OGH 6Ob49/17z

OGH6Ob49/17z7.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI B***** S*****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts‑GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 25.726,50 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. November 2016, GZ 15 R 187/16d‑11, womit über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 26. September 2016, GZ 49 Cg 70/16k‑7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00049.17Z.0707.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit  1.144,20 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit  1.372,65 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt 25.725,50 EUR sA als Differenz zwischen dem Kurswert der von ihm im Zeitraum 9. 2. bis 24. 7. 2015 erworbenen und am 10. 3. 2016 wieder veräußerten Vorzugsaktien der Beklagten. Er habe die Aktien weit über dem wahren Börsenpreis erworben, weil die Beklagte fundamentale Informationen zur Preisbildung verschwiegen habe. Sie habe bereits 2009 begonnen, die Software der von ihr hergestellten Dieselfahrzeuge vorsätzlich zu manipulieren und damit die Kunden über die Einhaltung der gesetzlichen Abgasnormen getäuscht. Trotz dieser für den Börsekurs maßgeblichen Risiken habe sie das Anlegerpublikum über diese Umstände nicht zeitgerecht informiert, was einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Ad‑hoc‑Publizität gemäß § 15 Abs 1 dWpHG darstelle.

Zur internationalen Zuständigkeit brachte der Kläger vor, die Beklagte habe ihren Sitz in Deutschland. Sein Anspruch sei deliktischer Natur, entspringe aber einer vertraglichen Beziehung. Der Schaden sei unmittelbar auf seinem Konto eingetreten. Die von der Beklagten eingewendete Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam, weil eine Verbrauchersache vorliege. Sie sei zudem sittenwidrig nach § 879 ABGB bzw § 138 BGB, weil sie insbesondere die „Neuaktionäre“ aus dem Ausland unsachlich und missbräuchlich benachteilige. Außerdem seien Vorsatztaten von der Vereinbarung nicht erfasst.

Die beklagte Partei erhob die Einrede der internationalen Unzuständigkeit und bestritt das Klagebegehren inhaltlich. In ihrer Satzung sei eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, wonach für Ansprüche aus unterlassener Kapitalmarktinformation der Sitz der Gesellschaft der ausschließliche Gerichtsstand sei. Ein Verbrauchervertrag liege nicht vor. Der Handlungsort liege in Deutschland; auf den behaupteten Schaden am Bankkonto als bloßer Folgeschaden komme es nicht an.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Dabei ging es von folgendem Sachverhalt aus:

In der Hauptversammlung der Beklagten vom 3. 5. 2011 wurde die Satzung um einen § 29 ergänzt, welcher lautet:

§ 29 Gerichtsstand

Für alle Streitigkeiten zwischen einerseits den Aktionären und Berechtigten und/oder Verpflichteten von Finanzinstrumenten, die sich auf Aktien der Gesellschaft beziehen, sowie der Gesellschaft andererseits besteht ein ausschließlicher Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft, soweit dem nicht zwingende gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Dies gilt auch für Streitigkeiten, mit denen der Ersatz eines aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen verursachten Schadens geltend gemacht wird. Ausländische Gerichte sind für solche Streitigkeiten nicht zuständig.

Der Kläger wohnt in Wien. Er ist Inhaber eines bei der *****bank AG mit Sitz in Wien geführten Wertpapierdepots und eines ebendort geführten Verrechnungskontos.

Die *****bank AG erwarb im Auftrag des Klägers für ihn an der Börse Frankfurt mehrere – im Einzelnen näher angeführte – Vorzugsaktien. Diese Aktien wurden jeweils dem Depot des Klägers gutgeschrieben und die Kaufpreise seinem Verrechnungskonto angelastet. Die Aktien des Klägers wurden von der *****bank AG in Wertpapierrechnung in Düsseldorf verwahrt. Die die Aktien der Beklagten verbriefenden Globalurkunden sind bei der C***** AG in Frankfurt am Main hinterlegt.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, der Kläger habe die Vorzugsaktien am Sekundärmarkt erworben, sodass zwischen ihm und der Beklagten kein Vertrag darüber bestehe. Es handle sich daher nicht um eine Verbrauchersache im Sinne der EuGVVO. Die Gerichtsstandsvereinbarung entspreche § 32b der deutschen ZPO, der einen ausschließlichen Gerichtsstand für Klagen gegen einen deutschen Emittenten wegen falscher, irreführender und unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation am Sitz des betroffenen Unternehmens vorsehe. Die Gerichtsstandsvereinbarung sei weder sittenwidrig noch nichtig; der Kläger habe sich durch den Beitritt zur Beklagten dieser Gerichtsstandsvereinbarung unterworfen.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Einrede der mangelnden internationalen und örtlichen Zuständigkeit verwarf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

Eine in der Satzung enthaltene Gerichtsstandsklausel stelle nach der Rechtsprechung des EuGH eine Vereinbarung iSd Art 17 EuGVÜ dar. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei davon auszugehen, dass der Kläger der in der Satzung enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung durch den Erwerb der Aktien zugestimmt habe.

Die Gerichtsstandsklausel der Satzung sei auch ausreichend bestimmt und erfasse jedenfalls alle gegenwärtigen und zukünftigen Aktionäre. Der Kläger leite seinen Anspruch aus seiner Stellung als Aktionär ab, weil er den von der Beklagten durch die behauptete Marktmanipulation bewirkten Kursverlust geltend mache. Ohne Bezug zu dieser Gesellschaftsbeteiligung wäre sein Anspruch nicht denkbar, sodass er im Ergebnis einen Anspruch aus dieser Vertragsbeziehung fordere. Dass der Kläger die Aktien nicht am Primärmarkt, sondern am Sekundärmarkt erworben habe, lasse keine andere Beurteilung zu, weil er bereits durch den Erwerb in eine vertragsgleiche Beziehung zur beklagten Partei getreten sei.

Allerdings sei der vorliegende Fall als Verbrauchervertrag zu qualifizieren; die Beklagte habe ihre Tätigkeit durch umfangreiche Werbemaßnahmen zum Vertrieb ihrer Aktien auch in Österreich entfaltet. Daher stehe dem Kläger der inländische Gerichtsstand offen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil bereits mehrere gleichgelagerte Parallelverfahren anhängig sowie weitere zu erwarten seien und noch keine höchstgerichtliche Judikatur zu der Rechtsfrage existiere, ob die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte trotz der hier in Rede stehenden, in der Satzung einer AG enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung wegen des Vorliegens einer Verbrauchersache iSd Art 17 ff EuGVVO 2012 gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom heutigen Tag (6 Ob 18/17s) in einem Parallelverfahren mit denselben Parteienvertretern mit eingehender Begründung dargelegt, dass im vorliegenden Fall die internationale Zuständigkeit fehlt. Auf diese Entscheidung wird verwiesen.

Dem Revisionsrekurs war daher spruchgemäß Folge zu geben. Aufgrund der Abänderung war auch die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens neu zu fassen. Diese gründet sich ebenso wie die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.

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