OGH 1Ob209/18v

OGH1Ob209/18v21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr.

 Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** GmbH, *****, 2. e***** GmbH, *****, und 3. C***** GmbH, *****, alle vertreten durch Dr. Andreas Schuster, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 752.349,75 EUR (Erstklägerin: 451.009,08 EUR sA; Zweitklägerin: 219.459,33 EUR sA; Drittklägerin: 81.881,34 EUR sA) und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. September 2018, GZ 14 R 92/18d‑19, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. Februar 2018, GZ 31 Cg 12/17p‑12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00209.18V.1121.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind Schadenersatzansprüche der Klägerinnen wegen behaupteter rechtswidriger Erlassung von Sicherstellungsaufträgen zur Sicherstellung der Glücksspielabgabe. Weiters begehren sie die Feststellung, die Beklagte sei verpflichtet, ihnen sämtliche darüber hinausgehenden Schäden aus Vollzugshandlungen auf Grundlage der Sicherstellungsaufträge und Vollstreckungsaufträge eines bestimmten Finanzamts sowie weitere Schäden zu ersetzen, die aufgrund künftig gegen sie erlassener Sicherstellungsaufträge und Vollzugsaufträge dieses Finanzamts aus der Anwendung des § 57 GSpG entstünden.

Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren ab, weil die Klägerinnen der Abgabepflicht nach § 57 Abs 1 GSpG unterlägen, sie Abgabenschuldnerinnen nach § 59 Abs 2 Z 1 zweiter Teilstrich GSpG seien, keine Ungleichbehandlung der Klägerinnen gegenüber den Spielbanken und auch keine exzessive Steuerbelastung bestehe und die angewandten Bestimmungen des Glücksspielgesetzes verfassungs‑ und unionsrechtskonform seien. Die Erlassung der Sicherstellungsaufträge nach § 232 BAO sei jedenfalls vertretbar gewesen.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, weil sich seine Entscheidung auf die ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte gründe.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerinnen ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Zum einen kommt dem Obersten Gerichtshof bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien keine Leitfunktion zu (RIS‑Justiz RS0116438 [T1]; vgl RS0123321); zum anderen ist die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement – ebenso wie die Beurteilung, ob ein offenkundiger Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt – von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (1 Ob 43/17f mwN; RIS‑Justiz RS0110837 [T12]).

2. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 12. 6. 2018, G 73/2018, die Behandlung des Antrags der Klägerinnen gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG auf Aufhebung näher bezeichneter Teile bzw Bestimmungen des Glücksspielgesetzes, insbesondere des Wortes „Poker“ in § 1 Abs 2, der §§ 57 bis 59 und des § 60 Abs 36 GSpG, ab. Zur Begründung führte er insbesondere aus, entgegen der Auffassung der Klägerinnen handle es sich bei der Glücksspielabgabe nach § 57 GSpG um eine Abgabe im Sinn der Bundesabgabenordnung und nicht um eine (Geld‑)Strafe. Die Glücksspielabgabe gemäß § 57 GSpG gelte für jeden, der – gleichgültig, ob legal oder illegal – Glücksspiele veranstalte, betreibe „oder Ähnliches“. Es liege auch keine Gleichheitswidrigkeit der Regelungen über die Glücksspielabgabe gemäß den §§ 57 ff GSpG vor. Ein Vergleich mit der Konzessionsabgabe nach § 28 GSpG (bzw nach § 17 GSpG) scheide aus, weil den Regelungen – aus näher dargelegten Gründen – keine vergleichbaren Sachverhalte zugrunde lägen. Die Glücksspielabgabe habe auch nicht infolge des Abstellens auf den Umsatz eine Erdrosselungswirkung und verstoße daher nicht gegen Art 47 und 48 GRC. Der Abgabengesetzgeber sei, solange er nicht eine Erwerbstätigkeit vollkommen unterbinde, nicht verpflichtet, die Rentabilität der belasteten Tätigkeit zu garantieren.

3. Entgegen der Meinung der Klägerinnen vertrat der EuGH nicht den Standpunkt, dass „die tatsächlichen Auswirkungen des österreichischen Glücksspielgesetzes als nicht kohärent im Hinblick auf die Art 56 ff AEUV anzusehen“ seien. Vielmehr hielt er zuletzt im Beschluss zu C‑79/17 ( Gmalieva , ECLI:EU:C:2018:687, Rn 30 und 31) fest, es obliege dem nationalen Gericht, anhand der vom Gerichtshofs gegebenen Hinweise zu bestimmen, ob eine glücksspielrechtliche innerstaatliche Monopolregelung als kohärent im Hinblick auf die Art 56 ff AEUV anzusehen sei.

Zu dem vom dort vorlegenden Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den Vorlagefragen zugrunde gelegten Sachverhalt (Spielsucht stelle [in Österreich] kein einen staatlichen Handlungsbedarf begründendes gesellschaftliches Problem dar; die Staatseinnahmen aus dem Glücksspiel betrügen jährlich mehr als 500 Mio EUR und die Werbemaßnahmen der Konzessionäre zielten maßgeblich darauf ab, bisher Unbeteiligte zum Glücksspiel zu animieren), den die Klägerinnen im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht konkret behaupteten, nahm der Verwaltungsgerichtshof erst jüngst (neuerlich) Stellung (Ra 2018/17/0048 unter Verweis auf Ro 2015/17/0022). Er kam zum Schluss (Rz 91), dass bei Durchführung der vom EuGH geforderten Gesamtwürdigung von einer Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes nicht auszugehen sei, weil mit diesem die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen sowie der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in kohärenter und systematischer Weise verfolgt würden.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass § 57 Abs 1 GSpG nicht unionsrechtswidrig und die Erlassung der Sicherstellungsaufträge jedenfalls vertretbar gewesen sei, ist damit nicht korrekturbedürftig.

4. Ebenfalls nicht korrekturbedürftig ist die vom Berufungsgericht auch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Ro 2015/16/0024) gestützte Rechtsansicht, dass die Klägerinnen Abgabenschuldnerinnen nach § 59 Abs 2 Z 1 zweiter Teilstrich GSpG seien und die Regelung des § 60 Abs 36 GSpG (idF des Steuerreformgesetzes 2015/2016, BGBl I 2015/118; dazu ErläutRV 684 BlgNR XXV. GP  33) dahin auszulegen sei, dass eine Gewerbeberechtigung zum „Halten erlaubter Kartenspiele – Poker“ zwar die Strafbarkeit des „verbotenen Spiels“ „hinausschiebe“, nicht aber den Gewerbeberechtigten von der Verpflichtung zur Leistung der Glücksspielabgabe entbinde; ein „Berechtigungsverhältnis“ lasse sich daraus nicht ableiten. Von der Glücksspielabgabe (§ 57 GSpG) seien sowohl verbotene als auch erlaubte Ausspielungen unter Bedachtnahme auf die Abgabenbefreiung nach § 57 Abs 6 GSpG erfasst.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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