European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00055.18P.0717.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das das Klagebegehren abweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei ist Fraktion einer im Salzburger Landtag vertretenen politischen Partei. Sie ist Dienstgeberin zweier Dienstnehmerinnen, für die sie während deren krankheitsbedingten Arbeitsverhinderungen jeweils volle Entgeltfortzahlung leistete.
Mit den angefochtenen Bescheiden vom 20. 7. 2017 und 21. 7. 2017 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt Anträge der Klägerin auf Gewährung eines Zuschusses nach Entgeltfortzahlung mit der Begründung ab, dass die Klägerin zwar jeweils Dienstgebereigenschaft habe, nicht aber ein rechtlich selbständiges Unternehmen führe.
Mit ihren in den verbundenen Verfahren 19 Cgs 57/17y und 19 Cgs 66/17x des Erstgerichts eingebrachten Klagen begehrt die Klägerin die Zahlung eines Zuschusses nach Entgeltfortzahlung im gesetzlichen Ausmaß für die Zeit der jeweiligen krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung ihrer beiden Dienstnehmerinnen. Dem Begriff des „Unternehmens“ komme im Anwendungsbereich des § 53b ASVG keine eigenständige Bedeutung zu. Die Klägerin beschäftige laufend etwa sechs Mitarbeiter, sie habe daher gesetzlichen Anspruch auf Leistung des Zuschusses. Eine Heranziehung systemfremder Unternehmensbegriffe etwa des Unternehmens‑, Steuer‑ oder Konsumentenschutzrechts könne die Anspruchsberechtigung nicht einschränken.
Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Fraktion einer politischen Partei zwar Rechtspersönlichkeit zukomme. Sie verfolge jedoch politische Ziele und finanziere sich mittels Parteienförderung, Spenden und Sponsoring. Sie biete keine Waren oder Dienstleistungen am Markt an und trage kein wirtschaftliches Risiko, sodass es sich nicht um ein Unternehmen iSd § 53b ASVG handle.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren in beiden verbundenen Verfahren ab. Der Oberste Gerichtshof habe eine eigenständige Bedeutung des Unternehmensbegriffs in § 53b Abs 2 Z 1 ASVG bejaht. Auch die weiten Unternehmensbegriffe, etwa des § 1 Abs 2 KSchG, § 1409 ABGB oder § 1 Abs 2 UGB verlangten eine wirtschaftliche Betätigung, die dazu geeignet sei, die Organisation als solche zu erhalten und ihren finanziellen Fortbestand zu sichern. Diese Voraussetzungen träfen auf die Klägerin nicht zu, die sich im Wesentlichen durch Parteienförderung, Spenden und Sponsoring finanziere.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht änderte dieses Urteil ab und gab den Klagebegehren in den verbundenen Verfahren dem Grunde nach statt. Die Dienstgebereigenschaft der Klägerin sei nicht strittig. Sie sei eine juristische Person des Privatrechts, die eine gesetzlich verankerte Mitwirkung bei der Staatsfunktion der Gesetzgebung ausübe. Diese setze eine entsprechende „unternehmerische“ Struktur wie Mitarbeiter, Büros, Vertragsbeziehungen etc voraus. Die Klägerin erbringe Leistungen, die nach außen wirken und zumindest teilweise (vom Steuerzahler) bezahlt werden. Sie sei daher auch vom – nicht näher präzisierten – Unternehmensbegriff des § 53b ASVG erfasst.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Klärung der Frage zu, ob die Fraktion einer politischen Partei gemäß § 53b ASVG anspruchsberechtigt sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten, mit der diese die Abweisung der Klagebegehren in den verbundenen Verfahren anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
1. Streitigkeiten über Zuschüsse an die Dienstgeberinnen und Dienstgeber nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG sind Leistungssachen (§§ 173 Z 3, 354 ASVG), für die gemäß § 65 Abs 1 Z 1 ASGG die sukzessive Zuständigkeit der Arbeits‑ und Sozialgerichte besteht (RIS‑Justiz RS0120723).
2. Hat das Berufungsgericht das Vorliegen eines Prozesshindernisses von Amts wegen geprüft und – wenn auch nur in den Gründen seiner Entscheidung – ausdrücklich verneint, so liegt darin nach ständiger Rechtsprechung eine den Obersten Gerichtshof bindende, weil nach § 519 Abs 1 ZPO unanfechtbare Entscheidung (4 Ob 165/07d mwH; RIS‑Justiz RS0039226 [T8]). Die von der Klägerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung 6 Ob 270/01a (vgl auch RIS‑Justiz RS0115837) behauptete eigene Parteifähigkeit wurde von der Beklagten im Verfahren nicht bestritten und von den Vorinstanzen übereinstimmend bejaht.
3.1 Gemäß § 53b Abs 1 ASVG (in der hier anwendbaren Fassung des SRÄG 2015, BGBl I 2015/162) sind Dienstgeberinnen oder Dienstgeber (§ 35 ASVG) anspruchsberechtigt. Die Dienstgebereigenschaft der Klägerin ist im Verfahren nicht strittig.
3.2 Zuschüsse gebühren gemäß § 53b Abs 2 Z 1 ASVG „nur jenen Dienstgeber/inne/n, die in ihrem Unternehmen durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer/innen beschäftigen“. Anspruchsberechtigt sind daher nur jene Dienstgeberinnen und Dienstgeber, die nicht mehr als die gesetzlich vorgesehene Anzahl von Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern „in ihrem Unternehmen“ beschäftigen (RIS‑Justiz RS0120891 und RS0121346 mzwH). Daher gebührt etwa, weil er diese Voraussetzung nicht erfüllt, einem Dienstgeber in einem privaten Haushalt, kein Zuschuss gemäß § 53b ASVG (10 ObS 170/06g, SSV‑NF 20/74; zur Verfassungskonformität der Nichteinbeziehung bestimmter Dienstgebergruppen in diesen Anspruch vgl auch 10 ObS 119/07h).
3.3 Es trifft nicht zu, dass dem in § 53b Abs 2 Z 1 ASVG verwendeten „Unternehmensbegriff“ keine eigenständige Bedeutung zukäme. Dies ergibt sich nicht erst aus der bereits zitierten Entscheidung 10 ObS 170/06g, sondern schon aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs seit der am Beginn der Rechtssatzkette RIS‑Justiz RS0120891 stehenden Entscheidung 10 ObS 86/06d, SSV‑NF 20/39. Die Einfügung des Begriffs des Unternehmens in § 53b Abs 2 Z 1 ASVG wäre vor dem Hintergrund der dem Dienstgeber (§ 35 ASVG) zugewiesenen Anspruchsberechtigung überflüssig, hätte dieser Begriff keine Bedeutung (10 ObS 170/06g). Bereits in der Entscheidung 10 ObS 86/06d führte der Oberste Gerichtshof damit übereinstimmend aus, dass dem Begriff des „Unternehmens“ (bzw dem in der Stammfassung des § 53b ASVG, BGBl I 2005/64, noch verwendeten Begriff des „Betriebs“) nur insofern keine eigenständige Bedeutung zukomme, als er den Dienstgeberbegriff des § 35 ASVG nicht einschränken kann (dies wird durch den Klammerausdruck verdeutlicht; ebenso Melzer‑Azodanloo , Kein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 53b ASVG für private Haushalte?, DRdA 2008/12, 155).
4.1 Zuschussberechtigt gemäß § 53b ASVG sind nach der Intention des Gesetzgebers – wie bereits ausgeführt – Klein‑ und Mittelunternehmen (KMU), die durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer beschäftigen (ErläutRV 310 BlgNR 22. GP 6). Die Grundlage bildet hier der allgemeine Unternehmensbegriff des § 1 Abs 2 UGB, wonach „jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn ausgerichtet sein“, ein Unternehmen ist ( Felten in Tomandl , SV‑System [31. ErgLfg] 2.2.5.2.2.2; Derntl in Sonntag ASVG 9 § 53b Rz 3). Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich. Im Anwendungsbereich des § 53b ASVG ist von diesem weiten Verständnis des Unternehmensbegriffs auszugehen (10 ObS 138/06a, SSV‑NF 20/61; RIS‑Justiz RS0120891 [T2]); Potz , Neue Judikatur zu den DG‑Zuschüssen nach § 53b ASVG, RdW 2007, 95 [97]).
4.2 Der Unternehmensbegriff des § 1 Abs 2 UGB – der weitgehend vom Konsumentenschutzgesetz übernommen wurde (4 Ob 215/07g) – fordert eine auf Dauer organisierte selbständige wirtschaftliche Tätigkeit, durch die wirtschaftlich werthafte Leistungen erbracht werden, die insofern eine Wirkung nach außen haben, als sie einem „Publikum“ gegen zumindest kostendeckendes Entgelt angeboten werden (10 ObS 170/06g mwH; Straube in Straube/Ratka/Rauter , UGB I 4 [Stand 1. 12. 2009, rdb.at] § 1 UGB Rz 47 ff; Suesserott/U. Torggler in U. Torggler , UGB² § 1 Rz 15 f). Das Vorliegen eines Unternehmens setzt ein regelmäßiges und methodisches Vorgehen voraus (4 Ob 204/12x zu § 1 Abs 2 KSchG mwH; RIS‑Justiz RS0065380 [T12]).
5.1 Gemäß § 8 des Salzburger Landtag‑Geschäftsordnungsgesetzes, LGBl 1999/26, bilden die Mitglieder des Landtags, die diese Mitgliedschaft von der Zugehörigkeit zur selben nach der Landtagswahlordnung gebildeten Wahlpartei ableiten, eine einzige Landtagspartei. Gehören einer Landtagspartei mehr als zwei Mitglieder an, so führt diese Landtagspartei die Bezeichnung Landtagsklub (Klub). Der Begriff des Landtagsklubs entspricht gemäß § 11 Abs 1 des Salzburger Parteienförderungsgesetzes, LGBl 1981/79 (Sbg PartfördG), dem von der Klägerin verwendeten Begriff der Landtagsfraktion. Die Vorinstanzen sind in Übereinstimmung mit dem von der Klägerin insofern nicht bestrittenen Vorbringen der Beklagten vor diesem Hintergrund zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin eine Unterorganisation einer politischen Partei ist.
5.2 Die Existenz und die Vielfalt politischer Parteien sind nach der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 1 des Parteiengesetzes, BGBl I 2012/56 (PartG), wesentliche Bestandteile der demokratischen Ordnung der Republik Österreich iSd Art 1 B‑VG, BGBl 1930/1. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 PartG ist eine politische Partei eine dauernd organisierte Verbindung, die durch gemeinsame Tätigkeit auf eine umfassende Beeinflussung der staatlichen Willensbildung, insbesondere durch die Teilnahme an Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern und dem Europäischen Parlament, abzielt und deren Satzung beim Bundesministerium für Inneres hinterlegt ist. Aufgabe einer politischen Partei ist daher – wie bereits nach der Verfassungsbestimmung des früheren § 1 Abs 2 PartG 1975, BGBl 1975/404 – die Mitwirkung („Beeinflussung“) an der politischen Willensbildung (zur insofern unveränderten Rechtslage Eisner/Kogler/Ulrich, Recht der politischen Parteien § 1 PartG Rz 3). In Übereinstimmung damit normiert § 1 Sbg PartfördG unter der Überschrift „Förderung der Landtagsparteien“:
„Den im Salzburger Landtag vertretenen politischen Parteien (Landtagsparteien) sind für ihre Tätigkeit bei der Mitwirkung an der politischen Willensbildung im Land und in den Salzburger Gemeinden einschließlich der Sicherstellung des personellen und sachlichen Aufwandes auf Antrag Förderungsmittel des Landes nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes zuzuwenden.“
6.1 Zutreffend argumentiert die Beklagte in der Revision daher, dass die Klägerin kein Unternehmen iSd § 53b ASVG betreibt, weil sie nicht im dargestellten Sinn wirtschaftlich tätig wird, sondern als Unterorganisation einer politischen Partei „politisch“ iSd § 1 Abs 2 PartG 2012. Die Klägerin hält dem Standpunkt der Beklagten auch in der Revisionsbeantwortung lediglich entgegen, dass sie in ihrer Organisation eine „unternehmerische Struktur“ aufweise, weil sie Mitarbeiter beschäftige, ein Büro führe, Verträge eingehe und ein Budget zu erstellen und zu verwalten habe. Selbst wenn man das Vorhandensein aller dieser Merkmale unterstellt, so dienen sie der Klägerin dazu, ihre Ziele und Aufgaben als politische Partei zu verfolgen, nicht aber eine wirtschaftliche Leistung im oben dargestellten Sinn zu erbringen.
6.2 Es wurde auch bereits mehrfach ausgesprochen, dass die politische Tätigkeit politischer Parteien nicht dem Wettbewerbsrecht unterliegt (RIS‑Justiz RS0112949 [T1]). Wie die öffentliche Hand oder Vereine können auch politische Parteien am Erwerbsleben teilnehmen; soweit sie aber im Bereich der politischen Auseinandersetzung bleiben, liegt keine zu wirtschaftlichen Zwecken ausgeübte Tätigkeit vor. Die politische Auseinandersetzung ist nicht Teil des geschäftlichen Verkehrs, politische Parteien werden nicht im geschäftlichen Verkehr tätig (4 Ob 299/99w; 4 Ob 27/00z; 4 Ob 225/01v; RIS‑Justiz RS0112949). Dass die Klägerin abseits ihrer politischen Aufgaben und über den von ihr behaupteten Aufbau einer „unternehmerischen Struktur“ hinaus konkrete Unternehmensinteressen vertreten würde (vgl 4 Ob 225/01v), ist im Verfahren nicht hervorgekommen.
Der Revision ist daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen, weil die Klägerin nicht die Anspruchsvoraussetzungen des § 53b Abs 2 Z 1 ASVG in der anzuwendenden Fassung erfüllt.
Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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