martin, VVG30 § 115 Rn 26; Beckmann in Bruck/Möller, VVG9 § 115 Rn 56). Das zeigt sich schon darin, dass der Gesetzgeber unmittelbar im Anschluss an die Regelung des § 27 Abs 1 KHVG mit Abs 2 leg cit einen weiteren Hemmungsgrund geschaffen hat, der Ansprüche geschädigter Dritter gegenüber Versicherern aus der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung hinsichtlich der Verjährung privilegieren soll (2 Ob 242/99y; vgl OLG Düsseldorf NJW-RR 1990, 472). Soweit aus anderen Entscheidungen eine gegenteilige Ansicht hervorgehen sollte, wird diese nicht aufrecht erhalten.

Gerade der vorliegende Fall, in dem es jahrelang (bloß) zu verschiedenen Schadenersatzzahlungen, nicht aber zu einer abschließenden Stellungnahme des Versicherers gekommen ist, führt das auch nach Ablauf der zehnjährigen Frist bestehende Interesse des Klägers an der Privilegierung seiner Ansprüche nach § 27 Abs 2 KHVG vor Augen (vgl 2 Ob 242/99y). Der Versicherer wird dadurch auch nicht unbillig belastet, denn er hat es in der Hand, durch eine entsprechende Erklärung die Verjährung wieder in Lauf zu setzen (vgl BGH NJW 2017, 2271 Rn 16; OLG Düsseldorf NJW-RR 1990, 472).

5. Die erstmalige Ablehnung des Ersatzes der hier noch strittigen Kosten der Haushaltshilfe für den Zeitraum 1. 1. 2008 bis 30. 11. 2010 durch die drittbeklagte Partei erfolgte am 5. 12. 2013 per E‑Mail, wobei hier dahinstehen kann, ob dies dem Erfordernis der schriftlichen (vgl 2 Ob 237/08d) Ablehnung des Versicherers nach § 27 Abs 2 KHVG entsprach (vgl dazu Riedler in Schwimann/Kodek ABGB4 § 886 ABGB Rz 6 und Rz 8). Die dreijährige Verjährungsfrist für diese Kosten konnte daher frühestens mit Erhalt des E‑Mails vom 5. 12. 2013 zu Laufen beginnen. Diese Forderung ist demnach nicht verjährt. Der Höhe nach ist das Begehren im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittig.

6. Aus diesen Gründen hat die außerordentliche Revision des Klägers Erfolg. Eine Prüfung des gerügten Mangels des Berufungsverfahrens erübrigt sich daher. Das Berufungsurteil ist dahin abzuändern, dass dem Kläger zusätzlich zum bereits rechtskräftigen Zuspruch von 74.895,46 EUR sA ein weiterer Betrag von 16.492 EUR samt Zinsen auf Grundlage der im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen Zinsenstaffel des Berufungsgerichts zuerkannt wird.

7. Die Kostenentscheidung im Revisionsverfahren gründet sich auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Die Erhöhung der Entlohnung für den elektronischen Rechtsverkehr nach § 23a RATG beträgt lediglich 2,10 EUR.

Die Aufhebung der Kostenentscheidungen der Vorinstanzen beruht auf einer sinngemäßen Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO (RIS-Justiz RS0124588; hier: mehrere Verfahrensabschnitte mit unterschiedlichen Streitwerten und Erfolgsquoten, Bestreitung etlicher Positionen in den Einwendungen der beklagten Parteien gegen das Kostenverzeichnis).

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