OGH 6Ob86/15p

OGH6Ob86/15p27.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr.

 Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ‑Prof. Dr. G. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am ***** 2000 geborenen Minderjährigen M***** K*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Kindesvaters Ing. E***** K*****, vertreten durch Mag. Thomas Kaunberger, Rechtsanwalt in Pressbaum, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. März 2015, GZ 45 R 37/15x‑113, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00086.15P.0527.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.  Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände das Kontaktrecht eingeräumt werden soll, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig; es kann ihr deshalb keine Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden, wenn nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden. Dies gilt auch für die Beschränkung eines einmal eingeräumten Kontakts (RIS‑Justiz RS0097114 [T8], RS0047958 [T1], RS0087024 [T9], RS0048060).

2.1.  Ob einem mündigen Sonderschüler eine selbständige verstandesmäßige Willensbildung über den persönlichen Verkehr zum anderen Elternteil zuzugestehen ist, die bei der Beurteilung des Kindeswohls nicht übergangen werden darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0110959). Dies gilt auch für an Trisomie 21 leidende Minderjährige (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 108 Rz 16).

2.2.  Nach § 13 AußStrG ist das Verfahren so zu gestalten, dass eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung des Verfahrensgegenstandes und eine möglichst kurze Verfahrensdauer gewährleistet sind. Damit sollen die bisher zu § 2 (insb Abs 2 Z 5) AußStrG 1854 entwickelten Grundsätze übernommen werden (ErläutRV AußStrG 2003, 224 BlgNR 22. GP  31). Daher besteht im Außerstreitverfahren ‑ anders als im Streitverfahren ‑ auch weiterhin Beweisaufnahmeermessen (G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 15 Rz 138; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 31 Rz 11; 6 Ob 149/06i). Hinsichtlich des Umfanges der Beweisaufnahme ist der Richter daher nicht streng an die Anträge der Parteien gebunden; er kann darüber hinausgehen, aber auch nach seinem Ermessen im Interesse einer zügigen Verfahrensführung von der Aufnahme einzelner Beweismittel Abstand nehmen, wenn auch auf andere Weise eine (ausreichend) verlässliche Klärung möglich ist (G. Kodek aaO; G. Kodek/G. Nowotny, Das neue Außerstreitgesetz und das Verfahren vor dem Firmenbuchgericht, NZ 2004, 257 [264]; Höllwerth aaO; 6 Ob 149/06i).

2.3.  Ein genereller Grundsatz dahin, dass das Pflegschaftsgericht im Verfahren über die Festsetzung des Kontaktrechts stets einen Sachverständigen beizuziehen hätte, besteht nicht; dies ergibt schon ein Umkehrschluss zu denjenigen Bestimmungen, in denen dies für andere Verfahren wie etwa das Sachwalterbestellungsverfahren (§ 121 Abs 5 AußStrG), ausdrücklich angeordnet wird. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen die Minderjährige persönlich angehört; außerdem lag die Stellungnahme eines Psychologen der Familiengerichtshilfe vor. Diese ist zwar nicht einem Sachverständigengutachten iSd §§ 351 ff ZPO gleichzusetzen ( Beck in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 106a Rz 31). Dies schließt jedoch im Einzelfall nach dem Gesagten nicht aus, dass eine derartige Stellungnahme im Zusammenhalt mit den anderen Beweismitteln eine ausreichende Entscheidungsgrundlage darstellt. In diesem Zusammenhang ist auch die beschränkte Tragweite der gegenständlichen Entscheidung zu berücksichtigen, ging es doch nicht um die Einräumung oder Entziehung eines Kontaktrechts überhaupt, sondern nur um die Regelung von dessen Modalitäten. Die Vorinstanzen haben dem Kindesvater im Ergebnis ein Kontaktrecht eingeräumt, das das von der Rechtsprechung als typisch angesehene nicht wesentlich unterschreitet, wurde dem Kindesvater doch ein Tag in der Woche gegenüber zwei Tagen alle zwei Wochen mit Übernachtung zugebilligt. Zumindest bei dieser Sachlage ist die Stellungnahme eines Psychologen der Familiengerichtshilfe ausreichend, sodass es keines zusätzlichen Gutachtens eines Sachverständigen bedurfte (vgl 8 Ob 48/14p).

2.4.  Entgegen den Ausführungen des Revisionsrekurses haben die Vorinstanzen ihre Entscheidung nicht ausschließlich auf § 108 AußStrG gestützt. Das Rekursgericht hat vielmehr ausführlich dargelegt, wieso die erstgerichtliche Neuregelung der Kontakte zwischen dem Vater und der Minderjährigen dem Kindeswohl entspricht. Dabei hat das Rekursgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der anzuwendende Maßstab von dem gesunder Kinder abweiche, der Minderjährigen jedoch nicht jede Entscheidungsmöglichkeit und Disposition über ihre Interessen abgesprochen werden könne.

3.  Im Ergebnis hängt die Entscheidung aber nicht von Rechtsfragen der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität ab, sodass der außerordentliche Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.

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