OGH 8Ob17/18k

OGH8Ob17/18k24.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann‑Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj E*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters H*, vertreten durch Dr. Adrian Hollaender, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. November 2017, GZ 44 R 327/17i‑100, mit dem dem Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 8. März 2017, GZ 6 PS 124/14i‑78, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123533

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Zuerkennung der vorläufigen Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit nach § 44 Abs 1 AußStrG richtet, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Der Minderjährige ist der Sohn von H* und V*. Der Vater ist slowakischer Staatsbürger. Die Mutter tschechische und slowakische Staatsbürgerin. Das Kind besitzt die tschechische Staatsbürgerschaft.

Nach der Trennung der Eltern im Frühjahr 2014 lebte das Kind zunächst mit der Mutter bei den mütterlichen Großeltern in der Slowakei. Bei einem Besuchskontakt beim Vater in Wien im Juli 2014 wurde aufgrund des Verhaltens des Kindes in einem Spital die Diagnose „Verdacht auf battered child“ gestellt. Das Amt für Jugend und Familie erließ daraufhin zunächst ein Ausfolgeverbot und entzog die gesamte Pflege und Erziehung den Eltern. Am 24. 7. 2014 wurde das Kind dem Vater übergeben und lebt seither bei ihm und den väterlichen Großeltern in Wien. Ein Antrag der Mutter auf Rückführung des Kindes wurde rechtskräftig abgewiesen. Der Mutter wurde ein begleitetes Kontaktrecht alle 14 Tage für zwei Stunden eingeräumt.

Der Vater beantragt, ihm die alleinige Obsorge zu übertragen. Das Kind sei bei der Mutter misshandelt worden. Sie deponiere das Kind bei ihren Eltern, wenn sie selbst Ausflüge und Reisen unternehme. Demgegenüber seien er bzw seine Eltern willens und imstande, für das körperliche und geistige Wohl des Kindes zu sorgen. Eine Rückführung des Kindes in die Slowakei würde es aus seiner gewohnten Umgebung und seinem stabilen sozialen Umfeld herausreißen. Die väterliche Großmutter sei neben ihm eine wichtige und enge Bezugsperson. Er selbst betreue das Kind aber ebenfalls in Wien, obwohl er einen weiteren mj Sohn in Tschechien habe. Er habe Kontakte zur Mutter nie verhindert. Vereinbarte Kontakte seien nur aufgrund der Erkrankung des Kindes nicht wahrgenommen worden. Das Kind habe wiederholt geäußert, nicht mit der Mutter gehen zu wollen. Er habe einer Unterstützung der Erziehung zugestimmt und einmal wöchentlich einer Stunde mit der Sozialarbeiterin. Sämtliche Empfehlungen seien von ihm umgehend umgesetzt worden.

Die Mutter sprach sich gegen die alleinige Obsorge des Vaters aus und beantragt ihrerseits die alleinige Obsorge. Der Vater habe das Kind eigenmächtig von ihr weggeholt und nicht zurückgebracht. Sie habe ihr Kind nie misshandelt. Das Kind spreche weder deutsch noch slowakisch altersgemäß. Die Feinmotorik sei schwach. Der Vater unterlasse es, bei allfällig auffälligem Verhalten therapeutische Maßnahmen zu setzen bzw ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Vater sei viel geschäftlich unterwegs und oft nicht in Wien anwesend. Er habe auch die alleinige Obsorge für ein mj Kind in Tschechien. Die Betreuung werde fast zur Gänze der väterlichen Großmutter überlassen. Der Vater versuche, den Kontakt des Kindes zur Mutter zu verhindern. Sie lebe in der Slowakei, dort könne das Kind einen Kindergarten besuchen und logopädische und sonst notwendige Hilfe zu einer altersentsprechenden Fortentwicklung erhalten.

Mit Antrag vom 8. 7. 2016 beantragte das Amt für Jugend und Familie, die Obsorge des Kindesvaters im Bereich der Pflege und Erziehung insoweit einzuschränken, als die von ihm als Kinder‑ und Jugendwohlfahrtsträger im Rahmen der Unterstützung der Erziehung vorgeschriebenen Auflagen zu erfüllen seien. Im Zuge einer psychologischen Diagnostik hätten sich erhebliche Entwicklungsdefizite gezeigt, die entsprechende psychotherapeutische, ergotherapeutische und logopädische Behandlung erforderlich gemacht hätten. Auch der Kindergarten werde nur sporadisch besucht. Daher sei nach Beendigung der Gefährdungsabklärung am 13. 11. 2015 mit dem Vater für sechs Monate eine Vereinbarung zur „Unterstützung der Erziehung“ getroffen worden. Bei der väterlichen Familie habe keine Problemeinsicht bestanden. Nach Ablauf der Frist habe der Vater einer weiteren Vereinbarung nicht mehr zugestimmt. Tatsächlich sei eine weitere Zusammenarbeit im Zuge einer „Unterstützung der Erziehung“ für weitere sechs Monate erforderlich. Ziel seien der regelmäßige Kontakt zwischen dem Kind und seiner Mutter, regelmäßige Kindergartenbesuche, erhöhte Erziehungskompetenz und Erziehungsberatung der Großmutter und des Vaters sowie die erforderlichen Therapien für das Kind. Es werde beantragt, die Obsorge des Vaters dahingehend einzuschränken, dass ihm die Auflage erteilt werde, in diesem Sinn mit der Kinder‑ und Jugendhilfe zusammenzuarbeiten.

Mit Beschluss vom 8. 3. 2017 sprach das Erstgericht aus, dass die Obsorge bzw die elterlichen Rechte und Pflichten für das Kind dem Vater entzogen werden und der Mutter allein zustünden. Der Antrag des Vaters, der Mutter die Obsorge zu entziehen und ihm die alleinige Obsorge vorläufig zu übertragen, wurde abgewiesen. Der Antrag des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers Wien, die Obsorge des Kindesvaters durch Erteilung von Auflagen einzuschränken, wurde abgewiesen.

Die Feststellungen des Erstgerichts beschränken sich im Wesentlichen auf die inhaltliche Wiedergabe des Berichts der zuständigen Sozialarbeiterin des Amtes für Jugend und Familie vom 3. 12. 2015 (ON 29), ergänzt am 1. 4. 2016 (ON 41), eines klinisch psychologischen Befundes vom 18. 7. 2016 (ON 51) sowie der fachlichen Stellungnahme der Familien‑ und Jugendgerichtshilfe Wien vom 20. 12. 2016 (ON 63). Diese fachliche Stellungnahme kam zum Schluss, dass eine Gegenüberstellung von Mutter und Vater unter Berücksichtigung des Kindeswohls ergebe, dass sich die Situation der Mutter weniger defizitär und mehr dem Kindeswohl entsprechend darstelle. (...) Der Vater habe einer Verlängerung der Unterstützung der Erziehung nicht zugestimmt, Förderungsangebote bzw Therapieangebote nicht wahrgenommen und somit verhindert, dass das Kind Entwicklungsrückstände aufholen könne. Er gebe an, dass das Kind altersadäquat entwickelt sei. Die Mutter habe angegeben, die Entwicklungsrückstände zu erkennen und dem Kind entsprechend Unterstützung zukommen lassen zu wollen. Auch sei die Betreuungssituation des Kindes beim Vater fragwürdig.

Aus fachlicher Sicht sei daher ein Aufenthaltswechsel vom Kind zur Mutter zu empfehlen. Wichtig sei jedoch, dass die Mutter in der ersten Zeit der Umstellung ein besonderes Maß an Feinfühligkeit und Verständnis aufbringe und das Kind entsprechend begleite. Ein so gravierender – länderübergreifender – Wechsel erfordere eine hohe Anpassungsleistung vom Kind, weshalb eine psychologische Unterstützung wichtig wäre. Auch seien die bereits in der Unterstützung der Erziehung genannten Ziele zu berücksichtigen, regelmäßiger Kindergartenbesuch, Logopädie, Psychotherapie, psychologische-sozialpädagogische Beratung, wobei eine enge Zusammenarbeit mit dem örtlichen Kinder‑ und Jugendhilfeträger erscheine wichtig.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass eine Abkehr vom Grundsatz der gemeinsamen Obsorge nur denkbar sei, wenn das Kindeswohl ernstlich gefährdet sei. Allerdings setze die Ausübung der Obsorge beider Elternteile ein gewisses Maß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit voraus. Eine solche Gesprächsbasis sei im vorliegenden Fall nicht gegeben und nicht zu erwarten. Die Mutter sei offensichtlich erheblich besser geeignet, sich um den Minderjährigen zu kümmern. Der Vater scheine Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit in mehreren Bereichen aufzuweisen. Die Mutter zeige in der Interaktion mehr Empathie und reagiere kindgerechter. Der Vater habe zuletzt die Verlängerung der Unterstützung der Erziehung abgelehnt. Er nehme Förderungsangebote und Therapieangebote für den Minderjährigen nicht wahr und verhindere dadurch, dass das Kind Entwicklungsrückstände aufholen könne. Die Mutter habe zugesagt, dem Kind Förderung zukommen zu lassen. Aufgrund ihrer Lebensverhältnisse sei sie dazu auch in der Lage. Durch den dadurch erforderlich werdenden Aufenthaltswechsel seien erhebliche Änderungen in den Lebensverhältnissen des Kindes zu erwarten, die auch mit Irritationen verbunden sein könnten. Bei Abwägung der möglichen Belastungen mit jenen, die durch den Verbleib im Familienverband des Vaters auf Dauer entstehen könnten, erscheine es jedoch zweckmäßig und gerechtfertigt, der Mutter den Vorzug zu geben.

Dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht nicht Folge. Es führte aus, dass das anwendbare Sachrecht sich nach dem KSÜ bestimme. Das Kind sei tschechischer Staatsbürger und habe seinen Aufenthalt zunächst in Tschechien gehabt. Nach dem tschechischen Bürgerlichen Gesetzbuch komme das elterliche Sorgerecht beiden Eltern gleich zu. 2014 sei es zum Aufenthaltswechsel des Kindes nach Wien gekommen. Dadurch sei das Recht auf gemeinsame Obsorge nach § 53 Abs 2 IPRG nicht verloren gegangen. Die Prüfung, ob eine Obsorgeentziehung vorzunehmen sei, erfolge aber nach österreichischem Recht.

Das Rekursgericht ergänzte die Feststellungen des Erstgerichts dahingehend, dass der Minderjährige von Februar 2015 bis Ende November 2015 den Kindergarten unregelmäßig besucht habe, weder deutsch noch slowakisch gesprochen habe, nur unverständliche Laute von sich gegeben habe und sich nonverbal verständigt habe. Er sei sozial nicht eingegliedert gewesen und habe keine Freunde gehabt. Die Feinmotorik sei sehr schwach gewesen, die Scherenhaltung und Bleistifthaltung seien ihm schwer gefallen. Er sei sehr unselbständig gewesen. Im Sommer 2015 sei sein Sprachverständnis noch sehr stark eingeschränkt gewesen, ein Gespräch sei nicht möglich gewesen. Die graphomotorische Darstellung sei nicht altersentsprechend gewesen. Er habe in allen Bereichen der kognitiven Entwicklung, Sprache, Grobmotorik, Handlungsplanung, soziale Interaktion, deutliche Schwächen gehabt. Es seien psychotherapeutische, ergotherapeutische und logopädische Behandlungen empfohlen worden.

Ab Dezember 2015 habe er einen anderen Kindergarten besucht. Er sei dort die Hälfte der Zeit nicht anwesend gewesen und habe große sprachliche Auffälligkeiten aufgewiesen. Intensiven Kontakt habe er nur zu einem anderen Jungen gehabt, mit anderen Kindern dagegen wenig Kontakt. Er dürfe nicht zu anderen Kindern zum Spielen gehen. Außerhalb des Kindergartens sehe er andere Kinder aus dem Kindergarten nicht. Der Vater finde es nicht ungewöhnlich, dass ein Kind im Alter von fünf Jahren noch nicht sprechen könne und sehe keine Defizite bei seinem Sohn.

Nach Verwerfung der Mängelrüge und Tatsachenrüge führte das Rekursgericht aus, dass bei der Entscheidung über die Zuteilung der Obsorge iSd § 180 Abs 2 ABGB sich diese daran zu orientieren habe, welche mehrerer möglichen Lösungen den Bedürfnissen des Kindes am ehestens entspreche und welche Auswirkungen für das Kind zu erwarten seien. Bei einer Kindeswohlgefährdung nach § 181 ABGB müsse eine Gefährdung der psychischen oder physischen Gesundheit des Kindes vorliegen. Die Entziehung der Obsorge dürfe nur angeordnet werden, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten sei. Sie dürfe nur letztes Mittel sein.

Nach den Feststellungen sei eine ernstliche Gefährdung des Minderjährigen bei einem Verbleib bei seinem Vater belegt. Es bestünden erhebliche Entwicklungsrückstände. Obwohl diese bereits im Sommer 2015 festgestellt worden seien, habe der Vater nicht dafür gesorgt, dass der Minderjährige vorgeschlagene Therapien absolviere. Auch ein Jahr später seien weiterhin erhebliche Defizite festgestellt worden. Die vorliegenden Therapien habe der Vater wieder nicht veranlasst. Er sehe tatsächlich keine Defizite bei seinem Sohn. Es sei somit evident, dass er seiner Erziehungsaufgabe nicht gewachsen sei. Eine Besserung sei nicht zu erwarten, lasse er doch Empfehlungen unbeachtet und verweigere eine weiterführende Unterstützung durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger. Ein Wechsel des Minderjährigen zu seiner Mutter werde wohl zunächst zu erheblichen Irritationen führen, doch sei diese nach den Feststellungen zur Unterstützung ihres Sohnes bei seinen Defiziten bereit. Diese Chance sei bei einem Verbleib beim Vater nicht gegeben. Diese Möglichkeit überwiege bei weitem die Belastung durch den Wechsel des sozialen Umfelds.

Das Rekursgericht sprach weiters aus, dass dem Beschluss nach § 44 Abs 1 AußStrG vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zuerkannt werde, dies im Hinblick darauf, dass ein weiterer Verbleib des Kindes bei seinem Vater aufgrund der Entwicklungsdefizite nicht zum Wohl des Kindes sei bzw sein Wohl akut gefährdet sei.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Die Mutter beteiligte sich trotz Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung nicht am Revisionsrekursverfahren.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

1. Nach Art 53 Abs 1 KSÜ, das am 1. 4. 2011 für Österreich in Kraft getreten ist, sind die darin enthaltenen Regelungen über die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht auf Maßnahmen ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens anzuwenden. Dies gilt auch für die Zuständigkeitsregelung nach Art 5 KSÜ. Demnach sind die Behörden des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes zu treffen. Regelungen über die Obsorge fallen unter den Begriff der „elterlichen Verantwortung“ nach Art 1 Abs 2 KSÜ und damit in den sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens.

Nach der Kollisionsregel des Art 16 Abs 1 KSÜ bestimmt sich die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes ohne Einschreiten des Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. Das auf Änderungen (Eingriffe) in das Obsorgeverhältnis anzuwendende Recht ergibt sich aus Art 1 Abs 1 lit b iVm Art 15 Abs 1 KSÜ. Demnach hat der zufolge Art 5 Abs 1 KSÜ zuständige Vertragsstaat sein eigenes Recht anzuwenden. Gemäß Art 15 Abs 1 KSÜ wenden also die österreichischen Gerichte bei Ausübung ihrer Zuständigkeit auf Maßnahmen der elterlichen Verantwortung österreichisches Recht an (5 Ob 163/11y mwN).

Richtig ist daher das Rekursgericht davon ausgegangen, dass zunächst aufgrund des Aufenthalts des Kindes tschechisches Recht anzuwenden war und die Obsorge beiden Eltern zukam. Seit 2014 hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Dieser Wechsel in einen anderen Staat hat jedoch an der bestehenden Obsorge nichts geändert (vgl Art 16 Abs 3 KSÜ).

Aufgrund dieses Aufenthalts sind aber nunmehr die österreichischen Gerichte für Entscheidungen über einen allfälligen Wechsel der Obsorgeregelung zuständig und haben nach österreichischem Recht zu entscheiden.

2. Soweit sich der Rekurs des Vaters gegen die Zuerkennung der vorläufigen Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit richtet, war der Revisionsrekurs zurückzuweisen. Nach § 44 Abs 2 AußStrG sind Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit nicht zulässig. Ein Antrag ist zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0122828).

Eine amtswegige Aufhebung der Zuerkennung der vorläufigen Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit durch den Obersten Gerichtshof hatte nicht zu erfolgen, weil dazu keine ausreichenden Entscheidungsgrundlagen, insbesondere zur Entwicklung seit der Entscheidung durch das Rekursgericht, vorliegen.

3. Ausgehend von einer bereits bestehenden Obsorgeregelung nach tschechischem Recht, richtet sich eine Änderung der Obsorge nach § 180 Abs 3 ABGB. Nach dieser Bestimmung kann jeder Elternteil, nachdem die Obsorge endgültig geregelt wurde, sofern sich die Verhältnisse maßgeblich geändert haben, bei Gericht eine Neuregelung der Obsorge beantragen. Besteht daher schon eine Obsorgeregelung, ist eine Änderung auf Antrag eines der Elternteile nur bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zulässig (RIS‑Justiz RS0128809 [T5]). Eine solche nachträgliche Änderung setzt zwar anders als eine Sicherungsverfügung nach § 181 ABGB keine Gefährdung des Kindeswohls voraus. Eine Änderung der Verhältnisse muss aber derart gewichtig sein, dass das zu berücksichtigende Postulat der Erziehungskontinuität in den Hintergrund tritt (8 Ob 152/17m; Hopf in KBB5 § 180 ABGB Rz 15; vgl auch Weitzenböck in Schwimann/Kodek 4 Ia § 180 Rz 44).

4. Nach § 181 Abs 1 ABGB hat das Gericht, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des mj Kindes gefährden, die zur Sicherung des Wohls des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen, insbesondere darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise entziehen.

Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (RIS‑Justiz RS0048633). Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RIS‑Justiz RS0048632). Eine Änderung der Obsorgeverhältnisse darf nur als äußerste Notmaßnahme unter Anwendung eines strengen Maßstabs und nur insoweit angeordnet werden, als dies zur Abwendung einer drohenden Gefährdung notwendig ist (RIS‑Justiz RS0047841 [T21]). Die Entziehung der Obsorge setzt eine offenkundige Gefährdung des Kindeswohls und die Notwendigkeit der Änderung des bestehenden Zustands voraus (RIS‑Justiz RS0085168).

Wegen des damit regelmäßig verbundenen Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens (Art 8 EMRK) darf die Beschränkung der Obsorge nur das letzte Mittel sein und nur soweit angeordnet werden, als das zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist. Von einer solchen Vorkehrung darf das Gericht nur aus schwerwiegenden Gründen Gebrauch machen (RIS‑Justiz RS0048712).

5. Von diesen rechtlichen Grundsätzen ausgehend reichen die erstgerichtlichen Feststellungen auch unter Berücksichtigung der Ergänzungen durch das Rekursgericht nicht aus, um eine Entscheidung, sei es nach § 180 ABGB oder § 181 ABGB zu treffen.

Das Erstgericht begnügt sich im Wesentlichen mit der Wiedergabe der behördlichen Berichte. Die fachliche Stellungnahme der Familie‑ und Jugendgerichtshilfe iSd § 106a Abs 4 AußStrG kann in Einzelfällen im Zusammenhang mit den anderen Beweismitteln eine ausreichende Grundlage auch für eine Obsorgeentscheidung darstellen, sie ist aber nicht mit einem Sachverständigengutachten iSd §§ 351 ff ZPO gleichzusetzen (6 Ob 86/15p mwN). Dies schließt im Einzelfall nicht aus, dass es im Zusammenhalt mit anderen Beweismitteln eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bietet (RIS‑Justiz RS0131463), kommt doch im Verfahren in Außerstreitsachen mit seinem Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel (§ 31 AußStrG) als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des Sachverhalts geeignet und zweckdienlich ist (RIS‑Justiz RS0006272 [T1]).

Im konkreten Fall enthält allerdings der Bericht zu einer Vielzahl relevanter Fragen schlicht die Wiedergabe der unterschiedlichen Schilderungen der Eltern des Kindes, so etwa zur behaupteten Gewaltanwendung gegenüber dem Kind von Seiten der Familie der Mutter, zur Wohn‑ und Arbeitssituation des Vaters und damit seiner Möglichkeit, das Kind persönlich zu betreuen, weiters die Feststellung, dass es „fraglich sei“, inwieweit der Vater das Kind bei schulischen Aufgaben unterstützen könne und es ihm möglich wäre im Austausch mit der Schule zu sein.

Unabhängig davon aber, ob man die sich aus diesem Bericht ergebenden und vom Berufungsgericht durch ergänzende Feststellungen untermauerten (insbesondere sprachlichen) Defizite des Kindes und die diese negierende Haltung des Vaters als ausreichend festgestellt ansieht, fehlt eine ausreichende Grundlage dazu, zu beurteilen, inwieweit eine nunmehrige Übertragung der Obsorge an die Mutter samt Übersiedlung des Kindes nicht nur zu einer anderen Person als den bisherigen Hauptbezugspersonen, sondern auch in ein anderes Land mit einer anderen Sprache nicht insgesamt für das ohnehin massive sprachliche Defizite aufweisende Kind nachteilig wäre. Auch wenn beide Vorinstanzen darauf verweisen, dass hier mit Irritationen zu rechnen ist, fehlen konkrete Feststellungen als Grundlage dafür, beurteilen zu können, wie schwerwiegend die damit verbundene Beeinträchtigung des Kindeswohls ist.

In diesem Zusammenhang sind jedenfalls ergänzende Feststellungen auf Basis eines entsprechenden Gutachtens erforderlich, wobei auch die tatsächlich bestehenden Defizite des Kindes genauer zu prüfen sein werden, ebenso der erforderliche Behandlungsbedarf. Die diesbezüglich vom Berufungsgericht herangezogenen Berichte waren zum Zeitpunkt der Entscheidung teilweise bereits über ein Jahr alt.

Das Erstgericht wird sich aber auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Darstellungen der Eltern in wesentlichen Bereichen, deren Würdigung nicht Aufgabe des Kinder- und Jugendhilfeträgers ist und von diesem daher richtiger Weise auch nicht vorgenommen wurde, einen persönlichen Eindruck durch Einvernahme der Eltern zu verschaffen haben. In diesem Zusammenhang wird auch mit dem Vater erörtert werden können, welche Schritte zur Förderung des Kindes bereits gesetzt wurden, welche erforderlich sind und inwieweit hier tatsächlich eine ablehnende Haltung des Vaters dazu besteht. Erst nach Vorliegen von auf dieser Basis getroffenen Feststellungen wird eine Entscheidung über eine allfällige (teilweise) Entziehung der Obsorge nach § 181 Abs 1 ABGB getroffen werden können.

Aber auch im Zusammenhang mit einer Obsorgeentscheidung nach § 180 Abs 3 ABGB sind diese Feststellungen relevant, weil auch in diesem Zusammenhang eine Übertragung der Obsorge an die Mutter mit einem Wechsel des Aufenthalts zur Mutter nur dann, wenn durch diese Maßnahme das Wohl des Kindes trotz der damit verbundenen Nachteile gefördert wird, anzuordnen ist, was derzeit aber nicht beurteilt werden kann.

Die Entscheidung der Vorinstanzen waren daher zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung aufzuheben.

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