OGH 9ObA92/18x

OGH9ObA92/18x27.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl und Karl Schmid als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** S*****, vertreten durch Dr. Barbara John‑Rummelhardt, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. U***** B*****, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.619,93 EUR brutto abzüglich 471,10 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 2018, GZ 8 Ra 94/17b‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00092.18X.0927.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0106298). Gerade die vom Revisionswerber im Zusammenhang mit dem von ihm geltend gemachten Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 letzter Fall AngG relevierte besondere Fallgestaltung schließt eine für zukünftig zu beurteilende Sachverhalte richtungsweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus (RIS‑Justiz RS0102181; vgl RS0042742).

Wesentliches Merkmal für diesen Entlassungstatbestand (vgl RIS‑Justiz RS0029547; RS0029833) ist der vom Dienstnehmer verschuldete, objektiv begründete Vertrauensverlust (9 ObA 82/16y; 9 ObA 105/16f; vgl RIS‑Justiz RS0029323), dessen Vorliegen die Vorinstanzen mit vertretbarer Beurteilung verneint haben.

Nach den Feststellungen entnahm die beim beklagten Arzt als Ordinationsassistentin beschäftigte Klägerin am 31. 12. 2015 um 21:00 Uhr zwei Medikamente aus der Hausapotheke des Beklagten, ohne vorher dessen Zustimmung einzuholen. Diese Medikamente (zwei Abführmittel) waren der Mutter der Klägerin von einer Ärztin schriftlich verordnet worden. Diese Ärztin hatte in der Silvesternacht keinen Dienst mehr. Die Klägerin vermerkte die Entnahme dieser Medikamente samt Datum und Uhrzeit auf der Schreibunterlage der für die Hausapotheke des Beklagten zuständigen Mitarbeiterin. Die Klägerin hatte die Zustimmung des Beklagten zu dieser Vorgangsweise nicht eingeholt, weil sie ihn am Silvesterabend nicht stören wollte. Die Bezahlung der Rezeptgebühr erfolgte durch Gegenverrechnung im Zuge der Endabrechnung.

Soweit der Beklagte in seiner außerordentlichen Revision (unter Bezugnahme auf verschiedene gesetzliche Bestimmungen) darauf pocht, dass die Medikamentenentnahme durch die Klägerin pflichtwidrig erfolgt sei, so hat dies auch bereits das Berufungsgericht erkannt. Nicht jede Pflichtwidrigkeit führt aber zwingend zu einer objektiven Vertrauensverwirkung, die den Dienstgeber zur sofortigen Beendigung des Dienstverhältnisses berechtigt. Jeder gerechtfertigten Entlassung ist immanent, dass dem Dienstgeber die Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich wird. Dieses Tatbestandsmerkmal ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0029009). Auch die Beurteilung der Unzumutbarkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls in Form einer Gesamtschau ab (RIS‑Justiz RS0103201; RS0113899).

Im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau hat das Berufungsgericht berücksichtigt, dass die Klägerin einmal eigenmächtig eine Laborüberweisung für ihre Tochter erstellte, diese aber wieder löschte und nicht verwendete. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei auch unter Berücksichtigung dieses früheren Vorfalls bei einer Gesamtbetrachtung (RIS‑Justiz RS0029790) eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ende der Kündigungsfrist noch zumutbar gewesen, ist nach der Lage des Falls nicht unvertretbar. Die in der Revision zitierten Entscheidungen zur Entwendung bzw zum Diebstahl eines Dienstnehmers, in denen die Entlassung für gerechtfertigt erkannt wurde, belegen andere Einzelfälle, sind aber mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen.

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