OGH 5Ob169/18s

OGH5Ob169/18s13.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers R* S*, vertreten durch Dr. Eike Lindinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. Mag. F* D*, 2. G* M*, 3. L* R*, 4. C*gesmbH, *, 5. Mag. U* S*, 6. Dr. C* H*, 7. Mag. K* N*, 8. Mag. F* N*, 9. M* W*, 10. J* W*, die 1.-, 2.-, 3.-, 5.- und 8.‑Antragsgegner vertreten durch Dr. Erich Kafka, Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, wegen § 52 Abs 1 Z 2 WEG iVm § 16 Abs 2 WEG,über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Mai 2018, GZ 40 R 32/18d‑103, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E123970

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52Abs 2WEG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 62Abs 1AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Antragsteller plant die Fenstergestaltung des in seinem Wohnungseigentum stehenden Geschäftslokals zu ändern und die bestehenden Fenster gegen bodentiefe Fenster und Fenstertüren auszutauschen. Im Hinblick auf die damit verbundene Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft müssen diese Änderungen zusätzlich zu den in § 16 Abs 2 Z 1 WEG geforderten negativen Voraussetzungen kumulativ auch die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG erfüllen. Die geplanten Maßnahmen müssen also entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen (RIS‑Justiz RS0083233). Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen einer dieser zusätzlichen Voraussetzungen trägt der änderungswillige Wohnungseigentümer.

2. Sowohl zur „Übung des Verkehrs“ als auch zum „wichtigen Interesse“ des Wohnungseigentümers iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG liegt bereits umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor. Bei Beurteilung der Verkehrsüblichkeit einer Änderung kommt es danach nicht auf eine allgemeine, generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierten Baupraxis an, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Hauses, des Umfelds, des Ausmaßes des Eingriffs in die Bausubstanz sowie des Ausmaßes der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile verkehrsüblich ist (5 Ob 145/17k; 5 Ob 240/16d; 5 Ob 137/12a; RIS‑Justiz RS0126244). Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts kommt es besonders darauf an, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (5 Ob 145/17k; 5 Ob 240/16d; 5 Ob 98/11i; RIS‑Justiz RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16]). Zweckmäßigkeitserwägungen und eine Steigerung des Verkehrswerts des Objekts genügen hingegen für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht (5 Ob 13/14v; 5 Ob 21/12t; 5 Ob 98/11i; RIS‑Justiz RS0083341 [T2, T4]; RS0083345 [T1]; RS0110977).

3. Die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit einer dem § 16 Abs 2 WEG zu unterstellenden Änderung unter den Gesichtspunkten ihrer Verkehrsüblichkeit (5 Ob 49/18v; 5 Ob 240/16d; 5 Ob 113/15a; 5 Ob 137/12a) und/oder des wichtigen Interesses daran (RIS‑Justiz RS0083309 [T16]; RS0083341 [T23]; RS0083345 [T20]) hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind. Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser Ermessensspielraum nicht verlassen wird, liegt keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG vor. Nur in Fällen einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hat der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen (5 Ob 49/18v; 5 Ob 240/16d; 5 Ob 212/15k; 5 Ob 39/15v; RIS‑Justiz RS0083309 [T9, T13, T16]; RS0109643 [T10, T11]).

4.1. Die Auffassung des Rekursgerichts, für die vom Antragsteller geplanten Änderungen liege keine der nach § 16 Abs 2 Z 2 WEG alternativ erforderlichen Voraussetzungen vor, bewirkt keine solche vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

4.2. Die Verkehrsüblichkeit einer Änderung ist zunächst nach der allgemeinen Lebenserfahrung, aber auch nach der Beschaffenheit des betreffenden Hauses und seines konkreten Umfelds zu beurteilen (5 Ob 19/16d mwN; 5 Ob 113/15a).Das Rekursgericht stellte bei seiner Beurteilung des Umfelds und der Häufigkeit von Gastronomiebetrieben mit Fenstertüren – anders als das Erstgericht – nicht auf das gesamte Stadtgebiet Wiens ab, sondern auf die nähere Umgebung. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, in der unter dem maßgeblichen Umfeld in der Regel die „Gegend“ oder die (nächste oder unmittelbare) „Umgebung“ verstanden wird (vgl 5 Ob 145/17k; 5 Ob 113/15a; 5 Ob 39/15v; 5 Ob 109/06z). Die Auffassung des Rekursgerichts, dass nach der Lebenserfahrung in dem Wohngebiet des 19. Wiener Gemeindebezirks bis zum Boden ragende Fenster und Fenstertüren nicht geradezu selbstverständlicher Teil der Nutzung eines Geschäftslokals im Sinn der Rechtsprechung zur Verkehrsüblichkeit sind, ist vertretbar. Der Antragsteller machte im Verfahren vor dem Erstgericht auch keine besonderen Umstände geltend, die eine andere Beurteilung geboten erscheinen ließe. Die in diesem Zusammenhang behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

4.3. Als wichtiges Interesse iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG machte der Antragsteller die Verbesserung seines Wohnungseigentumsobjekts durch Herstellung eines zeitgemäßen Zustands und die damit verbundene bessere Benützbarkeit und höhere Attraktivität für Kunden geltend. Zwar können grundsätzlich auch wirtschaftliche Interessen des änderungswilligen Wohnungseigentümers als wichtig iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG angesehen werden (5 Ob 191/04f; 5 Ob 29/89). Diese müssen aber ebenfalls über das selbstverständliche Interesse des Eigentümers an einer besseren Verwertbarkeit der Räumlichkeiten und Wertsteigerung seines Objekts hinausgehen (vgl 5 Ob 19/16d; 5 Ob 21/12t; 5 Ob 13/14v). Eben dies hat das Rekursgericht hier im Ergebnis vertretbar verneint. Auf das konkrete Ausmaß der Inanspruchnahme allgemeiner Liegenschaftsteile und deren Verhältnismäßigkeit zur Wichtigkeit des Interesses des Änderungswilligen als eines der weiteren Beurteilungskriterien (5 Ob 19/16d mwN; vgl RIS‑Justiz RS0126244 [T4]) kommt es bei dieser Sachlage nicht entscheidend an.

5. Der Antragsteller behauptet die Verfassungswidrigkeit des § 16 Abs 2 Z 2 WEG aufgrund einer Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 7 B‑VG) und eines nicht gerechtfertigten Eingriffs in dessen Rechte auf Eigentum (Art 5 StGG; Art 1.1. ZP‑EMRK) und Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG). Der erkennende Senat teilt dessen Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 16 Abs 2 Z 2 WEG nicht. Wenn der Oberste Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers nicht teilt, liegt keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage vor (RIS‑Justiz RS0116943); auch dann nicht, wenn dieser zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bestimmung noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat (RIS‑Justiz RS0122865). Es bedarf dabei auch keiner Begründung, aus welchen Erwägungen es das Gericht nicht für geboten erachtet, die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens zu erwirken (5 Ob 193/16t; RIS‑Justiz RS0053805 [T7]).

6. Der Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

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