OGH 9ObA60/18s

OGH9ObA60/18s28.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar und Mag. Thomas Kallab in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** T*****, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit‑Partnerschaft in Wien, wegen 3.463,76 EUR brutto, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Februar 2018, GZ 10 Ra 88/17k‑20, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 19. April 2017, GZ 17 Cga 9/17t‑14, Folge gegeben, der Berufung der beklagten Partei hingegen nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00060.18S.0628.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist seit 19. 2. 1996 bei der Beklagten als medizinisches Hilfspersonal beschäftigt.

In den Jahren 2008 bis 2014 kam es zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer‑ und der Arbeitgeberseite zu wiederholten umfangreichen Verhandlungen über die Frage der korrekten Abrechnung von Mehr- und Überstunden der Mitarbeiter, wobei die für die Beklagte auftretenden Personen den Vertretern der Arbeitnehmer gegenüber mehrfach ausdrücklich zusicherten, dass – nach Klärung der Rechtslage – sämtliche Mehr- und Überstunden ab 1. 3. 2005 nachverrechnet würden und die Ansprüche darauf den Arbeitnehmern nicht verloren gehen würden. Am 12. 9. 2014 erhielt die Klägerin ein Schreiben der Beklagten, in dem diese den betroffenen Mitarbeitern (so auch der Klägerin) mitteilte, dass sie allfällige Verjährungsverzichtserklärungen widerrufe. Dennoch führte die Beklagte auch nach dem Versand dieses Schreibens weitere Vergleichsgespräche mit Vertretern der Arbeitnehmer. Diese Verhandlungen sind letztlich erst am 5. 12. 2014 endgültig gescheitert.

Daraufhin brachte der Angestelltenbetriebsrat der Beklagten am 30. 12. 2014 beim Arbeits- und Sozialgericht Wien zu 37 Cga 2/15g eine Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 ASGG gegen die Beklagte ein. Darin begehrte er die (im Zuge des Verfahrens modifizierte) Feststellung, dass die als medizinisches Personal in der Blutspendezentrale für Wien, Niederösterreich und Burgenland beschäftigten Angestellten der Beklagten, deren Dienstverhältnis vor dem 1. 2. 2010 begründet worden sei, ungeachtet einer von der Beklagten behaupteten Verjährung Anspruch auf Abgeltung sämtlicher von ihnen ab 1. 1. 2008 geleisteten Mehrstunden unter Zugrundelegung eines monatlichen Durchrechnungszeitraums sowie sämtlicher im Zeitraum 1. 3. 2005 bis 30. 8. 2014 geleisteten Überstunden ohne Anwendung eines Durchrechnungszeitraums, somit unter Zugrundelegung einer täglichen und wöchentlichen Betrachtungsweise, hätten. Weiter wurden drei Eventualbegehren gestellt. Das Begehren war im Wesentlichen darauf gestützt, dass sich die Beklagte zu Unrecht auf die Verjährung der Ansprüche berufe. Sie habe einen Verjährungsverzicht abgegeben. Allenfalls verstoße der Einwand gegen Treu und Glauben und läge eine Verjährungshemmung infolge Vergleichsverhandlungen vor.

Mit Urteil vom 25. 11. 2015 wies das Erstgericht das Haupt‑ und die Eventual‑Feststellungsbegehren ab. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass ein rechtsgültiger Verjährungsverzicht nicht vorliege, seitens der Beklagen jedoch ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei, aufgrund dessen die betroffenen Arbeitnehmer einer Verjährungseinrede die Replik der Arglist entgegenhalten könnten, sofern nach Wegfall des Vertrauenstatbestands binnen angemessener Frist Klage eingebracht werde. Da die Frage der Rechtzeitigkeit jeweils vom Einzelfall abhänge, sei die Klage aber abzuweisen. Das diese Entscheidung bestätigende Berufungsurteil (Oberlandesgericht Wien vom 25. 10. 2016, AZ 10 Ra 26/16s) wurde den Parteien am 10. 11. 2016 zugestellt.

Mit der vorliegenden, am 25. 1. 2017 eingebrachten Leistungsklage begehrt die Klägerin von der Beklagten 3.463,78 EUR brutto sA an restlichem Entgelt für die von ihr im Zeitraum 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2012 geleisteten Mehr‑ und Überstunden und die Differenzen beim Urlaubsentgelt. Aufgrund des Feststellungsverfahrens seien sämtliche Fristen bis zu dessen Beendigung gehemmt gewesen. Die Einrede der Verjährung sei überdies wegen des Gesamtverhaltens der Beklagten (auch jetzt noch) rechtsmissbräuchlich.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach und beantragte Klagsabweisung. Die Leistungsklage hätte innerhalb angemessener Frist ab September 2014 eingebracht werden können. Da die Klägerin zwei Jahre untätig geblieben sei, seien ihre Ansprüche verjährt. Das Feststellungsverfahren habe mangels Identität des Streitgegenstands zu keiner Hemmung der nunmehr von der Klägerin geltend gemachten Individualansprüche geführt. Die Ansprüche der Betroffenen auf Überstundenentlohnung im Feststellungsverfahren seien unstrittig gewesen. Der Betriebsrat habe damit nur erreichen wollen, dass unstrittige Ansprüche nicht verjähren könnten, wofür eine Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG nicht das taugliche Instrument sei. Selbst bei einem Verjährungsverzicht würde dem Verzichtenden lediglich die Berufung auf den Einwand der Verjährung versagt, nicht aber die Verjährung an sich gehemmt. Das Feststellungsverfahren sei daher nicht geeignet gewesen, der Klägerin die Replik der Arglist zu wahren. Jedenfalls habe sich das Feststellungsverfahren nur auf zum 30. 12. 2014 noch nicht verjährte Ansprüche beziehen können.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren – das Erstgericht teilweise, das Berufungsgericht vollständig – statt. Infolge hemmender Wirkung des Feststellungsverfahrens (§ 54 Abs 5 ASGG) sei die gegenständliche Leistungsklage rechtzeitig eingebracht worden. Der Individualklage liege derselbe anspruchsbegründende Sachverhalt wie der Feststellungsklage zugrunde.

Das Berufungsgericht warf für bereits verjährte Ansprüche die Frage auf, ob die fristenhemmende Wirkung des § 54 Abs 5 ASGG auch die angemessene Frist zur Klagseinbringung nach Wegfall des Vertrauenstatbestands (also die Klagsfrist zur Wahrung der Replik der Arglist gegen eine Verjährungseinrede) erfasse und ob diesfalls – sowie generell für die bei Klagseinbringung nicht verjährten Ansprüche – das Feststellungsverfahren den Fortlauf der Klags‑ bzw Verjährungsfrist gehemmt habe. Die Revision wurde für zulässig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig, weil die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht entscheidungsrelevant ist. Eine andere iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage zeigt die Revision nicht auf. Macht der Rechtsmittelwerber trotz der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht in seiner Revision nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts zurückzuweisen (9 Ob 52/17p; 4 Ob 62/18y ua). Dies ist hier der Fall.

1. Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass jedenfalls die ab 30. 12. 2011 fällig gewordenen Ansprüche der Klägerin zum Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage noch nicht verjährt waren. Dies trifft aber auch auf die übrigen mit der gegenständlichen Klage geltend gemachten Ansprüche zu. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Vergleichsverhandlungen eine Ablaufhemmung bewirken (RIS‑Justiz RS0034518; 9 Ob 43/14k; 9 Ob 39/17a; 7 Ob 15/18h ua; Dehn in KBB4 § 1494 Rz 1, 3 mwN). Verhindert wird nicht der Lauf der Verjährungsfrist, sondern nur ihr Ablauf, also das „Zuendegehen“ der Verjährungsfrist (RIS‑Justiz RS0034501 [T3, T10]). Nach ständiger Rechtsprechung muss nach dem Scheitern von Verhandlungen und der erkennbaren Aufgabe jenes Verhaltens, das den Verjährungseinwand sittenwidrig erscheinen lässt, in angemessener Frist Klage eingebracht werden (vgl RIS‑Justiz RS0034450). Scheitern somit Vergleichsverhandlungen nach einem Zeitpunkt, in dem ohne sie der Rechtsverlust bereits eingetreten wäre, tritt Verjährung dann nicht ein, wenn die Klage unverzüglich eingebracht wird (9 Ob 39/17a).

Davon ausgehend war aber auch die Verjährungsfrist für die Ansprüche der Klägerin, die bereits vor dem 30. 11. 2011 zu laufen begonnen hat, zum Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage am 30. 12. 2014 noch nicht abgelaufen. Die Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG wurde nämlich nach endgültigem Scheitern der Vergleichsverhandlungen (5. 12. 2014) innerhalb angemessener Frist (vgl 8 ObA 71/16y und dieser folgend 9 ObA 65/17z bei jeweils identem Sachverhalt) eingebracht. Durch die somit noch innerhalb der Verjährungsfrist erhobene Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG war daher der Ablauf der Verjährungsfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche der Klägerin mit der nunmehrigen Leistungsklage gehemmt (§ 54 Abs 5 Satz 2 ASGG). Durch die Einbringung der Leistungsklage am 25. 1. 2017 nach Zustellung der abweislichen Berufungsentscheidung im Feststellungsverfahren am 10. 11. 2016 wurde auch die dreimonatige Frist des § 54 Abs 5 Satz 3 ASGG gewahrt. Auf die vom Berufungsgericht formulierte Rechtsfrage kommt es daher nicht an.

2. Bei der Gruppe der „Berechtigten“, denen die Hemmungswirkung des § 54 Abs 5 Satz 2 ASGG zugute kommt, muss es sich im Fall des § 54 Abs 1 ASGG jedenfalls um solche Personen handeln, die zu der Gruppe der (zumindest drei) betroffenen Arbeitnehmern gehören können, die durch das klagende Organ vertreten werden (selbst wenn sie nicht zu den namentlich Genannten gehören). Von der Hemmungswirkung nach § 54 Abs 5 ASGG werden grundsätzlich alle durch die beteiligten kollektivvertragsfähigen Körperschaften vertretenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfasst, auf die der im Feststellungsantrag behauptete anspruchsbegründende Sachverhalt zutrifft, so dass sie Leistungsklage erheben könnten (RIS‑Justiz RS0085747; Neumayr in ZellKomm2 § 54 ASGG Rz 13).

Die Revisionswerberin bestreitet, dass der Feststellungsklage des Betriebsrats der Beklagten der idente anspruchsbegründende Sachverhalt wie der nunmehr von der Klägerin erhobenen Leistungsklage zugrunde liegt. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO macht sie damit aber nicht geltend. Bei der Beurteilung dieser Frage handelt es sich um eine einzelfallbezogene Auslegungsfrage zu Prozesserklärungen, die – wie insbesondere die Frage der Identität von mehreren geltend gemachten Ansprüchen (vgl RIS‑Justiz RS0044453) – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO bildet (RIS‑Justiz RS0042828). Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die im konkreten Fall die Identität der anspruchsbegründenden Sachverhalte im Feststellungs‑ und Leistungsverfahren bejaht, ist vertretbar und nicht korrekturbedürftig.

Der Sachantrag des Angestelltenbetriebsrats war darauf gerichtet, dass die von der Feststellungsklage betroffenen Arbeitnehmer – darunter fällt unstrittig auch die Klägerin – Anspruch auf Abgeltung der von ihnen ab 1. 3. 2005 (bzw 2008) geleisteten Mehr- und Überstunden haben, dies ungeachtet eines (vorweggenommenen) Verjährungseinwands der Beklagten. Auch wenn dieser Sachverhalt konkretisierungsbedürftig gewesen wäre, würde dem Betriebsratsverfahren die Hemmungswirkung des § 54 Abs 5 ASGG zukommen (RIS‑Justiz RS0085750). Der anspruchsbegründende Sachverhalt, nämlich die nicht abgegoltene Leistung von Mehr‑ und Überstunden durch die Beklagte infolge der Annahme bestimmter Durchrechnungszeiträume, stimmte aber mit jenem des vorliegenden Verfahrens überein. Dass diese Ansprüche – wie die Revisionswerberin selbst behauptet – dem Grunde nach „völlig unstrittig“ sind und die Klägerin noch zusätzliches Vorbringen zur Frage der Verjährung erstattet habe, ändert nichts daran, dass Hauptfrage des Feststellungsverfahrens die Feststellung einer Leistungspflicht der Beklagten für solche Ansprüche war, die die Klägerin im gegenständlichen Verfahren geltend macht. Dass der Feststellungsantrag abgewiesen wurde, ist für die Frage der Hemmungswirkung nicht entscheidend (RIS‑Justiz RS0085749).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979 [T16]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte