OGH 4Ob185/18m

OGH4Ob185/18m23.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** P*****, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** PLC, *****, vertreten durch die WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 76.094,66 EUR sA und Rechnungslegung (Streitwert 5.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 13. Dezember 2016, GZ 3 R 53/16k‑20, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. Juli 2016, GZ 49 Cg 56/12w‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00185.18M.1023.000

 

Spruch:

I. Das Verfahren wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

1. Die Zurückweisung der Klage wird bestätigt, soweit die klagende Partei Rechnungslegung begehrt und ihr Zahlungsbegehren auf vertragliche Ansprüche stützt.

2. Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass die von der Beklagten erhobene Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit verworfen wird. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen, dem insofern die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wird.

3. Die Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit werden gegeneinander aufgehoben.

 

Begründung:

I. Das Revisionsrekursverfahren ist am 30. Mai 2017, 4 Ob 38/17t, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 10. Mai 2017 zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf

Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV unterbrochen worden. Nunmehr hat der EuGH mit Urteil vom 12. September 2018, C‑304/17, Löber , über diesen Antrag entschieden. Das Revisionsrekursverfahren war daher von Amts wegen fortzusetzen.

II. Die Klägerin ist Anlegerin mit Wohnsitz in Wien. Sie hat über den Sekundärmarkt in Österreich am 5. November 2007 49.998,97 EUR und am 28. März 2008 19.999,21 EUR in das „X***** Zertifikat“ (in der Folge: das Zertifikat) investiert. Dessen Emittentin ist die Beklagte, eine im Handelsregister des Vereinigten Königreichs eingetragene Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Frankfurt. Die Beklagte verkaufte das Zertifikat im Zuge der Emission an institutionelle Investoren, die es wiederum am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiterverkauften.

Dem Zertifikat liegt eine Unternehmensanleihe in Form einer Inhaberschuldverschreibung zugrunde. Der Rückzahlungsbetrag und damit der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von der X***** GmbH errichtet und verwaltet werden. Die Emission des Zertifikats erfolgte auf Grundlage eines Basisprospekts vom 22. September 2005 und eines Konditionenblatts vom 20. Dezember 2005 samt Anhängen. Der Basisprospekt wurde auch bei der Österreichischen Kontrollbank notifiziert. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief von 20. Dezember 2005 bis 24. Februar 2006, die Emission erfolgte am 31. März 2006.

Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in Frankfurt am Main. Dort ist auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt.

Die Beklagte überließ die Investition der durch die Schuldverschreibung lukrierten Gelder der X***** GmbH als Investmentmanager. H***** K*****, der Trading Manager und Fonds Advisor der X***** GmbH, nutzte seinen maßgeblichen Einfluss auf diese, um durch die Investitionsentscheidungen seinem groß angelegten Schneeball-Betrugssystem neues Kapital zuzuführen. Die Gelder sind großteils verloren, das Zertifikat ist wertlos.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung von 76.094,66 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe von 39,232 Anteilen des Zertifikats, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für den Schaden aus den getätigten Investitionen, sowie Rechnungslegung. Sie stützte sich einerseits auf vertragliche und andererseits auf deliktische (Schadenersatz‑)Ansprüche, insbesondere Prospekthaftung. Zur internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief sich die Klägerin auf die Gerichtsstände der Art 15 EuGVVO 2001, hilfsweise Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001, sowie Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts ein.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Die Klägerin könne die Zuständigkeit weder auf Art 15 Abs 1 noch auf Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 stützen. Die Beklagte habe keine freiwillige Verpflichtung übernommen und die Klägerin habe auch nicht vorgebracht, dass sich der Schaden auf einem ihr zuzuordnenden Bankkonto bei einer Bank in Wien verwirklicht habe. Im Gegenteil ergebe sich aus ihrem Vorbringen und den von ihr vorgelegten Urkunden, dass sie ihr Zertifikat über ein in Graz geführtes Depot und Verrechnungskonto erworben habe; der Schaden sei somit in Graz eingetreten. Da die EuGVVO 2001 die JN verdränge und in ihrem Art 5 Nr 3 ein konkretes anderes nationales Gericht für zuständig erkläre, sei das Erstgericht international unzuständig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Auf den vom Erstgericht verneinten Verbrauchergerichtsstand nach Art 15 EuGVVO 2001 komme die Rekurswerberin zu Recht nicht mehr zurück. Beim Zahlungsversprechen aus einer Inhaberschuldverschreibung handle es sich um eine freiwillige rechtliche Verpflichtung des Schuldners und damit um einen vertraglichen Anspruch iSd Art 5 Nr 1 EuGVVO 2001. Der Erfüllungsort iSd Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 liege für Geldschulden sowohl nach österreichischem Recht idF vor dem ZVG, BGBl I 2013/50, als auch nach deutschem Recht (§§ 269 f BGB) am Sitz der Zweigniederlassung der Beklagten in Frankfurt am Main, sodass die österreichischen Gerichte für die vertraglichen Ansprüche der Klägerin – einschließlich des Rechnungslegungsbegehrens – nicht international zuständig seien. Da der Klägerin der Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Verfügung stehe, könne sie sich wegen ihres Prospekthaftungsanspruchs nicht auf Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 stützen, weil dieser deliktische Anspruch in einem so engen Zusammenhang mit dem Vertrag stehe, dass das vertragliche Element auch den Charakter des deliktischen Rechtsverhältnisses entscheidend präge. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht im Hinblick auf die Vielzahl gleich oder ähnlich gelagerter Fälle zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit zu.

In ihrem Revisionsrekurs macht die Klägerin geltend, der Erfüllungsort hinsichtlich der hier vorliegenden vertraglichen Ansprüche liege in Österreich. Von diesen Ansprüchen sei der ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf Schadenersatz aus dem Titel der Prospekthaftung zu trennen, welcher weder auf die Erfüllung des Anleihevertrags gerichtet noch ein Sekundäranspruch sei, der aus der Verletzung einer vertraglichen Pflicht resultiere; vielmehr sei dieser Anspruch deliktischer Natur. Dieser Anspruch stehe in so engem Zusammenhang mit den vertraglichen Pflichten, aus deren Verletzung der deliktische Schadenersatzanspruch abgeleitet werde, dass das vertragliche Element im Vordergrund stehe und auch den Charakter des deliktischen Rechtsverhältnisses entscheidend präge. Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 sei daher nicht anwendbar.

Die Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass hier, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, angesichts der Einbringung der Klage im November 2012 noch die Verordnung (EG) Nr 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckungvon Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl L 2001/121 (EuGVVO 2001) anwendbar ist (Art 66 Abs 1 der Verordnung [EU] Nr 1215/2012, ABl L 2012/351 [EuGVVO 2012]).

1. Zu den vertraglichen Ansprüchen (einschließlich des Rechnungslegungsbegehrens):

1.1. Der von der Klägerin insoweit in erster Instanz primär herangezogene Gerichtsstand des Art 15 EuGVVO 2001 ist (auch) in dritter Instanz kein Thema mehr. Es ist deshalb hinsichtlich der vertraglichen Ansprüche (und des vertraglichen Nebenanspruchs auf Rechnungslegung) nur auf Art 5 Nr 1 EuGVVO 2001 einzugehen.

1.2. Dazu macht die Klägerin geltend, dass es primär auf den vereinbarten Erfüllungsort ankomme. Nach den Anleihebedingungen werde die Emittentin (Beklagte) mit der Zahlung „an das Clearingsystem oder an dessen Order“ von ihrer Verpflichtung frei. Diese Vereinbarung sei insofern unklar, als drei verschiedene juristische Personen als Clearingsysteme angeführt seien, weshalb für den Investor ex ante nicht ersichtlich sei, über welches dieser Clearingsysteme die Order erfolge. Aus diesem Grund scheide das Clearingsystem selbst schon mangels Vorhersehbarkeit als Erfüllungsort der Anleihe aus. Anderes gelte hingegen für die Formulierung „an dessen Order“: Die Rechte aus der Anleihe würden ausschließlich von der Depotbank des Investors wahrgenommen, die in dessen Stellvertretung auftrete. Die Zahlungen aus der Anleihe erfolgten deshalb faktisch stets an die Depotbank. Deren Sitz sei der einzige Ort, der aus dem Blickwinkel der Parteien sinnvoller und vorhersehbarer Erfüllungsort sein könne. Die Zahlung am Sitz des Gläubigers sei daher das, was redliche Parteien vereinbaren würden. Da der Anleger den Betrag auf seinem (österreichischen) Depotkonto gutgeschrieben erhalte, liege der Erfüllungsort im Inland.

1.3. Nach dem hier anzuwendenden Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 kommt es für den Gerichtsstand des Erfüllungsorts auf den rechtlichen Erfüllungsort für die verletzte Vertragsleistung an, der nach dem auf den Vertrag anzuwendenden Sachrecht (lex causae) zu ermitteln ist. Eine wirksame Erfüllungsortvereinbarung ginge – wie schon nach dem EuGVÜ – dem rechtlichen Erfüllungsort allerdings vor. Das Rekursgericht hat den rechtlichen Erfüllungsort für die verletzte Vertragsleistung nach deutschem Recht ermittelt und diesen als in Deutschland gelegen erachtet. Die Klägerin beruft sich mit ihren Ausführungen weder auf einen tatsächlich vereinbarten Erfüllungsort noch tritt sie der Beurteilung des Rekursgerichts zum Regelungsgehalt der §§ 269 und 270 BGB entgegen. Ihre Argumentation, dass redliche Parteien für Zahlungen aus der Anleihe auf den Ort des Depotkontos abstellen würden, ist nicht geeignet, einen vereinbarten Erfüllungsort zu begründen.

1.4. Die – im Folgenden noch zu behandelnde – internationale Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 bezieht sich ausschließlich auf deliktische Ansprüche; eine Annexzuständigkeit für vertragliche Ansprüche besteht – entgegen der überwiegenden Lehre – nach der Rechtsprechung des EuGH nicht (Simotta in Fasching/Konecny 2 V/1 Art 5 EuGVVO Rz 84 f mwN). Es ist deshalb das Gericht, das nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 über eine Klage unter einem auf deliktischer Grundlage beruhenden Gesichtspunkt zu entscheiden hat, nicht auch dafür zuständig, über diese Klage unter anderen, nichtdeliktischen Gesichtspunkten zu entscheiden (EuGH 189/87 , Kalfelis; C‑98/06, Freeport plc). Der EuGH räumt in diesem Zusammenhang zwar ein, dass es Nachteile mit sich bringt, wenn über die einzelnen Aspekte eines Rechtsstreits von verschiedenen Gerichten entschieden wird, verweist jedoch darauf, dass der Kläger ohnehin stets die Möglichkeit hat, seine Klage unter sämtlichen Gesichtspunkten vor das Gericht des Wohnsitzes des Beklagten zu bringen (EuGH 189/87 , Kalfelis, Rn 20).

1.5.1. Für die Klägerin ist auch daraus nichts zu gewinnen, dass das Erstgericht die Klage zurückgewiesen hat, ohne der Beklagten zuvor den Schriftsatz vom 13. Juli 2016, GZ 49 Cg 56/12w‑12, mit dem die Klägerin ihr Begehren um das Rechnungslegungsbegehren ausdehnte, zuzustellen.

1.5.2. Nach Art 24 EuGVVO 2001 wird das Gericht eines Mitgliedstaats, das nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung zuständig ist, – von hier nicht in Betracht kommenden Fällen abgesehen – dadurch zuständig, dass sich der Beklagte auf das Verfahren einlässt, ohne die internationale Unzuständigkeit dieses Gerichts zu rügen. Aus dieser Vorschrift wird abgeleitet, dass das österreichische Gericht eine nach Art 24 EuGVVO 2001 heilbare Unzuständigkeit nicht bei der Klageprüfung in limine litis von Amts wegen aufgreifen und die Klage nicht a limine wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit zurückweisen darf (RIS‑Justiz RS0111247 [T3]), weil nach der Wertung der EuGVVO 2001 die Möglichkeit der Heilung der Unzuständigkeit durch Einlassung des Beklagten dem obrigkeitlichen Interesse an der Einhaltung der objektiven Zuständigkeitsordnung vorgeht (RIS‑Justiz RS0111247 [T8]).

1.5.3. Wird für eine Klage der Gerichtsstand des Erfüllungsorts in Anspruch genommen, so erfasst die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit grundsätzlich alle im Verfahren geltend gemachten vertraglichen Ansprüche (im Sinn einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung), die mit dem Klagsanspruch in sachlichem Zusammenhang stehen. Dies gilt jedenfalls für eine Ausdehnung des Klagebegehrens und ebenso – wie hier – für eine Ausdehnung bzw Ergänzung des Klagebegehrens um ein Rechnungslegungsbegehren (vgl Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR [2011] Art 24 Brüssel I‑VO Rz 10).

Zudem ist im konkreten Fall eine rügelose Einlassung der Beklagten auch schon deshalb nicht anzunehmen, weil sie sowohl in ihrer Rekurs- als auch in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf ihrem Standpunkt beharrt, dass das Erstgericht für die (gesamte, also auch die ausgedehnte) Klage international unzuständig sei.

1.6. Die Vorinstanzen haben daher die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die mit der Klage geltend gemachten vertraglichen Ansprüche zu Recht verneint.

2. Zu den deliktischen Ansprüchen, insbesondere Prospekthaftung:

2.1. Nach der Grundregel des Art 2 Abs 1 EuGVVO 2001 (vgl Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012) sind Personen, die ihren (Wohn‑)Sitz (Art 60 Abs 1 EuGVVO 2001) im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit grundsätzlich vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.

Nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 (nunmehr Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012) kann eine Person, die ihren (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des „Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.

2.2. Nach ErwGr 11 zur EuGVVO 2001 (ErwGr 15 EuGVVO 2012) sollten die Zuständigkeits-vorschriften in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem (Wohn‑)Sitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein, außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Nach ErwGr 12 zur EuGVVO 2001 (ErwGr 16 EuGVVO 2012) wird der Gerichtsstand des (Wohn‑)Sitzes des Beklagten durch alternative Gerichtsstände ergänzt, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte.

2.3. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 (Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012) ist verordnungsautonom und eng auszulegen (EuGH C‑12/15, Universal Music, Rn 25 mwN).

Beim Begriff der „unerlaubten Handlung“ ist es nicht entscheidend, ob der geltend gemachte Anspruch nach österreichischem Recht deliktischer Natur ist, sondern ob der Anspruch von Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 in seiner Auslegung durch den EuGH erfasst wird. In diesem Zusammenhang ist darauf abzustellen, ob die Pflichten, aus deren Verletzung der deliktische Schadenersatzanspruch hergeleitet wird, in einem so engen Zusammenhang mit einem Vertrag stehen, dass dieses vertragliche Element ganz im Vordergrund steht und auch den Charakter des deliktischen Rechtsverhältnisses ganz entscheidend prägt; in solchen Fällen ist Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 unanwendbar (EuGH 189/87 , Kalfelis;

RIS‑Justiz

RS0109078;

RS0109739 [T3]). Der Gerichtsstand differenziert grundsätzlich nicht danach, in welcher Rechtsschutzform Klage erhoben wird; er steht schon seinem klaren Wortlaut nach für (sämtliche) Ansprüche aus unerlaubten Handlungen zur Verfügung und unterscheidet insbesondere nicht danach, worauf die Ansprüche im Einzelnen gerichtet sind und welches Rechtsschutzziel sie verfolgen (4 Ob 137/16z mwN; RIS‑Justiz RS0115357).

2.4.1. Wie der EuGH in C‑375/13, Kolassa, dargelegt hat, gilt für Haftungsklagen gegen einen Emittenten aus Prospekthaftung und wegen sonstiger gesetzlicher Informationspflichten von Emittenten der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, sofern sie nicht von der Wendung „wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“ erfasst werden.

2.4.2. Dies ist nicht dahin zu verstehen, dass der Klägerin deshalb, weil sie sich neben der Prospekthaftung auch auf vertragliche Ansprüche stützt, hier die Berufung auf Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 von vornherein verwehrt wäre. In der Entscheidung C‑548/12, Brogsitter, hat der EuGH nämlich klargestellt, dass das Vorliegen einer vertraglichen Beziehung zwischen den Streitteilen nicht zwingend zur Folge hat, dass die Klage einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ iSd Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 betrifft. Dies ist vielmehr nur dann zu bejahen, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen; dies ist grundsätzlich der Fall, wenn eine Auslegung des Vertrags zwischen den Parteien unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das dem Beklagten vom Kläger vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist (Rn 22 ff).

2.4.3. Bei der Beurteilung, ob es sich bei der Prospekthaftung um einen vertraglichen oder einen deliktischen Anspruch handelt, ist deshalb darauf abzustellen, ob die Informationspflichten, deren Verletzung im Rahmen des Prospekthaftungsanspruchs geltend gemacht wird, aufgrund ihres Zusammenhangs mit einem Vertrag als vertragliche anzusehen sind (vgl Jault‑Seseke/Weller in Simons/Hausmann, Brüssel I‑VO [2012] Art 5 Nr 1 Rn 15). Wird der Schadenersatzanspruch hingegen auf einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften gestützt, richtet sich die Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 (Simotta in Fasching/Konecny 2 V/1 Art 5 EuGVVO Rz 70 mwN).

2.4.4. Im Hinblick darauf, dass sich die Prospekthaftung des Emittenten nach § 11 Abs 1 KMG auf unrichtige bzw unvollständige Prospektangaben bezieht, also gerade kein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Vertrag besteht, ist die Prospekthaftung als deliktischer Anspruch iSd Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 zu qualifizieren (8 Ob 50/17m = RIS‑Justiz RS0109078 [T33]; vgl Kropholler/von Hein , Europäisches Zivilprozessrecht 9 [2011] Art 5 EuGVVO Rn 74 mwN; Simotta in Fasching/Konecny 2 V/1 Art 5 EuGVVO Rz 275; in diesem Sinn auch Czernich in Czernich/Kodek/Mayr , Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht 4 Art 7 EuGVVO 2012 Rz 111).

2.5. Der Gerichtsstand nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 umfasst sowohl den Handlungsort, den Ort des ursächlichen Geschehens, als auch den Erfolgsort, den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht (EuGH C‑12/15, Universal Music, Rn 28 mwN; C‑68/93, Shevill,Rn 20; RIS‑Justiz RS0115357). Bei Distanzdelikten kann sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort geklagt werden; als Erfolgsort kommt aber nur jener Ort in Betracht, an dem sich die Schädigung zuerst auswirkt. Folgewirkungen auf Person oder Vermögen des Geschädigten lassen dessen (Wohn-)Sitz auch dann nicht zum Erfolgsort werden, wenn sie gleichzeitig verwirklicht werden (vgl RIS‑Justiz RS0119142; RS0109737 [T1, T3]). Als Erfolgsort kommt daher nur jener Ort in Betracht, an dem es zu einem direkten Eingriff in das Rechtsgut des Geschädigten kommt (RIS‑Justiz RS0109739 [T8]).

2.6. Zur Definition des Erfolgsorts besteht Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

2.6.1. Bereits in C‑364/93, Marinari, wurde betont, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, nicht den Ort bezeichnet, an dem der Geschädigte einen Vermögensschaden in der Folge eines in einem anderen Vertragsstaat entstandenen und dort von ihm erlittenen Erstschadens erlitten zu haben behauptet. Sie kann nicht so weit ausgelegt werden, dass sie jeden Ort erfasst, an dem die schädlichen Folgen eines Umstands spürbar werden können, der bereits einen Schaden verursacht hat, der tatsächlich an einem anderen Ort entstanden ist (Rn 14). Dem Argument, maßgeblich sei die Belegenheit des Vermögens zum Zeitpunkt der Entstehung der Schadensersatzpflicht, erwiderte der EuGH, dies könnte zur Begründung der Zuständigkeit eines Gerichts führen, das keinerlei Beziehung zu dem dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt hat; es wäre nämlich möglich, dass in der Folge des ursprünglichen schädigenden Ereignisses entstandene Kosten und entgangener Gewinn an einem anderen Ort festgestellt werden und dass bei einem solchen Gerichtsstand jede Sachnähe für eine wirksame Beweiserhebung fehlt (Rn 20).

2.6.2. Nach der (zu Art 5 Nr 3 EGVÜ ergangenen) Entscheidung C‑168/02, Kronhofer, die sich ausdrücklich auf C‑364/93, Marinari, bezieht, ist der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, nicht schon deshalb auf den Ort des Kläger‑(Wohn‑)Sitzes – als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens – zu beziehen, weil dem Kläger nach seinem Vorbringen durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Vertragsstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist. Die gerichtliche Zuständigkeit von ungewissen Umständen wie dem Ort des Mittelpunkts des Vermögens des Geschädigten abhängig zu machen liefe dem Ziel zuwider, den Rechtsschutz der in der Gemeinschaft ansässigen Personen dadurch zu stärken, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und dass einem verständigen Beklagten erkennbar wird, vor welchem Gericht er verklagt werden kann; zudem würde eine solche Auslegung zumeist die Zuständigkeit der Gerichte des Kläger‑(Wohn‑)Sitzes begründen können, was der grundsätzlichen Regelung nach dem Beklagten‑(Wohn‑)Sitz zuwiderläuft (Rn 20; vgl oben Pkt 2.2).

2.6.3. Nach C‑375/13, Kolassa, betreffend ein Parallelverfahren eines Anlegers gegen die auch hier Beklagte, rechtfertigt allein die Tatsache, dass den Kläger finanzielle Konsequenzen treffen, nicht die Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte seines (Wohn‑)Sitzes, wenn sowohl das ursächliche Geschehen als auch die Verwirklichung des Schadenserfolgs im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats anzusiedeln sind. Dagegen ist eine solche Zuständigkeitszuweisung gerechtfertigt, soweit der (Wohn‑)Sitz des Klägers tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist (Rn 49 f). In diesem Fall wurde eine Zuständigkeit der Gerichte am (Wohn‑)Sitz des Klägers in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs angenommen, wenn sich dieser Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto dieses Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht (Rn 55).

2.6.4. Im Urteil C‑352/13, CDC Hydrogen Peroxide, führte der EuGH aus, dass bei einer Klage, mit der von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Beklagten Schadenersatz wegen eines einheitlichen und fortgesetzten Kartellverstoßes verlangt wird, das schädigende Ereignis in Bezug auf jeden einzelnen angeblichen Geschädigten eingetreten ist, und jeder von ihnen entweder bei dem Gericht des Orts klagen kann, an dem das betreffende Kartell definitiv gegründet oder gegebenenfalls eine spezifische Absprache getroffen wurde, die für sich allein als das ursächliche Geschehen für den behaupteten Schaden bestimmt werden kann, oder bei dem Gericht des Orts, an dem er seinen (Wohn-)Sitz hat.

2.6.5. In C‑12/15, Universal Music, betonte der EuGH, dass im Fall C‑375/13, Kolassa, die besonderen Umstände des Einzelfalls für die Annahme des Erfolgsorts am (Wohn‑)Sitz des Klägers bzw dem Ort der Kontoführung maßgeblich waren (Rn 37). Allgemein kann als Ort des Schadenseintritts in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden, an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat (Rn 40 ff). Nur dann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Orts, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat, beitragen, könnte ein solcher Schaden dem Kläger in vertretbarer Weise die Erhebung einer Klage vor diesem Gericht ermöglichen (Rn 39).

2.7.1. Aus C‑168/02, Kronhofer, hatte der Oberste Gerichtshof zu 3 Ob 14/12y (und in der Folge zu 6 Ob 122/15g) den Schluss gezogen, dass der Ort des schädigenden Ereignisses grundsätzlich dort anzusiedeln ist, wo sich das Anlagekonto befindet, also an dem Ort, an dem sich das angelegte Geld befindet, nicht aber an jenem, wo das Konto des Anlegers geführt wird, von dem aus die Anlage getätigt wurde.

2.7.2. Im Gefolge der Rechtsprechung zu C‑352/13, CDC Hydrogen Peroxide, führte der Oberste Gerichtshof aus, dass für das Kartelldeliktsrecht der Erfolgsort, also der Ort, wo der durch die kartellbedingten Mehrkosten verursachte Schaden entsteht, der (Wohn‑)Sitz des Geschädigten ist (RIS‑Justiz RS0130938); dies wendet er auch auf Fälle an, in denen der nach seinen Behauptungen Geschädigte ein Bankkunde ist, der seine Schadenersatzklage auf eine unionsrechtswidrige Marktbeeinflussung (auch) durch die Beklagte stützt (1 Ob 104/16z = RIS‑Justiz RS0130938 [T1]).

2.7.3. In der Folge hat der Oberste Gerichtshof aber auch die Rechtsprechung des EuGH zu C‑12/15, Universal Music, aufgegriffen (6 Ob 18/17s [4.3.6.]; im selben Sinn auch 6 Ob 92/17y und 6 Ob 119/17v; ebenso 6 Ob 23/17a, 6 Ob 49/17z, 6 Ob 86/17s): Gegen das Abstellen auf den Überweisungsort als Erfolgsort spricht demnach, dass dieser schwer vorhersehbar ist, eine Überweisung von verschiedenen Konten zu mehrfachen Gerichtsständen führen könnte und der Umstand, wo sich das Bankkonto des Geschädigten befindet, oft von Zufälligkeiten geprägt sein wird; das Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 (Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001) zugrundeliegende (rechtspolitische) Kriterium der besonderen Sach- bzw Beweisnähe der Gerichte am Ort des Schadenseintritts vermag die Klagemöglichkeit am Ort der Kontoführung nicht zu rechtfertigen. Die gegenteilige Auffassung würde demgegenüber in weitem Umfang einen Klägergerichtsstand eröffnen und damit die Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände beeinträchtigen und die Grundregel des Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012 (Art 2 Abs 1 EuGVVO 2001) geradezu umkehren.

2.8. Der Oberste Gerichtshof hat angesichts der insbesondere nach C‑375/13, Kolassa, verbliebenen Unklarheiten dem EuGH mit Beschluss vom 10. Mai 2017, 3 Ob 28/17i, gemäß Art 267 AEUV (ergänzend) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist nach Art 5 Nr 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen für außervertragliche Ansprüche wegen Prospekthaftung dann, wenn

- der Anleger seine durch den mangelhaften Prospekt verursachte Anlageentscheidung an seinem Wohnsitz getroffen hat

- und er aufgrund dieser Entscheidung den Kaufpreis für das am Sekundärmarkt erworbene Wertpapier von seinem Konto bei einer österreichischen Bank auf ein Verrechnungskonto bei einer anderen österreichischen Bank überwiesen hat, von wo der Kaufpreis in der Folge im Auftrag des Klägers an den Verkäufer überwiesen wurde,

(a) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Anleger seinen Wohnsitz hat,

(b) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale jener Bank liegt, bei der der Kläger sein Bankkonto hat, von dem er den investierten Betrag auf das Verrechnungskonto überwiesen hat,

(c) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale der Bank liegt, bei der sich das Verrechnungskonto befindet,

(d) nach Wahl des Klägers eines dieser Gerichte zuständig,

(e) keines dieser Gerichte zuständig?

 

2.9. Der EuGH hat diese Frage in seinem Urteil vom 12. September 2018, C‑304/17, Löber, nunmehr wie folgt beantwortet:

Art 5 Nr 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der ein Anleger eine Klage auf Haftung aus unerlaubter Handlung gegen eine Bank, die ein Zertifikat ausgegeben hat, in das er investiert hat, wegen des Pro spekts zu diesem Zertifikat erhoben hat, die Gerichte des Wohnsitzes dieses Anlegers als Gerichte des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, im Sinne dieser Bestimmung für die Entscheidung über diese Klage zuständig sind, wenn sich der behauptete Schaden, der in einem finanziellen Verlust besteht, unmittelbar auf einem Bankkonto dieses Anlegers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht hat und die anderen spezifischen Gegebenheiten dieser Situation ebenfalls zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beitragen.

2.10. Im Vorabentscheidungsersuchen zu 3 Ob 28/17i hat der Oberste Gerichtshof zur Vermeidung von Missverständnissen ausdrücklich zwischen dem Verrechnungskonto – als einem „speziellen“, für die konkrete Anlage spezifizierten Konto – und dem „normalen“ Bankkonto (Gehalts- oder sonstigen Konto, von dem der Anleger den Kaufpreis für die Wertpapiere auf das Verrechnungskonto überwiesen hat) differenziert (Punkt 7.).

Der EuGH greift in C‑304/17, Löber, zum dort zu entscheidenden (mit dem hier vorliegenden weitgehend deckungsgleichen) Sachverhalt die ausdrücklich abgefragte Differenzierung in diesem Sinne nicht auf, sondern stellt darauf ab, dass die Gerichte des Wohnsitzes des Anlegers als Gerichte des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, iSd Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 dann für die Entscheidung zuständig sind, wenn bestimmte zusätzliche Voraussetzungen vorliegen (vgl Rn 24, 25, 28). Diese Voraussetzungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass die in besonderer anlage- und schadenstypischer Weise mit dem Geschäftsvorgang oder Schadensfall verknüpften schädigenden Vermögensdispositionen sich im Zuständigkeitsbereich inländischer Gerichte ereigneten und sonstige spezifische Gegebenheiten der Situation vorliegen, die nicht zum (Wohn-)Sitz des Beklagten, sondern in den Zuständigkeitsbereich inländischer Gerichte weisen.

Der EuGH verweist auch ausdrücklich darauf, dass die spezifischen Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens „insgesamt zur Zuweisung der Zuständigkeit an die österreichischen Gerichte beitragen“ (Rn 31). Er erwähnt diesbezüglich den Wohnsitz der Anlegerin in Österreich sowie dass alle Zahlungen für den Investitionsvorgang von österreichischen Bankkonten aus – von ihrem persönlichen Bankkonto und den speziell der Durchführung dieses Vorgangs gewidmeten Verrechnungskonten – durchgeführt wurden (Rn 32). Im Übrigen habe die Anlegerin die Zertifikate auf dem österreichischen Sekundärmarkt erworben und es seien die Angaben, die ihr zu diesen Zertifikaten übermittelt wurden, die Prospektangaben, wie sie der Österreichischen Kontrollbank notifiziert wurden, weiter sei sie die ihr Vermögen endgültig belastende Verpflichtung, die Anlage zu tätigen, auf der Grundlage dieser Angaben in Österreich eingegangen (Rn 33). Unter diesen Umständen stehe die Zuweisung der Zuständigkeit an „die österreichischen Gerichte“ im Einklang mit den in den ErwGr 11 und 12 der EuGVVO 2001 angeführten Zielen der Vorhersehbarkeit der in dieser Verordnung vorgesehenen Zuständigkeitsregeln, der Nähe der durch diese Regeln bezeichneten Gerichte zu dem Rechtsstreit sowie der geordneten Rechtspflege (Rn 34).

2.11. Daraus ist abzuleiten, dass die Gerichte am Wohnsitz der Anlegerin – im vorliegenden Fall also das sachlich zuständige Erstgericht – für die (auf deliktische Ansprüche gestützte) Klage der in Wien wohnenden Klägerin dann zuständig sind, wenn – wie hier – die Anlegerin ihre anlage- und schadenstypisch beteiligten Konten bei Banken in Österreich (hier das allgemeine Bankkonto ersichtlich in Wien und das Wertpapierdepot samt Verrechnungskonto in Graz) hatte und die auch sonst vorliegenden Umstände (wie zB Erwerb in Österreich; Prospektangaben bei der Österreichischen Kontrollbank notifiziert; Eingehen dieser Verpflichtung aufgrund dieser Angaben in Österreich) zur Zuweisung der Zuständigkeit an österreichische Gerichte (statt an die Gerichte am [Wohn-]Sitz der Beklagten) beitragen (vgl zu Art 7 EuGVVO 2012 Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR I4 [2016] Art 7 Brüssel 1a‑VO Rn 125; vgl auch Brenn, Aktuelle Rechtsprechung zur EuGVVO 2012, in König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich V [2018] 96 f).

2.12. Dies steht auch hier mit der allgemeinen Zielsetzung der EuGVVO 2001 in Einklang, die Ausnahme vom regelmäßig anzunehmenden Beklagtengerichtsstand nach Art 2 Abs 1 EuGVVO 2001 (Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012) nur aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen (vgl EuGH C‑194/16, Bolagsupplysningen OÜ, Rn 38 f) und zu verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte (vgl oben Pkt 2.2.). Ein Abstellen auf den Ort des Sitzes der jeweiligen Banken, bei denen der Anleger Konten hält, würde diesen Voraussetzungen nicht genügen und ist aus C‑304/17, Löber, auch nicht abzuleiten. Die Unwägbarkeiten, die sich daraus ergeben, dass eine Anlegerin – wie hier – Konten bei Banken auch außerhalb ihres Wohnsitzes unterhalten mag, sind für den Prozessgegner kaum vorhersehbar und könnten überdies zu Situationen führen, in dem er je nach Zufälligkeiten beim Erwerb vor verschiedenen inländischen Gerichten zur Verantwortung gezogen würde, die zudem auch nicht mit dem (Wohn-)Sitzgericht der Anlegerin ident sein müssten. Dagegen ist bei Bezugnahme auf den (Wohn-)Sitz des Anlegers für einen Emittenten, der Finanzprodukte auch außerhalb seines eigenen Heimatstaats vermarktet, unschwer vorherzusehen, dass der Anleger, der einen Schaden erlitten zu haben behauptet, das sachlich und örtlich zuständige Gericht seines (Wohn‑)Sitzes anruft, wenn auch sonst Umstände vorliegen, die auf die Zuständigkeit anderer Gerichte als der des (Wohn‑)Sitzes des beklagten Schädigers hinweisen (vgl C‑304/17, Löber, Rn 35, unter Hinweis auf C‑375/13, Kolassa,Rn 56).

2.13. Zusammengefasst folgt somit für den vorliegenden Fall, dass das Erstgericht für die aus Delikt abgeleiteten Ansprüche der Klägerin nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 international zuständig ist.

3. In Ansehung der vertraglichen Ansprüche ist daher die Klagszurückweisung zu Recht erfolgt, in Ansehung der deliktischen Ansprüche waren die Entscheidungen der Vorinstanzen abzuändern; das Erstgericht wird das gesetzmäßige Verfahren über diese Ansprüche zu führen haben.

4. Zur Frage der internationalen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (RIS‑Justiz RS0109078 [T15]). Angesichts des Umstands, dass beide Parteien jeweils in Ansehung eines der beiden tragenden Rechtsgründe als unterlegen anzusehen sind, ist die Kostenaufhebung nach § 43 Abs 1 erster Fall ZPO für das erstinstanzliche Verfahren ab der Einschränkung auf die Unzuständigkeitsfrage (Beschluss vom 15. Jänner 2013, GZ 49 Cg 56/12w‑5) und – nach §§ 50, 43 Abs 1 erster Fall ZPO – für das gesamte Rechtsmittelverfahren sachgerecht.

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