European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E120271
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.
Begründung:
Die Streitteile sind Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * mit dem Haus A* in I*. Mit den Miteigentumsanteilen des Antragstellers B‑LNr 13 ist Wohnungseigentum an der Dachgeschosswohnung W D 1 verbunden.
Das Stadtmagistrat I* erteilte dem Antragsteller aufgrund seines Einreichplans ./A mit Bescheid vom 12. 11. 2013 die Baubewilligung für den Umbau und die Erweiterung eines Balkons mit Dachgaupe hinsichtlich dieser Dachgeschosswohnung (./B), mit Bescheid vom 9. 12. 2015 (./C) wurde die Frist für den Baubeginn um zwei Jahre verlängert. Der der Baubewilligung zugrundeliegende Einreichplan stimmt hinsichtlich des bestehenden Dachs des Hauses insoweit nicht mit der Natur überein, als dort ein zur Ostgrenze des Grundstücks durchgehendes Satteldach dargestellt ist, es sich tatsächlich aber um ein Walmdach handelt.
Der Antragsteller begehrte von den Antragsgegnern, sie hätten die fachgerechte Errichtung einer Dachgaupe und eines Balkonzubaues bei seiner Dachgeschosswohnung gemäß rechtskräftigem Bescheid des Stadtmagistrats I* vom 12. 11. 2013 zu dulden. Mit dem geplanten Bauvorhaben sei weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer und des äußeren Erscheinungsbilds des Hauses verbunden. Das geplante Vorhaben entspreche der Übung des redlichen Verkehrs, zumal in räumlicher Nähe bereits bei mehreren Wohnhäusern Dachterrassen vorhanden seien.
Der 8.‑Antragsgegner beantragte Abweisung des Antrags, weil die Interessen der übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer und das Erscheinungsbild des Wohnhauses durch das Vorhaben beeinträchtigt würden. Es entspreche nicht der Übung des redlichen Verkehrs, die Änderungsmaßnahmen seien nicht genehmigungsfähig. Aufgrund des im Einreichplan unrichtig dargestellten Satteldachs sei der Baubescheid vom 12. 11. 2013 unrichtig.
Die 11.‑Antragsgegnerin trat dem Antrag mit der Behauptung entgegen, der vierte Stock des Hauses sei in Leichtbauweise errichtet worden, sodass sich Gefahren betreffend Statik und eventuelle Wassereinbrüche durch das geplante Bauvorhaben ergäben.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es ging davon aus, dass sich die beabsichtigten Baumaßnahmen des Antragstellers auf sein Wohnungseigentumsobjekt sowie Teile der Dachkonstruktion beschränken, andere Wohnungseigentumsobjekte hingegen davon nicht tangiert würden. Bei fachgerechter Ausführung seien keine Wassereintritte oder sonstige Schädigungen des Hauses zu erwarten. Die nach dem Einreichplan beabsichtigte Konstruktion stelle bautechnisch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses dar. Die Baumaßnahmen hätten weder auf die Einsehbarkeit des Balkons des 8.‑Antragsgegners noch auf den Verkehrswert der übrigen Wohnungseigentumsobjekte negative Auswirkung und entsprächen „im Sinn der Verbesserung der Wohnqualität der Übung des Verkehrs“. Ein wichtiges Interesse im Sinn eines dringenden Raumbedürfnisses sei aus bautechnischer Sicht nicht erkennbar. Eine nähere Prüfung der Voraussetzungen des § 16 WEG erübrige sich aber, weil die den Bescheiden des Stadtmagistrats I* zugrundeliegenden Planunterlagen von dem in der Natur tatsächlich vorliegenden Bestand abweichen, sodass die geplanten Baumaßnahmen in dieser Form gar nicht durchführbar seien.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Antragstellers nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu. Es ging davon aus, dass der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt unbekämpft geblieben sei, die in der Rekursbeantwortung des 8.‑Antragsgegners enthaltene Beweisrüge behandelte es nicht. Rechtlich teilte es im Ergebnis die Rechtsauffassung des Erstgerichts. In Fällen, in denen durch die beabsichtigte Maßnahme nach § 16 WEG ein rechtswidriger Zustand – insbesondere durch evidente Verstöße gegen die Bauordnung – herbeigeführt werden würde, sei die beabsichtigte Änderung nicht genehmigungsfähig. Da der Einreichplan von den tatsächlichen Gegebenheiten eklatant abweiche, würden die vom Antragsteller beabsichtigten Baumaßnahmen einen gesetzwidrigen Zustand herbeiführen, den die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer nicht hinzunehmen hätten.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass seinem Antrag stattgegeben werden möge. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Der 8.‑Antragsgegner beantragt in der freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rechtsauffassung der Vorinstanzen korrekturbedürftig ist. Er ist im Sinn seines Eventualantrags auch berechtigt.
1. Dem Rekursgericht ist zunächst dahin zu folgen, dass die Zulässigkeit der Änderung nach baurechtlichen Vorschriften für sich allein keine Duldungspflicht der anderen Wohnungseigentümer nach § 16 Abs 2 WEG begründet, weil die Genehmigung der Baubehörde (sofern erforderlich) zu den selbstverständlichen Erfolgsvoraussetzungen eines Änderungsvorhabens gehört (RIS‑Justiz RS0082982). Der Außerstreitrichter hat über die Genehmigungsfähigkeit einer § 16 Abs 2 WEG zu unterstellenden Veränderung eines Wohnungseigen-tumsobjekts selbständig, somit grundsätzlich losgelöst von baurechtlichen Voraussetzungen zu befinden. Hindernisse, die sich aus Vorschriften der jeweiligen Bauordnung ergeben, können für sich allein nur dann zur Versagung der gerichtlichen Genehmigung führen, wenn von vornherein feststeht, dass mit einer Bewilligung der Baubehörde keinesfalls gerechnet werden kann (RIS‑Justiz RS0118808). Die von Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 16 WEG Rz 39 zitierten Entscheidungen sprechen aus, dass die Frage, ob eine Baubewilligung zu erlangen ist, immer dann eine Rolle spielt, wenn mit deren Erteilung nicht gerechnet werden könne oder zumindest Vorschriften der Bauordnung der beabsichtigten oder schon vorgenommenen Änderung entgegenstünden. Diesfalls könne die Zustimmung des widersprechenden Wohnungseigentümers vom Gericht nicht ersetzt werden (5 Ob 257/11x = immolex 2012/38 [Prader]). In der Entscheidung 5 Ob 84/04w (= immolex 2004/172) wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es zunächst genüge, wenn der die Änderung anstrebende Mit‑ und Wohnungseigentümer die gewerbe‑ und baurechtlichen Voraussetzungen für sich habe (vgl auch RIS‑Justiz RS0083093 [T1]). In diesem Sinn spricht auch Vonkilch (aaO) davon, eine wesentliche Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen der übrigen Wohnungseigentümer sei in den Fällen anzunehmen, in denen durch die Änderung ein rechtswidriger Zustand – etwa durch evidente Verstöße gegen Bauordnung oder Gewerbeordnung – herbeigeführt würde.
2. Übersehen haben die Vorinstanzen aber, dass die Gerichte an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden grundsätzlich gebunden sind, dies auch dann, wenn diese Verfügungen unvollständig oder fehlerhaft sein sollten; eine inhaltliche Überprüfung eines Verwaltungsbescheids durch das Gericht hat nicht stattzufinden (RIS‑Justiz RS0036981). Bindungswirkung entfaltet dabei der Spruch rechtsgestaltender Bescheide der Verwaltungsbehörden, nicht hingegen die auf einen bestimmten Sachverhalt gestützte Beurteilung der Rechtsfrage und die Begründung (RIS‑Justiz RS0036948 [T4]; RS0037015 [T6]). In diesem Sinn wurde etwa in der Entscheidung 6 Ob 84/05d das Bestehen einer rechtskräftigen Baubewilligung als für das Zivilgericht verbindlich feststehend gewertet, nicht aber die dort maßgebliche Frage, ob das Bauwerk einer bestimmten vertraglich festgelegten Bauweise entsprach.
3. Hier gingen die Vorinstanzen davon aus, die Erteilung des Baubescheids aufgrund eines nicht mit der Natur übereinstimmenden Einreichplans würde bei Durchführung der vom Antragsteller beabsichtigten Baumaßnahmen zu einem gesetzwidrigen Zustand führen. Es mag sein, dass die als Grundlage der Baubewilligung vorzulegenden Planunterlagen (§ 24 TBO) in Bezug auf die Darstellung des derzeitigen Dachs des Hauses unrichtig waren. Eine inhaltliche Überprüfung der auf diese Planunterlagen gestützten Baubewilligung in baurechtlicher Hinsicht ist dem Zivilgericht aufgrund der Rechtskraft des Bewilligungsbescheids aber verwehrt. Die Ausführung eines Bauprojekts auf Basis eines (rechtskräftigen) Genehmigungsbescheids kann nicht als gesetzwidrig beurteilt werden. Hier liegt somit gerade nicht der Fall vor, dass mit einer Bewilligung der Baubehörde nicht gerechnet werden kann, die Bewilligung wurde vielmehr rechtskräftig erteilt. Die etwas missverständlich formulierte erstgerichtliche Feststellung, die vom Antragsteller beabsichtigten Baumaßnahmen seien „in der Natur nicht entsprechend dem Baubescheid durchführbar“ (die in dieser Allgemeinheit jeglicher Grundlage im Beweisverfahren entbehren würde und daher aktenwidrig wäre), ist nach dem Gesamtkontext im Sinn der daran anschließenden Klarstellung dahin zu verstehen, dass (lediglich) der stufenlose Ausgang von der Dachgeschosswohnung des Antragstellers auf den neuen Balkon nicht möglich sein wird. Warum dieser Umstand ein Verstoß gegen die Bauordnung sein soll, der einen evident rechtswidrigen Zustand herbeiführen würde, wird von den Vorinstanzen nicht näher begründet und ist auch nicht ersichtlich. Dass eine allenfalls konsenswidrige Errichtung dieser Stufe auch einer (nachträglichen) Genehmigung nicht zugänglich wäre, hat niemand behauptet und ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Nach dem Sachverständigengutachten ON 9 wirkt sich vielmehr die unrichtige Darstellung des Hausdachs als Sattel‑, anstelle als Walmdach weder konstruktiv noch optisch auf die vorgesehenen Umbauarbeiten aus, zumal das neue Dach über der geplanten Gaupe und dem Balkon den Grat des Walmdachs nicht erreicht. Die in der Revisionsrekursbeantwortung vermisste Modifizierung des – auf die rechtskräftige Baubewilligung abgestellten – Antrags war schon deshalb nicht erforderlich.
4.1. Der von den Vorinstanzen genannte Grund für die Abweisung des Antrags liegt somit nicht vor. Eine abschließende Erledigung ist dessen ungeachtet noch nicht möglich, weil einerseits das Rekursgericht die gegen eine Reihe von erstgerichtlichen Feststellungen erhobene Beweisrüge des 8.‑Antragsgegners unerledigt ließ, andererseits die getroffenen Feststellungen zur abschließenden Beurteilung der Frage nicht ausreichen, ob die beabsichtigte Maßnahme der Übung des Verkehrs im Sinne des § 16 Abs 2 Z 2 WEG entspricht:
4.2. Im Hinblick auf die mit den geplanten Umbaumaßnahmen verbundene Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft (insbesondere des Hausdachs) müssen die Änderungen – abgesehen davon, dass die in § 16 Abs 2 Z 1 WEG genannten Negativvoraussetzungen nicht vorliegen dürfen – kumulativ auch die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG erfüllen. Sie müssen also entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen (RIS‑Justiz RS0083233).
4.3. In Bezug auf die Negativvoraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 1 WEG stellte das Erstgericht fest, dass aus bautechnischer Sicht die begehrte Konstruktion keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses darstelle, lediglich das knapp westlich der neuen Gaupe befindliche Dachflächenfenster sei aus bautechnischer Sicht optisch und technisch problematisch sowie, dass durch die geplanten Baumaßnahmen keinerlei Gefahr für die Sicherheit von Personen des Hauses oder anderen Sachen zu erwarten seien. Die beabsichtigten Baumaßnahmen würden sich weder auf die Einsehbarkeit noch auf den Verkehrswert der übrigen Wohnungseigentümer negativ auswirken. Da das Rekursgericht die diesbezügliche Beweisrüge in der Rekursbeantwortung nicht behandelte, kann der Oberste Gerichtshof schon mangels einer gesicherten Tatsachengrundlage zur Frage des allfälligen Vorliegens der Negativvoraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 1 WEG nicht abschließend Stellung nehmen.
4.4. Dazu kommt, dass zur Verkehrsüblichkeit im Sinn des § 16 Abs 2 Z 2 WEG keine ausreichende Feststellungsgrundlage vorliegt. Das Erstgericht stellte – auch hiezu liegt eine nicht behandelte Beweisrüge vor – lediglich fest, aus bautechnischer Sicht entsprächen die geplanten Baumaßnahmen im Sinn einer Verbesserung der Wohnqualität der Übung des Verkehrs. Allerdings kommt es bei der Beurteilung der Verkehrsüblichkeit einer Änderung nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0126244; 5 Ob 97/12v = wobl 2013/17; 5 Ob 240/16d) nicht auf eine allgemeine generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierten Baupraxis an, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Hauses, des Umfelds, des Ausmaßes des Eingriffs in die Bausubstanz sowie des Ausmaßes der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile verkehrsüblich ist. So wurde etwa zu 5 Ob 97/12v – unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls – die Verkehrsüblichkeit einer nachträglichen Balkonerrichtung bejaht, zu 5 Ob 212/15k (wobl 2016/82 [zust Etzerstorfer]) hingegen ein Balkonturmanbau unter den gegebenen Umständen nicht als verkehrsüblich angesehen. Zu 5 Ob 240/16b wurde angesichts der Feststellungen zu den Gegebenheiten im Haus und der Wohnumgebung die Verneinung der Verkehrsüblichkeit der Errichtung eines Balkons unter anderem wegen dessen geplanter Dimension als vertretbar gewertet.
4.5. Es bedarf daher zur abschließenden Beurteilung konkreter Feststellungen zur Ausgestaltung des Hauses selbst, aber auch zur unmittelbaren Umgebung, wo nach den Behauptungen des Antragstellers bei mehreren Wohnhäusern Dachterrassen vorhanden sind bzw nachträglich errichtet wurden. Dass die geplanten Maßnahmen aus bautechnischer Sicht die Wohnqualität verbessern würden, reicht nicht aus.
4.6. Auf die Alternativvoraussetzung eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers im Sinne des § 16 Abs 2 Z 2 WEG kommt der Antragsteller im Revisionsrekursverfahren nicht mehr zurück; diese wäre im Übrigen auch erst dann gegeben, wenn die beabsichtigte Änderung dazu dient, ihm eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (RIS‑Justiz RS0083341 [T18], RS0083345 [T16]).
5. Damit waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Sachverhalts im dargestellten Sinne aufzuheben.
6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 MRG und § 78 Abs 1 zweiter Satz AußStrG, zumal die erforderlichen Billigkeitserwägungen erst im endgültigen Sachbeschluss angestellt werden können.
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